Einige Stunden zuvor…
„Fröhliche Weihnachten, Lois“, rief Jimmy und eilte die Rampe zu den Aufzügen hoch. Lois zögerte aus dem Aufzug zu treten, ein wenig verblüfft über die überschwängliche Begrüßung. Jimmy grinste wie ein Honigkuchenpferd und streckte ihr ein Päckchen entgegen. „Das ist für dich! Ich bin dein geheimer Nikolaus“, erklärte er und errötete bei diesen Worten ein bisschen. „Clark und Perry haben mir geholfen, die Aktion neu aufzuziehen, nachdem…“, er stockte und hustete verlegen.
Lois musste lachen. „Oh, Jimmy, das ist doch nicht deine Schuld gewesen. Und außerdem waren wir alle nicht ganz wir selbst, wenn ich mich recht erinnere“, gab sie zurück und warf einen neugierigen Blick auf das Päckchen in Jimmys Händen. „Wie habt ihr das denn so schnell organisiert und warum weiß ich davon nichts?“, fragte sie neugierig
„Das war eine spontane Idee gestern Abend. Du warst schon nach Hause gegangen“, erklärte Jimmy eifrig. „Wir haben noch genug Zettel übrig, es hat längst noch nicht jeder jemanden gezogen.“ Er wies zu einer Schale hinüber, die beinahe halbvoll mit Zetteln war. „Mach das Päckchen schon auf“, drängte Jimmy Lois dann, offenbar neugierig, ob ihr sein Geschenk gefallen würde.
Lois war ein wenig skeptisch. Sie hatte schon die merkwürdigsten Wichtelgeschenke bekommen und hielt von der Tradition nicht allzu viel. Um Jimmy glücklich zu machen, strahlte Lois ihr allerbreitestes Lächeln und nahm das Geschenk entgegen. Das Päckchen war schmal und rechteckig. Auf Anhieb fiel Lois nichts ein, dass diese Form haben konnte.
„Ist es zerbrechlich?“, fragte Lois, als sie das Päckchen sorgfältig in der Hand wog.
„Mmhh, ja schon“, murmelte Jimmy und schien sich seiner Sache nicht allzu sicher zu sein.
Verwundert runzelte Lois die Stirn und begann das Geschenkband zu lösen. So langsam wurde sie doch sehr neugierig, was wohl zum Vorschein kommen würde. Sie riss an den Klebestreifen und wenig später hielt sie eine Schatulle, einem Brillenetui nicht unähnlich, in der Hand. Seitlich war ein Verschluss angebracht, den Lois aufschnappen ließ.
„Eine Sonnenbrille?“, fragte sie verwirrt, als sie Jimmys Geschenk hervorzauberte. Sie musterte die Brille von allen Seiten, für den Fall, dass es sich um einen Scherzartikel handelte. Doch die Brille wirkte vollkommen unverdächtig.
Nun war es an Jimmy breit zu grinsen. „Nein, etwas mehr als das“, erwiderte er und fuhr sich in jener nervösen Geste durchs Haar, die so typisch für ihn war. „Es ist eine Brille mit eingebauter Videokamera“, erklärte er mit einem aufgeregten Blitzen in den Augen und schien plötzlich hibbelig wie ein kleiner Schuljunge. „Ich dachte, das wäre vielleicht ganz praktisch für deine Enthüllungsstorys.“
Lois schaute Jimmy an und war sprachlos. Mitten im Winter eine Sonnenbrille zu bekommen, hatte schon etwas Merkwürdiges. Lois gehörte nicht gerade zu dem Typ Pistenhase, der die ganze Wintersaison über Ski fuhr. Aber für ein unpassendes Geschenk war Jimmys ziemlich grandios.
„Die… die war doch bestimmt viel zu teuer“, erwiderte Lois geplättet und betrachtete die Sonnenbrille näher. In einem Bügel war ein kleiner Sender eingebaut, so unauffällig, dass Lois ihn zuerst gar nicht gesehen hatte. „Wo… wo hast du so etwas überhaupt her?“, fragte sie skeptisch. Ihr schwante das solche Gerätschaften haarscharf an der Grenze zur Legalität waren.
„Die… hatte ich noch zu Hause. Mein Dad hat früher…“, er hielt kurz inne, als würde er die richtigen Worte suchen. „…auf so etwas gestanden“, fügte er dann hastig hinzu. „Er wollte sie ausrangieren und ich… habe ihn gefragt, ob ich sie haben könnte. Schätze, er fühlt sich ein bisschen schuldig, dass er so wenig Zeit für mich hat“, entgegnete Jimmy mit einem Augenzwinkern. Lois musterte ihn interessiert. Es kam nicht oft vor, dass er über seinen Vater sprach. Lois wusste nicht einmal, was er beruflich tat. „Komm mit, ich habe den Empfänger an deinen Computer angeschlossen“, drängte Jimmy aufgeregt und zog Lois mit sich die Rampe in die Redaktion hinunter.
Während Lois Jimmy folgte, wanderte ihr Blick zu Clarks Schreibtisch. Über die eineinhalb Jahre, die sie jetzt schon zusammen arbeiteten, war daraus eine liebe Gewohnheit geworden. Ihr Partner war noch nicht im Büro, aber das war nicht weiter ungewöhnlich. Ebenso regelmäßig wie er verschwand, kam er zu spät. Meist aber brachte er eine Story mit, so dass Perry zufrieden gestellt war. Insgeheim wunderte Lois sich oft, wie Clark all die Exklusivberichte über Superman an Land zog. Er wusste schon, was der Held den ganzen Morgen über getan hatte, wenn Lois noch dabei war, sich mit Koffein aufzuputschen und sich den Schlaf aus den Augen zu reiben.
„Hast du Clark heute Morgen schon gesehen?“, wollte Lois von Jimmy wissen, der fast immer aufschnappte, wo die Mitglieder der Redaktion gerade steckten.
Er blieb neben Lois’ Schreibtisch stehen, warf einen kurzen Blick hinüber auf Clarks leeren Platz und zuckte nur mit den Schultern.
„Schätze mal, irgendetwas hat ihn wohl aufgehalten. Vielleicht eine Superman-Story. Unser Held ist wohl ziemlich aktiv heute“, gab Jimmy zurück und grinste breit. „Und nun sieh dir das an“, kam er dann auf die Brille zurück und zog Lois auf ihren Stuhl. „Was auch immer die Brille sieht, kann mit diesem Programm aufgezeichnet werden. Die Reichweite des Senders beträgt fast fünf Kilometer, vielleicht sogar mehr. Ich konnte es noch nicht ausprobieren. Das ist so klasse…“ Jimmys Monolog verwandelte sich in einen Vortrag über die neuesten Errungenschaften der Technik, dem Lois nicht ganz folgen konnte oder wollte.
Ihre Gedanken wanderten ab. Sie schaute auf die Uhr. Es war nicht ungewöhnlich, dass Clark noch nicht in der Redaktion war. Aber es verursachte ihr ein ungutes Gefühl. Sie war an diesem Morgen mit Kopfschmerzen aufgewacht, vollkommen angezogen. Lois konnte sich noch gut daran erinnern, wie Clark sie am Abend nach Hause gebracht hatte. Von da an war alles nur noch ein verschwommener Alptraum, nichts Greifbares. Sie wollte mit Clark darüber sprechen und diesem merkwürdigen Umstand auf den Grund gehen. Doch ihr Partner war nicht da und mit jeder Minute, die verging, fand Lois diese Tatsache beunruhigender. In einer Ecke ihres Hirns schrillte eine Alarmglocke, aber Lois wusste beim besten Willen nicht warum.
„Hörst du mir überhaupt zu, Lois?“, fragte Jimmy nach einer Weile und blickte ein wenig beleidigt drein.
„Tut mir Leid, Jimmy“, murmelte Lois und erwiderte Jimmys Blick schuldbewusst. „Das ist wirklich ein tolles Geschenk“, ergänzte sie abwesend und schaute erneut zu Clarks immer noch leerem Platz hinüber. „Wo steckt er bloß?“, fragte sie kribbelig und ging zu dem Schreibtisch ihres Partners, um zu sehen, ob er ihr vielleicht eine Nachricht hinterlassen hatte.
„Was hast du denn, Lois?“, wollte Jimmy wissen, der ihr neugierig folgte. „Clark ist gerade mal fünf Minuten zu spät bisher. Und damit liegt er für seine Verhältnisse immer noch gut in der Zeit, denke ich.“
„Ich weiß, Jimmy“, seufzte Lois und nickte zustimmend. „Es ist nur so ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Wir waren gestern zusammen essen und er hat mich nach Hause gebracht. Das nächste, was ich weiß, ist, dass ich heute Morgen vollkommen angezogen in meinem Bett lag. Mir fehlen fast zwölf Stunden und nun kommt Clark nicht pünktlich“, erklärte Lois und lief derweil hastig wieder zu ihrem Schreibtisch. Sie nahm den Hörer von ihrem Telefon und tippte Clarks Nummer in die Tastatur. Mit dem Hörer am Ohr drehte sie sich wieder zu Jimmy um. „Und nun habe ich einfach Angst, dass ihm auch etwas passiert ist. Ich kann es gar nicht erklären, es ist so ein Bauchgefühl.“
Lois hörte ein Freizeichen am anderen Ende der Leitung. Das Telefon läutete bei Clark, dreimal, viermal, fünfmal. Sie ließ es weiterläuten, bis schließlich der Anrufbeantworter den Ruf entgegennahm. Mit klopfendem Herzen lauschte Lois der Ansage, hörte den Pfeifton und legte wieder auf, ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben. Unruhig warf sie Jimmy einen Blick zu.
„Wenn er unterwegs hierher ist, kann er zu Hause nicht ans Telefon gehen“, gab Jimmy ruhig zu bedenken.
Lois nickte langsam, doch ihre Angst blieb. „Ich möchte wissen, was gestern bei mir passiert ist, Jimmy“, sagte sie leise, aber eindringlich. „Kommst… kommst du mit?“, fragte sie unsicher und ihre Stimme zitterte leicht.
„Sicher doch, Lois“, erwiderte Jimmy ein wenig verwundert. „Ich hole nur meine Jacke“, sagte er und wandte sich zum Gehen. Einen Augenblick blieb er aber doch stehen, um Lois besorgt zu mustern. Als sie ihm einen drängenden Blick zuwarf, beschloss er offenbar, sich mit weiteren Fragen zurückzuhalten und eilte davon.
Lois merkte erst jetzt, dass sie ihren Mantel noch nicht einmal ausgezogen hatte. Sie nahm sich einen Notizzettel von ihrem Schreibtisch und kritzelte hastig eine Nachricht für Clark darauf. Im Grunde hoffte sie, dass sie die Nachricht gar nicht brauchen würde. Vielleicht begegneten sie ihm ja schon auf dem Weg zum Aufzug, oder im Foyer des Daily Planet. Bestimmt war alles gut und der Gedanke, dass Clark etwas passiert sein mochte, nur ein dunkles Schreckgespenst.
Seit John Dillinger auf Clark geschossen hatte, wurde sie diesen Alptraum nicht mehr ganz los. Die Angst um Clark, sein lebloser Körper auf dem Boden, verfolgte sie in ihre Träume. Jedes Mal wenn sie dann aufwachte, kehrten der Schmerz und die Trauer zu ihr zurück, so heftig und betäubend als wäre es gerade erst geschehen. Und letztlich war es das auch. Clark war vor kaum zwei Wochen von den Toten auferstanden. Vor kaum zwei Wochen hatte Lois noch geglaubt, dass sie nie wieder glücklich werden könnte und die Welt ein einziges, trostloses Grau war. Wann immer sie von Clarks Tod träumte, musste sie mühsam darum kämpfen, sich aus dieser Hölle zu befreien. Und es dauerte jedes Mal, bis sie sich selbst davon überzeugt hatte, dass er wirklich noch lebte.
Jimmy kam zurück und von Clark fehlte noch immer jede Spur. Unwillkürlich warf Lois einen Blick auf die Uhr, überrascht wie wenig Zeit inzwischen vergangen war. An Clarks Fehlen war noch immer nichts Ungewöhnliches und dennoch verstärkte sich das ungute Gefühl in ihrer Magengrube. Sie wollte herausfinden, was mit ihr geschehen war. Gleichzeitig wäre sie gern geblieben, falls Clark in der Zwischenzeit kam. Unentschlossen blieb Lois vor ihrem Schreibtisch stehen und ließ ihren Blick zwischen Clarks Platz und dem Aufzug hin und her wandern. Die Sekunden verstrichen und nichts geschah.
„Komm jetzt“, fuhr Lois Jimmy nervös an, als wäre er derjenige, der getrödelt hatte. Jimmy kommentierte ihren Ausbruch nicht weiter, sondern folgte ihr stumm. Gemeinsam gingen sie hinüber zu den Aufzügen, stiegen in den nächsten der kam und verließen den Daily Planet kurze Zeit später.
* * *
Lois war frustriert. In der letzten halben Stunde hatte sie an einer Wohnungstür nach der anderen geklingelt. Die meisten davon öffneten sich nicht und Lois ärgerte sich darüber, dass sie nicht früher darüber nachgedacht hatte. Die meisten ihrer Nachbarn waren bei der Arbeit. Denjenigen, die zu Hause waren, musste Lois oft erst erklären, wer sie eigentlich war. Sie schämte sich ein bisschen dafür, vor allem weil Jimmy dabei war. Was musste er wohl von ihr halten? Keiner, den sie gefragt hatte, wusste etwas. Niemand schien in ihrer Wohnung gewesen zu sein und wenn doch, so war dieser Jemand sehr unauffällig gewesen. Ebenso wie Lois Lane selbst.
„Das führt zu nichts“, murmelte Lois schließlich entnervt, als auch die letzte Haustür keine Erkenntnisse gebracht hatte. Sie gehörte Lois direkter Nachbarin, der sie immerhin nicht hatte erklären müssen, dass sie in diesem Haus wohnte. „Lass uns zum Planet zurückgehen“, schlug sie bedrückt vor.
„Ist wohl besser“, stimmte Jimmy ihr zu. „Clark ist bestimmt auch längst dort“, fügte er hinzu, um Lois aufzumuntern.
Bei der Erwähnung ihres Partners verspürte Lois einen Stich, ein nagendes Gefühl, so als ob sie etwas Wichtiges vergessen hätte. Doch sie konnte es nicht greifen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr schien ihr die mögliche Antwort auf ihre Fragen zu entschlüpfen. Am liebsten hätte Lois geschrieen, aber sie konnte es ja doch nicht ändern. Lois war schon bereit zu gehen, als sie plötzlich ein Telefon klingeln hörte. Die Melodie kam ihr seltsam bekannt vor und es dauerte einen Moment, bis Lois begriff, dass der Apparat in ihrer Wohnung läutete.
Erschrocken fuhr Lois zusammen. Es fehlte nicht viel und sie hätte sich an Jimmy geklammert, der ahnungslos neben ihr stand. Doch es gelang ihr gerade noch rechtzeitig, sich soweit zu fassen, dass sie ihren Wohnungsschlüssel aus ihrer Handtasche holen konnte. Mit klopfendem Herzen machte sie sich daran, ein Schloss nach dem anderen zu öffnen. Wer mochte sie anrufen? Vielleicht war es Clark, vielleicht jemand der falsch verbunden war und vielleicht… Das nagende Gefühl machte sich wieder breit, ließ Lois’ Herz noch schneller schlagen und ihre Hände zittern. Die Schlösser waren ungewöhnlich widerspenstig. Das Telefon läutete weiter, immer weiter. Es war fast so, als wüsste der Anrufer, dass sie noch etwas länger brauchte. Aber das war Unsinn, wischte Lois diesen Gedanken sofort beiseite.
Endlich stieß sie die Tür auf und rannte ins Wohnzimmer. Es läutete noch immer, als Lois den Hörer nahm.
„Hallo?“, rief sie atemlos. „Clark?“, fragte sie hoffnungsvoll. Es kam ihr selbst lächerlich vor. Warum sollte er jetzt anrufen? Nur weil er auch beim letzten Mal zufällig genau dann aufgetaucht war, als sie ihn sich herbeigewünscht hatte? „Wo hast du nur gesteckt?“, fragte sie dennoch einen Hauch verärgert.
„Hier ist nicht Clark“, sagte eine kalte, leicht arrogant klingende Männerstimme. Sie kam Lois seltsam bekannt vor. Ihr Herzklopfen verstärkte sich noch. „Ich fürchte der arme Clark ist zu beschäftigt, um ans Telefon zu kommen, Lois.“ Die Stimme war leise und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb Angst einflößend.
„Wer… wer sind Sie?“, fragte Lois tonlos. „Was wollen Sie? Was haben Sie mit Clark gemacht?“ Mit jeder Frage wurde Lois’ Stimme ein bisschen höher. Ihr Herzklopfen beschleunigte sich noch, wurde heftiger, als wollte ihr Herz ihre Brust sprengen.
„Oh, gar nichts, Lois“, erwiderte die kalte Stimme mit einem bösen Lachen. Plötzlich konnte Lois Geräusche im Hintergrund hören, dumpfe Schreie als würde jemand mit einem Knebel im Mund versuchen sich verständlich zu machen. „Noch nicht“, fuhr die kalte Stimme bedrohlich fort. „Und das werde ich auch nicht, wenn du tust, was ich dir sage“, flüsterte er drohend. „Ich melde mich wieder.“ Lois hörte ein leises Klicken, das das Gespräch beendete. Sie starrte auf den Hörer in ihrer Hand.
Clark war in der Hand eines Wahnsinnigen.
„Nein“, hauchte Lois und hatte plötzlich das Gefühl ersticken zu müssen. „Nein…“ Ihr Hals wurde eng und ihre Welt schrumpfte um sie herum zusammen. Die kalte Stimme hallte in ihren Ohren wider, übertönte noch den dröhnenden Herzschlag. „Clark…“, keuchte sie verzweifelt und starrte auf den Telefonhörer, als könnte sie Clark durch die unterbrochene Leitung hindurch befreien.
Bilder des vergangenen Tages kehrten wieder zu ihr zurück. Ihr fröhlicher Nachmittag mit Clark, aber auch die verschwommene Erinnerung an einen Fremden in ihrer Wohnung. Er hatte sie vorgewarnt, hatte sie verspottet. Lois sah Clark vor sich, den erschrockenen Ausdruck auf seinem Gesicht, als ihn Dillingers Kugel getroffen hatte. Sie fühlte ihn wieder, den Schmerz, der sie bei diesem Anblick verschlungen hatte. Sah vor ihrem inneren Auge, wie Capones Leute Clark mitleidlos mit sich gezerrt hatten wie einen nassen Sack. Lois’ Beine gaben unter ihr nach und sie sank zu Boden, klammerte sich an ihrem Sofa fest und versuchte zu begreifen, was geschehen war.
„Lois? Geht es dir gut?“, hörte sie Jimmy aufgeregt fragen. Sie spürte, wie er ihr die Hände auf die Schultern legte. „Was ist passiert? Was ist mit Clark?“
So sehr sie auch antworten wollte, sie konnte nicht. Die Worte wollten so schnell über ihre Zunge, dass letztlich nur ein unartikulierter Laut herauskam. Lois Gedanken rasten, versuchten gleich mehrere Pläne auf einmal zu schmieden. Doch sie konnte nichts davon festhalten. Alles entglitt ihr viel zu schnell und sie spürte Tränen in ihren Augen.
„Nicht noch einmal“, murmelte sie verzweifelt vor sich hin. „Nicht noch einmal“, sagte sie erstickt.
* * *
Es dauerte eine ganze Weile, bis Lois sich wieder soweit gefasst hatte, dass sie ihre Wohnung verlassen konnte. Wie ein Automat folgte sie Jimmy bis zum Daily Planet, setzte einen Fuß vor den anderen und nahm nichts um sich herum wahr. Clark sterben zu sehen, war das Schlimmste gewesen, dass ihr je widerfahren war. Eine glückliche Fügung hatte ihr eine zweite Chance gegeben. Lois konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sich dieser Alptraum wiederholen sollte. Sie war eine Gefangene ihrer Angst und als es ihr endlich gelang, sich halbwegs von diesen Fesseln zu befreien, hatten sie und Jimmy den Daily Planet schon erreicht.
Als wäre sie aus einem Traum erwacht, wurde alles um Lois herum plötzlich lebendiger, geschäftiger. Ein Weihnachtschor gab vor dem Gebäude der Zeitung ein letztes Konzert. Und auch wenn die eigentlichen Feiertage schon vorüber waren, sammelten die letzten unermüdlichen Weihnachtsmänner noch Geld für arme Kinder. Die Schaufenster waren festlich geschmückt und Menschen liefen mit dicken Paketen durch den Schnee. Noch immer fielen dicke, weiße Flocken vom Himmel und tauchten die Welt in eine seltsam dumpfe Stille. Der Schnee knirschte unter den Stiefeln, schien aber sonst jeden Laut zu schlucken. Vielleicht lag es daran, dass kaum Autos unterwegs waren, niemand hupte und der Chor noch für ein bisschen Besinnlichkeit sorgte. Lachende Kinder spielten Fangen, während sie mit Schlittschuhen über den Schultern zur Eisfläche im Centennial Park zogen. Es war ein eigenartiger Kontrast zwischen der allgemein heiteren Stimmung in der Stadt und Lois’ eigenen Empfindungen. Ihr Blick blieb auf den Schlittschuhen hängen, während sie den Kindern nachsah.
~ ~ ~
„Das Essen war toll, Clark. Danke für die Einladung“, sagte Lois warmherzig, als Clark ihr in den Mantel half. „Ich… ehrlich gesagt hatte ich mir Weihnachten mit dir nicht so vorgestellt“, murmelte sie dann und blickte verlegen zu Boden.
„Nicht?“, fragte Clark überrascht. „Wie dann?“ Neugier leuchtete aus seinen Augen und ein schalkhaftes Lächeln verbarg sich in seinen Mundwinkeln.
Lois zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, groß vermutlich und bunt und…“, sie stockte, weil sie sich selbst reichlich dumm vorkam. „Du hast so von der Feier bei deinen Eltern geschwärmt, von deiner Familie. Ich dachte vermutlich, dass ihr euch alle in Smallville versammelt und ein riesiges, lautes Fest veranstaltet.“ Sie schaute Clark an und wusste, dass allein die Vorstellung im Grunde lächerlich war. Er war einfach kein Mensch für laute Feste, das hätte ihr klar sein müssen. Und dennoch hätte sie gerne gewusst, was genau er für sie aufgegeben hatte.
Clark lachte, reichte ihr den Schal und hielt ihr dann die Tür auf. „So riesig ist meine Familie nun auch wieder nicht“, wiegelte er ab. „Da sind Mom und Dad und ich glaube, dass Tante Opal auch das ein oder andere Mal zu Besuch kam.“
„Ich kann einfach nicht glauben, dass du Weihnachten mit deiner Familie für mich geopfert hast, Clark“, gab Lois zurück. „Das Essen deiner Mutter wäre doch bestimmt besser gewesen, als dieser halb vertrocknete Truthahn, den ich zu Stande bringen konnte. Ich meine…“, sie brach ab und verbarg die Hände, mit denen sie eben noch wild gestikuliert hatte, beschämt in ihren Ärmeln.
Eine feine Röte überzog Clarks Gesicht und Lois fragte sich, ob das nur an der klirrenden Kälte liegen mochte. Er schien unangenehm berührt und fiel in einen recht strammen Schritt zurück zum Centennial Park. Lois musste sich beeilen, um ihm folgen zu können. Erst als er wieder langsamer wurde, gelang es ihr wirklich aufzuschließen.
„Ich habe nichts geopfert, Lois“, sagte Clark leise, als sie wieder nebeneinander gingen. „Gestern hatte ich viel Spaß und ich hoffe ehrlich gesagt, dass es dir genauso ging. Es stimmt schon, dass Weihnachten ein Fest ist, dass ich gerne mit meiner Familie verbringe. Doch in den letzten eineinhalb Jahren bist du für mich eben auch Familie geworden. Ich hätte dich auch gerne nach Smallville eingeladen, aber das…“, er holte tief Luft und für einen Moment dachte Lois, dass er den Satz nicht beenden würde. Sie schaute ihn an, merkte, wie er mit den Worten rang. „…das ging nicht“, fügte er schließlich hinzu.
Die Frage ‚Warum?’ hing förmlich in der Luft und Lois hätte sie nur zu gerne gestellt. Doch sie ahnte, dass ihm die Antwort unangenehm war. Clark hätte sich nicht so darum gedrückt, wenn es da nichts zu verbergen gäbe. Und gerade die Geheimnisse ihres Partners machten Lois besonders neugierig. Doch dieses eine Mal beschloss sie, auf eine Nachfrage zu verzichten. Sie wollte sich den Tag nicht durch ihre Neugier und Unnachgiebigkeit verderben.
„Und? Was machen wir jetzt?“, fragte sie stattdessen und hoffte, dass Clark noch nicht daran dachte, sie nach Hause zu bringen.
„Das wirst du schon sehen“, erklärte er mit einem schelmischen Lächeln, legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie sanft mit sich.
Der Weg führte tiefer in den Park hinein. Links und rechts des Weges säumten verschneite Bäume den Weg. Hin und wieder gab ein Ast unter der Last nach und Schnee rieselte in einem dichten Vorhang auf die Erde. Ringsumher war der Schnee unberührt und so setzten Lois und Clark als erste ihre Fußspuren in die weiße Pracht. Ein dumpfes Knirschen begleitete jeden ihrer Schritte. Mit der Zeit mehrten sich die Fußspuren. Schlittenspuren gesellten sich dazu und bald hörte Lois die freudigen Rufe von Kindern, die im Schnee spielten. Die Allee, der sie bisher gefolgt waren, verlor sich in einem weiten Platz und Lois erinnerte sich plötzlich daran, dass hier sonst ein kleiner See war. Nun war er dick zugefroren und Schlittschuhläufer drehten darauf ihre Runden. Statistik: Verfasst von Vega — Mo 26. Apr 2010, 19:03
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