Mike schüttelte nur den Kopf und tauchte seinen Löffel unbeirrt in den dampfenden Eintopf, der vor ihm stand. „Das ist sehr nett von dir, aber ich werde diese Stadt nicht verlassen. Ich bin hier zu Hause und wenn ich sterben muss, dann hier“, gab Mike leise zurück.
Der Fatalismus des Obdachlosen irritierte Clark. Mike sprach oft übers Sterben, als würde ihm der Gedanke an seinen eigenen Tod nicht weiter beunruhigen.
„Ich habe dich nicht angerufen, damit du mein Leben rettest, sondern damit du dafür sorgst, dass nicht noch mehr von uns verschwinden“, stellte Mike noch einmal klar.
„Aber…“, begann Clark und stockte.
Noch immer hingen die Augenpaare der anderen Gäste auf ihm und verfolgten neugierig jede seiner Bewegungen. Liebend gern hätte Clark dieses Gespräch vor der Tür fortgeführt, aber in Sachen Sturheit war Mike eine weit härtere Nuss als Lois Lane. Er fuhr fort seinen Eintopf zu essen, als würden sie über nichts weiter als das Wetter reden.
Er schaute Clark nicht einmal an, als er beiläufig fragte: „Hast du Angst um mich oder um dein Geheimnis?“
„Mike, ich…“ Natürlich sorgte er sich um Mike, aber das war nicht alles. Er war in der Tat beunruhigt, dass die Welt erfahren könnte, wer Superman in Wirklichkeit war. Aber Clark machte sich auch Sorgen um Mike. Luthor war einflussreich, das hatte sich vermutlich nicht geändert. Seine Macht hatte sich nicht allein auf ein gut gefülltes Bankkonto gegründet.
„Ich kann dich hier nicht beschützen“, antwortete Clark schließlich leise. „Selbst ich kann nicht überall gleichzeitig sein. Warum willst du dein Leben für ihn riskieren?“
Mike zog es vor nicht zu antworten, von seiner Warte aus war alles gesagt. Er schaute nicht einmal mehr zu Clark auf, während er Löffel um Löffel zum Mund führte und mit einem leisen, schlürfenden Geräusch leerte. Sein wortloser Rausschmiss hätte kaum deutlicher formuliert sein können. Mit jeder Minute, die verstrich, ohne dass Mike auf ihn reagierte, fühlte Clark sich unwohler in seiner Haut. Er schwang seine Beine über die Bank, stand auf und ging.
Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, Mike einfach zu packen und auf eine einsame Insel mitten im Pazifik zu verfrachten. Vielleicht würde Mike nie mehr mit ihm reden, aber er wäre wenigstens am Leben. War es das nicht wert? Unschlüssig blieb Clark ein paar Meter von Mike entfernt stehen.
„Hast du Angst um mich oder um dein Geheimnis?“ klang Mikes Stimme in seinen Ohren.
Ging es ihm hier wirklich um Mike? Gab ihm seine Sorge um Mikes Leben das Recht einfach so über dieses Leben zu bestimmen? Dürfte er sich einmischen, nur weil er es konnte? Die Antwort war ebenso einfach wie schwierig. Viel hing davon ab, dass er sein Geheimnis bewahrte. Superman brauchte den Mythos.
Als könnte Mike seine Gedanken lesen, blickte er noch einmal von seinem Eintopf auf. Seine Augen fixierten Clark mit eisernem Blick für ein paar Herzschläge. Damit war alles gesagt.
Und Clark hatte verstanden. Er wusste, er dürfte seine Kräfte nicht auf diese Weise einsetzen, das hatte er sich immer geschworen. Den nächsten Schritt zu tun, kostete Clark Mühe. Er riss seinen Blick von Mike los, der weiter unbeirrt seinen Eintopf aß. Clark verließ die Suppenküche und fragte sich, ob er diesen Schritt am Ende wohl bereuen würde.
Wie immer die Sache ausging, es gab kein richtig oder falsch. Es gab nur eine Entscheidung – die Entscheidung Mikes Wünsche zu respektieren.
* * *
Eine Stunde später verließ Clark frustriert das Stadtarchiv. Er hatte nicht mehr gefunden, als einen Zugang zu der Kanalisation, von dem aus sie ihre Suche nach der Nadel im Heuhaufen beginnen konnten. Die Baupläne hatten nicht mehr viel damit zu tun, wie es nun tatsächlich unter Hobbs Bay aussah. Bei seinem Erkundungsflug in der Nacht hatte Clark dort unten viele Bunker gefunden, die meisten davon mit Blei verkleidet. Sie boten Luthor das perfekte Versteck, geschützt selbst vor seinem Röntgenblick. Clark ahnte, dass Luthor seinen Unterschlupf durchaus mit Bedacht ausgewählt hatte.
Clark blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. Noch war genug Zeit für einen weiteren Erkundungsflug über die Stadt. Gerade, als er die letzten Stufen des Archivgebäudes hinunter lief, begann der Peeper an seinem Gürtel zu vibrieren. Clark erkannte mit einem Blick Jimmys Nummer und schaute sich nach einer Telefonzelle um. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite standen gleich eine ganze Reihe ramponiert aussehender Telefone. Aber Clark fand schließlich doch eines, das funktionierte und wählte die Nummer des Planet.
„Jimmy Olson, Daily Planet.“
„Hallo, hier ist Clark. Du hast mich angepeept. Was gibt es denn?“ wollte Clark wissen.
„Hi, Clark. Lois wollte wissen, ob du schon weiter gekommen bist, was Luthors mögliches Versteck angeht“, erklärte Jimmy ohne Umschweife. Dem Ton in seiner Stimme nach zu Urteilen rollte Jimmy bei diesen Worten vermutlich mit den Augen. „Außerdem dachte ich, du wüsstest vielleicht gerne, dass Luthors alter Anwalt Sheldon Bender heute Vormittag für eine Stunde plötzlich verschwunden war. Er meinte hinterher, es wäre der Scherz einiger Schulfreunde gewesen.“
„Du meinst, Luthor hat Bender entführt?“, fragte Clark, der ahnte, worauf Jimmy hinaus wollte. „Aber warum?“
„Bender hat Luthors Nachlass verwaltet“, erläuterte Jimmy.
Clark dachte einen Augenblick nach. „Sieht aus, als wäre es ihm noch nicht gelungen, sein altes Vermögen zurück zu erlangen. Das hört sich erstmal gut an. Aber warum hat er Bender einfach so frei gelassen? Nach allem, was wir wissen, ist Luthors Vermögen in alle möglichen Entschädigungszahlungen geflossen. Stern allein muss nach dem Aufbau des Daily Planet ein hübsches Sümmchen als Entschädigung bekommen haben.“
„Ich habe mal ein bisschen recherchiert. Was von Luthors Vermögen übrig geblieben war, ist an ein paar Waisenhäuser gegangen, da er keinen legitimen Erben hatte“, ergänzte Jimmy. „Falls er kein Geheimkonto hatte, das unentdeckt geblieben ist, dann ist Luthor pleite.“
Clarks Gedanken rasten. Warum hatte Luthor Bender frei gelassen? Wenn er weiterhin unentdeckt bleiben wollte, wäre es für ihn einfacher gewesen, den unliebsamen Zeugen aus dem Weg zur räumen. Bender musste ihm etwas angeboten haben, dass seine Freilassung rechtfertigte. Clarks Magen machte einen Satz.
„Clark, bist du noch da?“, fragte Jimmy, dem das Schweigen in der Leitung zu lange dauerte.
„Ja. Kannst du die Namen von Benders Klienten für mich herausfinden?“ bat Clark und versuchte sich einzureden, dass es nichts gab, worüber er sich sorgen machen musste. Wie sollte jemand wie Bender an Kryptonit kommen?
„Ich kann’s versuchen“, erwiderte Jimmy zweifelnd. „Das fällt unter das Anwalts-Geheimnis, weißt du?“
„Ich vertrau auf dich“, meinte Clark nur, nannte Jimmy kurz einen Treffpunkt nahe eines Eingangs zu den Tunneln unter Suicide Slum und hängte den Hörer ein. Sein Herz klopfte wild und das ungute Gefühl in seiner Magengegend verstärkte sich noch. Es war so offensichtlich, dass Clark sich dafür schalt, dass er nicht früher daran gedacht hatte. Seit Superman in Erscheinung getreten war, bedeutete Geld für Luthor längst nicht mehr das ultimative Mittel zu mehr Macht. Was auch immer Luthor plante, er würde sicherstellen wollen, dass er Kryptonit hatte.
Clark eilte von der Telefonzelle weg, bemüht nicht zu gehetzt zu wirken, während er einen Ort suchte an dem er sich ungestört in Superman verwandeln konnte. Der Platz vor dem Stadtarchiv schien stärker bevölkert als sonst. Überall waren Menschen, die mit kleinen Taschen bepackt zum Mittagessen stürmten. Es war wie verhext. Wann immer Clark sich einigermaßen einsam glaubte, stürmte jemand anderes an ihm vorbei. Schließlich hatte Clark eine versteckte Ecke gefunden und verschwand in einem Wirbel aus Farben in den Himmel über Metropolis.
* * *
Clark spähte nervös über den Rand seiner Brille hinweg auf die Uhr, die fast zwei Blocks entfernt an einer Straßenecke stand. Lois verspätete sich, und das kam so gut wie nie vor. Jedenfalls nicht, wenn sie einer Story auf der Spur war. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen und schalt sich dafür, dass er nicht darauf bestanden hatte, Lois abzuholen. Aber das hätte vermutlich wenig genutzt, denn Lois hatte ihren eigenen Kopf.
So sehr er sich darum bemüht hatte, auch Superman hatte wenig erfolg auf der Suche nach Luthor gehabt. Eine kurze Stippvisite bei Dr. Klein hatte ihn zumindest dahingehend beruhigt, dass kein Kryptonit aus den StarLabs gestohlen worden war. Aber Luthor mochte andere Quellen haben. Jimmys Suche nach Benders anderen Klienten hatte ein paar Namen ans Licht gebracht, darunter Ronnie Vale, von dem Clark wusste, dass er einst Kryptonit besessen hatte. Aber er war sich ziemlich sicher, dass das zusammen mit seinem Cyborg zerstört worden war.
Nach seinen gescheiterten Versuchen Lois die Wahrheit über seine geheime Identität zu sagen, hatte er keine weitere Gelegenheit mehr erhalten. Er hatte Lois nur noch einmal kurz in der Redaktion getroffen, als sie ihn auf den neuesten Stand gebracht hatte. Lois hatte jeden Informanten angerufen, der ihr eingefallen war, und hatte körbeweise Essen zu Bobby Bigmouth geschleppt. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war das Ergebnis unbefriedigend geblieben. Doch wann immer Lois auf ein Hindernis stieß, wurde sie nur umso entschlossener. Clark hatte sie seit dem späten Nachmittag nicht mehr gesehen.
Clark seufzte und richtete seinen Blick erneut auf die Uhr. Es waren kaum fünf Minuten vergangen, aber auch diese kurze Zeitspanne kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er lauschte nach den Geräuschen der Stadt. In dem Gewirr von Stimmen, hupenden Autos und quietschenden Reifen konnte er Lois’ Herzschlag nirgends ausmachen.
„Komm schon“, flüsterte er eindringlich und versuchte sich Gründe für Lois’ Verspätung auszudenken.
Steckte sie im Stau? Doch Clark wusste nur allzu gut, dass sie nicht mit dem Auto kommen würde. Ging ihre Uhr ging nach? Wenn überhaupt ging ihre Uhr vor, sie hasste es etwas zu verpassen. War sie nur zu spät losgegangen? Clark hätte darauf wetten können, dass sie schon eine halbe Stunde vor ihm in Suicide Slum angekommen war. Nein, mit jeder Minute, die verstrich, war er mehr beunruhigt.
Noch einmal warf Clark einen Blick auf die Uhr. Sieben Minuten – es war lächerlich sich jetzt schon solche Sorgen zu machen. Andererseits war Lex Luthor wieder in der Stadt und das allein war Grund zur Sorge. Die Erinnerung daran, dass seine Hochzeit mit Lois unterbrochen worden war, musste ihn schier in den Wahnsinn treiben. Auch war es ihm nicht gelungen, seinen Erzfeind Superman zu töten. Clark hatte Lex’ Wutanfall beim Anblick des leeren Käfigs aus nächster Nähe beobachtet und ihm lief bei dem Gedanken daran jetzt noch ein Schauer über den Rücken.
Sollte er Lois suchen gehen? Das war nun wirklich albern – nicht schon nach sieben Minuten, acht, wenn er die vergangene Zeit dazu rechnete. Was würde Lois wohl sagen, wenn er nicht hier auf sie wartete wie verabredet? Sie hielt ihn ohnehin für überbesorgt. Ganz abgesehen davon wäre sie sehr wütend, wenn er zu spät käme. Nein, er musste warten, so schwer ihm das im Augenblick auch fiel. Noch einmal lauschte Clark angestrengt in die Nacht, doch das trug nicht zu seiner Beruhigung bei. Unruhig trat Clark von einem Fuß auf den anderen.
Etwas rollte klirrend über den Asphalt, als er dagegen stieß. Automatisch schaute Clark nach unten und fühlte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Das Etwas glitzerte. Es war ein Ohrring, den er heute Morgen noch gesehen hatte. Er blinzelte und versuchte tief durchzuatmen. Nervös wie er war, sollte er seine Schlüsse nicht übereilt ziehen. Mit einem flauen Gefühl im Magen ging Clark in die Knie und hob das kleine goldene Schmuckstück auf. Sein erster Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Es war tatsächlich ein Ohrring. Und auch sein Instinkt war richtig gewesen. Er kannte diese Ohrringe gut. Er war dabei gewesen, als Lois sie gekauft hatte. Nun wusste er, dass es keinen Sinn hatte, noch länger zu warten.
„Lois“, murmelte Clark gequält und das flaue Gefühl in seinem Magen breitete sich aus. Warum hatte er nicht noch einmal nach ihr geschaut und sich überzeugt, dass es ihr gut ging?
Wo sollte er sie bloß suchen? Nicht einmal Superman hatte bislang eine Spur von Luthor gefunden. Aber vielleicht war gerade das der beste Hinweis darauf, wo Luthor sich aufhielt. Ein Unterschlupf in den bleiverkleideten Bunkern unter der Stadt wäre ein ideales Versteck. Mit pochendem Herzen rannte Clark los, in einer Geschwindigkeit, die einem Menschen gerade noch angemessen war. In den düsteren Straßen von Suicide Slum fiel er in seinen zerschlissenen Kleidern vermutlich weit weniger auf als in seinem blauen Anzug. Das war alles, was ihn davon abhielt sich auf der Stelle in Superman zu verwandeln.
Es dauerte nicht lange, bis er den Zugang zur Kanalisation erreicht hatte. Hastig hob Clark das Gitter des Schachtes an, eilte hinunter und schaute sich um. Niemand war da, und so beschleunigte er seine Schritte, bis die Welt um ihn herum nur noch ein grauer Schleier war. Der Luftzug rauschte in seinen Ohren, während er auf seine Umgebung lauschte. Wasser tropfte von den Wänden und Rattenpfoten huschten über den Boden. Sonst war es geradezu bedrückend still.
Nachdem er einige Gänge vergeblich durchsucht hatte, blieb Clark schließlich stehen. Er seufzte frustriert auf. Mit all seinen Kräften sollte es doch wirklich schneller gehen, Lois zu finden. Aber hier unten war mehr Blei, als er jemals für möglich gehalten hätte. Es machte ihn so gut wie taub und blind. Er hatte sich selten so hilflos gefühlt, und das frustrierte ihn. Letztlich konnte er sich ja noch nicht einmal sicher sein, Lois hier unten zu finden. Doch wo sollte sie sonst sein? Unentschlossen schaute Clark auf die Kreuzung vor ihm. Jeder der drei Gänge, die er nun nehmen konnte, sah exakt gleich aus. Und keiner von ihnen erschien ihm besonders viel versprechend.
Er rückte seine Brille tiefer auf die Nase und starrte erneut ergebnislos in die Dunkelheit. Er blickte auf Wände und Wände und Wände. Die, die unter seinem Blick durchsichtig wurden, hatten dahinter wiederum Wände, auf die das nicht zutraf. Egal wohin er schaute, überall zeigte sich das gleiche Bild. Clark ballte die Hände zu Fäusten und versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen. Luthor würde Lois nichts tun, nicht so lange er noch die Chance sah, Lois für sich zu gewinnen. Darauf musste er einfach vertrauen.
Mit einem letzten Blick auf die Kreuzung wandte Clark sich nach links, als er plötzlich ein Geräusch hörte, dass nicht von Rattenpfoten verursacht worden war. Angespannt lauschte er in die Stille, die sich endlos vor ihm ausdehnte. Hatte er sich das Geräusch nur eingebildet? Clark war beinahe überzeugt davon, als er endlich wieder etwas scheppern hörte. Dann eine Stimme, einen unterdrückten Schrei. Lois! Sein Herz schlug schneller und Clark wandte sich um und rannte in die Richtung, aus der der Laute gekommen waren.
Das Scheppern und Schleifen wurde lauter. Wieder hörte er einen erstickten Schrei und hastete weiter. Er bog um ein paar Ecken und wich Schutt aus, der aus der heruntergekommenen Decke gefallen war. Der Boden vibrierte unter seinen Füßen, als eine U-Bahn sich ihren Weg durch die Tunnel in der Erde bahnte. Lichter huschten über die Wände, die aus einem Lüftungsschacht kamen.
Lois, bitte halte durch, schickte Clark ein Stoßgebet zum Himmel. Er lauschte angestrengt auf ihre Stimme, doch die erstickten Rufe waren verstummt. Clarks Brust verengte sich vor Angst um seine Partnerin. Mit wenigen langen Schritten bog er um eine Ecke und war plötzlich nicht mehr in einem der engen Gänge, sondern in einem weitläufigen Raum. Düstere Maschinen in einer Ecke reihten sich um einen Glassarg, dessen Deckel zerstört war. Clark hatte ihn schon einmal in einer Friedhofsgruft gesehen.
In eine andere Ecke drängten sich zwei Feldbetten und am anderen Ende des Raumes stand Lex Luthor und schaute Clark mit einem diabolischen Lächeln auf den Lippen an. Seine Wangen wirkten eingefallen, seine Haut blass, doch das ließ ihn nur umso gefährlicher erscheinen. Seine Locken waren einer Glatze gewichen, mit der es ihm nun deutlich schwerer fallen musste, die Rolle des charmanten Milliardärs zu spielen.
„Luthor“, presste Clark zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Was haben Sie mit Lois gemacht?“
„Nun, sie denkt gerade über meinen Heiratsantrag nach, Kent“, gab er siegesgewiss zurück. „Oder sollte ich sagen Superman?“
Clark blieb abrupt stehen, als wäre er von einer Wand abgeprallt.
Luthors Augen hüpften und sein Mund verzog sich noch zu einem viel teuflischeren Grinsen. „Ich muss gestehen, ich bin ein klein wenig enttäuscht. Ich hatte mir bereits einen Plan zurechtgelegt, was ich mit Kent machen würde. Natürlich hat es auch einen gewissen Reiz euch gewissermaßen auf einen Schlag zu erledigen.“
Clark straffte die Schultern und ging einen Schritt auf Luthor zu. „Sie irren sich, Luthor. Superman wird jeden Moment hier sein“, sagte er bedrohlich ruhig. „Noch einmal werden Sie nicht entkommen. Wo ist Lois?“ wiederholte er und packte Luthor am Kragen, hob ihn ein paar Zentimeter vom Boden hoch und presste ihn gegen eine Wand.
„Nicht Superman, mh?“ lächelte Luthor süffisant. „Ich würde sagen, dann sind Sie außergewöhnlich kräftig für einen Menschen, Mr. Kent. Oder ist das nur ein lächerlicher Versuch mich zu verunsichern?“
Unwillkürlich glitt Clarks Blick auf seine Hand an Luthors Kragen, doch dann riss er sich zusammen. Luthor hatte keinen Beweis, er konnte ihn bluffen. Clark presste seine Kiefer fest aufeinander, sorgsam darauf bedacht, dass seine Miene keine Angst zeigte.
„Wo ist Lois!“, wiederholte er mit kalter Stimme und ließ Luthor langsam wieder sinken, jedoch nicht ohne ihn fester gegen die Wand zu pressen. „Lois!“, rief Clark laut und lauschte nervös in die Stille des Bunkers. Es kam keine Antwort. Nicht einmal ein Klopfen.
„Nicht doch, nicht doch, Superman“, entgegnete Luthor und bemühte sich Clarks Griff zu lösen. Clarks Schläfen pochten, doch er ließ es zu. „Es ist nicht besonders klug, den Mann anzugreifen, der gleich zwei Leben in Händen hält. Nigel – bringen Sie ihn herein!“
Clark fuhr herum und erblickte Nigel St. John, Luthors rechte Hand. Neben ihm lief ein von Blutergüssen übersäter Mike, der schäbiger aussah denn je. Sein Mantel war völlig zerfetzt und auch Nigel schien einige Blessuren von einem Kampf davon getragen zu haben. Mike hatte jedoch eindeutig den Kürzeren gezogen.
„Was soll das, Luthor?“, fragte Clark angespannt.
„Oh, nur eine kleine Versicherung, damit du nicht ausfallend wirst. Bewege dich nur einen Zentimeter, Superman und er ist tot.“ Luthors Augen blitzten und sein Mund lächelte, während er die Drohung ausstieß. Clark hatte nie verstanden, wie jemand so kalt und grausam sein konnte wie Luthor.
Um die Drohung noch zu bekräftigen setzte Nigel eine Pistole an Mikes Schläfe und zerrte ihm aus Clarks Sicht heraus. Selbst schneller als der Schall würde es ihm nicht gelingen, Nigel daran zu hindern den Abzug zu drücken. Um die Waffe mit seinem Hitzeblick einzuschmelzen müsste er den Kopf wenden. Clark ahnte, dass das bereits Provokation genug wäre. Seine Brust verengte sich, während er Luthor beobachtete. Was hatte dieser Kerl nur vor?
„Es wird Zeit, dass unser letzter Gast zu uns stößt“, fuhr Luthor ungerührt fort. „Gretchen, kommen Sie bitte mit Ms. Lane?“
Hohe Absätze klackerten über den Boden, vermischt mit dem wischenden Geräusch, das flache Schuhe machten, wenn man die Füße nicht vom Boden hob. Clark war sich sicher, dass die flachen Schuhe Lois gehörten. Sein Atem stockte. Er konnte hören, wie sie stolperte. Es kostete ihn all seine Selbstbeherrschung nicht zu ihr zu stürzen. Nur Augenblicke später kam Dr. Gretchen Kelly um die Ecke, Lois in eisernem Griff am Arm gepackt. Lois wehrte sich heftig, aber letztlich vergeblich, was für Dr. Kellys Kraft sprach.
„Sehen Sie denn nicht, was für ein Monster Luthor ist? Er wird sie hintergehen, so wie er alle hintergangen hat, die je mit ihm zu tun hatten“, vollführte Lois eine verbale Attacke, als ihre Hände nichts ausrichten können. Sie war an den Handgelenken gefesselt, wirkte sonst jedoch unverletzt. Clark atmete langsam aus.
„Hast du über mein Angebot nachgedacht, Lois?“, fragte Luthor selbstzufrieden, während sein Blick mehr auf Clarks Gesicht ruhte, als dass er Lois anschaute. „Mr. Kent hier war so freundlich herzukommen, um mir zu helfen dich zu überzeugen.“
„Clark!“ rief Lois entsetzt und ihre Augen weiteten sich.
Sie biss sich auf die Lippen, ein sicheres Zeichen, dass sie bereute, sich nicht mit ihm verabredet zu haben. Dann glitt ihr Blick in die Ecke, in der Mike und Nigel St. John stehen mussten. Ihr Mund öffnete sich leicht zu einem verwunderten Ausdruck, bevor Gretchen Kelly sie weiter schleifte, ebenfalls weg von Clark.
„Also, Lois. Wirst du meinen Heiratsantrag annehmen?“ Ungeduld schwang in Luthors Stimme mit. Sein Tonfall war noch kälter geworden und jagte Clark einen Schauer über den Rücken. Luthor war auch schon gut gelaunt gefährlich. Nun zuckte ein Muskel an seinem Kiefer, während er an Clark vorbei Lois fixierte.
Clark hätte fiel darum gegeben, ihr Gesicht zu sehen. So konnte er nur sehen, was sich in Luthors Miene spiegelte. Das Zucken des Muskels hatte sich verstärkt.
„Vergiss es, Lex. Ich werde dich nicht heiraten!“ zischte Lois wütend und Clark hörte, wie sie sich erneut gegen Gretchens Griff wehrte.
*Mach nur keine Dummheiten, Lois*, flehte Clark still, während er fieberhaft darüber nachdachte, wie er aus seiner prekären Situation herauskommen sollte.
„Superman wird jeden Moment kommen. Wir haben ihm gesagt, wo du zu finden bist. Du wirst eine sehr lange Zeit im Gefängnis verbringen“, erklärte Lois und Clark war sich sicher, dass sie in diesem Moment stolz das Kinn vorreckte.
„Ist das so?“ Das gefährliche Lächeln, das die ganze Zeit auf Lex Lippen gelegen hatte, breitete sich aus. „Nun, ich denke, es wird dich freuen zu hören, das Superman längst hier ist.“
Er trat einen Schritt vor und auf einmal hatte Clark eine schlimme Ahnung, wohin das alles führen würde. Luthor riss ihm die Brille von der Nase und packte seine Krawatte grob um den Knoten zu lockern, bis sein Hemd den Blick auf blauen Stoff freigab.
„Sieh ihn dir genau an, deinen Helden!“, höhnte Luthor und packte Clark an der Schulter, um ihn zu Lois herum zu reißen, damit sie ihm genau ins Gesicht sehen konnte. „Hier steht er und rührt sich nicht, weil ich sonst seinen Freund von der Straße umbringen würde. Dein Mann aus Stahl ist ein lächerlicher Schwächling!“
Mit großen Augen starrte Lois Clark an. Ihr Gesicht spiegelte ihre Gefühle wieder, wie ein offenes Buch. Schock, Unglauben und Erkenntnis wechselten sich ab. Die Art, wie sich ihre Lippen kräuselten, zeugten davon, dass sie sich zutiefst verletzt fühlte. Clark schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte nie gewollt, dass sie es so erfuhr. Den ganzen Tag schon hatte er mit sich gerungen, hatte das für und wider erwägt und sich letztlich nicht getraut ihr die Wahrheit zu sagen. Mangel an Gelegenheiten, das war doch albern. Er hätte die Gelegenheit herbeiführen können, wenn er nur gewollt hätte.
„Bringen wir es endlich zu Ende!“, rief Luthor und zog etwas aus der Tasche. Aus den Augenwinkeln erkannte Clark ein Kästchen, das sich klickend öffnete, noch bevor er es richtig gesehen hatte.
Er musste nicht sehen, was darin war. Er kannte das schwammige Gefühl in seinem Kopf nur allzu gut. Für einen winzigen Augenblick hoffte er verzweifelt, dass er sich irrte. Doch die Welle aus Schmerz schwappte über ihn hinweg, nahm ihn den Atem und zwang ihn in die Knie.
„Clark!“, keuchte Lois entsetzt.
Er fing ihren besorgten Blick auf und erwiderte ihn mit einem schwachen, gequälten Lächeln. Seine Augen wanderten hinüber zu Mike, dessen Ausdruck schwer zu beschreiben war. Selbst Nigel St. John wirkte überrascht angesichts der Wirkung, die das Kryptonit auf ihn hatte. Luthor hatte den Stein nah an Clarks Gesicht herangebracht und unwillkürlich breitete sich Schweiß auf seiner Stirn aus. Dann ließ er den Stein in Clarks Manteltasche gleiten, wo er jedes einzelne Nervenende in Brand zu stecken schien. Unaufhaltsam sackte Clark zusammen und stützte sich auf die Hände, um nicht mit der Nase auf dem Boden aufzuschlagen. Krämpfe schüttelten seinen Körper, während er verzweifelt dagegen ankämpfte das Bewusstsein zu verlieren.
Aus den Augenwinkeln sah Clark, dass weder Nigel noch Gretchen Kelly auf ihre Gefangenen achteten. Eine bessere Chance würde er wohl nicht bekommen. Und eine weitere ebenfalls nicht. All seine Kraft zusammen nehmend richtete Clark seinen Hitzeblick auf Nigels Waffe, die bald klappernd zu Boden fiel. Nur einen Herzschlag später fixierte Clark die Waffe in Gretchen Kellys Hand bis er ihren spitzen Schrei hörte. Bevor Luthor wissen konnte, wie ihm geschah, hatte sich Clark auf ihn gestürzt und riss ihn zu Boden.
Für den kurzen Augenblick, da er die Überraschung auf seiner Seite hatte, behielt Clark die Oberhand. Doch Luthor erholte sich rasch und kämpfte sich mühelos frei. Er rollte Clark auf den Rücken und presste ihn mit einer Hand zu Boden. Mit der anderen Holte er aus und ließ seine Faust gegen Clarks Wangenknochen krachen. Für einen Augenblick sah Clark Sterne und seine Arme, mit denen er Luthor abgewehrt hatte, sanken kraftlos zu Boden. Wellen des Schmerzes ertränkten ihn, als das Kryptonit seine Wirkung von neuem entfaltete. Für den Moment war er abgelenkt gewesen, doch nun schwanden seine Kräfte rapide. Wieder spürte er Luthors Faust in seinem Gesicht und schmeckte Blut auf seinen Lippen.
„Clark!“ Ihre Stimme klang erstickt.
Lois brauchte Hilfe und er lag einfach auf dem Boden. Clark kämpfte gegen den Stein auf seiner Brust und holte tief Luft. Seine Rippen protestierten gegen die ungewohnte Anstrengung. Undeutlich sah Clark, wie Luthor zum Schlag ausholte.
„Clark!“ Ihr Ruf klang noch verzweifelter. Er musste zu ihr!
Konzentriert auf diesen Gedanken, mobilisierte Clark seine letzten Reserven und stieß Luthor von sich. Einen erneuten Angriff wehrte er mit einem kräftigen Tritt ab und schaute sich um. Die Szene war nicht ganz so, wie er erwartet hatte. Mike hatte Nigel St. John außer Gefecht gesetzt und stürzte sich nun ebenfalls auf Luthor. Lois rang noch mit Gretchen Kelly, hatte aber eindeutig die Oberhand. Mit einem gut platzierten Kick schickte sie die Ärztin zu Boden.
„Keine Bewegung!“ Mike fixierte Luthor mit kaltem Blick.
Er hielt eine Waffe in der Hand, vermutlich Nigels. Der Lauf war auf Luthor gerichtet und schwebte ruhig in der Luft. Mikes Bewegungen waren präzise, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht. Seine Augen waren kaum merklich geweitet und seine Lippen wirkten verkniffen. Das Bild verschwamm vor Clarks Augen, als ihn eine neue Woge von Schmerzen überrollte. Er hatte keine Kraft mehr, sich gegen die Schwärze zu wehren, die ihn verschlingen wollte.
„Clark!“, hörte er Lois Stimme undeutlich. „Du musst wach bleiben, hörst du?“ Sie rüttelte an ihm. „Komm schon, Clark! Wo hat er das Kryptonit hingetan.“
„..sche“, brachte er mühsam über die Lippen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen.
„…hast…gesagt?“ Ihre Stimme wurde undeutlicher. „Clark…konzentrier…musst….sagen…“
„Ta…tasche“, würgte Clark aus seiner schmerzenden Kehle hervor, bevor alles um ihn herum schließlich schwarz wurde.Statistik: Verfasst von Vega — Mo 18. Jun 2012, 18:08
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