– Teil 2 –
Jimmy hatte ein Blatt selbst geschriebener Notizen mitgebracht und legte es vor sich auf den Tisch. Das konnte ja wohl kaum so aufregend sein oder? Er setzte sich und strich sich ums Kinn. „Also, du hast mich doch gebeten, ich soll herausfinden, woran die Staatsanwältin Mayson Drake gerade gearbeitet hatte...“ Jimmy betonte das Wort 'Staatsanwältin' als ob er damit die Brisanz dieser Ermittlungen noch einmal betonen wollte. Clark nickte zustimmend. „Okay, ich habe mich mal in ihrem Computerdateien umgesehen...“, obwohl sie hier alleine im Raum waren, flüsterte Jimmy fast und blickte sich unsicher um. Clark konnte das vollkommen verstehen. „Aber da war nicht wirklich etwas, viele kleine Verfahren, Überfälle, Trickbetrügereien, kleine Einbrüche, Autodiebstähle, das reichte mir aber nicht...“
Es erstaunte Clark immer wieder, wie Jimmy so offenbar einfach die Sicherheitssysteme fremder Computer knacken konnte. Sie sprachen hier immerhin von der Staatsanwaltschaft. Aber er war auch schon in ganz andere Computer eingedrungen... Clark konnte sich da nur wunderte, zog aber insgeheim den Hut vor seinem jüngeren Kollegen.
Jimmy fuhr ruhig, aber immer noch bedächtig leise fort: „Also bin ich dahin... Natürlich ist ihr Büro gesperrt, versiegelt, aber... Das ist nicht wirklich ein Problem. Ich musste nur hinterher die Siegel wieder sorgfältig anbringen. Die Tür war kein Problem.“ Er grinste zufrieden.
Clark hingegen konnte nur mit dem Kopf schütteln. „Gibt es hier beim Planet eigentlich auch Reporter, die eine abgeschlossene Tür als verschlossen akzeptieren...?“
Mit einer vollendeten Unschuldsmiene sah Jimmy Clark an. „Wieso?“
„Für Lois bedeutet eine verschlossene Tür höchstens eine Zeitverzögerung, aber nicht, dass sie irgendwo nicht herein kommt. Weiß der Teufel, wo sie dadurch noch mal landen wird! Oder wo sie das her hat?“ Er konnte nicht anders, er machte sich nun mal immer ein wenig Sorgen um sie.
Jimmy sah nun etwas betreten beiseite. „Ähm... also, genau genommen hat sie das von mir gelernt...“
Das war zu viel für Clark. Die Vorstellung, dass die beiden Menschen, die er am meisten achtete sich gegenseitig kriminelle Tricks beibrachten, ließ ihn zusammenzucken. „Und, hast du noch mehr solche Sachen auf Lager?“, fragte er Jimmy nun vorwurfsvoll.
„Was willst du von mir?“, redete sich Jimmy heraus. „Wenn ich dir sagen kann, woran Mayson gerade gearbeitet hat, findest du das ganz okay, oder?“, rechtfertigte er sich. Da hatte er natürlich Recht. Clark nickte, schickte aber ein Stoßgebet los, dass Jimmy ihm nicht noch mehr solcher Aktionen offenbarte. Ein wenig ruhiger erzählte Jimmy dann, was er noch erreicht hatte: „Ich habe einiges gefunden. Direkt auf ihrem Tisch lagen ein Notizbuch und eine Akte mit der Bezeichnung 'Wiederauferstehung'. Ich hab reingesehen, da stand eine Zeile dick angestrichen: MacCarthy = Wiederauferstehung?“
Clark war begeistert. „Gut, Sehr gut! Wer ist MacCarthy? Was ist noch in der Akte und was ist das für ein Notizbuch?“
Nun begann sich Jimmy zu winden wie ein Aal. „Tja, jetzt kommt der unangenehme Teil, die schlechte Nachricht sozusagen... Ich war nicht der Einzige, der in Maysons Büro eingebrochen ist...“ Jimmy war diese Schilderung unangenehm, das war ihm deutlich anzumerken. Fast sah es so aus, als würde er sich vor Clark ducken. „Plötzlich stand da dieser Typ...“
Entsetzt rief Clark aus: „Meine Güte, der hat dich erwischt...?“ Es war immer weitgehend in Ordnung, in ein Büro einzubrechen, um an Beweise oder weiterführende Spuren zu gelangen. Es war genauso in Ordnung Verdächtige zu beobachten und wenn sie dafür Hausfriedensbruch begehen mussten, nun ja, dann war es eben so. Aber es war überhaupt nicht in Ordnung erwischt zu werden. Das bedeutete keine Spuren, keine Beweise, keine Gespräche mithören, keine Bilder und von dem Ärger, mit dem die Rechtsabteilung des Planets dann immer drohte, ganz zu schweigen. Und zu guter Letzt könnte es Jimmy wirklich in Schwierigkeiten gebracht haben. Aber er stand ja recht unbeschadet hier vor Clark, wie ihm gerade aufging. „Was war das für ein Typ?“, fragte Clark deswegen schon viel ruhiger.
„Unangenehm, wenn du mich fragst. So ein Oberlässiger. Marke Ich-bin-der-Coolste. Buntes Hawaiihemd, abgewetzte Lederjacke. Ich dachte erst noch, der ist doch niemals von der Polizei.“ Clark zog fragend eine Augenbraue hoch. „Nun ja, vorgestellt hat er sich nicht. Hat selber gesehen, dass er wegkommt. Ich denke, so wenig, wie ich da sein durfte, so wenig durfte er das selber. Aber ich hab ihn inzwischen natürlich gefunden. Dieses schleimige Gesicht konnte ich nicht vergessen. Als ich wieder hier war, hab ich die Datenbank nach ihm abgesucht – und Bingo.“
„Jimmy du bist phänomenal. Also, was hast du herausgefunden?“ Clark war durchaus klar, dass Lois' und seine Artikel ohne Jimmys Recherchen kaum die Hälfte Wert waren. Es gab kaum etwas, das er nicht herausfand. Auch wenn seine Methoden manchmal nicht mal mehr grenzwertig noch legal, sondern eher schon eindeutig illegal waren.
Er schien sich durch Clarks freundliche Aufmunterung sehr viel besser zu fühlen und so berichtete er nun gelassen weiter: „Daniel Scardino ist sein Name, Drogenfahndung.“
Das war sehr merkwürdig. „Drogenfahndung?“ Clark sah Jimmy höchst erstaunt an. „Wieso ermitteln die in einer Mordsache? Und wieso so verdeckt? Wenn er sich dir gegenüber nicht ausgewiesen hat, hat er in Maysons Fall und damit in ihrem Büro offiziell nichts zu suchen.“
„Ja, genau das habe ich mir auch schon gedacht.“ Jimmy nahm sich nun seinen Blatt Papier zur Hilfe. „Ich habe noch ein wenig weiter gesucht. Dieser Scardino ist ziemlich unbeliebt, hat wohl recht unkonventionelle Methoden, ist aber auch sehr erfolgreich. Doch das Schlimmste ist, er hat mir die Wiederauferstehungsakte und Maysons Notizbuch abgenommen.“
„Ach verdammt, Jimmy. Das ist wirklich ärgerlich.“
Schnell versuchte Jimmy sich zu erklären: „Er hatte eine Waffe.“
„Ach Jimmy, das meinte ich doch nicht. Klar, dass du ihm das gegeben hast. Nein, es ist nur so ärgerlich, dass wir nun nicht wissen, was noch in der Akte steht.“ Clark stand von seinem Stuhl auf und ging, seinen Gedanken nachhängend, ein paar Schritte. Drogenfahndung? Wiederauferstehung? Scardino? MacCarthy? Intergang? Das war alles noch sehr undurchsichtig, aber das waren immerhin schon mal Spuren. „Okay, ich möchte, dass du da überall dran bleibst. Aber du denkst dran – kein Wort zu Lois. Wo ist sie überhaupt?“
„Sie sagte etwas von einer ganz heißen Sache, irgendein Informant hatte angerufen und dann verschwand sie wie ein Wirbelwind.“ Das sah ihr ähnlich. Jimmy versicherte ihm, er würde alles herausfinden zu den Stichworten, die sie gerade besprochen hatten.
Er selbst hätte da noch den einen oder anderen Artikel fertig zu schreiben. Und viel mehr würde er wohl heute kaum noch erreichen können. Nun ja, morgen war schließlich auch noch ein Tag.
~ ~ ~
Lois beschloss, es nun endlich zu tun. Nachdem sie schon den ganzen Tag darüber nachgedacht hatte, sich ungefähr tausend verschiedene Formulierungen zurecht gelegt und sie alle wieder verworfen hatte. Sie sollte es einfach tun. Also stand sie von ihrem Schreibtisch auf, straffte ihre Schultern, reckte ihren Kopf stolz nach oben und ging zu Clark. „Also, wollen wir so einen Abend noch mal wiederholen? Willst du ein Date?“ Oder sollte sie lieber fragen: „Willst du noch ein Date?“ Aber die Frage klang gleich so fordernd. Wie wäre es mit: „Willst du mit mir ausgehen?“ Ja. Das klang eigentlich sehr schön.
Dann war da noch die Frage ‚wann‘. Sie waren beide im Moment ganz gut mit Arbeit eingedeckt und am Wochenende konnte sie ja nicht. Aber die Terminfrage sollte sich wohl klären lassen, wenn sie erst einmal das ‚ob‘ gemeistert hatten.
Sie sah auf ihren Bildschirm, doch der Text erschloss sich ihr nicht. Sollte sie ihn denn wirklich fragen? Aber natürlich. Wenn Clark sich nicht traute, dann musste sie eben den Mut aufbringen. Warum traute er sich wohl nicht? Wollte er nicht? Konnte das sein, nach diesem Kuss? Nicht wirklich. Also, sie ging von ihrem Schreibtisch zu seinem, atmete noch einmal tief durch und stellte sich vor ihn. „Clark, bin ich ein alter Hut?“, brach es mehr verzweifelt aus ihr heraus als dass sie sich die Worte gut überlegt hatte. Was er darauf wohl sagen würde? Vielleicht: „Ein alter Hut, was meinst du damit?“ Darauf müsste sie dann sagen: „Nun ja, wir hatten ein wundervolles Date, wir haben uns geküsst, aber du hast kein Wort mehr darüber verloren...?“ Es war inzwischen drei Tage her. Sollte sie so vorgehen?
Das Klingeln ihres Telefons riss Lois aus ihren Gedanken. Sie nahm etwas genervt den Hörer ab. „Ja, hallo…“ Sie musste das einfach klären mit Clark. Dieses In-der-Luft-hängen war enervierend.
„Hi Lois, ich bin's.“ Bobby Bigmouth. Wenn er von sich aus anrief, bedeutete das meist etwas Großes, etwas Lohnenswertes… und etwas Teures. Sie seufzte schon jetzt bei dem Gedanken an ihre Ausgaben.
„Bobby, was hast du für mich?“, versuchte sie sich kurz zu fassen. Er wollte niemals Zeit verschwenden. Zeit, die er nicht mit Essen oder Nahrungsbeschaffung verbrachte, schien für ihn verlorene Zeit zu sein.
„Lois, du wirst mir dankbar sein. Aber kommen wir erst einmal zum Wichtigsten: Ich will Burger diesmal. Aber nicht so viel Salat, du weißt, schön viel Fleisch, schön viel Soße aber auch nicht zu scharf. Am besten gehst du zu 'Burger Queen', die schmecken mir im Moment am besten. Bring mir welche mit Käse und welche ohne. Milchshake und Cola dazu und bring welche von den Apfeltaschen mit... Und das ganze hätte ich gerne in einer Stunde. Wir sehen uns im Centennial Park.“
„Bobby!“, sie musste ihn einbremsen, sonst würde er mit seiner 'Bestellung' nie zum Ende kommen. Bobby Bigmouth war ein Fass ohne Boden. „Sag mir doch erst einmal, was ich dafür bekomme.“ Eigentlich wusste sie, dass Bobbys Informationen immer ihr Geld wert waren. Aber sie sollte ihn das auch nicht allzu deutlich spüren lassen. Das würde seinen Preis unweigerlich in die Höhe treiben.
„Okay, okay, okay. Also, ich habe da etwas läuten gehört. Es geht um deinen fliegenden Freund. Jemand will ihm mal wieder an den Kragen. Ich habe da etwas mitbekommen von Kryptonit. Eigentlich soll es wohl recht schwierig gewesen sein, überhaupt an das Zeug heran zu kommen. Aber jemand hat einen Geologen beauftragt welches zu suchen. Schon vor Wochen. Und nun soll es ihm wohl gelungen sein...“
Lois schrieb aufmerksam mit. „Ein Geologe. Hat er einen Namen?“
„Natürlich hat er einen Namen. Die Apfeltaschen mit Soße, ja. Er heißt Newtrich. Auf der Straße wird geflüstert, dass er sein jetziges Einkommen aus Intergang-Kanälen bezieht. Aber da habe ich noch keinen Namen. Ich bleib dran. Okay? Lois, ich muss Schluss machen. In einer Stunde, okay?“
„Halt, Bobby. Eine Frage noch, wo hat dieser Newtrich das Kryptonit her?“, warf sie noch schnell ein.
„Irgendwo aus dem Mittleren Westen.“ Er hängte ein. Lois sah ihren Telefonhörer erstaunt an. Nun ja, das war nicht so schlimm, sie würde ihn ja in einer Stunde sehen. Da könnte sie ihn natürlich noch mehr Fragen stellen. „JIMMY!“
Ihr Kollege erschien daraufhin prompt vor ihrem Schreibtisch. „Meine Königin hat geläutet“, sagte er mit einem Schmunzeln. Er hatte sich gerade einen Kaffee geholt.
Das schien auch nötig; Lois hatte ein klein wenig das Gefühl, dass Jimmy heute der übliche Elan fehlte, aber erst einmal musste er diesen Auftrag für sie recherchieren. „Ich brauche alles über einen gewissen Newtrich, er ist Geologe. Es könnte eine Verbindung zu Intergang bestehen, also sieh bitte auch nach denkbaren Verbindungen von allen Namen, die wir da schon haben.“ Bis jetzt waren sie, was die möglichen Mitglieder von Intergang anging, nur auf Vermutungen angewiesen. Aber es gab natürlich verdächtige Personen.
Jimmy nickte darauf nur kurz und ging zu seinem Schreibtisch. Kein Spaß auf den Lippen, keine wirren Ideen, hoffentlich musste sie sich keine Sorgen um Jimmy machen.
Sie selbst musste sich um den Einkauf, Bobbys Bezahlung, kümmern und verließ die Redaktion.
* * *
Nur eine Stunde später verließ Lois den Centennial Park schon wieder. Enttäuscht. Natürlich hatte sie gehofft, von Bobby noch mehr Informationen zu erhalten. Allem voran die Frage, für wen dieser Newtrich arbeitete. Doch für Bobby war dieses Treffen nur als 'Übergabe' seiner Bezahlung gedacht gewesen. Er hatte keine weiteren Informationen, hatte ihr bereits alles, was er wusste, am Telefon gesagt. Das frustrierte sie. Es war scheinbar verschwendete Zeit.
Es machte sie immer so unruhig, wenn jemand versuchte Superman Schaden zuzufügen. Warum konnten die Menschen nicht einfach nur dankbar sein, dass er für sie da war? Gut, die Kriminellen sahen in ihm einen Feind, einen Rächer und das mit Recht. Es war also verständlich, dass er ständig mit Angriffen aus dieser Richtung rechnen musste. Und doch tat es ihr jedes Mal leid. Inzwischen verursachte Superman bei ihr nicht mehr dieses unglaubliche Herzklopfen, das er noch bei seinem Auftauchen hier in Metropolis erzeugt hatte. Aber er war ein guter Freund. Und sie konnte es nicht ausstehen, ihn in Schwierigkeiten zu sehen.
Lois pfiff sich ein Taxi heran und nannte dem Fahrer die Adresse des Planets. Vielleicht hatte Jimmy schon etwas herausgefunden. Und vielleicht sollte sie mit Clark versuchen, etwas zu tun. Nur was? Diesen Newtrich genauer ansehen, ihm einen Besuch abstatten. Herausfinden, für wen er arbeitete. Ja, genau so würde sie vorgehen. Ihr ging noch ein anderer Gedanke durch den Kopf: Zum wiederholten Male sah sich Lois vor das Problem gestellt, wie sie Superman erreichen konnte. Sie hätte ihn gerne gewarnt. Sie würde Clark darum bitten müssen. Er hatte immer noch den besten Draht zu dem Mann aus Stahl. Wusste der Himmel, wie er das immer machte.
Sie ging, kaum in der Redaktion angekommen, dann auch gleich zu Jimmys Arbeitsplatz. Noch in ihrem Mantel fragte sie ihn ohne Umschweife: „Und? was hast du für mich?“
Jimmy sah sie an und machte ein undurchdringliches Gesicht. Er sah nicht gut aus heute, ein wenig abgespannt vielleicht. Doch er antwortete Lois ohne weitere Ablenkung: „Gene Newtrich, Jahrgang '45, ist selbstständiger Geologe, hat im Süden der Stadt ein kleines Büro. In letzter Zeit scheint es ihm recht gut zu gehen, er fährt jetzt einen Maserati... Ich habe mehrere Hinweise gefunden, dass er Church Senior kennt, angeblich sollen die in letzter Zeit öfters Golf zusammen gespielt haben. Hier sind seine private und seine Firmenadresse.“ Jimmy gab ihr ein Blatt mit den beiden Anschriften darauf. Sie bedankte sich mit einem strahlenden Lächeln. Jimmy war einfach der beste Recherchekünstler des ganzen Redaktionsbüros.
„Sehr gut, Jimmy.“ Lois sah sich um, hielt nach ihrem Partner Ausschau. „Sag mal, weißt du denn auch, wo Clark ist?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid. Er musste irgendwas erledigen.“
Lois ging daraufhin zu ihrem Arbeitsplatz. Sein Schreibtisch sah noch genauso aus, wie als sie gegangen war. Er war also in der Zwischenzeit nicht wieder in der Redaktion gewesen. ‚Verdammt, Clark, wo steckst du nur wieder?‘ Sie hängte ihren Mantel auf. ‚Wahrscheinlich hast du dich wieder mal mit einer von deinen unglaublich dummen Ausreden davon gestohlen.‘ Sie nahm sich den Stadtplan und suchte die Straße, in der Newtrichs Büro lag. Seine Privatadresse war sicher uninteressant. Wahrscheinlich würde Mr. Gutmütig wieder eine Katze füttern. Ungeduldig tippte sie ihren Bleistift auf das Blatt mit den beiden Adressen Newtrichs. Konnte eine Katze zu füttern so viel Zeit in Anspruch nehmen? Er war doch schon seit Stunden weg. Newtrichs Büro lag in einer der finstersten Gegenden Metropolis. Sie sollte dem Büro des Geologen mit Clark zusammen einen Besuch abstatten, aber wie lange sollte sie auf Clark warten? Kam er denn heute überhaupt noch einmal in die Redaktion?
Das Klingeln ihres Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Vielleicht war das auch ganz gut so, sie merkte wie die Wut auf Clark, immer nicht da zu sein, wenn sie ihn brauchte, beständig zunahm. „Lois Lane, Daily Planet.“
„Hi, ich bin's. Hast du einen Moment Zeit für mich?“ Lucy! Nun, das war ja mal eine Überraschung. Sie schien in der Stadt zu sein. Das Display zeigte ihr eine Nummer aus Metropolis. Sie hatte ihre Schwester bestimmt die letzten sechs Monate weder gesehen, noch etwas von ihr gehört.
„Hey, Luce. Klar hab ich Zeit, was gibt es? Wie lange bleibst du? Kann dir irgendwie aushelfen? Brauchst du Geld oder einfach nur einen Schlafplatz?“ Vielleicht war es ein wenig ungerecht, ihr diese Fragen so offen zu stellen, aber ihre Schwester hatte manchmal die Eigenart, sich immer nur dann zu melden, wenn sie etwas benötigte.
„Nein, ist okay“, winkte Lucy locker ab, „ich bleibe länger und hab mir deswegen auch gleich ein Apartment gesucht. Ich wollte dir praktisch nur Bescheid geben, dass ich wieder in der Stadt bin und dir meine neue Nummer geben. Vielleicht gehen wir mal einen Kaffee trinken?“
„Ja, gerne.“ Wer die beiden Tassen Kaffee dann wohl bezahlen dürfte? „Keine Lust mehr auf San Francisco? Was ist mit, wie hieß er doch gleich noch... Ted?“ Lois konnte es nicht unterlassen, ihren Finger in diese Wunde zu legen. Wenn Lucy wieder nach Metropolis zurückkehrte, dann war es offensichtlich, dass ihre Liaison mit Ted ein jähes Ende gefunden hatte. Tja, wahrscheinlich war er doch nicht so perfekt. Genau das hatte Lois ihrer jüngeren Schwester vorhergesagt, auch wenn sie für diese Einschätzung nichts als Lucys Schilderungen gehabt hatte. Aber warum sollte ihre Schwester mehr Glück haben als sie selbst?
„Weißt du... Ted“, sie spie den Namen fast aus als redete sie von einem Krichtier, „hat mir dann doch zu viel Interesse an seinen jungen Studentinnen gehabt. Der Mistkerl kann mir wirklich gestohlen bleiben.“ Das hatte Lucy nicht verdient, es tat Lois wirklich leid. Doch Lucy wollte offensichtlich schnell das Thema wechseln, sie ließ Lois gar nicht erst zu Wort kommen und fuhr hastig fort: „Aber lass uns nicht mehr von dem Idioten reden. Der ist es nicht wert. Was ist mir dir? Was ist mit Clark? Habt ihr da endlich was hinbekommen?“ Lois konnte Lucys Grinsen praktisch durchs Telefon hören.
Nun war es fast an Lois, schnell das Thema wechseln zu wollen. Aber sie kannte ihre Schwester, sie würde sowieso so lange fragen, bis sie ihre Antworten hatte. Da konnte Lois also auch gleich erzählen, was es gab oder eher, was es eben nicht gab. „Ach, das ist irgendwie kompliziert... Ich meine, es hatte eigentlich gut angefangen. Wir hatten ein Date.“
„Hey!“, rief Lucy begeistert aus.
„… es war sogar wirklich ein gutes Date... „, fuhr Lois fort. „Aber als er mich dann nach Hause gebracht hat, hab ich Panik bekommen und ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.“
„Ach…“, was alles, was ihrer Schwester dazu einfiel.
„Ja, ich weiß auch nicht. Aber das haben wir dann am nächsten Abend ausgeräumt. Wir haben uns... nun ja, wir haben uns wirklich geküsst“.
„Hey!“ Lucy benutzte nicht gerade ein ausgefallenes Vokabular. Aber diese Begeisterung war verständlich.
„Ja, aber seitdem ist... ja, nichts mehr passiert.“ Lois wurde sich in diesem Moment bewusst, dass sie bei dieser Schilderung verzweifelter klang als sie es selber für möglich gehalten hatte. Es ging ihr näher als sie gedacht hatte.
„Hmm?“ Lucy schien natürlich auch keinen Rat zu haben. „Aber Lois, lass dir eines gesagt sein: Mach du etwas, werde aktiv, lass ihn dir nicht wegschnappen. Clark ist ein prima Kerl. Warte nicht zu lange“, erklärte sie weitsichtig. Oh-oh, so resigniert, wie ihre Schwester bei diesen Worten klang, kam es Lois so vor, als wenn da eine gehörige Portion verpasster Chancen aus ihr sprach.
Glaubte Lucy, sie hätte Ted verloren, weil sie sich nicht genug auf ihn eingelassen hatte? Doch das war definitiv kein Gespräch fürs Telefon. „Lucy, sei mir nicht böse, ich muss hier noch etwas erledigen. Wir sollten uns sehen, bald. Und dann reden wir. Okay?“ Lois hoffte, ihre Schwester nahm das jetzt nicht böse auf. Sie war wirklich etwas in Zeitdruck. Aber Lucy war damit einverstanden, es schien also okay zu sein. Sie machten einen Termin und Lois legte auf. Sie dachte noch einen Moment über das Gespräch nach und war wirklich froh, dass Lucy wieder in der Stadt war. Mit niemand anderem konnte sie so offen reden wie mit ihrer kleinen Schwester. Und sie freute sich auf das Treffen mit ihr, auch wenn der Preis dafür ganz sicher Details von Clark sein würden.
Aber das Gespräch hatte ihre Aufmerksamkeit wieder mehr auf die Date-Frage gelenkt. Date... Clark... sie sollte versuchen das zu entwirren, möglichst bald. Das ging aber nur, wenn er auch da war zum reden. Was er gerade einmal wieder nicht war.
Also, wie lange sollte sie noch auf Clark warten? Dieser Entschluss war leicht zu fällen. Es war bereits dunkel. Sie würde alleine zu Newtrichs Büro fahren. Wenn sie das auch bestimmt lieber tagsüber gemacht hätte, aber sie arbeitete gegen die Zeit, wie immer. Notfalls könnte sie diesen ganzen Fall um die Bedrohung Supermans wohl auch alleine bearbeiten. Wenn sie dann nominiert wurde, würde sie eben auch alleine den Preis bekommen. Oh ja, und wenn sie dann ganz alleine als Retterin dastand, würde sich jemand wie der fliegende Held ganz sicher dankbar zeigen. Vielleicht, so kam ihr auch gleich noch ein anderer Gedanke, sollte sie ihn um ein Gespräch über Clark bitten. Sein ständiges Verschwinden ärgerte sie. Und dann diese unfassbaren Ausreden. Es machte sie wahnsinnig! Clark und er waren Freunde. Das würde Superman ihr sicher nicht ausschlagen. Ganz sicher nicht, wenn sie ihn gerade vor dem Verderben gerettet hatte. Ja, das hatte etwas, das war ein Plan.
~ ~ ~
Lois lenkte ihren Wagen von der breiten und hell erleuchteten Hauptstraße in diese kleine, dunkle Nebenstraße. An der nächsten Ecke musste sie dann noch einmal abbiegen. Dabei sah diese Straße schon alles andere als einladend aus. Sie setzte den Blinker und hatte kein gutes Gefühl. Die Gasse, in die sie wollte, war noch etwas schmaler, noch etwas dunkler und in noch einem schlechteren Zustand. Keine Straßenlaternen, große Löcher im Asphalt und keine Menschenseele weit und breit. Die Häuser wirkten wie eine dunkle, schwarze Wand. Wie konnte hier jemand eine Geschäftsadresse haben? Nummer 478 in der Sharrotts Road war ein Bürogebäude, das sicher auch schon bessere Tage gehabt hatte, die Farbe blätterte ab und der Putz war rissig, aber es sah lange nicht so düster aus wie der Rest der Straße. Lois bog Richtung Parkplatz ab und stellte den Motor aus. Alle Fenster des anvisierten Hauses waren dunkel, sie konnte also damit rechnen, dass niemand in dem Haus anzutreffen war.
Die Reporterin schaltete das Licht an ihrem Wagen aus und wartete noch ein paar Minuten, ob etwas passierte. Nichts… diese Gegend schien vollkommen verlassen zu sein. Diese Gegend und auch dieses Gebäude, in dem Newtrich sein Büro hatte. So unheimlich das auch war, es erleichterte doch auch ihre Mission. Sie konnte schließlich kaum davon ausgehen, dass ihr ein Wachmann den Weg zu Newtrichs Büro zeigte, es für sie öffnete und sie dann in aller Ruhe suchen ließ. Nach Papieren, Beweisen oder was auch immer. Oh nein, sie rechnete eher damit, nun ja, sich Eintritt verschaffen zu müssen. Das Wort 'Einbrechen' mochte sie gar nicht. Es klang schon so nach Anklage.
„Lois, hast du auch alles dabei?“, fragte sie sich leise. Sie durchwühlte ihre Tasche: Dietrich, Taschenlampe, Schraubenzieher, Messer... „Ja, scheint alles da zu sein.“ Alle Utensilien verstaute sie in ihren Taschen. Glücklicherweise hatte sie sich heute Morgen für Hose und Jackett entschieden, das war sehr viel praktischer als zum Beispiel ein enger Rock. Tief durchatmen. Sie blickte sich noch einmal um, auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite schien sich nichts zu rühren. „Okay, Lane, dann los. Es gilt Superman zu retten – und der nächste Kerth soll wieder den Namen Lois Lane tragen...“
Sie öffnete leise die Tür ihres Wagens und stieg aus. Zum wiederholten Male hörte sie sich um. In weiter Ferne hörte sie einen Zug über die Schienen rattern, der Wind rüttelte an einem schäbigen Stahlzaun, entfernter Straßenlärm, sonst war es hier absolut still, fast unheimlich still. Leise ging sie auf einem gepflasterten Weg auf den Haupteingang des Gebäudes zu. Ursprünglich dürfte er mal von vier Lampen erhellt worden sein, heute brannte davon nur noch eine, die von unzähligen Mücken umschwirrt wurde. In dem dürftigen Licht konnte sie einige Firmenschilder erkennen. Die meisten davon hatten 'Im- und Export' in der Bezeichnung, wahrscheinlich waren es überwiegend Briefkastenfirmen. Geldwäsche und mehr oder weniger illegale Betrügereien fielen ihr dazu nur ein. Ganz unten sah sie dann das Schild, das sie suchte: 'Newtrich Geology' 1. Stock, Zimmer 227. Vielleicht bekam ein Geologe ja niemals Kundenbesuch, vielleicht brauchte er auch nur einen Ort, an dem ein Telefon und ein Anrufbeantworter standen.
Die Tür, eine schmutzige Glastür, war glücklicherweise offen. Keine Überwachungskameras. Das war schon fast zu einfach. Lois hielt die Luft an und ging leise hinein. Auch wurde ihr in diesem Moment bewusst, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. Sie blieb noch einmal kurz stehen und horchte, doch noch immer hörte sie nichts Verdächtiges. Links und rechts lag jeweils ein schlecht ausgeleuchteter Gang, doch sie wollte ja in den ersten Stock, also steuerte sie die Treppe nach oben an.
Dort angekommen nahm sie den linken Gang. Die Schilder an den Türen konnte sie nun beim besten Willen nicht mehr lesen. Sie nahm ihre Taschenlampe aus ihrer Hosentasche und las das erste Schild. Welch ein Glück, gleich die erste Tür und sie hatte das Büro von Newtrich gefunden. In der anderen Hosentasche hatte sie ihren Dietrich. Lois hatte inzwischen schon die Erfahrung gemacht, dass sie damit besser umgehen konnte, je weniger sie sah. Fast so, als konzentrierte sie sich dann mehr auf ihr Gefühl. Langsam und gefühlvoll bewegte sie den Dietrich im Schloss herum, versuchte zu fühlen, zu hören, wie die Stifte in die richtige Position rutschten und so Stück um Stück den Weg freigaben. Ein ‚Knack‘ nach dem anderen arbeitete sie sich vor.
Doch plötzlich drang ein Knarren an ihr Ohr.
Fortsetzung folgt…Statistik: Verfasst von Magss — Mo 23. Jul 2012, 21:05
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