Stryker's Island 2/11
Meine Ungeduld ist kaum zu überbieten. Denn die Zeit schleicht so langsam dahin, als ob sie Kaugummi unter den Füßen hätte. Und da ist Schleichen noch moderat ausgedrückt.
Diese Warterei ist für mich eine Tortur. Darauf warten, ob mein Chef etwas erreichen kann. In dem zweiten Telefonat mit ihm habe ich ihm die Situation damals vor drei Monaten mit der verunglückten Präsidentenwahl vor Augen geführt. Er kann sich noch gut daran erinnern. Allen Metropoliser Bürgern war es hinterher ein Rätsel, wie sie sich so von diesem kriminellen Tempus hatten lenken lassen.
„Chief, ich habe so ein Gefühl, als ob er mit Supermans Verschwinden etwas zu tun haben könnte. Er ist so unglaublich raffiniert. Ich muss unbedingt hin, um zu sehen, ob er wirklich noch im Gefängnis sitzt!“, versuchte ich vorhin ihn zu überzeugen.
Ich muss wohl damit gute Arbeit geleistet haben, denn Perry hat mir versprochen, sich sofort mit dem Gefängnisdirektor in Verbindung zu setzen und eine Besuchserlaubnis für mich zu erwirken. Woher er ihn kennt, weiß ich nicht. Wie sich halt Prominente auf Veranstaltungen und Events kennenlernen. Vielleicht haben sie auch gemeinsam die Schulbank gedrückt.
Nun heißt es warten. Ziel- und planlos laufe ich durch das Haus. Ziehe hier eine Decke glatt und lege dort ein Kissen auf einen anderen Platz. Gehe hinauf ins Obergeschoß und wieder hinunter. Zappe ab und zu durch die gängigsten Fernsehkanäle mit der schwachen Hoffnung, ein rotes Cape zu erblicken. Dabei erwäge ich natürlich noch andere Gründe für Clarks Verschwinden. Doch mir fällt nichts Überzeugenderes ein. Tempus ist meines Wissens der Einzige, der durch seine Kenntnisse dafür in Frage kommt. Was außer Kryptonit könnte es bitte geben, das meinen Ehemann von mir fernhält?
Es sei denn, eine andere Frau wäre im Spiel…
Doch so schnell wie mir dieser Gedanke in den Sinn kommt, jage ich ihn zum Teufel. Nein, nicht Clark, nicht nach unserer Vorgeschichte! Ich kann mir seiner Liebe und Treue hundertprozentig sicher sein!
Mir fällt unangenehm auf, wie fahrig und nervös ich bin. Wo ist die entschlossene, impulsive Lois Lane geblieben? Der man nachsagt, dass sie erst handelt und dann nachdenkt? Wie oft bin ich früher bei dem geringsten Verdachtsmoment in verschiedenste Räumlichkeiten eingebrochen um irgendetwas zu suchen, von dem ich noch nicht einmal wusste, was es war.
Aber diesmal? Was kann ich denn tun? In welches Büro, Hotelzimmer oder was auch immer soll ich einbrechen? Durch die Straßen von Metropolis laufen um Clark zu suchen bringt ebenfalls gar nichts. Genauso wie meine Taekwondo-Kenntnisse und Fähigkeiten hier nicht weiter helfen. Gegen wen soll ich antreten und ihn mit einem gekonnten ‚Sonnal Chigi‘ zu Boden schicken? Meine Gegner in diesem Kampf sind bisher nur Schatten. Und das ist das Schlimmste!
Nein, mein sonstiges impulsives Handeln hat heute wenig Sinn! Jetzt muss es einmal umgekehrt sein! Clark würde mir sicherlich zustimmen: „Lois, denk nach!“ Erst denken, dann handeln! Mit kühlem Kopf muss ich alle Eventualitäten prüfen. Tempus ist da meine erste Wahl!
Und da mein sehnlicher Wunsch, Clark möge doch einfach wieder auftauchen, sich nicht erfüllt, muss ich die Idee, Tempus aufzusuchen, unbedingt verwirklichen. Denn mein Mann bleibt verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Zum Glück werden meine quälenden Gedankengänge unterbrochen. Das Telefon klingelt. Endlich meldet sich Perry: „Lois, so, da bin ich. Zuerst, was macht Clark?“
Mein Lügengebäude bekommt einen Anbau: „Ach Chief, immer noch schlecht. Mein Dad war da und holt jetzt ein Medikament. Er wird bei Clark bleiben, falls Sie eine Besuchserlaubnis für mich haben.“ Bitte, bitte, Perry, hab sie bekommen!
Zumindest dieser Wunsch wird mir erfüllt. In Perrys Stimme klingt etwas Stolz: „Ja, Lois, der Direktor hat seine Einwilligung zu Ihrem sofortigen Besuch gegeben. Er hat mir zwar am Telefon versichert, dass der Psychopath wohlverwahrt in seiner Zelle sitzt, doch Sie dürfen sich selbst davon überzeugen!“ Ein Stein plumpst mir vom Herzen. Ja, das will und muss ich! Unbedingt!
Schon einmal hat Tempus alle genarrt und seiner Umwelt ein Double präsentiert, während er selbst in Freiheit sein Unwesen trieb. Erleichtert lobe ich unseren Chefredakteur dafür, dass er wieder einmal die richtigen Leute kennt. Und frage auch gar nicht, welche Begründung er seinem Bekannten für die Dringlichkeit dieses Besuches gegeben hat.
Kaum ist das Telefonat beendet, mache ich mich auf den Weg. Endlich, endlich kann ich meine Passivität in Aktivität umwandeln, die lästige Warterei ist vorbei. Die Sorge um Clark verleiht mir Flügel, so schnell habe ich noch nie mein Auto erreicht. Jede rote Ampel, jede Behinderung auf meiner Fahrt durch die Straßen von Metropolis lassen mich vor Ungeduld meine gute Erziehung vergessen. „Fahr, du Idiot!“, ist noch das Mildeste, das über meine Lippen kommt. Bloß gut, dass niemand meine Flüche zählt, bis ich endlich die Fairchild Street erreiche.
Das Gefängnis liegt auf einer Insel mitten im West River. Sie ist nach einem ehemaligen Direktor benannt worden: ‚Stryker's Island‘! Am Midtowner Ufer am Ende der Fairchild Street holt mich ein Motorboot ab. Wie angenehm, so bleibt mir die Warterei auf die Fähre erspart. Gesegnet sei Perry White und mit ihm alle seine Bekannten!
Die Überfahrt dauert lediglich ein paar Minuten. Die kurze Dauer dazu das heulende Motorengeräusch erübrigen den Smalltalk mit dem Bootsführer. Denn vor lauter Aufregung und Spannung kann ich nicht rechts noch links schauen. Nur das große graue Gemäuer, das vor uns liegt, habe ich im Fokus. Schon bei seinem Anblick bekomme ich eine Gänsehaut.
Unmenschliche Zustände sollen dort herrschen. Die Zellen wären überfüllt. Nur die gefährlichsten Häftlinge, wie Tempus einer ist, sitzen in Einzelhaft. Diese Sträflinge haben keinen Kontakt miteinander. Besuche werden sehr spärlich erlaubt.
Die hohen mit Stacheldraht gesicherten Mauern empfinde ich als sehr bedrückend. Bewaffnete Wachen sind zu sehen. Endlich bin ich am Tor, das sich quietschend und umständlich öffnet. Ein Beamter nimmt mich in Empfang. Er ist etwas älter, so Mitte fünfzig, von großer, kräftiger Statur. Die Uniform schreit nach einer Reinigung. Sein Gesicht sieht aus wie das tausend Anderer auch. Unter der Dienstmütze schauen ein paar graue Haare heraus. Auch wenn ich ein gutes Personengedächtnis besitze, diesen Mann würde ich bei einer zufälligen Begegnung nicht so schnell wieder erkennen.
Mit einem freundlichen Lächeln stellt er sich vor: „Charles Watkin, Miss Lane. Ich freue mich, Sie persönlich kennenzulernen!“ Das ist auch schon alles, was er auf dem Weg durch die Gänge des Hochsicherheitstraktes von sich gibt. Er schaut mich nur ab und zu interessiert von der Seite an. Mir steht auch nicht der Sinn nach einer Unterhaltung, ich fühle mich in den MGM-Film ‚The Silence of the Lambs‘ versetzt. Als wäre ich Clarice Starling auf dem Weg zu Dr. Hannibal Lecter.
Wie dort geht es durch Gänge mit kahlen ehemals weißgetünchten Wänden, treppauf, treppab. Türen werden auf- und wieder zugeschlossen. Vorbei an voll besetzten Zellen, deren Bewohner nach mir greifen und meinen Weg mit unflätigen Bemerkungen begleiten. Meine Gänsehaut wird immer dicker. Ich fühle Feuchtigkeit an meinem Körper. Angstschweiß? Doch ich beiße die Zähne aufeinander. Ich muss da durch, denn ich will wissen, ob wirklich der echte Tempus hinter diesen Mauern sitzt.
Die verstohlenen Blicke meines Begleiters gehen mir allmählich gewaltig auf die Nerven. Meinem Unmut muss ich Luft verschaffen. Unwirsch fauche ich ihn an: „Warum um alles in der Welt mustern Sie mich so?“ Mr. Watkins Gesicht wird rot vor Verlegenheit. Er schaut angestrengt auf sein Schlüsselbund. „Sorry, Miss Lane. Aber der Inhaftierte hat mir heute Morgen erzählt, dass Sie über kurz oder lang hier auftauchen würden! Und das erstaunt mich sehr. So verrückt kann er dann ja auch nicht sein, wenn er etwas vorhersagen kann.“ Er kichert nicht gerade sehr beruhigend: „Oder vielleicht ist er es gerade deswegen.“
Oh Himmel, jetzt kann ich nur noch eine Entschuldigung murmeln. Ich quetsche sie halblaut durch die Zähne. Und mein Herz beginnt wie verrückt zu klopfen. Also dann ist das hier wirklich der echte Tempus. Und er hat garantiert seine Finger bei Clarks Verschwinden im Spiel. Diese Äußerung ist zu eindeutig! Aber wie hat er das bloß organisieren können, wenn er hinter Gittern sitzt?
Mit dieser Frage kann ich mich im Moment nicht mehr beschäftigen. Sie muss zur Seite geschoben werden, denn das Ziel ist erreicht. Wir stehen vor Tempus‘ derzeitiger Wohnstatt. Durch die Eisenstreben ist der kleine Raum gut zu übersehen. Er ist spärlich ausgestattet. Mit einem Stuhl und Tisch, einer schmalen Pritsche, einer Dusche und einem WC. Fensterlose, ehemals weißgekalkte Wände. Jetzt sehen sie so aus, als ob alle jeweiligen Insassen ihre Lebensgeschichte darauf verewigt hätten. Der jetzige sitzt inmitten des Raumes. Ein satanisches Grinsen macht sich in seinem Gesicht breit, als er registriert, wer vor seiner Zelle steht.
Lässig steht Tempus auf, kommt ganz nah an das Gitter und winkt mich zu sich heran. Mr. Watkin zeigt mir eine imaginäre Linie: „Miss Lane, bitte einen Meter Abstand!“ Höflich geht er einige Schritte zur Seite.
Einen Moment zaudere ich, doch dann stelle ich mich in der gewährten Entfernung hin. Nur durch die Eisenstäbe getrennt, steht mir Tempus gegenüber. Seine Finger umklammern das Gitter, die Knöchel treten weiß hervor. Sein hasserfüllter Blick brennt in meinem Gesicht. Für mich ist es Irrsinn, was aus seinen Augen leuchtet.
Sofort werde ich verbal mit Hohn und Spott überschüttet: „Die schöne Mrs. Kent. Welch eine Ehre! Alle Achtung! Sie kommen eher als ich geglaubt habe.“ Seine Stimme wird leiser und eindringlicher: „Aber, aber Mrs. Kent, wo ist denn der Herr Gemahl? Hat er Sie wieder einmal allein gelassen, ja? Ach, er meldet sich überhaupt nicht?“ Aufdringlich grinst er mich an, begierig auf die Wirkung seiner Worte wartend.
Doch ich lasse das alles an mir hinunter gleiten. Stehe lediglich bewegungslos da und blicke ihn unverwandt an. Noch leiser werdend fährt er fort: „Und… was sehe ich? Schon so lange verheiratet und immer noch kein rundes Bäuchlein? Wie denn auch, wenn der Super-Gatte immer unterwegs ist! Tja, tja, tja, tja!“ , endet er mit demonstrativ mitfühlendem Kopfneigen von rechts nach links, von links nach rechts.
Das ist ein Schlag genau auf die Zwölf! Dieser Zynismus trifft mich mitten ins Herz. Nur keine Regung und Schwäche zeigen. Zähne zusammenbeißen, Lois! Er soll nicht merken, dass er meinen wundesten Punkt gefunden hat.
Mein Gegenüber drückt sein Gesicht so nah wie möglich an die Stäbe und flüstert nur für mich verständlich: „Noch lebt er, aber wenn er seinen Geist aufgibt, werde ich mich in Luft auflösen! Ha, ha, ha, ha!“ Sein diabolisches Lachen hallt durch den Gang.
Unbändige Wut packt mich. Was hat dieses Ungeheuer uns schon alles angetan. Gerne hätte ich ihm meine ganze Abscheu ins Gesicht geschlagen und ihm auch etwas Bösartiges zugezischt. Aber ohne etwas zu sagen, drehe ich mich um und entferne mich in Richtung Ausgang. Er soll nicht die Genugtuung haben, mich so innerlich derangiert zu erleben.
Außerdem habe ich genug gesehen und gehört. Mehr brauche ich mir nicht anzutun. Jeder Zweifel ist jetzt beseitigt. Seine Worte, unüberlegt im Triumph der augenblicklichen Situation ausgesprochen, haben mir verraten, dass das hier wirklich Tempus ist. Hundertprozentig!
Immer noch klingt sein gellendes Lachen hinter mir her. Beim Weggehen bemerke ich die Kamera, die Tempus‘ Zelle im Fokus hat.
Der Beamte ist mir gefolgt. Ich laufe die Gänge entlang ohne rechts und links zu gucken, als ob ich einen Schnelligkeitsrekord aufstellen wollte. Das stakkatohafte Nachhallen meiner Schritte übertönt jedes andere Geräusch. Ungeduldig warte ich an den Türen, die aufgeschlossen werden müssen. Nur weg, nur weg! Doch ich habe durch diesen Besuch die Gewissheit erlangt, dass Tempus auf irgendeine Art und Weise in Clarks Verschwinden involviert ist. Aber wie? Trotz der belastenden Situation fängt mein Verstand an zu arbeiten. Ich brauche mehr Informationen mit vielen Details.
Ohne ein Wort miteinander zu wechseln erreichen wir den Ausgang. Hier bleibe ich einen Moment stehen und atme erst einmal tief durch.
Dem Beamten gebe ich freundlich die Hand. „Vielen Dank, Mr. Watkin! Aber sagen Sie, bekommt Mr. Tempus ab und zu Besuch?“ Nachdenklich schüttelte der Angesprochene den Kopf: „Nein, Miss Lane, noch nie in meiner Schicht. Und da wir alles eintragen müssen, hätte ich das in unseren Protokollen lesen müssen. Mir ist so eine Bemerkung noch nie aufgefallen.“
Einsicht in diese Berichte würde ich wohl kaum bekommen, vielleicht kann Perry noch einmal etwas ausrichten. So murmel ich erneut ein „Dankeschön“ und eile dem Boot zu, das schon wartet.
Was jetzt? Außer der Gewissheit von Tempus` Mitwirkung an Clarks Verschwinden bin ich keinen Schritt weitergekommen. Aber das ist wenigstens ein kleiner Anhaltspunkt. Zum Glück ist dieser Mann so narzisstisch veranlagt und so von sich eingenommen, dass er sich selbst verraten hat.
Diese enorme Anspannung, unter der ich stehe, fordert ihren Tribut. Tausend kleine Hämmerchen klopfen unter meiner Schädeldecke. Der kurze Weg auf dem Wasser von der Insel bis zur Anlegestelle in Midtown tut diesem schmerzenden Kopf gut. Jetzt erst fällt mir auf, wie herrlich er ist, der Nachmittag dieses Maientages. Kleine weiße Wolken tummeln sich am sonst strahlend blauen Himmel. Die Sonne scheint angenehm warm, Vögel schmettern ihre Lebensfreude heraus. Die Natur hat sich längst mit ihrem schönsten Kleid geschmückt.
Doch für mich ist alles mit einem Angstschleier überzogen. Wo um alles in der Welt ist Clark? Was ist mit ihm geschehen? Wie geht es ihm? Wie lange kann er der Wirkung des Kryptonits standhalten, das hundertprozentig im Spiel sein muss? Lebt er noch? Ja, er lebt noch, er muss noch leben!
Auf dem Weg zum Parkplatz bemerkte ich eine kleine Bootstreppe, die zum Wasser führt. Undurchsichtig grün schimmern die Fluten des West River. Sie ziehen mich an. Langsam gehe ich die Stufen hinunter. Unten tauche ich ein wenig meine Hand hinein. Das bisschen Wasser, das meine Finger umspült, ist sehr klar. Diese Tatsache gibt mir etwas Trost. Ist meine Situation nicht so ähnlich? Vor Sorge und Kummer nehme ich nur die Gesamtheit wahr, die mir so undurchsichtig erscheint. Aber muss ich nicht jedes mir bekannte Detail einzeln unter die Lupe nehmen? Vielleicht würde dann manches klarer werden, wie diese kleine Portion Wasser. Tief in meinem Innern höre ich wieder die Aufforderung: „Denk nach, Lois!“
Im Auto muss ich mir erst einmal kräftig die Nase putzen. Als mein prüfender Blick in den Innenspiegel fällt, fahre ich vor Schreck zusammen. Ein blasses Gesicht mit dunkelumränderten Augen sieht mir entgegen. Die fast schlaflose Nacht, diese Stunden mit der Angst und Sorge um Clark und die quälende Ungewissheit haben mich schon gezeichnet. Und seit dem kärglichen Frühstück habe ich auch nichts mehr gegessen.
Nach dieser Folter durch den Besuch bei Tempus will ich jetzt nur noch heim und nachdenken. Wie in Trance fahre ich durch die Straßen von Metropolis auf dem kürzesten Weg in die Hyperion Avenue. Ich kann von Glück sagen, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer sich an die Straßenverkehrsordnung halten. Auf eine eintretende Gefahr hätte ich nicht schnell genug reagieren können.
Die Stille in unserem Haus schlägt mir sofort über dem Kopf zusammen. Als erstes fällt mein Blick auf den blinkenden Anrufbeantworter. Im Eiltempo habe ich das Gerät erreicht und auf den Knopf gedrückt. Wie ein zarter Lichtstrahl steigt eine vage Hoffnung in mir hoch. Vielleicht… Clark! Vielleicht… eine Nachricht von ihm!
Ein Anruf wird von der unpersönlichen Automatenstimme angekündigt. Einen Moment vergesse ich vor Spannung zu atmen. Aber leider, statt Clark höre ich Jonathan sprechen: „Hallo, Lois! Wegen technischer Probleme wird sich unser Flug verzögern. Komm uns nicht abholen, wir wissen nicht, wann wir letztendlich ankommen. Wir nehmen ein Taxi. Bis nachher!“
Voll Bitterkeit kann ich nur denken: ‚Murphys Gesetz! Heute geht doch alles schief‘!
Einige Ladungen kaltes Wasser in mein Gesicht helfen mir, trotz der Kopfschmerzen einige klare Gedanken zu fassen. Perry muss ich unbedingt noch einmal anrufen.
Es tut gut, seine mitfühlende Stimme zu hören: „Lois, wie geht es Clark? Gibt es etwas Neues? War Ihr Besuch erfolgreich?“
Lügen, immer diese Lügen: „Ja, danke, Chief, Clark geht es jetzt durch die Medizin schon klein wenig besser!“ Aber ganz ehrlich kann ich ihm meine Überzeugung mitteilen, dass Tempus etwas mit Supermans Verschwinden zu tun haben muss. Nur wie, das ist das große Rätsel. Und bitte ihn, wegen der Protokolle und der Kamera nochmals mit dem Gefängnisdirektor zu sprechen. Vielleicht gibt es etwas Besonderes bei den Aufzeichnungen zu sehen oder zu lesen. Es ist sehr wichtig zu wissen, ob und wer ihn besucht hat.
„Mache ich, Lois!“, verspricht er. Einen Trost schickt er hinterher: „Kopf hoch, Mädel! Sie wissen, ich bin immer für Sie da!“ Dankbar antworte ich: „Ja, Chief, ich weiß!“
Jetzt muss ich wieder abwarten, welche Auskünfte Perry White erhalten wird. Wie hasse ich diese erzwungene Passivität! Die Gefängnisverwaltung wird ja meinetwegen keine Sonderschicht einlegen.
Was jetzt? Ich versuche mir Clarks Reaktion vorzustellen. Was würde er mir in dieser Situation sagen? Seine Stimme klingt förmlich in meinem Kopf: „Lois, du musst etwas essen! Willst du zusammenbrechen?“
Nein, das will ich natürlich nicht. Wer weiß, was noch alles auf mich zukommen wird, wofür ich noch meine Kraft benötigen werde. Tee und ein Sandwich reichen mir erst einmal.
Der silberne Wasserstrahl strömt in den Kochkessel. Normalerweise heizt Clark das Teewasser mit dem Hitzeblick auf. Jetzt muss ich warten, bis es endlich blubbernd kocht. Automatisch, ohne einen Gedanken über den Belag zu verlieren, bereite ich mir ein Brot. Meine Gedanken kreisen um die Frage, wie Tempus von seiner Zelle aus Clark hat gefährlich werden können. Er muss einen Helfer haben!
Ohne Appetit, aber immer das bittendes Gesicht meines Mannes vor Augen, esse ich alles brav auf. Meine ehemaligen Tröster fallen mir ein. Früher habe ich mit solch einer seelischen Belastung mindestens drei Becher Eis und zwei Tafeln Schokolade verputzt. Aber seitdem ich eine glückliche Ehefrau bin, gibt es diese Leckereien im Haushalt Lane-Kent nur noch selten. Ich habe sie einfach nicht mehr nötig! Wenn ich Ermunterung brauche, sind Arme, Mund und liebevolle Worte meines Mannes da, die mich wieder aufrichten.
…Ja, sonst! Clark! Mein ganzes Elend kommt mir wieder zu Bewusstsein. Krampfhaft schlucke ich den Rest des Brotes hinunter.
Zum Glück gibt es im Haus zu tun. Das Gästezimmer muss für die Schwiegereltern hergerichtet werden. Andere Hausarbeiten, sonst ungeliebt und selten verrichtet, helfen mir über die zähe Wartezeit hinweg. Aber was ich auch tue und wo ich auch bin, meine ständige Begleitung ist die große Frage: „Clark, wo bist du? Was ist mit dir?“
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Im dritten Kapitel kommt ‚Unerwarteter Besuch‘
Statistik: Verfasst von Gelis — Di 21. Mai 2013, 20:16
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