„Sie können mir glauben, dass ich diesmal absichtlich daneben geschossen habe, Lady. Der nächste Schuss wird sitzen!“ Der „Nettere“ hatte seine Waffe wieder auf sie gerichtet und deutete mit ihr auf den Computer. „Sie beeilen sich besser, bevor ich richtig wütend werde.“
Lois wollte gar nicht so genau wissen, was Clark davon hielt, dass sie es auf die Spitze getrieben hatte. Dennoch suchte sie seinen Blick. Sein Gesicht war noch blasser als zuvor und war verkniffen. Er hielt sich den Arm und biss sich auf die Lippen. Entgeistert stellte Lois fest, dass der Schuss nicht in die Luft gegangen war. Er hatte getroffen.
„Wird’s bald?“, grollte der Gangster. Er packte Lois hart an der Schulter, und drängte sie zum Computer hin. „Die Pläne. Los!“
Lois Finger schnellten über die Tastatur, während sie immer wieder zu Clark hinüber sah. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Vor sich sah sie immer nur ihn, wie er sich den Arm hielt und versuchte sich seine Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Lois tippte panisch weiter. Sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt das suchte, was sie suchen sollte. Nur die vorgehaltene Waffe hielt sie auf dem Stuhl.
„Schneller! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“
Lois fühlte, wie sich eine Pistole in ihren Rücken bohrte. Sie zwang sich dazu sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Je eher sie erfolgreich war, desto schneller konnte sie bei Clark sein. Sie suchte sich durch die Verzeichnisse, bis sie schließlich eines gefunden hatte, das viel versprechend aussah. Rasch öffnete sie den Ordner. Sobald sie festgestellt hatte, dass es sich um den richtigen handelte, druckte sie die Dokumente.
„Es sollte an dem Drucker dort hinten herauskommen“, erklärte Lois und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, um einen besseren Blick auf Clark zu erhaschen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals vor Angst und Schuldgefühlen. Was immer Clark ihr zumutete, war bestimmt kein Grund ihm Schmerzen zu wünschen. Aber Clark stand immer noch aufrecht, hatte seine Hand auf seinen Oberarm gepresst und ließ sie keinen Moment aus den Augen. Er wirkte angespannt und Lois konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er etwas plante.
„Wie lange dauert das denn?“, fragte der Gangster ungeduldig, während sich der Drucker langsam zu regen begann. „Wehe, wenn das ein Trick ist.“
„Kein Trick“, antwortete Clark, noch bevor Lois etwas sagen konnte. „Es ist ein langsamer Drucker.“
Der Gangster blickte ihn grimmig an, als würde er Clark die Schuld für diesen Umstand zuschreiben. Er sagte aber nichts, sondern ging zu dem Drucker hinüber. Wahrscheinlich wollte er sich selbst überzeugen, dass die gewünschten Pläne auch tatsächlich kamen.
Lois sah nervös und plötzlich auch hoffnungsvoll zu Clark hinüber, als sich ihre übrigen Bewacher ebenfalls von ihnen weg bewegten. Die Tür zum Flur war nicht weit und für den Moment waren sie geradezu unbewacht. Lois sah Clark eindringlich an.
* * *
Clark hatte das Gefühl Lois würde ein Schild mit der Aufschrift „Fluchtmöglichkeit“ hoch halten. Natürlich war ihm die Gelegenheit nicht entgangen. Keiner der Eindringlinge beachtete sie, nicht einmal der offensichtliche Anführer. Mit jeder Sekunde, die sie verstreichen ließen, wurde das Risiko entdeckt zu werden größer. Das Problem war nur, dass er nicht wusste, wie schnell und vor allem lautlos er rennen konnte.
Währenddessen zog Lois herausfordernd ihre Schuhe aus, wohl wissend, dass sie in ihren Pumps unmöglich schleichen konnte. Es waren nur wenige Meter und der Eingang zum Treppenhaus lag von den Gangstern aus gesehen um eine Ecke. Selbst wenn sie die Tür hörten, konnten Lois und Clark das Treppenhaus unbeschadet erreichen.
Lois hatte sich halb erhoben, geräuschlos. Noch immer schaute keiner zu ihnen hin. Clark vermutete, dass er Lois so oder so nicht von ihrem Vorhaben abhalten würde. Und wenn man bedachte, dass diese Gangster ziemlich schnell mit der Waffe bei der Hand waren, so war es vielleicht leichter, das Heil in der Flucht zu suchen. Clark nickte Lois zu.
Obwohl die stumme Konversation nur ein paar Augenblicke gedauert hatte, war sie beiden unendlich lange vorgekommen. Clark fühlte sein Herz immer schneller schlagen. Es wunderte ihn beinahe, dass offenbar niemand außer ihm es hörte. Auch Clark schlüpfte aus seinen Schuhen. Probeweise machte er einen Schritt nach vorne, und einen weiteren, als der erste niemanden aufschreckte. Die nachfolgenden Schritte waren mindestens genauso leise, doch wesentlich schneller hintereinander. Lois war dicht hinter ihm, als sie die Tür ungesehen erreichten.
Clark versuchte sich zu erinnern, ob die Tür zum Treppenhaus knarrte oder quietschte. Er hatte sie schon oft genug geöffnet. Aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Sollte er sie möglichst leise öffnen, um ihnen soviel Zeit wie nur möglich zu verschaffen? Oder sollte er sie lieber aufstoßen, damit sie soweit nach unten kamen wie möglich?
Mit klopfendem Herzen und einem flauen Gefühl im Magen entschied Clark sich für das langsame und leise öffnen. Die Tür knarrte entsetzlich. Erschrocken blickten Lois und Clark sich an. Sofort änderte Clark die Taktik und Lois stürmte nach unten, Clark hinter ihr her. Wütende Rufe folgten ihnen und der Anführer stieß laute Flüche aus.
„Hinterher! Lasst sie nicht entkommen! Ihr verdammten Idioten! Hatte ich euch nicht befohlen aufzupassen?“ brüllte er zornig.
Clark rannte die Stufen hinunter, so schnell wie nur selten zuvor in seinem Leben. Und das musste etwas heißen, denn immerhin hielt Superman jeden Rekord in Sachen Schnelligkeit. Hinter ihm klangen schwere Stiefel. Das Geräusch erinnerte ihn daran, dass er selbst zusammen mit Lois hoffnungslos in der Unterzahl war. Er wusste nicht, wohin und es hatte auch keinen Sinn das jetzt zu besprechen. Selbst wenn er den Atem dazu gehabt hätte, hätten ihre Verfolger sie unweigerlich gehört.
Die Stiefel kamen näher und Clark rannte noch schneller. Lois war nur wenig vor ihm und hielt sich am Geländer fest, während sie manchmal mehrere Stufen hintereinander übersprang. Clark tat es ihr nach und spürte einen scharfen Schmerz in seinem Arm und seinem Knöchel, die beide gegen die plötzliche Erschütterung protestierten. Plötzlich macht Lois kurz halt und schlüpfte durch eine Tür, die nur angelehnt war. Clark folgte ihr und fand sich in der Anzeigenabteilung des Daily Planet wieder.
Hier waren wesentlich mehr Schreibtische, als in der Redaktion. Es war ein unfreundliches Großraumbüro. Lois hastete durch die Reihen mit Schreibtischen. Es dauerte einen Moment, bis Clark sie eingeholt hatte. Er warf einen kurzen Blick zur Tür zurück, der ihn beinahe zu Fall brachte. Auf der Etage war noch niemand erschienen. Dann griff er nach Lois Arm und zog sie hinter einen der Schreibtische. Von der Tür aus würden sie zunächst nicht zu sehen sein und Clark hoffte, dass das ihre Verfolger hinreichend verwirren würde.
* * *
Lois gab sich große Mühe ihr Entsetzen nicht laut kund zu tun, als sie Clarks blutgetränkten Ärmel sah. Während sie gerannt war, hatte an nichts weiter gedacht, als den bewaffneten Männern zu entkommen. Clarks Verletzung war erstmal in den Hintergrund getreten. Aber nun drang sie ihr wieder mit aller Macht ins Bewusstsein, vor allem die unangenehme Gewissheit, dass es ihre Schuld war.
<Oh, Clark.> Lois bewegte eher ihre Lippen, als dass sie sprach. <Es tut mir Leid.>
<Ist schon okay.>, gab Clark auf die gleiche Weise zurück, dann bedachte er sie mit einem fragenden Blick, als erhoffte er sich von ihr die rettende Lösung.
Lois konnte nur mit den Schultern zucken. Sie hatte keine Vorschläge zu machen. Wenn sie ehrlich war, wäre sie nun aufs Dach gelaufen und hätte nach Superman gerufen, so laut sie nur konnte. Nur um überhaupt etwas zu tun, deutete sie mit dem Finger nach oben. Dann legte sie ihre Daumen und Zeigefinger aneinander und formte etwas, dass man mit viel Liebe als Supermans Zeichen interpretieren konnte.
Clarks Stirn runzelte sich und er blickte leicht gequält, dann schüttelte er den Kopf. Lois verstand nicht ganz, warum er sich nun noch gegen Supermans Hilfe sträubte. Immerhin war das Blut, dass aus seiner Armwunde sickerte Beweis genug, dass sie tatsächlich in Not waren. Und Superman hatte Lois schon aus weit weniger gefährlichen Situationen gerettet. Wusste Clark vielleicht etwas, dass er Lois verschwiegen hatte – zum Beispiel im Zusammenhang mit den Vorgängen in der Bank?
<Warum?>, stellte Lois ihre stumme Frage.
Clark sagte nichts, er zuckte nicht mal mit den Schultern. Stattdessen verharrte er reglos hinter dem Schreibtisch und schien auf etwas zu lauschen. Auch Lois spitzte die Ohren und ihr Herz begann laut zu pochen, als sie in ihrer Nähe Schritte hörte. Hektisch blickte sie sich um und suchte nach einem Weg, auf dem sie ungesehen entkommen konnten.
Sie fühlte Clarks Hand auf ihrer, erst sanft, bevor der Griff fester wurde und er sie mit sich zog. Auf Knien und Händen krabbelte er leise um den Schreibtisch herum, der vor ihnen stand. Dann weiter, immer weiter weg von der Tür, durch die sie die Anzeigenabteilung betreten hatten. Sie bewegten sich so lautlos wie möglich, atmeten beide beinahe geräuschlos und die Schritte eines ihrer Verfolger begannen Lois in den Ohren zu dröhnen.
Sie rechnete damit jeden Moment wieder den Lauf einer Waffe in ihrem Rücken zu spüren oder ein höhnisches Lachen zu hören, das ihre Hoffnung zu entkommen zunichte machen würde. Zu ihrer Überraschung geschah nichts dergleichen. Clark gelangte mit ihr im Schlepptau immer weiter durch den großen Raum, vorbei an einem Schreibtisch nach dem anderen. Lois wusste nicht, wohin Clark wollte. Jede Möglichkeit das Stockwerk zu verlassen, lag in einer anderen Richtung, als der der sie gerade zustrebten und hätte sie wahrscheinlich auch früher oder später ins Blickfeld der Gangster gebracht.
Wieder krochen Lois und Clark um eine Ecke herum und hatten sich damit völlig außer Sichtweite gebracht. Verständnislos sah Lois Clark an, als er leise die Tür zum Lagerraum öffnete. Was um Himmels Willen wollte er dort?
* * *
Clark stellte sich im selben Augenblick in etwa die gleiche Frage. Er zweifelte ernsthaft an seinem Verstand. Zwar war der Lagerraum sonst einer seiner bevorzugten Wege den Daily Planet zu verlassen, aber davon konnte im Augenblick ja keine Rede sein. Dennoch hatte er keine bessere Idee. Das Beste, was er zu seiner Verteidigung anbringen konnte, war, dass die Gangster bestimmt nicht damit rechneten, dass er versuchte durch das Fenster zu entkommen.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, flüsterte Lois, als sie gemeinsam zum Fenster im Abstellraum gingen.
Das Fenster war das gleiche, wie zwei Stockwerke über ihnen in der Redaktion. Aber auch dieses war immer noch vier Stockwerke über der Erde. Aus dem Fenster zu springen, stand nicht zur Debatte.
„Wahrscheinlich“, murmelte Clark und schlich zum Fenster, um es zu öffnen.
Er hatte wenig Hoffnung, dass es völlig geräuschlos vonstatten gehen würde. Aber vielleicht würde zur Abwechslung ja mal ein Wunder geschehen. Und tatsächlich, dieses Exemplar war weitaus besser geölt, als sein üblicher Fluchtweg. Clark kletterte hinaus auf den äußerst schmalen Sims, von dem er nur hoffen konnte, dass er sie beide tragen würde. Lois folgte ihm und lehnte das Fenster so gut es ging wieder an.
„Und nun?“, fragte sie mit offensichtlichem Unbehagen, während sie einen kurzen Blick auf die spärlich erleuchtete Straße unter ihnen warf. „Rufen wir Superman?“
Clark biss sich auf die Lippen. Sollte er ihr sagen, dass das keinen Sinn hatte?
„Komm schon, Clark. Es tut mir Leid, dass ich dich kritisiert habe. Ich weiß ja, dass du dich nicht allzu gerne auf Superman verlässt. Ich meine, ich kann mich nicht erinnern, dass du ihn jemals gerufen hättest, wenn wir in einer prekären Situation waren. Aber meinst du nicht, das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt?“, beharrte Lois.
Clark seufzte und ergab sich in sein Schicksal. „Lois, Superman wäre dir jetzt genauso hilfreich, wie ich. Er ist zu keinem anderen Einsatz geflogen, als ich ihn getroffen habe. Jemand in der Bank hatte Kryptonit dabei.“
Lois riss die Augen auf. „Soll das heißen, es gibt diese Substanz tatsächlich?“
Clark nickte nur und überließ es Lois sich alles weitere auszumalen. Sie stellte keine Fragen mehr, sondern hatte sich offenbar dazu entschlossen, sich erstmal auf den Augenblick zu konzentrieren. Vorsichtig gingen sie Schrittchen für Schrittchen an die Wand gepresst über das Sims. Beide bemühten sich, nicht nach unten zu schauen.
Sie schienen überhaupt nicht voran zu kommen, obwohl sie nicht stehen blieben. Immer wieder warf Clark einen Blick zurück zu dem Fenster, durch das sie das Gebäude verlassen hatten. Jedes Mal erwartete er den Lauf einer Waffe daraus hervorblitzen zu sehen. Doch das Fenster blieb leer.
Nach eine schieren Ewigkeit erreichte Clark endlich eine Ecke des Gebäudes, die sie ein für alle Mal aus dem Schussfeld der Gangster bringen würde. Clark wusste, dass auf der Seite des Gebäudes nur wenige Fenster waren. Es war unwahrscheinlich, dass man ihn oder Lois zufällig entdecken würde. Nur was ihnen das nutzen sollte, war Clark nicht ganz klar.
„Clark!“ rief Lois mit einem Mal und entsetzt sah Clark sie mit den Armen rudern und um ihr Gleichgewicht kämpfen.
Er griff nach ihrem Arm, als sie auch schon abrutschte. Plötzlich hing Lois nur von Clark gehalten über dem Abgrund. Ihr Gewicht zerrte an seinem Arm, und riss ihn selbst fast mit in die Tiefe.
„Clark!“, schrie Lois angsterfüllt und kümmerte sich nicht mehr um das Gebot möglichst unauffällig zu flüchten.
„Lois, keine Angst, ich hab dich“, gab Clark zurück und fühlte sich dabei mehr an Superman erinnert, als an sich selbst. Sein Alterego mochte so etwas vielleicht so selbstsicher behaupten, Clark Kent nicht.
Aber fühlte Lois sich nicht ein wenig leichter an als erwartet? Konnte es sein, dass...? Clark wollte sich dieser Hoffnung erst gar nicht hingeben. Stattdessen biss er die Zähne zusammen und zog Lois mit aller Kraft Zentimeter um Zentimeter höher, bis sie auf dem Sims halt fand und ihm helfen konnte. Sterne tanzten vor seinen Augen, als er schließlich erschöpft an der Mauer lehnte und Atem schöpfte.
„Du hast mich gerettet“, sagte Lois mit zitternder Stimme und ein wenig außer Atem.
Sie konnte nicht verbergen, dass ihre Knie weich waren. Die Angst war aus ihrem Gesicht noch nicht völlig verschwunden. Clark stellte es mit einer gewissen Verwunderung fest. Er war daran gewöhnt, dass Lois nichts schrecken konnte. Andererseits hatte sie sonst einen unverwundbaren, persönlichen Superhelden im Rücken, der sie beschützte.
„Alles okay bei dir?“, fragte Clark und suchte sie nach äußerlichen Blessuren ab. Sie war mit dem Schrecken davon gekommen.
„Ja“, antwortete Lois etwas einsilbig.
Sie starrte Clark an, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Er überlegte, ob wirklich alles in Ordnung war, schob den Gedanken aber dann beiseite. Sie war nicht verletzt, andere Probleme konnte er momentan so oder so nicht lösen. Clark wollte im Augenblick nicht mehr, als von dem Gebäude auf die Straße hinunter.
„Wir müssen weiter, Lois. Glaubst du, du schaffst es?“, wollte Clark wissen.
Lois sah ihn weiter an, dann nickte sie. „Natürlich.“
Clark sah sie schlucken, wahrscheinlich bei der Vorstellung weiter über das schmale Sims gehen zu müssen – vor allem weil die Ecke noch vor ihnen lag. Diese Ecke machte ihm selbst Sorgen. Sie ohne Netz und doppelten Boden zu umschiffen, kostete ihn einigen Mut. Clark machte den ersten Schritt und bald darauf den zweiten. Das Sims sah nichts sehr Vertrauen erweckend aus. Nachdem Lois nur knapp einem Absturz entgangen war, trat Clark das nur umso deutlicher ins Bewusstsein. Das Gebäude war alt und hatte wahrscheinlich in den zwanziger Jahren schon hier gestanden. Es war nicht dazu gedacht, dass man über die Simse kletterte.
Clark hatte Lois an der Hand gehalten, doch als es nun um die Ecke ging, blickte er zu ihr zurück.
„Stehst du sicher?“ fragte er Lois und kam sich auf einmal merkwürdig vor. Normalerweise hätte Lois wahrscheinlich bemängelt, dass er sie wie ein unfähiges Kind behandelte. Doch sie beschwerte sich mit keiner Silbe. Stattdessen nickte sie nur, etwas zaghaft vielleicht, aber sie nickte. „Gut, dann lasse ich dich für einen Moment los, damit ich um diese Ecke da komme.“
„Sei vorsichtig“, murmelte Lois. „Wird es auch gehen, dein Arm, ich meine... Es tut mir Leid Clark. Es war meine Schuld. Ich hätte ihn nicht reizen sollen. Ich hätte damit rechnen müssen, dass er es ernst meint. Aber ich war wütend auf dich, ich dachte, du wolltest gar nichts tun und einfach abwarten, bis sie...bis sie...“ Lois schluckte wieder und Clark war sich nicht sicher, ob er nicht auch ein Schluchzen hörte.
„Es war nur ein Streifschuss. Nur ein Kratzer, Lois“, erklärte Clark. So ruhig war er nicht gewesen, als die Kugel ihn getroffen hatte. Im ersten Moment hatte es höllisch wehgetan. Aber Clark hatte den Schock, dass ihn etwas verletzt hatte, schnell überwunden, weil Lois in Gefahr schwebte. Der Gedanke an sie lenkte ihn von seinen eigenen Problemen recht gut ab. „Es wird gehen.“
Lois schaute nicht sehr überzeugt drein und auch Clark war sich nicht ganz sicher, wie sehr er seinen verletzten Arm brauchen würde. Bisher war er auch ohne ihn ganz gut zurechtgekommen, aber... Es half nichts. Er musste es probieren.
Vorsichtig tastete sich Clark näher an die Ecke heran. Seine Knie zitterten leicht, als er einen Fuß auf die andere Seite setzte. Langsam zog er den zweiten hinterher und sein Herz klopfte bei dem Gedanken daran was geschehen würde, wenn er jetzt das Gleichgewicht verlor.
„Ihr da, rührt euch nicht!“ kam ein wütendes Brüllen von hinten. Clark hörte das unschöne Geräusch einer Pistole, die durchgeladen wird.
„Clark!“ rief Lois entsetzt und beeilte sich, ihm hinterher zu kommen.
„Ich sagte: Stehen bleiben!“ Die Drohung hallte die Wand entlang.
„Lois, nimm meine Hand.“ Clark streckte sich, um Lois zu erreichen. Vielleicht konnte er Lois noch einmal halten und hoch ziehen. „Ich halte dich.“
Er fühlte ihre kalten Finger in seinen, ihr Griff wurde fest, während sie einen Fuß auf die andere Seite des Simses setzte. Ein Schuss krachte und sauste an Lois vorbei. Ein weiterer folgte. Clark hielt den Atem an und unterdrückte mühsam den Wunsch sie sofort zu sich zu ziehen. Das würde ihr kaum helfen. Lois gab keinen Laut von sich und Clark hoffte, dass das ein gutes Zeichen war. Bald konnte er nach ihrem anderen Arm greifen und zog Lois zu sich. Noch ein Schuss zerriss die Nacht und es folgte ein wütendes Brüllen, als Lois sich endlich in Clarks Armen befand – in Sicherheit.
Jedoch nur für einen Moment. Dann dröhnte ein viel unauffälligeres, doch ungleich gefährlicheres Geräusch Clarks Ohren. Bevor er noch die Zeit hatte zur Seite zu treten, fühlte er schon, wie das Sims unter seinen Füßen erfüllte, was es schon die ganze Zeit angedroht hatte. Clark verlor den Halt, als das Sims unter seinen Füßen brach.
Die Hand, die er ausgestreckt hatte, um sich an einer Bruchkante festzuhalten, griff ins Leere. Clark packte Lois fester, die sich ohnehin schon krampfhaft an ihn krallte.
„Hilfe, Superman!“ gellte Lois Schrei durch die Nacht.
* * *
In diesem Moment schien alles vorbei zu sein, der tiefe Fall unaufhaltsam. Lois fie plötzlich ein, was sie alles vergessen hatte. Wollte sie sich nicht noch einmal bei Clark entschuldigen? Dafür, dass sie ihn so harsch begrüßt hatte. Dafür, dass sie ihm das Leben manchmal ziemlich schwer machte. Und dafür, dass sie ihm nie gesagt hatte, wie viel er ihr wirklich bedeutete. Doch dazu mochte sie gerade noch Zeit haben.
„Ich liebe dich!“ flüsterte sie ihm in wilder Verzweiflung ins Ohr.
Clark antwortete nicht. Er sah sie nicht an, war tief versunken und sein Atem kam in schnellen Stößen. Sie sah Schweißperlen auf seiner Stirn, sein Gesichtsausdruck wirkte verzerrt, so als würde er sich fürchterlich anstrengen.
Es dauerte einen Moment, bis Lois bewusst wurde, dass sie immer noch fielen – und dass das gar nicht sein konnte. Es waren nur vier Stockwerke und die hätten sie längst hinter sich haben sollen. Lois hatte eine gewisse Erfahrung im Fallen und dieses Mal war es definitiv anders als sonst. Lois riss die Augen auf. Sie näherten sich immer noch dem Erdboden, unaufhaltsam - und dennoch wie in Zeitlupe. Aber Superman war nirgends zu sehen.
Die Landung war unsanft und würde Lois bestimmt blaue Flecken bescheren. Doch sie lebte und war bis auf ein paar Schrammen weitgehend unverletzt. Es war wie ein Wunder. Lois suchte die Umgebung ab, um ihren geheimnisvollen Retter vielleicht doch noch zu finden. Aber die Seitenstraße war einsam, menschenleer und dunkel.
War es möglich von Superman gerettet zu werden, ohne es zu spüren? Hatte er Clark gepackt und nicht sie? Der Gedanke an Clark verdrängte das Mysterium um ihre Rettung für einen Augenblick aus Lois Kopf. Ihr Partner hatte sich bisher nicht gerührt. Besorgt krabbelte Lois zu ihm hinüber.
„Clark?“ Wieder kam keine Antwort. „Clark?“ fragte Lois erneut und tastete nach ihm, schüttelte ihn leicht.
Er reagierte nicht. Panik stieg in Lois auf. Er würde doch nicht...er konnte nicht...Clark hatte ihr doch gesagt, dass die Kugel ihn nur gestreift hatte – ein Kratzer, schmerzhaft, doch letztlich relativ harmlos. Oder nicht? Lois verfluchte die Dunkelheit, verfluchte sich, dass sie ohne ihre Handtasche geflohen war, in der sich eine Taschenlampe befand. Ihre Finger fuhren wie von selbst über den reglosen Körper neben ihr. Sie fühlte undeutlich, wie sich seine Brust unter ihrer Berührung hob und senkte.
Lois Hände verharrten an Ort und Stelle und sie hielt vor Aufregung den Atem an, ihr Herz hämmerte in ihren Ohren. Sie wartete darauf, dass er die Bewegung wiederholte und ihr damit bestätigte, dass sie sich nicht nur eingebildet hatte, dass er atmete. Tatsächlich spürte Lois, wie sich seine Brust unter ihrer Hand regelmäßig auf und ab bewegte. Er lebte. Diese Erkenntnis verursachte ein Glücksgefühl, wie Lois es sich kaum hätte vorstellen können. Clark lebte. Aber er war bewusstlos und brauchte ärztliche Hilfe.
Plötzlich war die Nacht nicht mehr still. Lois hörte Schritte, die schnell näher kamen. Sie sah auf und ein dunkler Schatten bewegte sich auf sie zu. Erschrocken packte Lois Clark an den Armen, wollte ihn verstecken, damit ihm nicht noch mehr passierte. Doch sie war nicht stark genug, um ihn weiter in den Schatten des Daily Planet zu ziehen – um ihn überhaupt zu bewegen. Verängstigt ließ Lois los und machte sich bereit ihre Haut so teuer zu verkaufen, wie es nur ging.
Die schwarze Gestalt wurde langsamer, als sie sich näherte. Sie konnte schweres Atmen hören, und ein Zittern überlief Lois. Sie wusste, dass der andere sie gesehen hatte. Nun konnte nur noch eine Flucht nach vorn helfen.
„Halt! Keinen Schritt weiter“, rief Lois und hoffte, dass ihre Stimme trotz des Zitterns immer noch bedrohlich klingen würde. „Ich...ich habe eine Waffe!“
„Lois?“ Die Stimme kam ihr bekannt vor, auch wenn Lois sie im ersten Moment nicht zuordnen konnte. „Lois? Gott sei dank! Ist Clark auch entkommen?“ Es war Jack. „Ich habe die Polizei gerufen. Sie müssten gleich kommen.“
Bevor Lois noch antworten konnte, hörte sie Polizeisirenen. Normalerweise fand sie das Geräusch nicht sehr angenehm, doch dieses Mal klang es äußerst tröstlich.
„Clark ist verletzt. Er hat das Bewusstsein verloren, als wir abgestürzt sind. Superman muss uns gerettet haben“, fasste Lois zusammen, was Jack nicht wissen konnte. Dann wandte sie sich wieder Clark zu. „Komm schon, wach auf, Clark!“ flehte Lois.
Wie durch einen Nebel hindurch erlebte Lois, was weiter geschah. Die Polizeisirenen kamen immer näher, bis blaue und rote Lichter über die Mauern und Fenster des Daily Planet zuckten. Auch ein Rettungswagen war dabei, doch das merkte Lois erst, als Sanitäter neben ihr niederknieten und sich mit Clark beschäftigten. Es gelang ihr, bemühte Sanitäter von sich selbst abzuwehren, während sie beobachtete, was mit Clark geschah.
Ein Zugang wurde in seinem Arm platziert und jemand streifte ihm eine Atemmaske über das Gesicht. Mit geübten Händen kümmerten sich die Sanitäter um Clark, hoben ihn scheinbar mühelos auf die Trage und nahmen ihn mit sich. Jemand nahm Lois am Arm und führte sie sanft zum Rettungswagen, half ihr hinein und deutete auf einen Platz, auf dem sie während der Fahrt neben Clark sitzen konnte.
Das Licht im Rettungswagen zeigte Lois, wie fahl Clark war. Sein Gesicht war nass geschwitzt und seine Lippen trotz des Sauerstoffs, den er bekam, schwach bläulich. Ein stetiges Piepsen verriet, dass Clarks Herz schlug, schnell und regelmäßig. Lois hatte den Eindruck, dass das Piepsen langsam höher wurde und wusste nicht, ob sie das erleichtern oder beunruhigen sollte.
Sie wurde auf ihrem Sitz durchgerüttelt, während sich der Rettungswagen mit hoher Geschwindigkeit vom Daily Planet weg bewegte. Jemand sagte etwas zu ihr, doch Lois konnte die Worte nicht verstehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Fahrzeug zum stehen kam und die Türen aufgerissen wurden.
* * *
Das erste, was Clark sah, als er zu sich kam, war ein paar brauner Augen. Anfangs war es nur verschwommen, dann deutlicher. Clark blinzelte und sah dann ein Lächeln, das zunehmend klarer wurde.
„Lois.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, aber Lois musste es gehört haben, denn ihr Lächeln wurde breiter.
„Schön, dich wieder zu haben“, sagte Lois und beugte sich vor um einen Kuss auf seine Stirn zu hauchen. „Ich dachte schon fast, dass ich dich verloren hätte. Die Ärzte sagen, dass du Glück gehabt hast. Dein Kreislauf war im Keller, als sie begonnen haben, dich zu behandeln. Sie haben nicht ganz verstanden, wieso, denn soviel Blut hattest du wohl gar nicht verloren.“
„Wir sind also entkommen?“ fragte Clark und versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, bevor er das Bewusstsein verloren hatte. Sie waren gefallen und Clark hatte versucht zu mobilisieren, was er an Kräften noch besaß. Mit aller Macht hatte er an Lois gedacht - und daran zu fliegen.
„Superman muss uns gerettet haben“, antwortete Lois und ergriff Clarks Hand. „Obwohl ich ihn nirgendwo gesehen habe. Glaubst du, es geht ihm gut?“ Ihre Frage klang anders als sonst. Clark hörte nicht die übliche Bewunderung in ihrer Stimme, nur Dankbarkeit.
„Ich denke schon“, antwortete Clark. Er sah sich um und fand bestätigt, was er schon vermutet hatte. Er war in einem Krankenhaus. Nicht der Ort, an dem er unbedingt sein wollte.
„Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt. Ohne dich hätte auch Superman uns nicht mehr helfen können. Danke.“ Sie beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf Clarks Lippen, die plötzlich zu kribbeln begannen, als bedeutete diese Kuss den Anfang von etwas Besonderem.
„Lois, ich möchte hier weg.“ sagte Clark plötzlich. „Bitte, hilf mir. Ich kann nicht hier bleiben. Ich erkläre dir später, wieso.“
Lois runzelte die Stirn. „Nein, du erklärst es mir jetzt. Clark, was soll das? Du brauchst Ruhe, du bist verletzt und wärst beinahe gestorben. Du bist in einem Krankenhaus gut aufgehoben.“
Clark überlegte fieberhaft, wie er Lois beibringen sollte, worum es ging. Natürlich konnte er es sich einfach machen und behaupten, dass er eine Krankenhausphobie hatte. Lois hatte nicht erraten, wie Superman sie in Wahrheit gerettet hatte. Es gab keinen zwingenden Grund ihr sein Geheimnis zu verraten. Außer vielleicht den, dass er es plötzlich so sehr mit ihr teilen wollte, wie nie zuvor in seinem Leben. Lois hatte ihn gesehen, Clark, sie hatte ihm gedankt, ihn geküsst. Und er glaubte sich dunkel daran zu erinnern, dass sie ihm ihre Liebe gestanden hatte.
„Lois, ich kann nicht hier bleiben, weil... weil...“
Die Worte schienen ihn ersticken zu wollen, blieben in seinem Hals stecken, als wären sie zu lange ungesagt geblieben und wollten es dabei belassen. Clark wusste, dass dies kein einfaches Geständnis war. Lois würde es nicht so einfach hinnehmen. Er hatte sie belogen, über Monate.
* * *
Lois wartete darauf, dass er es sagte. Doch Clark stotterte weiter vor sich hin und schien nicht damit herausrücken zu wollen, warum er nicht im Krankenhaus bleiben wollte. Sie beobachtete seine Hilflosigkeit und sehr zu ihrer eigenen Überraschung stieg diesmal kein Ärger in ihr auf.
„ ...ich Superman bin.“ Er hatte es mehr gehaucht als gesagt. Seine Lippen zitterten, während er Lois ansah und ihr langsam aufging, was seine Worte bedeuteten.
Ihr Blick glitt über sein Gesicht, über seine Augen, die nicht, wie üblich hinter dicken Brillengläsern verborgen waren. Das leicht strubbelige Haar gehörte eindeutig zu Clark, aber Lois sah plötzlich auch Superman. Sie begriff nicht ganz, wie sie das vorher hatte übersehen können. Aber der verbundene Arm und die Blutergüsse auf seinem Körper passten so wenig zu Superman, dass ihr für einen Moment der Gedanke kam, dass zwischen den beiden vielleicht nur eine frappierende Ähnlichkeit bestand.
„Du... aber wie?“ brachte Lois nur hervor. In ihrem Kopf drehte sich alles.
<Komm schon, Clark. Es tut mir Leid, dass ich dich kritisiert habe. Ich weiß ja, dass du dich nicht allzu gerne auf Superman verlässt. Ich meine, ich kann mich nicht erinnern, dass du ihn jemals gerufen hättest, wenn wir in einer prekären Situation waren. Aber meinst du nicht, das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt?>
< Lois, Superman wäre dir jetzt genauso hilfreich, wie ich. Er ist zu keinem anderen Einsatz geflogen, als ich ihn getroffen habe. Jemand in der Bank hatte Kryptonit dabei.>
<Soll das heißen, es gibt diese Substanz tatsächlich?>
Wenn Superman seine Kräfte verloren hatte, erklärte das natürlich, warum Clark sie nicht schon viel früher aus der Hand der Gangster befreit hatte.
„Du hattest keine Kollision mit einem Radfahrer, nicht wahr?“ fragte Lois sachlich.
Clark schüttelte den Kopf. „Als ich aus der Bank kam, konnte ich nur mit Mühe fliegen. Ich hatte recht bald eine Bruchlandung. Es tut mir Leid, Lois. Ich wollte dich nie belügen, ich wollte nur ein normales Leben als Clark, auch nachdem du mich auf die Idee gebracht hattest, *Superman* zu werden.“ Das Wort Superman formte er lediglich mit den Lippen. Sie verstand es trotzdem.
Lange sah Lois ihn an. So sehr sie sich auch Mühe gab, sich enttäuscht und verärgert zu fühlen, es wollte nicht recht funktionieren. Clark hatte ein normales Leben gewollt. Wenn man bedachte, wie schwer sie ihm dieses Leben manchmal gemacht hatte, so konnte Lois doch durchaus verstehen, warum er sein Geheimnis bisher nicht mit ihr geteilt hatte.
„Ich habe dich auf diese Idee gebracht?“ fragte Lois erstaunt. Es war nur die erste Frage von vielen, die noch folgen würden. Es gab eine Menge, worüber sie sprechen mussten.
EndeStatistik: Verfasst von Vega — Do 7. Apr 2011, 18:11
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