Aus einiger Entfernung, leicht vom Wind getragen, schwebten einige Musikfetzen zu ihr. Aber diese wenigen Takte fand Lois schon so eindringlich, dass sie horchend ihren Kopf hob.
Feierabend und Heimweg waren nicht mehr wichtig. Von ganz allein suchten ihre Füße den Weg zur Quelle dieses Wohlklangs. Immer lauter wurden die Töne, magisch wurde sie von ihnen angezogen. Dann erkannte sie die gesamte Melodie. Es war ein argentinischer Tango.
Am Ende der Straße auf der anderen Seite sah sie einen Mann, der hingebungsvoll sein Akkordeon bediente. Oder war es ein Bandoneon? Der Unterschied war ihr im Moment ziemlich gleichgültig. Noch vor kurzem hätte sie sich als rationale Reporterin mehr um das Instrument gekümmert, aber jetzt lauschte sie nur dieser herzzerreißenden Weise. Die Sehnsucht der ganzen Welt schwang in ihr.
Gewaltige Töne entlockte der Virtuose seinem Instrument! Viele Adjektive hätte Lois ihnen geben können: sanft, dann wieder scharf, geheimnisvoll, schwermütig, leidenschaftlich, sinnlich.
Die Melodie drückte genau das aus, was sie seit dem Moment empfand, als dieser faszinierende Fremdling sie auf seine Arme genommen und zum ‚Planet‘ geflogen hatte. Vorhin hatte sie ihm noch in Gedanken einen Liebesbrief geschrieben und war entsetzt über sich selbst gewesen. Sie hatte wirklich versucht sich abzulenken, nicht mehr an ihn zu denken …doch dann diese Musik!
Im Geist sah sie ein Paar im Tangoschritt, das sich umschmeichelte, voneinander losriss, um doch wieder auf eine mehr als erotische Weise zueinander zu finden. Ein getanzter Liebesakt.
Grausam, die letzten Akkorde verhallten. Der Spieler schob sein Instrument zusammen, hing es sich um, verschwand in der Menschenmenge.
Lois aber spürte in sich die Melodie weiterklingen.
Daheim empfingen sie ihre stillen Räume. Wieder einmal musste Schokoladeneis als Seelentrost herhalten.
Ach, wenn doch plötzlich die wehenden Gardinen Supermans Ankunft signalisieren würden. Er müsste herein schweben und fragen: „Lois, möchtest du einen Tango tanzen?“
