Diese Story hätte eigentlich mein Glückskeks-Haiku 2012 sein sollen. Durch bedauerliche Umstände konnte ich sie seinerzeit nicht posten. So ist sie jetzt mein Beitrag zum „Third Birthday“ dieses tollen Forums geworden!
Disclaimer: Wieder einmal benutze ich schamlos Gestalten und Szenarien, die sich andere ausgedacht haben. Aber ich schwöre, ich erziele keinen Profit aus meiner Geschichte!
Glücklich ist, wer vergisst…
The dawn of New Year's Day;
Yesterday,
How far off!
Wie Luftblasen langsam an die Wasseroberfläche perlen, so tauchte auch ihr Bewusstsein zögernd aus einem tiefen Schlaf auf. Welch ein schauerlicher Morgen! Ihr Schädel brummte, als ob sie einen Eimer Eierpunsch getrunken hätte. Und noch schlimmer als die vielen kleinen Hämmerchen in ihrem Kopf war diese Beklemmung auf dem Herzen. Was hatte sie bloß angestellt?
„Tag, geh wieder weg!“ Nein, sie wollte nicht wach werden, sich nicht der Realität stellen! Bloß nicht ergründen, weshalb ihr dieser Riesenberg von schlechtem Gewissen und Unbehagen auf der Seele lag. Außerhalb des Bettes lauerte ein Ungeheuer. Das spürte sie sofort. Und sie wollte sich nicht mit diesem Schreckgespenst befassen.
Aber der Tag dachte gar nicht daran, auf ihre jammervolle Stimme zu hören und sich zu verziehen. Immer mehr holten sie der Druck der Helligkeit auf ihren fest zugedrückten Lidern und der Straßenlärm in das Hier und Jetzt zurück.
Vorsichtig öffnete sie die Augen …und die erste Schockwelle raste durch ihren Körper: Das war nicht ihre Wohnung! Hilfe, wenn nicht ihre, wessen dann?
„Oh, mein Kopf!“ Die Hände gegen diesen gepresst, erhob sie sich langsam und vorsichtig. Sofort tanzte das Zimmer einen infernalischen Reigen. Zum Glück nur einen Moment, dann stand alles wieder still.
Wo war sie nur? Diesen Raum kannte sie! Ein Name mit dem dazugehörigen Gesicht tauchte in ihrem gemarterten Schädel auf, doch sie weigerte sich, ihn zu denken. Bloß nicht!
Das war auch überflüssig, denn die ganze Person, die zu dem Namen gehörte, stand urplötzlich vor ihr.
Leidenschaftlich strömte ein Wortschwall aus Clarks Mund: „Lois! Ich halte es nicht mehr aus!“ Er riss sie heftig in seine Arme: „Wenn du mich wirklich willst, gehöre ich dir!“
Was war denn das? Was war denn mit ihrem Partner los? Vehement stieß sie ihn zurück: „Clark, hast du den Verstand verloren?“ Doch der Blick an sich hinunter ließ sie an dem ihren zweifeln. Ein Minimum an Gold und zartem Hellblau konnte ihre Nacktheit nur knapp verhüllen. „Oh, mein Gott! Oder habe ich meinen verloren?“ So machte man normalerweise keinen Besuch bei einem Kollegen!! Der Schreck haute ihr die Beine weg. Vollkommen fassungslos ließ sie sich auf die Couch fallen. Scham und Schuldgefühle überwältigten sie.
Erst ein Luftzug riss sie aus ihrer Niedergeschlagenheit und ließ sie aufblicken. Seine hilfreiche Hand reichte ihr ihren Trenchcoat. So schnell hatte sie ihn noch nie angezogen. Wenigstens erst mal diese Blöße bedecken. „Clark, sag mir um Himmelswillen, was ist passiert? Mein Kopf! Ich erinnere mich an nichts!“ Sie musste mit seiner Hilfe der scheußlichen Wahrheit ins Gesicht sehen, so schwer es auch war!
Dem schutzgebenden Kleidungsstück folgte erst einmal ein gefüllter Kaffeetopf. Der Duft versprach Normalität. Aber dann…, als Clark ihr sehr vorsichtig in kleinen Häppchen alle pikanten Details des vergangenen Tages beibrachte, wäre sie am liebsten im Boden versunken. Kein Wunder, dass sich ihr Unterbewusstsein geweigert hatte, die Erinnerungen ans helle Tageslicht zu lassen.
Kaum wagte sie, ihren Partner anzublicken, suchte Halt und Schutz an der Kaffeetasse. Der warme Inhalt rann wohltuend durch die Kehle, konnte aber ihr Entsetzen über diese Peinlichkeiten nicht hinweg spülen.
Voller Scham sah sie ihn von der Seite an: „Hab ich wirklich den Tanz der sieben Schleier getanzt?“
Was drückte dieser Gesichtsausdruck mit dem schräg geneigten Kopf aus? Die hochgezogenen Brauen, das Kräuseln um seine Augen herum, das Zucken in den Mundwinkeln? Offensichtlich bemühte er sich sehr, bei seiner Bestätigung gleichmütig zu schauen: „Hm, hm! Alle sieben!“
„Oh nein!“ Könnte sie sich doch in Luft auflösen oder in einem Mauseloch verschwinden! Und ja nicht mehr dieses Gesicht vor Augen haben, das sich krampfhaft bemühte, seine Erheiterung zu verbergen!
In ihre Verlegenheit hinein begann Clark zu reden. Wie Münzen aus einem Spielautomaten purzelten die Worte aus ihm heraus. Er hatte bereits einige Recherchen unternommen um eine Erklärung für die Geschehnisse zu finden. Aber noch nicht einmal seine Vermutung, was das Ganze ausgelöst haben könnte, gab ihr eine Rechtfertigung für ihr desaströses Benehmen.
Nebelverhangen in weiter Ferne hörte sie seine flehentliche Stimme: „Lass uns vergessen, was passiert ist. Wir müssen diese …diese Miranda finden! Wir müssen herausfinden, was in dem Zeug drin ist und wie und warum sie es einsetzt!“
Erst die nächsten intensiven Bitten drangen durch den Panzer ihrer Demütigung: „Jetzt komm schon! Ich brauche dich! Ich brauche meinen Partner wieder!“
Vielleicht hatte er ja wirklich recht, vielleicht war wirklich nur so ein chemisches Teufelszeug schuld an diesem Desaster!
Sie konnte aber immer noch nicht ihr Unbehagen aus der Stimme verbannen: „OK! Ich geh heim, dusch mich und zieh mich an. In einer Stunde bin ich wieder da.“
Spiegelte sich da vielleicht etwas Belustigung und sogar Bedauern in seinen Augen? Kein Gold und durchsichtiges Zartblau auf nackter Haut mehr? Dem musste sie forsch entgegentreten, auch wenn ihr gar nicht so zu Mute war: „Und wag es ja nicht, mich warten zu lassen!“ Den Triumph des letzten Wortes hatte sie jetzt bitter nötig!
Oder erlaubte er sich doch noch ein Murmeln hinter ihrem Rücken?
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Dampf hüllte sie ein. Tropfen liefen wie Laufmaschen an den beschlagenen Wänden der Dusche hinunter. Das Wasser malträtierte mit kleinen Nadelspitzen ihren Körper. Aber gerade das tat gut und löste allmählich etwas Wohlbehagen aus. Langsam kehrten ihre Lebensgeister wieder zurück.
Ihr Verstand fing endlich an zu arbeiten. Der Druck im Kopf hatte sich verflüchtigt. Dadurch hatte die Erinnerung leider viel, viel Platz. Ja, alles stimmte, was Clark ihr vorhin erzählt hatte.
Sie hatte sich in einer verführerischen Pose auf seinen Schreibtisch gesetzt. Ausgerechnet bei Clark, den sie eigentlich mehr als ihren Untergebenen betrachtete. Sie hatte sich ihm tatsächlich an den Hals geworfen. Sich ihm wie auf einem Silbertablett angeboten. Mit einem fordernden Griff an seine Krawatte hatte sie ihn an sich gezogen: „Komm zu Mama!“
Jetzt sah sie noch die Rosenblätter in der Redaktion flatternd fallen, als sie ihm jauchzend entgegengelaufen war und sich in seine Arme gestürzt hatte.
Und Entsetzen, sie hatte ihn nach Feierabend in seiner Wohnung überfallen und ihm den Tanz der sieben Schleier vorgeführt. Nein, tausendmal nein! Vor Beschämung lief ihr eine Gänsehaut nach der anderen über ihren Rücken. Auch das immer noch auf sie herab strömende Wasser konnte das Schuldgefühl nicht beseitigen. Wie hatte sie sich bloß so erniedrigen können? War wirklich dieses Zeug schuld, wie Clark meinte? Oder wollte er sie nur trösten? Am liebsten würde sie jeden Gedanken an ihr unmögliches Benehmen weit fort jagen. Aber sie musste sich mit dem Geschehenen auseinandersetzen. Nur mit dieser Selbsthilfe-Therapie konnte sie das Trauma überwinden.
Und doch …, bestürzt musste sie feststellen, dass tief verschüttet unter all der Scham wie ein fieser kleiner Wurm die Frage an ihr nagte: „Warum hat er all meinen Verführungsversuchen so felsenfest widerstanden? Findet er mich alles andere als begehrenswert?“
Kam die ins Gesicht aufsteigende Röte nur von dem warmen Wasser? „Schäm dich, Lois!“ Diesen Aspekt musste sie ganz schnell in die Wüste schicken.
Während sie versuchte, mit viel Schaum ihr Äußeres und stellvertretend damit auch ihr Inneres zu reinigen, wollte sie lieber daran denken, was Clark noch so herausgefunden hatte. Liebestoll wäre auch das gesamte Team gewesen. Perry hatte der Redaktions-Putzfrau vor deren Wohnungstür ein Elvis-Ständchen gebracht. Dafür von deren Ehemann ein blaues Auge eingeheimst. Jimmy hatte ein Model gestalkt und wäre fast vor einen Laster gelaufen, wenn Superman ihn nicht in letzter Sekunde gerettet hätte.
An diesem Punkt ließ ein gewaltiger Schreck sie zusammenzucken. Himmel, Superman! An den Helden hatte sie ja noch gar nicht gedacht. Ob er schon von ihrer Schande wusste? Er war ein guter Freund von Clark, besuchte ihn oft, um ihn von seinen Aktionen zu unterrichten. Hatte er sie vielleicht auch in diesem Nichts von Outfit gesehen? Vor ihrer Schlafstatt gestanden und sie betrachtet? Nachgefragt, aus welchem Grund sie weniger als halbnackt nachts auf Clarks Bett lag? Oh nein, ihr blieb doch kein Gang durchs Feuer erspart!
Wie auch immer, sie musste dadurch! Sie musste den Tatsachen, mochten sie auch noch für sie so erschreckend und blamabel sein, in die Augen sehen.
Nach einem gefühlten Wasserfall von der Größe des Iguazú war sie endlich bereit für den Tag und die Recherchen. Mutig schlüpfte sie in ihre Kleidung. Vielleicht war sie ja doch nicht so ganz schuldig!
Ein leichter Wind wehte ihr entgegen, als sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Die Gardinen bewegten sich sacht. So, als ob gerade Superman hier gelandet oder wieder abgeflogen wäre. Ihr suchender Blick glitt durch den ganzen Raum.
Vergebens! Die Heldengestalt in Blau-Rot war nirgends zu entdecken. Statt seiner erblickte sie auf ihrem Tisch eine Blumen-Komposition. Anders konnte sie dieses Arrangement nicht bezeichnen. Zweige des Spierstrauches, über und über besetzt mit seinen weißen Sternblüten, rankten sich aus einer hochstieligen Schale. Vollendet wurde das Kunstwerk durch fünf Rosen, rot wie Blut, die in ihrer Anordnung zwei Linien ‚Himmel‘ und ‚Erde‘ des Ikebana entsprachen. Welch eine Augenweide! Vorsichtig strich sie mit einem Finger über ein samtiges Blütenblatt und sog tief den Duft dieser Schönheiten mit einem lang gezogenen: „Aaah!“ in sich hinein.
Ein Kärtchen hielt vor dem Gefäß durch den Luftzug so eben Balance. Worte eines kleinen Gedichtes konnte sie entziffern:
„Am Neujahrstage
Das Gestern so entfernt schon
Im Morgengrauen.“
Dankbar nahm sie den Sinn dieses Haikus in sich auf. Es war heute zwar alles andere als Neujahr, aber sie wünschte sich sehr, dass die Erinnerung an den gestrigen Tag mit all seinen Geschehnissen wie Morgennebel im Licht der Sonne auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Bei sich und bei allen anderen!
Beim nochmaligen Betrachten des Textes entdeckte sie in einer Ecke des Kärtchens das charakteristische „C“. Also hatte Superman für seinen Freund ganz diskret den Blumengruß gebracht.
Ein Lächeln des Verstehens huschte über ihr Gesicht. Nein, ihre Anziehungskraft stand nicht zur Debatte. Der Spender dieser Aufbauhilfe war zweifelsfrei die Personifikation eines vollkommenen Gentlemans. Nie hätte er solch eine Situation ausgenutzt, wie sie gestern gegeben war!
…Aber trotzdem! Sie hätte wirklich zu gerne gewusst, nur so zu ihrer eigenen Bestätigung, wie schwer ihm das Widerstehen gefallen war.
E N D E