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„Lois, denk nach!“

FanFiction zur TV-Serie "Superman - die Abenteuer von Lois und Clark" (orig. "Lois and Clark - the New Adventures of Superman")

„Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Fr 17. Mai 2013, 19:53

Wer meinen Mehrteiler ‚Tod und Teufel‘ aufmerksam gelesen hat, ist vielleicht über einen kleinen Satz gestolpert.

In dem Crossover ist Clark von Tempus‘ Kryptonit außer Gefecht gesetzt und er zählt gedanklich auf, was der Mann aus der Zukunft, der Utopia erst gar nicht entstehen lassen will, ihm und Lois schon alles angetan hat.

Vier von den aufgezählten Schandtaten, die Tempus begangen hat, sind durch die Serie belegt. Aber die Schandtat Nummer fünf ist meiner Fantasie als nachfolgende Story vor gut zwei Jahren entsprungen. Eine Zeitlang habe ich geglaubt, dass ich sie nie posten würde. Doch jetzt wage ich es einfach! Denn sie beinhaltet eine Begegnung, die mir einfach am Herzen lag, die ich unbedingt herbeiführen musste und hiermit den interessierten Lesern vorstelle.

Magss danke ich herzlich für drei hervorragende Tipps, die sie mir damals gegeben hat und die ich natürlich berücksichtigt habe.

Disclaimer: Das Recht an den nachfolgenden Figuren haben leider andere. Ihr wisst schon: DC Comics, Warner Bros., Jerry Siegel, Joe Shuster u.a. Ich habe sie mir nur mal kurz ausgeliehen. Und natürlich verdiene ich auch keinen einzigen Cent mit dieser Geschichte!



„Lois, denk nach!“


“What a difference a day make” 1/11

Müüüde, ich bin ja so müde! Gefühlte fünfhundert Kilometer muss ich heute gelaufen sein. Und das in ‚High Heels‘! Aber jetzt! Endlich! Mein Bett! Ganz bequem ausstrecken. Welch eine Wohltat nach diesem anstrengenden Arbeitstag! Noch mit dem wohligen Gefühl von Clarks Gute-Nacht-Kuss auf den Lippen wäre ich sicherlich drei Sekunden später fest eingeschlafen. Aber am Rande meines Schlafabgrundes bemerke ich die Bewegung neben mir. Sein Arm löst sich von meinem Körper. Das gefällt mir gar nicht!

Schlaftrunken flüstere ich: „Clark, was i-ist?“ Im Dunklen taste ich nach ihm, versuche, die warme Haut meines Ehemannes zu finden und zu berühren. Doch mein Griff geht ins Leere, er ist bereits aufgestanden: „Ein Hilferuf von einer weiblichen Stimme, Schatz. Schlaf weiter, ich bin bald wieder da!“ Wie einen Hauch spüre ich noch seine Lippen auf der Stirn, dann den Luftwirbel seiner Rotation und schon ist er mit diesem mir nur zu bekannten ‚Wwusch‘ durch das weit geöffnete Fenster verschwunden. Die Mainächte sind bereits mild und erlauben diesen Luxus.

Wie spät ist es eigentlich? Mühsam blinzelnd versuche ich die Uhrzeit zu erkennen. Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Bloß gut, dass Clark nicht so viel Schlaf benötigt.

Unsere Recherchen über Einbrüche in zwei Juweliergeschäfte in Midtown haben uns ganz schön in Atem und in Bewegung gehalten. Morgen früh wollen wir unsere Ermittlungsergebnisse gemeinsam sorgfältigst durchsehen. Ich weiß genau, irgendetwas war dabei, das mich hat stutzig werden lassen. Aber jetzt will ich erst schlafen, …schlafen, …schl….

Doch erholsame Nachtruhe ist etwas anderes. Wirre Träume verfolgen mich. Einige Male werde ich vor Unruhe wach. Und bei jedem Mal muss ich feststellen, dass Clark nicht neben mir liegt. Was mich noch unruhiger werden lässt.

Eine Frauenstimme holt mich mit den letzten Versen eines Songs aus meinem zerrissenen Schlaf. Aus dem Radiowecker klingt es in den Raum:

“What a difference a day makes
and the difference is you, is you, is you!”

Und das spüre ich sofort beim Erwachen mit Bedauern, denn der Platz an meiner Seite ist leer. Noch immer oder schon wieder? Das mag ich ganz und gar nicht. Ohne Clarks morgendliche Begrüßung fehlt mir der rechte Schwung zum Aufstehen. Ich bin an seine Umarmung und zärtlichen Guten-Morgen-Kuss gewöhnt. Ohne dies ist das schon von vornherein kein guter Start für den neuen Tag!

Der von einem launigen Moderator im Radio begrüßt wird: „Hallo, Metropolis! Heute ist Freitag, der sechzehnte Mai 1997! Gut…“ Soviel Munterkeit kann ich jetzt nicht ertragen. Kurzerhand würge ich die auf mich gekünstelt fröhlich wirkende Stimme ab.

Vielleicht bereitet mein Mann schon das Frühstück! „Cla-ark?“ Mein Ruf vom Flur ins Haus hinein verhallt ohne Antwort. Kein Kaffeeduft oder der köstliche Geruch nach gebratenem Speck zieht von der Küche hier herauf ins Obergeschoss.

Vielleicht ist sofort nach dem Hilferuf heute Nacht noch irgendwo anders auf dem Globus seine Hilfe notwendig geworden. Das wäre gewiss nicht das erste Mal, dass ein Rettungseinsatz nach dem anderen erfolgen muss. In den vergangenen wenigen Monaten unserer Ehe war er dadurch manchmal stundenlang unterwegs gewesen. Das Alleinsein und das Auf-ihn-warten sind für mich die Dornen an den Rosen meines Eheglücks. Die ich stillschweigend in Kauf nehme. Denn mir war damals durchaus bewusst, wem ich mein Eheversprechen gab. Und normalerweise weiß ich, wo und für welche Notfälle er gerade in der Welt seine Kräfte einsetzt. Aber heute…?

Auch im Bad gibt es keinen Hinweis auf sein Zugegensein. Die Dusche ist trocken, nach dem vertrauten Duft seines Gels schnuppere ich vergeblich. Mir bleibt im Moment nur übrig, mich seufzend meiner Morgentoilette zu widmen und nicht weiter über seine Abwesenheit nachzudenken. Automatisch erledige ich die gewohnten Reinigungsrituale und ziehe mich für den Tag an. Ein Hosenanzug mit einer weißen Bluse ist bestimmt das Passende für diesen Freitag im Mai.

Doch allmählich und trotz aller Routine kriecht wie langsam steigendes Wasser Unbehagen in mir hoch. Das stille Haus ohne die Geräusche meines Mannes belastet mein Nervenkostüm diesmal mehr als gewöhnlich. Mein Unterbewusstsein fängt an, unruhig zu werden und Fragen zu stellen. Wo kann er nur sein und welche Tätigkeit nimmt ihn so in Anspruch, dass er mich nicht informieren kann? Das hat nichts mehr mit Normalität zu tun!

Bedrückt gehe ich hinunter in das Erdgeschoss. Auch hier sieht es genauso aus wie am gestrigen Abend, bietet mir also auch keine Aufklärung für Clarks Nichtpräsenz.

Eventuell gibt es Antworten auf einem der Fernsehsender. Doch soviel ich auch von einem Kanal zum anderen zappe, in keinem der vielen TV-Kanäle ist etwas von einer Superman-Aktivität zu sehen oder wenigstens zu hören. Filme und Daily Soaps, Kochrezepte, Tele-Gym, Einkaufstipps und auch verschiedene Nachrichten bekomme ich auf den Monitor. Doch leider kein Fetzchen seines Capes. Geschweige ihn selbst!

Noch nicht einmal auf ‚Metropolis News Network‘, dem Lokalsender, der nur zu gerne über den Helden und seine Aktionen berichtet. Von keinem nächtlichen Superman-Einsatz wird mitgeteilt.

Gegen die stetig wachsende Unruhe kann ich mich nicht mehr wehren. Sie hat mich vollkommen im Griff. Voller Beklemmung zwinge ich mich dazu, Kaffee zu kochen und einen Toast zu rösten. Aber ohne Clark und mit dem Unwissen über den Grund seiner Abwesenheit schmeckt mir das Frühstück überhaupt nicht. Nur einen kleinen Bissen Toast bekomme ich hinunter. Er nimmt an Volumen stetig zu und wird immer trockener in meinem Mund. Als würde ich Styropor essen. Vor innerer Unrast trinke ich auch nur eine halbe Tasse Kaffee. Der Berg der Besorgnis in mir wächst kontinuierlich, mit keinem an den Haaren herbeigezogenen Argument kann ich mich selbst beruhigen.

„Lois, denk nach“, klingt es in mir. Wenn kein Rettungseinsatz der Grund ist, welche Möglichkeiten kann es dann noch für seine Abwesenheit geben? Seine Eltern! Bei ihnen könnte ich anrufen. Vielleicht ist einer von ihnen plötzlich krank geworden. Vielleicht hat Clark in der Nacht noch einen Anruf von ihnen bekommen. Vielleicht! Eine kleine Hoffnung!

Aber hätte er mir in diesem Fall nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen oder schon angerufen? Der Anrufbeantworter gibt keine Blinkzeichen von sich. Der stetig leuchtende rote Punkt an dem Gerät strahlt etwas Bedrohliches aus, wie das glühende Auge eines Raubtieres.

Ohne große Erwartung drücke ich die Kurzwahl. Das Freizeichen ertönt, es wird abgenommen. Marthas Stimme ist etwas atemlos, sie muss wohl mehr gelaufen als gegangen sein: „Hallo?!“

„Martha, hallo, ich bin es, Lois. Geht es Euch beiden gut?“ Ich versuche meine Stimme nicht zu schrill und aufgeregt klingen zu lassen: „…Bitte, ist es möglich, dass Clark bei Euch ist?“

Meine Schwiegermutter am anderen Ende der Leitung atmet ganz tief ein. Dann ertönt ihre Stimme, langsam und besänftigend: „Danke, Lois! Bei uns ist alles in Ordnung. Aber ganz ruhig, Kind. Seit wann vermisst du ihn?“

Obwohl ich mir keine Hoffnung gemacht habe, tut die Enttäuschung weh. Der Kloß in meinem Hals wird immer dicker: „Martha, es tut mir leid. Ich habe plötzlich eine so schreckliche Angst um ihn. Kurz vor Mitternacht ist er auf den Hilferuf einer Frau los geflogen. Seit dem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Auf keinem Kanal ist etwas von Supermans eventueller Tätigkeit gezeigt oder gesagt worden. Martha, ich fühle mich so… so hilflos wie noch nie! Wo kann er nur sein? Moment…, da kommt gerade auf MNN ein Bericht über einen Schiffsbrand auf dem Hob`s River. Vielleicht taucht er da auf!“

Mit dem Hörer in der Hand und Martha am anderen Ende in Smallville starre ich wie gebannt auf den Bildschirm. Mir ist klar, dass Martha auch sofort diesen Sender einstellen wird. Und mit Sicherheit weiß ich, dass Superman, wenn er denn dazu in der Lage sein sollte, bei dieser Katastrophe zu Hilfe eilen wird.

Auf dem Monitor ist das Schiff zu sehen, aus dem Flammen hochsteigen. Ein Feuerwehrboot nähert sich im Eiltempo der Unglücksstelle. Seine hochschießende Wasserfontäne muss jeden Moment den brennenden Kahn erreichen. Zwei Schiffe der Wasserschutzpolizei sind schon vor Ort. Auch zwei Hubschreiber umkreisen wie zornige Hornissen die Unglücksstelle, allerdings bewegen sich alle in gebührender Entfernung von dem Havaristen.

Denn eine Explosion der Tanks wird befürchtet. Sekündlich kann die Detonation erfolgen, wie die Reporterin vor Ort mitteilt. Mit einer gar nicht sachlichen Stimme berichtet sie, dass in den unteren Räumen noch zwei Menschen vermutet werden. Ihre Kajüten sind wohl vom Feuer eingekreist. Die übrige Besatzung hat sich mit Sprüngen über Bord in Sicherheit bringen können und sind von den Polizeibooten aufgenommen worden.

Immer wieder schaut die Sprecherin während ihres Berichtes suchend zum Himmel, bis sie sich nicht mehr beherrschen kann und ausruft: „Superman, wo bist du? Du bist der Einzige, der diese Menschen noch retten kann!“ Ein Schwenk der Kamera zeigt den blauen Himmel, an dem absolut keine blau-rot gewandete Gestalt auftauchen will.

„Bitte komm doch, Clark, bitte!“, flehe ich inbrünstig. Süßlichen Blutgeschmack habe ich plötzlich im Mund. Vor lauter Aufregung habe ich mir wohl auf die Lippe gebissen.

Superman erscheint nicht. Dafür explodiert mit einem ohrenbetäubenden Knall und einem Feuerwerk das Schiff. Wie ein Konfettiregen fallen in Qualm und Dampf Bruchstücke ins Wasser zurück. Die Schreie der Zuschauenden erklingen wie ein einziger.

Mir gellt mein eigener Entsetzensschrei in den Ohren. Jetzt ist mir sonnenklar, dass Clark etwas geschehen sein muss! Normalerweise hätte ihn nichts davon abhalten können, diese Menschenleben zu retten! Für seinen eisigen Atem wäre es ein Leichtes gewesen, das Feuer einzudämmen und zu löschen.

In weiter Ferne erklingt eine Stimme. Martha ruft immer wieder laut meinen Namen: „Lois, Lois, Lois!“

Nur mit einer seltsam gepressten Stimme kann ich mich melden: „Ja, Martha?“ In der aus dem Hörer hallenden Stimme schwingen mühsam zurückgehaltene Tränen: „Lois, wir kommen! Bis später!“

Ich nicke nur, obwohl ich genau weiß, dass Martha das gewiss nicht sehen kann. Sprechen kann ich im Moment nicht mehr. Wie in Trance lege ich den Hörer zurück.

Langsam dringen Worte eines TV-Kommentators an mein Ohr und in mein Bewusstsein: „Warum ist Superman nicht erschienen? Nach unseren Erkenntnissen gibt es auf der Welt kein Ereignis, in das er zurzeit involviert wäre. Das lässt uns die große Frage stellen: Superman, wo bist du? Was ist los mit dir?“ Ein halb bestürztes und halb empörtes Gesicht schaut mir vom Bildschirm entgegen. Kurzentschlossen drücke ich den Ton weg. Das Bild will ich halten, vielleicht…!

Der Schock sitzt tief in mir! Aber irgendwie muss ich jetzt ein wenig Normalität einkehren lassen. Am besten sollte ich zum Daily Planet fahren, mich einfach mit unserer Arbeit beschäftigen. Doch so sehr ich mich auch bemühe, mir fällt noch nicht einmal mehr ein, woran Clark und ich gestern recherchiert haben. Nein, ich bin mir sicher, ein fruchtbares Arbeiten ist unter diesen Umständen, unter dieser seelischen Belastung, nicht möglich. Meine Gedanken würden sich doch immer nur auf dieses Problem konzentrieren.

Aber Perry muss informiert werden, warum das heißeste Team der Stadt nicht in der Redaktion erscheinen kann.
Doch was sage ich ihm? Welche Begründung kann ich für unser Fernbleiben anbringen? Die Wahrheit? Dass Clark verschwunden wäre? Wieder einmal gleichzeitig mit Superman? Nein, das geht doch wirklich nicht. Eine Lüge muss herhalten.

Der Druck auf die Kurzwahltaste zaubert mir in kurzer Zeit die Stimme von Perry White herbei. Seine Meldung, das knappe und brummige: „Ja?“, gibt mir eigenartigerweise etwas Kraft: „Chief, Lois hier! Ich hab eine schlechte Nachricht.“

Sofort unterbricht er mich energisch. Sein besorgtes Gesicht mit den großen Augen kann ich mir genau vorstellen: „Lois, was ist mit Superman los? Warum hat er nicht bei dem Schiffsbrand geholfen? Wissen Sie und Clark etwas Genaueres?“ Wie eine spannungsgeladene Melodie werden diese Worte vom Trommeln seiner Finger auf der Schreibtischplatte untermalt.

Tief einatmen! Einen schweren Seufzer kann ich nur soeben vermeiden: „Chief, ich weiß gar nichts. Und Clark…, Clark ist krank. Er hat starke Magen-Darm-Probleme. Es geht ihm gar nicht gut. Darum möchte ich heute bei ihm bleiben. Mein Dad will gleich vorbei kommen. Das Wochenende hätten wir ja sowieso frei. Am Montag geht es ihm sicher wieder besser.“ …Oh, Perry, verzeih mir bitte diese Unwahrheit!

Wie gut kann ich nachfühlen, wie es Clark in den zwei Jahren zu Mute gewesen sein muss. Bis ich selbst Supermans Identität entdeckt habe. Immer wieder musste er Ausreden erfinden, die im Grunde genommen dicke Lügen waren. Aufpassen, dass er sich nicht versprach. Alles gut durchdenken, dass er keinen Fehler machte und keine Angriffsfläche bot. Sozusagen ein Tanz auf Messers Schneide!

Unser Chefredakteur unterbricht meinen Gedankengang: „Und…, was könnte mit Superman sein?“ Hilfesuchend blicke ich auf die gegenüberliegende Wand, als ob die Gründe dort abzulesen wären: „Chief, ich habe auch im TV die Schiffsexplosion gesehen. Es muss etwas mit ihm geschehen sein, sonst wäre er dort ganz bestimmt erschienen!“
Und niemand kann das so gut beurteilen wie ich!

Obwohl ich Perry White nicht sehen kann, weiß ich genau, dass er jetzt nickt: „Lois, das meine ich auch! Haben Sie eine Idee? Sie beide kennen ihn doch am besten. Könnte ich etwas tun?“ Die ganze Situation muss ihn hart getroffen haben. Während des ganzen Gespräches hat er nicht ein einziges Mal Elvis erwähnt!

Ideen, wo seid ihr? Was würde ich dafür geben, wenn mir etwas einfallen würde: „Chief, ich arbeite daran. Als erstes könnten Sie vielleicht in der Abendausgabe eine Suchaktion starten. Das Schiffsunglück ist ja ein aktueller Aufhänger. Wer hat in der letzten Nacht irgendwas von Superman gesehen? Vielleicht gibt es Zeugen für eine von seinen Aktionen. Und sonst? Ich….“

Die ganze Zeit rumort etwas in meinem Unterbewusstsein, jetzt kristallisiert sich ein Gesicht heraus und taucht vor meinem inneren Auge auf: „…Ach, Chief, gerade kommt mir etwas in den Sinn. Ich muss nachdenken, in Ruhe überlegen! Wenn mein Dad da ist und sich um Clark kümmert, könnte ich einen Besuch im Gefängnis in der Abteilung für psychiatrische Schwerverbrecher machen. Das wäre eine Möglichkeit! Chief, wenn ich meine Idee durchdacht habe und klarer sehe, werde ich Ihnen die Zusammenhänge erklären. Ich melde mich gleich noch einmal wieder!“ Perrys Antwort höre ich schon nicht mehr. Ich habe den Hörer aufgelegt.

Wie ein gefangenes Wildtier laufe ich im Wohnzimmer hin und her. Meine Gedanken überstürzen sich.

Ein Bild ist in mir hochgestiegen. Das Bild des Mannes, der Superman so hasst, wie kein anderer auf der Welt: Tempus, der Reisende aus der Zukunft. Durch Supermans Tod will er die Entstehung Utopias verhindern. Utopia, die zukünftige Welt voller Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit. Ein Menschheitstraum, der durch Superman verwirklicht werden soll. Der aber der Mentalität dieses Tempus‘ vollkommen entgegengesetzt ist.

Es ist erst drei Monate her, da hatte er die amerikanische Bevölkerung mental so manipuliert, dass sie ihn, obwohl er vollkommen unbekannt war, zum Präsidenten wählte. Endlich sollte ihm das gegeben werden, was er so sehr ersehnte: Macht! Er hatte nicht die geringsten Skrupel, für dieses Ziel Menschen zu morden.

Superman, den Einzigen, der ihm hätte gefährlich werden können, hatte er überlistet und ihn durch ein explodierendes Zeitfenster in einen Zeitstrudel ohne Vergangenheit und Zukunft verbannt. Das Kontinuum löste sich langsam in Nichts auf. Mein Ehemann schien unrettbar verloren.

Zum Glück kam Herbert George Wells der Menschheit und uns zu Hilfe. Er hatte aus einem Parallel-Universum Clarks alternative Existenz mitgebracht. Diesem Superman gelang es schnell, Tempus das Handwerk zu legen und Wells schaffte es, meinen Clark zu retten.

Seit damals sitzt Tempus auf der Gefängnisinsel in einem Hochsicherheitstrakt für kriminelle Psychopathen ein.

Außer ihm gibt es meines Wissens keinen anderen Außenstehenden, der Clarks Doppelidentität kennt. Und dieser Teufel weiß auch, welcher Stoff Superman gefährlich werden kann: Kryptonit!

Mein Herz klopft zum Zerspringen. Ja, das muss des Rätsels Lösung sein. Irgendwie ist Tempus die Flucht gelungen und will gleich wieder Superman vernichten. Wahrscheinlich hat er drei Monate an diesem Plan gearbeitet!

Mit dem Ergebnis meiner Überlegungen bin ich für den Augenblick zufrieden. Als Erstes muss ich mich unbedingt vergewissern, ob diese Theorie Hand und Fuß hat. Ein Besuch auf Stryker`s Island ist angesagt. Perry muss jetzt alle seine Beziehungen spielen lassen, um mir eine Besuchserlaubnis zu beschaffen! Was ihm sicher nicht schwer fallen dürfte!

Schon spüre ich den Hörer kühl aber trotzdem brennend heiß in der Hand. „Chief, soweit ich weiß, kennen Sie doch den Direktor von Stryker's Island…!“

~*~*~*~*~

Und ‚Stryker's Island‘ heißt auch das zweite Kapitel

:superman:
"How to double a good library? Read the books (stories) twice!"
(Charles Tschopp)

"Now is the best time!" (Paul Claudel)
Gelis

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Di 21. Mai 2013, 20:16

Stryker's Island 2/11

Meine Ungeduld ist kaum zu überbieten. Denn die Zeit schleicht so langsam dahin, als ob sie Kaugummi unter den Füßen hätte. Und da ist Schleichen noch moderat ausgedrückt.

Diese Warterei ist für mich eine Tortur. Darauf warten, ob mein Chef etwas erreichen kann. In dem zweiten Telefonat mit ihm habe ich ihm die Situation damals vor drei Monaten mit der verunglückten Präsidentenwahl vor Augen geführt. Er kann sich noch gut daran erinnern. Allen Metropoliser Bürgern war es hinterher ein Rätsel, wie sie sich so von diesem kriminellen Tempus hatten lenken lassen.

„Chief, ich habe so ein Gefühl, als ob er mit Supermans Verschwinden etwas zu tun haben könnte. Er ist so unglaublich raffiniert. Ich muss unbedingt hin, um zu sehen, ob er wirklich noch im Gefängnis sitzt!“, versuchte ich vorhin ihn zu überzeugen.

Ich muss wohl damit gute Arbeit geleistet haben, denn Perry hat mir versprochen, sich sofort mit dem Gefängnisdirektor in Verbindung zu setzen und eine Besuchserlaubnis für mich zu erwirken. Woher er ihn kennt, weiß ich nicht. Wie sich halt Prominente auf Veranstaltungen und Events kennenlernen. Vielleicht haben sie auch gemeinsam die Schulbank gedrückt.

Nun heißt es warten. Ziel- und planlos laufe ich durch das Haus. Ziehe hier eine Decke glatt und lege dort ein Kissen auf einen anderen Platz. Gehe hinauf ins Obergeschoß und wieder hinunter. Zappe ab und zu durch die gängigsten Fernsehkanäle mit der schwachen Hoffnung, ein rotes Cape zu erblicken. Dabei erwäge ich natürlich noch andere Gründe für Clarks Verschwinden. Doch mir fällt nichts Überzeugenderes ein. Tempus ist meines Wissens der Einzige, der durch seine Kenntnisse dafür in Frage kommt. Was außer Kryptonit könnte es bitte geben, das meinen Ehemann von mir fernhält?

Es sei denn, eine andere Frau wäre im Spiel…

Doch so schnell wie mir dieser Gedanke in den Sinn kommt, jage ich ihn zum Teufel. Nein, nicht Clark, nicht nach unserer Vorgeschichte! Ich kann mir seiner Liebe und Treue hundertprozentig sicher sein!

Mir fällt unangenehm auf, wie fahrig und nervös ich bin. Wo ist die entschlossene, impulsive Lois Lane geblieben? Der man nachsagt, dass sie erst handelt und dann nachdenkt? Wie oft bin ich früher bei dem geringsten Verdachtsmoment in verschiedenste Räumlichkeiten eingebrochen um irgendetwas zu suchen, von dem ich noch nicht einmal wusste, was es war.

Aber diesmal? Was kann ich denn tun? In welches Büro, Hotelzimmer oder was auch immer soll ich einbrechen? Durch die Straßen von Metropolis laufen um Clark zu suchen bringt ebenfalls gar nichts. Genauso wie meine Taekwondo-Kenntnisse und Fähigkeiten hier nicht weiter helfen. Gegen wen soll ich antreten und ihn mit einem gekonnten ‚Sonnal Chigi‘ zu Boden schicken? Meine Gegner in diesem Kampf sind bisher nur Schatten. Und das ist das Schlimmste!

Nein, mein sonstiges impulsives Handeln hat heute wenig Sinn! Jetzt muss es einmal umgekehrt sein! Clark würde mir sicherlich zustimmen: „Lois, denk nach!“ Erst denken, dann handeln! Mit kühlem Kopf muss ich alle Eventualitäten prüfen. Tempus ist da meine erste Wahl!

Und da mein sehnlicher Wunsch, Clark möge doch einfach wieder auftauchen, sich nicht erfüllt, muss ich die Idee, Tempus aufzusuchen, unbedingt verwirklichen. Denn mein Mann bleibt verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Zum Glück werden meine quälenden Gedankengänge unterbrochen. Das Telefon klingelt. Endlich meldet sich Perry: „Lois, so, da bin ich. Zuerst, was macht Clark?“

Mein Lügengebäude bekommt einen Anbau: „Ach Chief, immer noch schlecht. Mein Dad war da und holt jetzt ein Medikament. Er wird bei Clark bleiben, falls Sie eine Besuchserlaubnis für mich haben.“ Bitte, bitte, Perry, hab sie bekommen!

Zumindest dieser Wunsch wird mir erfüllt. In Perrys Stimme klingt etwas Stolz: „Ja, Lois, der Direktor hat seine Einwilligung zu Ihrem sofortigen Besuch gegeben. Er hat mir zwar am Telefon versichert, dass der Psychopath wohlverwahrt in seiner Zelle sitzt, doch Sie dürfen sich selbst davon überzeugen!“ Ein Stein plumpst mir vom Herzen. Ja, das will und muss ich! Unbedingt!

Schon einmal hat Tempus alle genarrt und seiner Umwelt ein Double präsentiert, während er selbst in Freiheit sein Unwesen trieb. Erleichtert lobe ich unseren Chefredakteur dafür, dass er wieder einmal die richtigen Leute kennt. Und frage auch gar nicht, welche Begründung er seinem Bekannten für die Dringlichkeit dieses Besuches gegeben hat.

Kaum ist das Telefonat beendet, mache ich mich auf den Weg. Endlich, endlich kann ich meine Passivität in Aktivität umwandeln, die lästige Warterei ist vorbei. Die Sorge um Clark verleiht mir Flügel, so schnell habe ich noch nie mein Auto erreicht. Jede rote Ampel, jede Behinderung auf meiner Fahrt durch die Straßen von Metropolis lassen mich vor Ungeduld meine gute Erziehung vergessen. „Fahr, du Idiot!“, ist noch das Mildeste, das über meine Lippen kommt. Bloß gut, dass niemand meine Flüche zählt, bis ich endlich die Fairchild Street erreiche.

Das Gefängnis liegt auf einer Insel mitten im West River. Sie ist nach einem ehemaligen Direktor benannt worden: ‚Stryker's Island‘! Am Midtowner Ufer am Ende der Fairchild Street holt mich ein Motorboot ab. Wie angenehm, so bleibt mir die Warterei auf die Fähre erspart. Gesegnet sei Perry White und mit ihm alle seine Bekannten!

Die Überfahrt dauert lediglich ein paar Minuten. Die kurze Dauer dazu das heulende Motorengeräusch erübrigen den Smalltalk mit dem Bootsführer. Denn vor lauter Aufregung und Spannung kann ich nicht rechts noch links schauen. Nur das große graue Gemäuer, das vor uns liegt, habe ich im Fokus. Schon bei seinem Anblick bekomme ich eine Gänsehaut.

Unmenschliche Zustände sollen dort herrschen. Die Zellen wären überfüllt. Nur die gefährlichsten Häftlinge, wie Tempus einer ist, sitzen in Einzelhaft. Diese Sträflinge haben keinen Kontakt miteinander. Besuche werden sehr spärlich erlaubt.

Die hohen mit Stacheldraht gesicherten Mauern empfinde ich als sehr bedrückend. Bewaffnete Wachen sind zu sehen. Endlich bin ich am Tor, das sich quietschend und umständlich öffnet. Ein Beamter nimmt mich in Empfang. Er ist etwas älter, so Mitte fünfzig, von großer, kräftiger Statur. Die Uniform schreit nach einer Reinigung. Sein Gesicht sieht aus wie das tausend Anderer auch. Unter der Dienstmütze schauen ein paar graue Haare heraus. Auch wenn ich ein gutes Personengedächtnis besitze, diesen Mann würde ich bei einer zufälligen Begegnung nicht so schnell wieder erkennen.

Mit einem freundlichen Lächeln stellt er sich vor: „Charles Watkin, Miss Lane. Ich freue mich, Sie persönlich kennenzulernen!“ Das ist auch schon alles, was er auf dem Weg durch die Gänge des Hochsicherheitstraktes von sich gibt. Er schaut mich nur ab und zu interessiert von der Seite an. Mir steht auch nicht der Sinn nach einer Unterhaltung, ich fühle mich in den MGM-Film ‚The Silence of the Lambs‘ versetzt. Als wäre ich Clarice Starling auf dem Weg zu Dr. Hannibal Lecter.

Wie dort geht es durch Gänge mit kahlen ehemals weißgetünchten Wänden, treppauf, treppab. Türen werden auf- und wieder zugeschlossen. Vorbei an voll besetzten Zellen, deren Bewohner nach mir greifen und meinen Weg mit unflätigen Bemerkungen begleiten. Meine Gänsehaut wird immer dicker. Ich fühle Feuchtigkeit an meinem Körper. Angstschweiß? Doch ich beiße die Zähne aufeinander. Ich muss da durch, denn ich will wissen, ob wirklich der echte Tempus hinter diesen Mauern sitzt.

Die verstohlenen Blicke meines Begleiters gehen mir allmählich gewaltig auf die Nerven. Meinem Unmut muss ich Luft verschaffen. Unwirsch fauche ich ihn an: „Warum um alles in der Welt mustern Sie mich so?“ Mr. Watkins Gesicht wird rot vor Verlegenheit. Er schaut angestrengt auf sein Schlüsselbund. „Sorry, Miss Lane. Aber der Inhaftierte hat mir heute Morgen erzählt, dass Sie über kurz oder lang hier auftauchen würden! Und das erstaunt mich sehr. So verrückt kann er dann ja auch nicht sein, wenn er etwas vorhersagen kann.“ Er kichert nicht gerade sehr beruhigend: „Oder vielleicht ist er es gerade deswegen.“

Oh Himmel, jetzt kann ich nur noch eine Entschuldigung murmeln. Ich quetsche sie halblaut durch die Zähne. Und mein Herz beginnt wie verrückt zu klopfen. Also dann ist das hier wirklich der echte Tempus. Und er hat garantiert seine Finger bei Clarks Verschwinden im Spiel. Diese Äußerung ist zu eindeutig! Aber wie hat er das bloß organisieren können, wenn er hinter Gittern sitzt?

Mit dieser Frage kann ich mich im Moment nicht mehr beschäftigen. Sie muss zur Seite geschoben werden, denn das Ziel ist erreicht. Wir stehen vor Tempus‘ derzeitiger Wohnstatt. Durch die Eisenstreben ist der kleine Raum gut zu übersehen. Er ist spärlich ausgestattet. Mit einem Stuhl und Tisch, einer schmalen Pritsche, einer Dusche und einem WC. Fensterlose, ehemals weißgekalkte Wände. Jetzt sehen sie so aus, als ob alle jeweiligen Insassen ihre Lebensgeschichte darauf verewigt hätten. Der jetzige sitzt inmitten des Raumes. Ein satanisches Grinsen macht sich in seinem Gesicht breit, als er registriert, wer vor seiner Zelle steht.

Lässig steht Tempus auf, kommt ganz nah an das Gitter und winkt mich zu sich heran. Mr. Watkin zeigt mir eine imaginäre Linie: „Miss Lane, bitte einen Meter Abstand!“ Höflich geht er einige Schritte zur Seite.

Einen Moment zaudere ich, doch dann stelle ich mich in der gewährten Entfernung hin. Nur durch die Eisenstäbe getrennt, steht mir Tempus gegenüber. Seine Finger umklammern das Gitter, die Knöchel treten weiß hervor. Sein hasserfüllter Blick brennt in meinem Gesicht. Für mich ist es Irrsinn, was aus seinen Augen leuchtet.

Sofort werde ich verbal mit Hohn und Spott überschüttet: „Die schöne Mrs. Kent. Welch eine Ehre! Alle Achtung! Sie kommen eher als ich geglaubt habe.“ Seine Stimme wird leiser und eindringlicher: „Aber, aber Mrs. Kent, wo ist denn der Herr Gemahl? Hat er Sie wieder einmal allein gelassen, ja? Ach, er meldet sich überhaupt nicht?“ Aufdringlich grinst er mich an, begierig auf die Wirkung seiner Worte wartend.

Doch ich lasse das alles an mir hinunter gleiten. Stehe lediglich bewegungslos da und blicke ihn unverwandt an. Noch leiser werdend fährt er fort: „Und… was sehe ich? Schon so lange verheiratet und immer noch kein rundes Bäuchlein? Wie denn auch, wenn der Super-Gatte immer unterwegs ist! Tja, tja, tja, tja!“ , endet er mit demonstrativ mitfühlendem Kopfneigen von rechts nach links, von links nach rechts.

Das ist ein Schlag genau auf die Zwölf! Dieser Zynismus trifft mich mitten ins Herz. Nur keine Regung und Schwäche zeigen. Zähne zusammenbeißen, Lois! Er soll nicht merken, dass er meinen wundesten Punkt gefunden hat.

Mein Gegenüber drückt sein Gesicht so nah wie möglich an die Stäbe und flüstert nur für mich verständlich: „Noch lebt er, aber wenn er seinen Geist aufgibt, werde ich mich in Luft auflösen! Ha, ha, ha, ha!“ Sein diabolisches Lachen hallt durch den Gang.

Unbändige Wut packt mich. Was hat dieses Ungeheuer uns schon alles angetan. Gerne hätte ich ihm meine ganze Abscheu ins Gesicht geschlagen und ihm auch etwas Bösartiges zugezischt. Aber ohne etwas zu sagen, drehe ich mich um und entferne mich in Richtung Ausgang. Er soll nicht die Genugtuung haben, mich so innerlich derangiert zu erleben.

Außerdem habe ich genug gesehen und gehört. Mehr brauche ich mir nicht anzutun. Jeder Zweifel ist jetzt beseitigt. Seine Worte, unüberlegt im Triumph der augenblicklichen Situation ausgesprochen, haben mir verraten, dass das hier wirklich Tempus ist. Hundertprozentig!

Immer noch klingt sein gellendes Lachen hinter mir her. Beim Weggehen bemerke ich die Kamera, die Tempus‘ Zelle im Fokus hat.

Der Beamte ist mir gefolgt. Ich laufe die Gänge entlang ohne rechts und links zu gucken, als ob ich einen Schnelligkeitsrekord aufstellen wollte. Das stakkatohafte Nachhallen meiner Schritte übertönt jedes andere Geräusch. Ungeduldig warte ich an den Türen, die aufgeschlossen werden müssen. Nur weg, nur weg! Doch ich habe durch diesen Besuch die Gewissheit erlangt, dass Tempus auf irgendeine Art und Weise in Clarks Verschwinden involviert ist. Aber wie? Trotz der belastenden Situation fängt mein Verstand an zu arbeiten. Ich brauche mehr Informationen mit vielen Details.

Ohne ein Wort miteinander zu wechseln erreichen wir den Ausgang. Hier bleibe ich einen Moment stehen und atme erst einmal tief durch.

Dem Beamten gebe ich freundlich die Hand. „Vielen Dank, Mr. Watkin! Aber sagen Sie, bekommt Mr. Tempus ab und zu Besuch?“ Nachdenklich schüttelte der Angesprochene den Kopf: „Nein, Miss Lane, noch nie in meiner Schicht. Und da wir alles eintragen müssen, hätte ich das in unseren Protokollen lesen müssen. Mir ist so eine Bemerkung noch nie aufgefallen.“

Einsicht in diese Berichte würde ich wohl kaum bekommen, vielleicht kann Perry noch einmal etwas ausrichten. So murmel ich erneut ein „Dankeschön“ und eile dem Boot zu, das schon wartet.

Was jetzt? Außer der Gewissheit von Tempus` Mitwirkung an Clarks Verschwinden bin ich keinen Schritt weitergekommen. Aber das ist wenigstens ein kleiner Anhaltspunkt. Zum Glück ist dieser Mann so narzisstisch veranlagt und so von sich eingenommen, dass er sich selbst verraten hat.

Diese enorme Anspannung, unter der ich stehe, fordert ihren Tribut. Tausend kleine Hämmerchen klopfen unter meiner Schädeldecke. Der kurze Weg auf dem Wasser von der Insel bis zur Anlegestelle in Midtown tut diesem schmerzenden Kopf gut. Jetzt erst fällt mir auf, wie herrlich er ist, der Nachmittag dieses Maientages. Kleine weiße Wolken tummeln sich am sonst strahlend blauen Himmel. Die Sonne scheint angenehm warm, Vögel schmettern ihre Lebensfreude heraus. Die Natur hat sich längst mit ihrem schönsten Kleid geschmückt.

Doch für mich ist alles mit einem Angstschleier überzogen. Wo um alles in der Welt ist Clark? Was ist mit ihm geschehen? Wie geht es ihm? Wie lange kann er der Wirkung des Kryptonits standhalten, das hundertprozentig im Spiel sein muss? Lebt er noch? Ja, er lebt noch, er muss noch leben!

Auf dem Weg zum Parkplatz bemerkte ich eine kleine Bootstreppe, die zum Wasser führt. Undurchsichtig grün schimmern die Fluten des West River. Sie ziehen mich an. Langsam gehe ich die Stufen hinunter. Unten tauche ich ein wenig meine Hand hinein. Das bisschen Wasser, das meine Finger umspült, ist sehr klar. Diese Tatsache gibt mir etwas Trost. Ist meine Situation nicht so ähnlich? Vor Sorge und Kummer nehme ich nur die Gesamtheit wahr, die mir so undurchsichtig erscheint. Aber muss ich nicht jedes mir bekannte Detail einzeln unter die Lupe nehmen? Vielleicht würde dann manches klarer werden, wie diese kleine Portion Wasser. Tief in meinem Innern höre ich wieder die Aufforderung: „Denk nach, Lois!“

Im Auto muss ich mir erst einmal kräftig die Nase putzen. Als mein prüfender Blick in den Innenspiegel fällt, fahre ich vor Schreck zusammen. Ein blasses Gesicht mit dunkelumränderten Augen sieht mir entgegen. Die fast schlaflose Nacht, diese Stunden mit der Angst und Sorge um Clark und die quälende Ungewissheit haben mich schon gezeichnet. Und seit dem kärglichen Frühstück habe ich auch nichts mehr gegessen.

Nach dieser Folter durch den Besuch bei Tempus will ich jetzt nur noch heim und nachdenken. Wie in Trance fahre ich durch die Straßen von Metropolis auf dem kürzesten Weg in die Hyperion Avenue. Ich kann von Glück sagen, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer sich an die Straßenverkehrsordnung halten. Auf eine eintretende Gefahr hätte ich nicht schnell genug reagieren können.

Die Stille in unserem Haus schlägt mir sofort über dem Kopf zusammen. Als erstes fällt mein Blick auf den blinkenden Anrufbeantworter. Im Eiltempo habe ich das Gerät erreicht und auf den Knopf gedrückt. Wie ein zarter Lichtstrahl steigt eine vage Hoffnung in mir hoch. Vielleicht… Clark! Vielleicht… eine Nachricht von ihm!

Ein Anruf wird von der unpersönlichen Automatenstimme angekündigt. Einen Moment vergesse ich vor Spannung zu atmen. Aber leider, statt Clark höre ich Jonathan sprechen: „Hallo, Lois! Wegen technischer Probleme wird sich unser Flug verzögern. Komm uns nicht abholen, wir wissen nicht, wann wir letztendlich ankommen. Wir nehmen ein Taxi. Bis nachher!“

Voll Bitterkeit kann ich nur denken: ‚Murphys Gesetz! Heute geht doch alles schief‘!

Einige Ladungen kaltes Wasser in mein Gesicht helfen mir, trotz der Kopfschmerzen einige klare Gedanken zu fassen. Perry muss ich unbedingt noch einmal anrufen.

Es tut gut, seine mitfühlende Stimme zu hören: „Lois, wie geht es Clark? Gibt es etwas Neues? War Ihr Besuch erfolgreich?“

Lügen, immer diese Lügen: „Ja, danke, Chief, Clark geht es jetzt durch die Medizin schon klein wenig besser!“ Aber ganz ehrlich kann ich ihm meine Überzeugung mitteilen, dass Tempus etwas mit Supermans Verschwinden zu tun haben muss. Nur wie, das ist das große Rätsel. Und bitte ihn, wegen der Protokolle und der Kamera nochmals mit dem Gefängnisdirektor zu sprechen. Vielleicht gibt es etwas Besonderes bei den Aufzeichnungen zu sehen oder zu lesen. Es ist sehr wichtig zu wissen, ob und wer ihn besucht hat.

„Mache ich, Lois!“, verspricht er. Einen Trost schickt er hinterher: „Kopf hoch, Mädel! Sie wissen, ich bin immer für Sie da!“ Dankbar antworte ich: „Ja, Chief, ich weiß!“

Jetzt muss ich wieder abwarten, welche Auskünfte Perry White erhalten wird. Wie hasse ich diese erzwungene Passivität! Die Gefängnisverwaltung wird ja meinetwegen keine Sonderschicht einlegen.

Was jetzt? Ich versuche mir Clarks Reaktion vorzustellen. Was würde er mir in dieser Situation sagen? Seine Stimme klingt förmlich in meinem Kopf: „Lois, du musst etwas essen! Willst du zusammenbrechen?“

Nein, das will ich natürlich nicht. Wer weiß, was noch alles auf mich zukommen wird, wofür ich noch meine Kraft benötigen werde. Tee und ein Sandwich reichen mir erst einmal.

Der silberne Wasserstrahl strömt in den Kochkessel. Normalerweise heizt Clark das Teewasser mit dem Hitzeblick auf. Jetzt muss ich warten, bis es endlich blubbernd kocht. Automatisch, ohne einen Gedanken über den Belag zu verlieren, bereite ich mir ein Brot. Meine Gedanken kreisen um die Frage, wie Tempus von seiner Zelle aus Clark hat gefährlich werden können. Er muss einen Helfer haben!

Ohne Appetit, aber immer das bittendes Gesicht meines Mannes vor Augen, esse ich alles brav auf. Meine ehemaligen Tröster fallen mir ein. Früher habe ich mit solch einer seelischen Belastung mindestens drei Becher Eis und zwei Tafeln Schokolade verputzt. Aber seitdem ich eine glückliche Ehefrau bin, gibt es diese Leckereien im Haushalt Lane-Kent nur noch selten. Ich habe sie einfach nicht mehr nötig! Wenn ich Ermunterung brauche, sind Arme, Mund und liebevolle Worte meines Mannes da, die mich wieder aufrichten.

…Ja, sonst! Clark! Mein ganzes Elend kommt mir wieder zu Bewusstsein. Krampfhaft schlucke ich den Rest des Brotes hinunter.

Zum Glück gibt es im Haus zu tun. Das Gästezimmer muss für die Schwiegereltern hergerichtet werden. Andere Hausarbeiten, sonst ungeliebt und selten verrichtet, helfen mir über die zähe Wartezeit hinweg. Aber was ich auch tue und wo ich auch bin, meine ständige Begleitung ist die große Frage: „Clark, wo bist du? Was ist mit dir?“

~*~*~*~*~

Im dritten Kapitel kommt ‚Unerwarteter Besuch‘

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Fr 24. Mai 2013, 20:33

Unerwarteter Besuch 3/11

Obwohl helllichter Tag ist, liege ich in meinem Bett. Unruhig und ängstlich pocht mein Herz. Jeden Pulsschlag fühle ich bis hinauf in den Kopf. Der von Schmerzen gequält wird.

Der zweite Tag von Clarks Abwesenheit ist gut zur Hälfte herum. Wieder ist es so ein herrliches Wetter mit Sonnenschein und Frühlingsduft. Doch das habe ich nur am Rande wahrgenommen. Von Genießen kann sowieso nicht die Rede sein.

Eine weitere schlaflose Nacht sitzt mir in den Knochen. Die Angst, meine Machtlosigkeit und diese Ungewissheit haben mir wieder die Ruhe geraubt. Meine Gedanken kreisen immer nur um das Eine: Wo ist Clark, wie geht es ihm?

Und eines wird mir immer schmerzhafter bewusst …er fehlt mir so sehr. Ich fühle mich nach gut sieben Monaten Ehe, als ob man mich geteilt hätte. Als ob man mir etwas ganz Wesentliches geraubt hätte. Ohne ihn bin ich nur noch ein Torso. Erst seine ungeklärte Abwesenheit lässt mich Erkenntnisse artikulieren, die mir sonst nur unterschwellig bewusst waren.

Meine Sorge hat sich im Laufe des heutigen Vormittags immer mehr gesteigert. Vor allem, weil vorhin hier in Metropolis ein achtstöckiges Wohnhaus in Brand geraten ist und man dringend Supermans Hilfe benötigt hätte.

Aber der Held erschien nicht, bei der Brandbekämpfung nicht und auch nicht bei einem schweren Verkehrsunfall. Auch heute fehlt er allein hier in Metropolis an allen Ecken und Enden. Von der Welt ganz zu schweigen.

Zum Glück für mich sind seine Eltern am gestrigen Abend eingetroffen. Bei der Begrüßung hätten meine Nerven fast versagt. Nur mit größter Mühe konnte ich die Tränen zurückhalten. Aber ich bin die starke, taffe Lois Lane, ich darf mich nicht hängen lassen!

Doch es ist eine Wohltat, dass ich jetzt mit jemandem sprechen kann ohne zu lügen. Mit jemandem, der meine Angst versteht und sie mit mir teilt. Dieser Riesenberg aus Furcht und Sorge wird jetzt von seinen Eltern mitgetragen. Das ist auch der einzige Lichtblick in dieser Zeit, die so grau und trostlos für mich ist.

Martha hat natürlich gleich dafür gesorgt, dass ich etwas ‚Anständiges‘, wie sie es nennt, zu essen bekomme. Diese Fürsorge tut mir sehr gut, obwohl ich vorhin kaum einen Bissen von ihrem köstlichen Gemüseeintopf hinunter schlucken konnte. Zu sehr ist mir die Angst um Clark auf den Magen geschlagen.

Zurzeit sind beide unterwegs, um meinen bescheidenen Lebensmittelvorrat mit vielen guten Sachen aufzuwerten. Vor ihrem Weggang haben sie mich konsequent zu einer Stunde Mittagsruhe verdonnert: „Kind, du siehst zum Erbarmen aus, schlaf ein Stündchen!“ Als ob ich schlafen könnte!

Mit brennenden Augen starre ich in das Schlafzimmer. Alle Möbelstücke und die Wände wirken auf mich so anders als sonst, so trist, so öde. Ich presse das andere Kissen in mein Gesicht, atmete tief den Duft ein, Clarks Duft. Prompt wird mir noch jämmerlicher zu Mute: „Clark…, wo bist du?“, ein gequältes Stöhnen löst sich aus meiner Brust.

Etwas Entscheidendes hat sich nicht ergeben. Auch auf die Suchanzeige in der gestrigen Abendausgabe des Daily Planet hat sich niemand gemeldet. Keine Superman-Aktivität ist in jener Nacht beobachtet worden.

Perry hat auf meine gestrige Bitte nochmals mit dem Gefängnisdirektor telefoniert und ihn gebeten, die Tagesprotokolle und Bildaufzeichnungen des Häftlings Tempus auf eventuelle Besuche und Besonderheiten überprüfen zu lassen. Und die Wartezeiten auf neue Erkenntnisse machen für mich alles noch viel schlimmer. So gut wie nichts kann ich ohne diese Mitteilungen tun. Und das ist für mich, die sonst so Hyperaktive, kaum auszuhalten.

Heute Mittag ist dem ‚Chief‘ endlich mitgeteilt worden, dass in diesen drei Monaten von Tempus` Inhaftierung keine Besuche stattgefunden haben und auch sonst nichts Außergewöhnliches registriert worden ist. Der Leiter der Haftanstalt ist zwar gestern Nachmittag noch ins Wochenende gefahren. Zum Glück hat er vorher noch an seinen Vertreter den Auftrag erteilt, für Perry White diese Informationen zu eruieren und an ihn weiterzugeben. Für mein Verständnis hat das endlos lange gedauert. Das kommt sicher daher, weil ich in einem Ausnahmezustand lebe. Für andere Menschen geht das Leben normal weiter.

Perry hat mir diese Neuigkeiten natürlich sofort in einem Telefonat mitgeteilt. Nur ist nichts dabei, was mir bei den Überlegungen helfen kann. Aber ein neuerliches „Kopf hoch, Lois“ und viele liebe Grüße und Genesungswünsche an Clark besonders von Jimmy haben mir für ein paar Minuten etwas Auftrieb gegeben. Perry White und Jimmy Olsen haben den Wochenend-Dienst in der Redaktion übernommen, um gegebenenfalls Recherchen für mich machen zu können. Sie fühlen sich freundschaftlich mit Superman verbunden und wollen helfen, das Rätsel seines Verschwindens mit mir zu lösen. Voller Dankbarkeit habe ich das zur Kenntnis genommen.

Wieder bilde ich mir ein, Clarks Stimme mit dieser Aufforderung zu hören: „Lois, denk nach!“ Das spornt mich an. Bringt meine grauen Zellen zum Schwingen. Wie konnte es diesem Teufel Tempus trotz seiner Inhaftierung nur möglich sein, Clark in eine bedrohliche Situation zu bringen? Kryptonit muss auf jeden Fall im Spiel sein. Was sonst kann denn Superman so behindern, dass er bei diesen Katastrophen nicht zur Hilfe gekommen ist? Und aus welch einem anderen Grund ist mein Ehemann plötzlich von der Bildfläche verschwunden und meldet sich nicht bei mir? Eins ist ganz gewiss: Wenn Clark unter der Wirkung des Kryptonits steht, bin ich seine einzige Chance. Allein kann er sich dann nicht mehr helfen! Er wird all seiner übermenschlichen Kräfte beraubt sein.

Allmählich beginnt eine Idee von Tempus` Vorgehen in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Wenn er keine Besuche und dadurch Hilfe von außen bekommen hat, gibt es eigentlich nur noch eine Möglichkeit.

Bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringen kann, schallt aus den unteren Räumen eine laute Männerstimme zu mir herauf: „Hallo! Hallo! Miss Lane? Nicht erschrecken!“ Ungläubig springe ich aus dem Bett. Ein fremder Mann in unserem Haus? Schnell streife ich einen Bademantel über, schlüpfe in meine bequemen Hausschuhe und bin trotz des schmerzenden Kopfes in Windeseile die Treppe hinuntergestiegen.

An deren Fuß steht ein Mann gesetzten Alters von kleiner Statur. Er trägt einen langen Gehrock, dazu eine gestreifte Hose. Ein Halstuch fällt ins Auge, kunstvoll gebunden. Auf seiner Nase sitzt eine Brille, die alles andere als modern ist. Als er mich zu Gesicht bekommt, nimmt er seinen Bowler von seiner Mittelscheitelfrisur und macht höflich eine Verbeugung: „Miss Lane.“ Sein Schnurrbart zittert ein wenig.

„Mr. Wells!“, stöhne ich erleichtert auf. Meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen. Zwar habe ich gestern an diesen Zeitreisenden in einem anderen Zusammenhang gedacht. Doch es ist ja leider unmöglich, eine Verbindung mit ihm aufzunehmen. Noch kann man nicht mit der Vergangenheit kommunizieren!

Bevor ich etwas von mir geben kann, beginnt der Schriftsteller mit sorgenvoll zusammengezogener Stirn schon zu reden. Seine Stimme, tief und kräftig, will so gar nicht zu seiner Statur passen: „Was ist passiert, Miss Lane? Utopia löst sich auf. Wo ist Mr. Kent?“

Der Besucher wird von mir auf das Sofa nieder gedrückt und dann sprudelt die Geschichte von Clarks Verschwinden aus mir heraus. „Mr. Wells, Tempus hat mit tausendprozentiger Sicherheit etwas damit zu tun!“ Atemlos beende ich meine Erzählung.

Weise nickt der Zeitreisende vor sich hin. Blaue Augen hinter Brillengläsern funkeln mich entschlossen an: „Ja, immer und immer wieder versucht er, Superman zu töten und damit Utopia zu verhindern. Aber es wird ihm nicht gelingen, so wahr ich Herbert George Wells heiße. Miss Lane, ich komme in Kürze wieder!“

Eine Hand hat er zur Bekräftigung zur Faust geballt und schlägt sie mehrmals auf seinen Oberschenkel. Energisch springt er auf und holt aus seiner Brusttasche ein kleines Viereck. Umständlich und sehr konzentriert drückt er auf einige kleine Tasten. Das Gerät beginnt zu flimmern und bildet einen leuchtenden Rahmen wie eine Tür.

„Wow!“ Ein Zeitfenster! Dies Phänomen habe ich noch in Erinnerung, wenn auch nicht in guter. Clark wäre seinerzeit durch solch eine Projektion fast in der Unendlichkeit verschwunden.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und Clarks Eltern treten ein. „Oh, der tote Schriftsteller!“, sagt Jonathan erstaunt. Verblüfft mit großen Augen mustern sie den Zeitreisenden.

Der lüpft seinen bereits wieder aufgesetzten Hut etwas an, verbeugt sich und ist auch schon in der Strahlentür verschwunden. Mit offenen Mündern schauen wir drei zu, wie sich die ganze Erscheinung auflöst. Im Chor sagen wir drei vollkommen fasziniert noch einmal: „Wow!“

Jetzt wird mir erst die Bedeutung dieses Besuches ganz klar. Vor Freude umarme ich die Schwiegereltern und seufze tief auf: „Martha, Jonathan, er wird uns helfen! Vielleicht holt er wieder…“ Ich wage nicht den Namen auszusprechen. Aber in Erinnerung an die Episode vor drei Monaten nicken beide zuversichtlich. Martha legt mir den Arm um die Schulter: „Das wird er, Lois!“ Rasch schnappe ich mir die vollen Tüten. Ich fühle mich voller Elan: „Komm Martha, lass uns auspacken, dann vergeht die Zeit schneller! Jonathan, setz dich hin. Dir müssen ja die Beine weh tun!“

Dankbar lächelt mich Clarks Dad an. ‚Lieber einen ganzen Tag auf der Farm herumlaufen als eine Stunde hier in Metropolis‘, sagt er oft genug. Er nimmt die Lektüre des Daily Planet wieder auf, die er wegen des Einkaufs unterbrochen hat. Raschelnd versinkt er hinter den großen Papier-Blättern.

Martha mustert mich und zieht fragend die Augenbrauen hoch. Ein Schmunzeln huscht über ihr Gesicht: „Sag mal, Lois, willst du so…?“, und weist auf das viel zu große Kleidungsstück, das um meine Gestalt herum schlabbert. Verdutzt schaue ich an mir herunter: „Clarks Bademantel! Ich muss mich ja anziehen! Bin gleich wieder da.“

Im Schlafzimmer muss ich noch einmal mit geschlossenen Augen Clarks Geruch tief inhalieren, der in dem Velours hängt. Nur zwei Sekunden die Illusion seiner Gegenwart einatmen! „Alles wird gut!“, mache ich mir selbst Mut.

Zurück in der Küche packen Martha und ich den Einkauf aus und verstauen ihn in Kühl- und Küchenschrank. Eine Packung Cadbury Chocolate-Caramel-Riegel schiebt Martha mir zu. „Komm iss, Kind, das wird dir gut tun“, meint sie fürsorglich lächelnd: „Ich glaub, dass du das brauchst!“

Dankbar gebe ich das Lächeln zurück: „Wie lieb von dir, Martha! Clark ist zwar nicht Euer leiblicher Sohn, aber alles, was an ihm so liebens- und bewundernswert ist, habt Ihr ihm mitgegeben. Ihr seid wunderbar!“ Kurz muss ich meine Aussage mit einer kleinen Umarmung bekräftigen. Wie gut, dass Clarks Eltern da sind und mir etwas Halt geben.

Bedächtig befreie ich einen Riegel von seiner Umhüllung und stecke ein kleines Stückchen mit einem genießerischen „Hmmm“ in den Mund. Das tut wirklich gut!

Fast hätte ich mich an dem süßen Schmelz verschluckt, denn aus dem Wohnraum ist Jonathan lautstark und mehr als erstaunt zu hören: „Clark! Lois!“

Neugierig verlassen wir die Küche. Stehen dann allerdings wie gelähmt da und starren auf drei Gestalten.

Wir erblicken außer Mr. Wells noch Clark und …mich! Ich traue meinen Augen nicht! Ich sehe mich, Lois Lane! In Lebensgröße. Welch eine Begegnung. Mir stockt der Atem.

Sprachlos werden die Ankömmlinge erst einmal angestaunt. Meine unausgesprochene Vermutung von vorhin hat sich realisiert. Ich agiere als Erste, trete auf Clark zu und umarme ihn: „Clark, bist du schon wieder der Retter in der Not?“ Aufmunternd lächelt er mir zu: „Keine Sorge, Lois, wir werden es auch diesmal schaffen!“

Fassungslos und völlig perplex wende ich mich meinem Ebenbild zu. Von oben bis unten mustere ich mein Gegenstück immer wieder und werde von meiner anderen Existenz genauso verblüfft betrachtet.

Obwohl ich ja seinerzeit selbst in der Parallelwelt war und der alternative Clark wieder vor mir steht, ist es doch etwas anderes, wenn man seinem eigenen Ich begegnet und es direkt vor Augen hat.

Immer noch konsterniert schließe ich Lois in meine Arme und drücke sie ganz fest. Wieder und wieder schauen wir beide uns verwundert und kopfschüttelnd an. Auch unsere Kleidung, bestehend aus Jeans und Shirt, ist fast identisch. Nur ihre Haare sind länger. Wie ich sie noch vor zwei Jahren getragen habe.

Die Situation von vor drei Monaten kommt mir in den Sinn. Der traurige Clark, der sich so sehr nach seiner in Afrika verschwundenen Lois gesehnt hatte. Endlich finde ich meine Sprache wieder: „Lois, wie schön, wie wunderschön! Er hat dich gefunden! Mein Clark hat das damals in der Februar-Nacht gespürt oder gefühlt oder was auch immer!“

Die glänzenden Ringe an den Fingern des Alternativ-Paares fallen mir auf: „Ihr seid verheiratet?“

Die beiden sehen sich glücklich lächelnd an. Einstimmiges Nicken zweier Köpfe ist die Antwort. Ich staune. Schon nach drei Monaten? Mein Clark und ich haben dreieinhalb Jahre dazu benötigt! Welche Schwierigkeiten haben uns im Wege gestanden! Die scheinen den beiden erspart worden zu sein. Man könnte tatsächlich neidisch werden!

Doch dazu habe ich keine Zeit, denn das Bestaunen geht weiter, derweil die Eltern Kent freudig den Mann begrüßen, der genau so aussieht wie ihr Sohn und es trotzdem nicht ist.

Wir reden alle etwas durcheinander, bis Mr. Wells sich mit einem durchdringenden Räuspern Gehör verschafft: „Hä-ämm. Ich habe bereits die Fakten kurz weitergegeben und bin der Meinung, wir sollten uns zusammensetzen und überlegen. Mir ist so eine Idee gekommen!“

Nach einer kurzen Frage holen Martha und ich Gläser und Wasser herbei. Niemandem steht der Sinn nach anderen Getränken, schon gar nicht nach Alkohol. Natürlich würden wir Kents aus diesem Universum zu gerne die Geschichte von Lois` Auffindung in der anderen Welt hören, aber viel wichtiger ist jetzt, eine Strategie zu Clarks Rettung zu finden. Allerdings, mit dieser Verstärkung ist es mir gleich viel leichter ums Herz.

Rund um den Wohnzimmertisch nehmen wir Platz. Das junge Ehepaar auf einem Sofa, gegenüber dem weitaus älteren Ehepaar. Auf einem Sessel sitze ich zwischen meinem Ebenbild und Martha. Der Zeitenwanderer macht es sich in dem anderen Sessel mir gegenüber zwischen Clark und Jonathan bequem.

„Miss Lane“, wendet sich der Schriftsteller an mich: „Sie sagten vorhin, Ihr Mann hätte das Auffinden dieser Miss Lane gespürt?“ Dabei weist er auf meine langhaarige Ausgabe.

Während ich nicke, fühle ich Röte in mein Gesicht aufsteigen. Zu sehr kommt mir die damalige Situation ins Bewusstsein. „Ja, Mr. Wells. Clark sagte damals, dass er solch ein Wahnsinnsglücksgefühl empfangen würde, das könne nur von dem anderen Clark stammen und er hätte definitiv seine Lois gefunden. Und dieses Gefühl würde alle Dimensionen sprengen.“

Einen Moment muss ich in Erinnerung die Augen schließen. Wie selig waren wir beide damals gewesen, als Clark aus dem immer kleiner werdenden Zeitstrudel von Mr. Wells befreit worden war. In jener Nacht haben wir über Stunden kein Auge zugemacht. Immer wieder mussten wir mit allen Sinnen die Gegenwart des anderen spüren und erleben.

Ein dicker Kloß im Hals erschwert mir jetzt das Atmen. Meine alternative Existenz empfindet wohl, was in mir vorgeht. Sie ergreift meine Hand und drückt sie leicht. Lois Lane lächelt Lois Lane an.

Der kleine Zeitreisende überlegt laut: „Das heißt also, dass es eine telepathische Verbindung zwischen Ihnen und dem anderen Mr. Kent geben muss!“ Er hält seine Hände spitz zusammen gelegt vor seiner Brust und schaut Clark an. Etwas hilflos zuckt dieser mit den Achseln: „Von Telepathie habe ich bis jetzt noch nichts gemerkt!“ Seine Augen, sein ganzes Gesicht spiegeln seine Verlegenheit wieder.

„Nein“, komme ich ihm zu Hilfe: „Clark sagte damals auch, dass er keine Worte empfangen würde, sondern nur Gefühl. Aber die Kryptonier, die seinerzeit hier waren, konnten gedanklich miteinander kommunizieren. Mein Clark konnte das damals auch.“

Kryptonier? Telepathie? Wie auf Kommando drehen sich unsere fünf Köpfe zu Clark hin und schauen ihn auffordernd an. Der lacht verlegen. Seine dunklen Brauen ziehen sich zusammen und gleiten in die Höhe: „Soll das heißen, dass ich probieren soll, telepathisch mit Clark Kontakt aufzunehmen? Ich glaub, das kann ich nicht, ich hab das doch noch nie gemacht!“

Wie plötzlich über dürstende Felder Regen fällt, werde ich von Hoffnung überschüttet: „Clark, du weißt, es gibt immer ein erstes Mal. Du kannst das sicherlich. Konzentrier dich, formulier in Gedanken einige Sätze, die du unserem Clark sagen würdest! Du wirst sehen, es wird gehen!“

Hilflos blickt der junge Ehemann von einem zum anderen, sieht in zuversichtlich lächelnde Gesichter. Sein letzter Blick gilt seiner Frau. Sie wiederholt hypnotisierend meine Worte: „Ja! Du kannst das sicherlich, Clark!“

~*~*~*~*~

Im vierten Kapitel erleben wir ‚Kryptonische Kommunikation‘

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Di 28. Mai 2013, 20:55

Kryptonische Kommunikation 4/11

Dieser Zuspruch seiner Frau muss ihn überzeugt haben. Er atmet tief ein: „Okay! Versuchen kann ich es ja!“ Langsam schließt er seine Lider. Ich beuge mich nach vorne. Kann vor Erwartung kaum Luft holen. Meine und auch die Augenpaare der vier anderen saugen sich an seinem Gesicht fest.

Äußerlich ist ihm nur wenig anzusehen. Er hat seine Stirne gekraust. Ab und zu bewegen sich seine Lippen. Zu hören ist aber nichts. Seine Anstrengung ist offensichtlich. Die Luft im Wohnraum scheint vor Anspannung zu flimmern.

Nach einigen Minuten, für mich eine gefühlte Stunde, öffnet er seine Augen und schüttelt bedrückt den Kopf: „Ich versuche ihn zu rufen, aber ich höre keine Antwort. Was mache ich falsch?“

Die Hoffnung in mir fällt in sich zusammen wie ein missglücktes Soufflé. Und wenn mein Clark…? Eine Befürchtung nimmt Gestalt an, die ich verbal zum Ausdruck bringe: „Vielleicht ist er mit Blei umgeben?“ Dass er eventuell schon tot sein könnte, will ich nicht akzeptieren und schon gar nicht aussprechen. Außerdem hat der Gefängnisdirektor zugesagt, sofort Perry White informieren zu lassen, wenn etwas Entscheidendes bei dem gefangenen Psychopathen geschehen sollte. Hat der nicht behauptet, er würde sich bei Clarks Tod in Luft auflösen?

Doch Mr. Wells schüttelte auf meinen Einwand hin den Kopf: „Auch wenn er in einem bleiverkleideten Raum sein sollte, die Gedankenströme lassen sich nicht wie Röntgenstrahlen dadurch aufhalten.“ Er wendet sich Clark zu: „Ganz entspannt weitermachen, Mr. Kent!“

Mit einem etwas verzweifelten Ausdruck sucht dessen Blick den seiner Frau. In ihrem Gesicht ist nur Zuversicht zu lesen. Sie lächelt ihren Mann an, flüstert ihm etwas zu. Von meinem Platz aus kann ich gut sehen, wie seine Hand nach der ihren tastet, sie findet und ganz fest umschließt. Als ob er sich Kraft und Unterstützung bei ihr holen wollte.

Wie oft hat mein Mann das gleiche getan. Diese kleine Geste von unseren Ebenbildern sehen zu müssen, tut mir so weh. Clark, du fehlst mir so! Vorsichtshalber lege ich meinen Kopf in den Nacken, damit keine Träne aus meinen Augen laufen kann. Diese schon so lang anhaltende Anspannung hat meine Nerven arg strapaziert.

Mr. Wells lenkt mich zum Glück ab. Er gibt uns den guten Rat: „Vielleicht sollten wir alle Mr. Kent nicht so anstarren. Ab besten schließen wir doch auch die Augen und rufen den anderen Mr. Kent!“

Das beherzige ich sofort. Ich schaue nicht mehr auf die Gesellschaft um mich herum sondern drücke die Lider fest zu. ‚Clark! Liebster, wo bist du? Clark, hör uns doch! Melde dich bitte‘! Voller Konzentration wiederhole ich wie ein Mantra gedanklich immer wieder diese Sätze.

Ein überraschter Laut aus Clarks Mund lässt mich die Augen weit öffnen. Die Alternativ-Existenz meines Mannes sitzt immer noch mit geschlossenen Lidern da. Einen kurzen Moment leuchtet sein Gesicht vor Freude. Dann läuft ein Schatten darüber. Er wird wieder ganz ernst. Sein Mund formuliert stumme Worte. Dann nickt er mit einem „Ja, das mach ich!“, und reißt seine Augen weit auf.

Seine etwas zusammengesunkene Gestalt wird kerzengerade. Mit funkelnden Augen schießen die Worte nur so aus ihm heraus: „Ich hab ihn erreicht, es hat funktioniert! Es hat tatsächlich funktioniert! Lois, Mrs. und Mr. Kent, er lebt! Ich soll Ihnen sagen, wie sehr er Sie liebt! Er ist schwach, sehr schwach, aber er lebt!“ Marthas linke Hand ergreift meine, Jonathan nimmt die rechte seiner Frau. Zwar lächeln wir drei uns an, machen uns selber Mut damit. Doch ich fühle, im Hintergrund sitzt die nackte Angst. Der sonst stärkste Mann der Welt ist schwach, sehr schwach. Dem Tode nahe?

„Wo ist er? Clark, was hast du sonst noch erfahren? Weiß er, wo er ist? Hat er gesagt, was geschehen ist?“ Am liebsten möchte ich alles auf einmal hören.

Ein Blick voller Bedauern aus seinen dunklen Augen trifft mich. Es sind so sehr die Augen meines Ehemannes. Wieder einmal muss ich fest schlucken. Ich ahne schon, dass ich Bruchteile von Sekunden später nichts Gutes zu hören bekomme: „Nein, das weiß er nicht. Er ist am ganzen Körper gefesselt, verschnürt wie ein Paket und… er kann nichts sehen. Das Teuflische in dem Raum, in dem er sich befindet, ist die warme hohe Luftfeuchtigkeit. Er nimmt an, dass es eine Sauna ist und immer noch Dampf eingeleitet wird. Dampf, der mir Kryptonit versetzt ist. Dieser Schwaden ist überall um ihn herum, er kann sich nicht gegen ihn wehren. Der muss sogar seine Haut angreifen. Clark hat das Gefühl, als ob man sie ihm abziehen würde.“

Er traut sich nicht, mich bei dem nächsten Satz anzuschauen: „Er ist schon sehr schwach. Aber er will nicht resignieren. Immer wieder hat er versucht, die Fesseln zu sprengen, es gelingt ihm nicht. Er hat weniger Kraft als ein normaler Mensch. Und er weiß nicht, wie lange er das noch aushält! Ich habe ihm gesagt, dass er sich nicht mehr anstrengen soll. Seine ganze Kraft soll er zum Überleben verwenden. Nur zum Atmen und um da zu liegen, bis wir kommen.“

Wie elektrisiert springe ich auf. Ich kann nicht mehr sitzen und wandere um die Sitzgarnituren herum. Doch ich lass Clark nicht aus den Augen und höre aufmerksam zu, wie er weiter erzählt: „In der Baker Street wurde heute Nacht eine Frau überfallen. Es war aber nur eine Falle. Denn als er dort eintraf, ließ der Kerl die Frau sofort los und sprühte ihm eine Flüssigkeit ins Gesicht und in die Augen, die mit Kryptonit angereichert gewesen sein muss. Er konnte nichts mehr sehen. Ihm wurde sofort schlecht, seine Kräfte verließen ihn. Ihm wurde ein Sack über den Kopf gestülpt, er wurde gefesselt und auf den Beifahrersitz eines Autos gestoßen. Der Kerl besprühte ihn immer wieder während der Fahrt mit dem Zeug. Er weiß nicht wie lange sie unterwegs waren, er weiß auch nicht, wohin sie gefahren sind. Er wurde in einen Raum gestoßen, etwas höher auf eine Bank gehoben und mit Kryptonit verseuchtem Wasser übergossen. Und permanent wird Dampf zugeführt. Durch ihn wird sein Zustand immer lebensbedrohlicher. “

Clarks Ebenbild spricht mich jetzt direkt an: „Lois, ich habe ihm mitgeteilt, dass du bei Tempus gewesen und davon überzeugt bist, dass der etwas mit der Sache zu tun haben müsste. Clark meint auch, das wäre so ziemlich die einzige Möglichkeit. Woher sollte der Entführer sonst von Kryptonit wissen? Und von wem sollte er es haben?“

Mit geballten Fäusten stehe ich vor dem Erzähler: „Tempus ist der Schlüssel. Hundertprozentig! Ich hab schon hin und her überlegt. Immer und immer wieder. Als ob Clark mir sagen würde ‚Lois, denk nach‘! Angeblich hat Tempus keinen Besuch erhalten. Wenn wir davon ausgehen, dass das stimmt, dann muss doch der Helfer in seiner Nähe sein. Kann das möglich sein, dass es einer von den Vollzugsbeamten ist? Hat er sich vielleicht von Tempus beeinflussen lassen? Mir fällt sonst nichts anderes ein.“

Die Blicke, die mich treffen, sind sehr nachdenklich. Angespannt falle ich wieder in den Sessel zurück. Etwas zum Festhalten brauche ich. Ein Kissen muss daran glauben, ich presse es fest an mich.

Der andere Clark hat noch etwas hinzuzufügen: „Clark hat noch gesagt“, er schüttelte den Kopf: „Nein, natürlich gedacht. Er hat das Gefühl, als ob ihn ab und zu jemand beobachten würde. Wirklich nur ab und zu. Dann wieder stundenlang nicht. So wie jetzt. Wahrscheinlich kümmert sich dieser Kerl gelegentlich um den Dampf, schaut, ob alles okay ist. Er scheint darauf zu warten, dass Clark stirbt! Denn er bekommt weder zu essen noch zu trinken.“

Martha und Jonathan geben gleichzeitig ein Laut des Entsetzens von sich.

Vor Angst presse ich meine Hände an den Mund. Beraubt seiner Super-Eigenschaften wird Clark allmählich verdursten. Oder das Kryptonit bringt ihn zuerst um. Über die Atemluft und die Haut wird doch sein ganzer Körper damit verseucht. Heiß fühle ich es in meinen Augen aufsteigen. Etwas drückt mir die Kehle zu.

Lois steht auf und nimmt mich in den Arm: „Lois, dass mein Clark ihn gedanklich erreicht hat, wird ihm neue Kraft geben. Dein Mann weiß jetzt, dass wir hier sind um Euch zu helfen. Er wird es aushalten, bis wir ihn finden! Bestimmt! Ganz bestimmt!“

Dankbar nicke ich der Trösterin zu. Bemerke die bangen Blicke meiner Schwiegereltern. Sie haben zugeschaut und zugehört. Der Trost gilt ihnen genauso.

Der Schriftsteller fragt kurz: „Gibt es Vorschläge?“ Jonathan druckst etwas herum und bevor ich etwas sagen kann meint er bescheiden: „Ich hab eine Idee!“ Sofort wird er von fünf Augenpaaren fast durchlöchert. Verlegen hustet er ein wenig: „…Ich glaube, dass Lois recht hat. Der Entführer muss aus dem Umfeld von Tempus kommen. Können wir erfahren, wie viel und welche Leute für ihn zuständig sind? Wenn man mehr über sie herausbekommen könnte, wäre vielleicht ein Ansatzpunkt da.“

Bestätigungen hallen durcheinander. Sofort springe ich auf: „Genau meine Gedanken! Perry…, Perry muss wieder intervenieren. Er kennt von wer-weiß-woher den Gefängnisdirektor.“ Dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Hammerschlag: „Aber der ist ja verreist! Sein Vertreter wird wohl nicht kompetent sein, uns ohne Anweisung Auskunft zu erteilen! …Aber ich muss es versuchen!“ Schon liegt der Telefonhörer in meiner Hand und die Taste ist gedrückt: „Bloß gut, dass Sie im Planet sind, Chief, ich brauche bitte wieder ganz dringend Ihre und Jimmys Hilfe…!“

Ich bringe mein Anliegen vor und bin sicher, dass die beiden ihr Bestes tun werden. Dass sie alle Möglichkeiten des Planet ausschöpfen werden. Besonders Jimmy! Vielleicht findet unser Computerspezialist einen nicht ganz legalen Weg, um mir die notwendigen Informationen zu beschaffen! Etwas erleichtert nehme ich wieder Platz. Jetzt heißt es erst einmal warten, obwohl ich am liebsten vor Ungeduld platzen würde.

Martha schaut in die Runde: „Leute, wir sollten etwas essen. Clark hat nichts davon, wenn wir hier fasten. Im Gegenteil, wir werden alle noch unsere Kraft brauchen. Besorgen wir uns Pizza oder etwas anderes von draußen?“

Einstimmiges Kopfschütteln.

Die langhaarige Lois blickt leicht schmunzelnd in die Runde. Sie ergreift die Hand ihres Mannes und hebt sie etwas an: „Wie wäre es mit einigen von Clarks köstlichen Sandwiches? Ich bin davon überzeugt, dass Euer Clark auch so himmlische machen kann. Mein Clark hat unter anderem mit ihnen mein Herz im Sturm erobert!“ Beide lächeln sich an, bestimmt in Erinnerung an diesen denkwürdigen Moment.

Martha steht auf: „Komm, Clark, ich helfe dir! Wir haben schöne frische Sachen da.“ Sofort ist er bei ihr und legt seinen Arm um ihre Schultern. Mir ist klar, wie sehr er die Anwesenheit des Ehepaars Kent genießt. In der Parallel-Welt sind seine Eltern tödlich verunglückt, als er erst zehn Jahre alt war. Leise plaudernd verschwinden die beiden in der Küche. Die Worte: „Salat, Gurken, Eier, Schinken, Käse, Tom…“, verhallen mit dem Schlagen der Küchentür.

Mr. Wells beantwortet Jonathan einige Fragen. Lois entschuldigt sich: „Sorry, ich geh mal eben!“ Sie lächelt, als ich ihr den Weg zeigen will: „Lois, wir haben tatsächlich dasselbe Haus und dieselbe Adresse. Ich kenne mich gut aus!“

Verwundert lehne ich mich in den Sessel zurück und schließe die Augen. Zu gerne hätte ich mehr von dem anderen Paar gewusst. Wie haben sie sich gefunden? Wann haben sie geheiratet? Aber die Suche nach meinem Clark ist vorrangig und entschieden wichtiger. Vielleicht werden wir später noch Zeit finden, darüber zu reden.

Innerlich bebe ich vor Angst: Clark so unendlich hilflos! Wie muss gerade der sonst so Superstarke darunter leiden. Wir müssen ihn finden! Und zwar bald! Wie schnell werden wir die Informationen von Perry bekommen? Jede Minute ist so wichtig.

Als mein Ebenbild aus dem Bad zurück kommt, erscheinen auch die zwei aus der Küche mit einer wohlgefüllten Platte und Tee. Trotz der angespannten Lage sind die appetitlichen Brote ziemlich schnell verspeist. Auch ich zwinge mich zu einigen Bissen. Ab und zu fühle ich die Blicke des anderen Clark auf mir ruhen. Genau so bittend würde mein Clark mich jetzt anschauen: ‚Lois, du musst etwas essen‘. Doch das Bewusstsein, dass mein Mann zurzeit noch nicht einmal etwas zu trinken hat, ihm keine andere Feuchtigkeit außer Kryptonitdampf zur Verfügung steht, schnürt mir die Kehle zu.

Aber ich werde von den quälenden Gedanken abgelenkt. Der Besuch aus dem alternativen Universum will uns allen die Wartezeit verkürzen. Sie beginnen die phantastische Geschichte vom Auffinden der langhaarigen Lois zu erzählen.

Jeder der drei Beteiligten berichtet diese Begebenheit aus seiner Perspektive. Zuerst Lois, die uns gespannt Lauschenden über ihre Erlebnisse am Abend des 02. Februar 1993 informiert. Von ihrer Ankunft in der Lodge in Namibia bis zu dem Angriff des Löwen.

Dann ist Clark an der Reihe. Der Grund für die Suche nach seiner Lois ist uns Anwesenden aus eigenem Erleben sehr gut bekannt. So macht er mit den Geschehnissen nach der Rückkehr in sein Universum vor drei Monaten weiter. Auch Mr. Wells beteiligt sich an der Schilderung.

Mein Staunen und meine Verwunderung sind naturgemäß sehr groß. Auch die der Eltern Kent. Wir hören von den Vorbereitungsgesprächen zu Lois` Rettung. Von der Reise, die zuerst nach Afrika und dann noch in die Vergangenheit führte, von Supermans Einsatz und der Rettung selbst. Die Kunde über die lange afrikanische Nacht folgt. Mich wundert die ausgiebige Berichterstattung durch Mr. Wells über Clarks und mein Leben in diesem Universum voller Abenteuer und Katastrophen. Weshalb hat er so erschöpfend davon berichtet?

Und dann vernehmen wir von diesem ungeheuerlichen Vorschlag, einfach vier Jahre zu überspringen, der der geretteten Lois gemacht worden war. Wie diese das Ansinnen akzeptierte und sich die Konsequenzen allmählich herauskristallisierten.

Das war also das Geheimnis von Lois` spurlosem Verschwinden in der Parallelwelt. Ein Zeitsprung von vier Jahren! Ja, wer soll denn darauf kommen!

Lois setzt gerade mit der Darstellung der Ankunft in dieses Jahr 1997 an, als das Telefon klingelt.

Selbstverständlich gerät die Geschichte, so spannend sie auch ist, durch das so ersehnte Geräusch in den Hintergrund. Sofort springe ich auf, hebe ab und höre Perrys Erläuterungen hoch konzentriert zu. Über das, was ich zu hören bekomme, mache ich mir Notizen. Die Informationen sind zu umfangreich. Kurze Fragen muss ich stellen: „Wann? …Wie? …Wo?“

Das Gespräch wird von mir mit dem dringlichen Hinweis beendet: „Vielen Dank, Chief! Auch an Jimmy! Wenn er es weiß, möchte er mich bitte sofort anrufen. Ich will ja nicht drängeln, aber ich habe das Gefühl, dass jede Minute kostbar ist.“

Ich habe nicht nur das Gefühl, ich weiß es genau! Aber das kann ich Perry doch nicht sagen. Mit einem Seufzer lege ich den Hörer auf. Atemlose Stille im Wohnraum. Alle Anwesenden durchbohren mich förmlich mit ihren Blicken voller Neugierde und Fragen.

Von einer Sekunde zur anderen wird mein Körper mit Spannkraft und Energie erfüllt. Ich spüre, dass die um ihren Mann bangende Ehefrau sich in die Enthüllungsreporterin verwandelt. So muss sich ein Jagdhund fühlen, der die Witterung seiner Beute aufgenommen hat. Endlich, endlich habe ich Fakten, die helfen können, dem Geheimnis von Clarks Verschwinden auf die Spur zu kommen!

~*~*~*~*~

‚Das Wasser wird klar‘ im fünften Kapitel

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Gelis

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Sa 1. Jun 2013, 19:14

Das Wasser wird klar 5/11

„So!“ Mit dem Bleistift auf das Papier klopfend hebe ich den Kopf, um die Augen meiner fünfköpfigen Streitmacht zu suchen: „Wir haben unverschämtes Glück. Und zwei hervorragende Helfer im Planet. Perry hat zwar einige Auskünfte bekommen. Aber Jimmy ist es gelungen, illegal an einige Daten heranzukommen. Er ist wirklich ein Genie!So, hier sind die Fakten. Laut Auskunft werden die zuständigen Beamten aus Sicherheitsgründen alle vier Monate ausgetauscht. Für diese fünf Beamten, die zurzeit für den Trakt in dem Tempus einsitzt zuständig sind, geschieht das in drei Wochen. Im äußersten Notfall werden noch andere Vollzugsbeamte herangezogen. Das ist aber eine ganze Zeitlang nicht passiert. Aber weil einer der fünf, Gerald Snyder, seit sechs Tagen mit einem Beinbruch im Krankenhaus liegt, gibt es einen Ersatzmann.“

Den ersten und zweiten Namen hake ich energisch von der Liste: „Der heißt Donald Begley und ist erst seit fünf Tagen in dieser Abteilung. Ich glaube, den können wir auch erst einmal streichen. Kaum vorstellbar, dass Tempus ihn in der kurzen Zeit hat beeinflussen können.“

Die Spannung in dem Raum ist mit den Händen greifbar. Fünf Augenpaare hängen an meinen Lippen, während ich weiter Perrys und Jimmys Recherchen verkünde: „Ein dritter Beamte, Paul Kaminsky, hat seit zehn Tagen Urlaub und ist mit seiner Familie verreist. Angeblich ist er in Florida.“ Der dritte Name wird markiert.

Und auch an den vierten Namen setze ich ein Häkchen: „James Cassidy. Der Mann soll angeblich kein Auto fahren können, hat Jimmy ermittelt. Das können wir im Bedarfsfall später überprüfen.“

„Denn jetzt wird es interessant!“ Ich kann nicht vermeiden, dass sich meine Stimme etwas hebt. Mit einem Räuspern versuche ich, das gewohnte Timbre zu erlangen: „Hä-ämm… Da ist der Beamte, Charles Watkin, den ich gestern kennengelernt habe. Er ist groß und kräftig. Meiner Meinung nach hätte er es schaffen können, Clark in seiner Hilflosigkeit zu überwältigen. Der letzte im Bunde ist Timothy Higgins. Ich glaube, um die beiden sollten wir uns zuerst kümmern!“

Voller Tatkraft nehme ich wieder Platz. Noch kann ich den gespannt Lauschenden weitere Informationen geben: „Jimmy hat für uns schon eine Menge recherchiert. Charles Watkin, 56, alleinstehend, war nie verheiratet, wohnt in einer billigen Pension in Hob's Bay. Jimmy hat herausbekommen, dass er spielsüchtig ist.“

Von dem vielen Reden bin ich durstig geworden. Langsam genieße ich schlückchenweise etwas Wasser. Als aber das Labsal durch meine Kehle rinnt, kommt mir wieder Clarks Leiden zu Bewusstsein. Schon so lange hat er nichts mehr trinken können. Nur mit belegter Stimme bekomme ich die nächsten Erläuterungen heraus: „Timothy Higgins, 42, seit ungefähr acht Monaten verwitwet. Seine Frau und seine beiden Kinder sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Die Umstände dieses Unfalles will Jimmy noch herausbekommen. Higgins wohnt draußen in Vernon in einem eigenen Haus.“

Mit einem tiefen Seufzer schiebe ich den Block von mir. Von meinem Platz aus schaue ich jeden der Gruppe eingehend an: „Wenn wir mehr Zeit hätten! Haben wir aber nicht! Immer wieder ist es mir, als ob ich Clarks Stimme höre: ‚Lois, denk nach…‘! Darum bin ich vorhin auf diese Idee gekommen.“ Pure Erwartung schlägt mir entgegen.

„Clark!“ Obwohl mir sein Anblick so wehtut, blicke ich das Ebenbild meines Mannes fest an. Rein äußerlich sitzt da der Ersehnte… und ist es dennoch nicht: „Clark, bitte lass uns nachher, wenn es richtig dunkel ist, nacheinander zu diesen beiden Aufsehern fliegen. Lass dich nur kurz als Superman von ihnen sehen. Als ob du eine Erscheinung wärst. An ihrer Reaktion müssen wir merken, ob sie wirklich etwas mit Clarks Entführung zu tun haben.“

Jetzt reden alle ein wenig durcheinander: „Meinst du, dass…“ –„…wie ein Gespenst“-„…wird ein Schock sein“ –„Wie arbeiten die zwei denn…?“

Unwillkürlich muss ich etwas lächeln. Der Eifer meiner Helfer tut so gut: „Ja, es ist ein alter Trick. Aber ich hoffe, dass der Betreffende vor lauter Schreck nachschaut, ob sein Gefangener noch da ist. Und uns damit zu ihm führt! Watkin hat wie ich weiß schon längst Feierabend. Hoffentlich ist er nicht in einem Spielsalon. Die heutige Dienstzeit von Higgins werden wir von Jimmy noch erfahren. Außerdem will er uns Bilder von allen sechs Beamten faxen.“

Auf diese Informationen müssen wir allerdings wieder warten. Erschöpft schließe ich einen Moment die Augen. Das Murmeln der anderen hört sich wie ein munteres Bächlein an. Doch eine Sache rumort noch in mir, lässt mir keine Ruhe. Diese Frage muss ich stellen: „Aus welch einem Grund will ein Mensch einen anderen Menschen töten? Welche Motive kann es geben. Wem fällt etwas ein? “

Sofort kommen von allen Seiten Antworten: „Hass - Geld – Rache – Eifersucht – Machtgelüste – Gewinnsucht – Liebe - Neid!“

Alle diese genannten Gründe schreibe ich auf den Block und denke laut weiter: „Tempus muss demjenigen wer-weiß-was in Aussicht gestellt haben. Leider kennen wir die beiden in Frage kommenden Personen nicht so gut. Und ich bin durch meine Überlegungen felsenfest davon überzeugt, dass es einer von denen sein muss. Aber wir wissen nicht, ob sie vorher jemals mit Superman in Berührung gekommen sind. Mir sind die Namen zumindest unbekannt. Wie soll er ihnen Grund zu Hass, Eifersucht oder Rache gegeben haben können? Vielleicht hat Tempus dem Betreffenden Geld oder Gold versprochen. Das würde auf Watkin mit seiner Spielsucht am besten passen. Vielleicht hat er große Schulden. Ist an einen Wucherer geraten und fürchtet dessen Konsequenzen. Aber er müsste schon sehr naiv oder verzweifelt sein, um Tempus zu vertr….“

In meine Erklärung hinein ertönt gleichzeitig mit dem Klingen des Faxgerätes das Schrillen des Telefons. Mit schnellen Schritten bin ich am Apparat und nehme das Gespräch an. Und werde bis ins Mark von dem erschüttert, was Jimmy mir da erzählt. Jetzt ist sonnenklar, wer Clark aus welchen Beweggründen entführt hat und töten will. Das Rätseln hat ein Ende!

Ein kleiner Aufschrei von Martha macht mich aufmerksam: „Jonathan, guck mal! Dieser Mann! Erkennst du ihn auch?“ Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, dass der gesamte Besuch sich vor dem Fax versammelt hat und Blatt für Blatt in Empfang nimmt.

Clarks Vater nickt mehrere Male mit dem Kopf. Die beiden kommen sofort mit einem Bild zu mir herüber. Nur mit einem: „Danke, dass du dort bleibst, Jimmy, ich melde mich wieder!“, beende ich das Telefonat.

Sofort fängt Martha aufgeregt an zu sprechen: „Lois, dieser Mann hier. Er war ungefähr vor zehn Tagen in Smallville. Wir sind am Nachmittag an Shuster's Field vorbeigefahren, da stieg er gerade aus einem Auto aus. Er ging in Richtung Rocky Cove. Wir haben ihn genau gesehen. Wir haben uns noch gewundert, weil er so etwas wie eine Schaufel in der Hand hatte!“

Bedrückt antworte ich: „Ja, ich weiß es auch! Timothy Higgins! Er wird dort nach Kryptonit gegraben haben. Tempus wird ihm wohl die ungefähre Stelle genannt haben, wo er suchen muss.“

Ich wende mich Mr. Wells zu: „Wissen sie noch? Tempus wollte in Rocky Cove Clark als Baby töten und hatte rings um ihn herum Kryptonit hingelegt. Ich habe es einfach weggeworfen. Das war ein gravierender Fehler! Setzt Euch bitte alle hin! Ich kenne jetzt auch das Motiv!“

Die Plätze werden wieder eingenommen. Doch nicht relaxt sondern äußerst gespannt sitzen alle da. Zuerst muss ich ganz tief Luft holen, bevor ich sprechen kann. Ein Riesenseufzer wird daraus: „…Jimmy hat mir gesagt, wodurch die Familie von Mr. Higgins zu Tode gekommen ist! Auch seine Schwiegereltern waren dabei. Die ganze Familie… einfach ausgelöscht! Es waren die Kryptonier, Nor und seine Bande. Die haben ja damals so fürchterlich hier in Metropolis gehaust. Es sind so viele Menschen aus purer Lust am Töten von ihnen umgebracht worden. Sie haben das Auto der Ehefrau, besetzt mit ihren Eltern und den Kindern, in die Höhe gepustet und auf die Erde stürzen lassen. Das war vor dem Metropolis History Museum. Angeblich wären alle tot.“

Meine Stimme versagt fast: „Deshalb dieser Hass auf Clark, auf Superman. Weil er Kryptonier ist. Dabei hat er doch die Erde von diesen Ungeheuern befreit! Unter Einsatz seines eigenen Lebens!“ Einige Male muss ich fest schlucken und mit den aufsteigenden Tränen kämpfen. Wieder wird meine Hand tröstend von der anderen Lois gedrückt.

Mr. Wells, der die ganze Zeit ein aufmerksamer Zuhörer gewesen ist, meldet sich energisch zu Wort: „Das Rätsel ist gelöst. Die Teile sind ineinandergefügt. Miss Lane, wissen sie, ob Mr. Higgins jetzt zu Hause ist?“

Jetzt fällt mir erst auf, dass es draußen schon dunkel geworden ist und dass das elektrische Licht leuchtet. Martha muss zwischendurch die Lampen angemacht haben ohne dass ich das zur Kenntnis genommen habe.

Ich schaue auf die Uhr, dann auf den Zettel: „Er hat Spätdienst, das heißt, dass er um 22:00 Uhr, in einer halben Stunde Feierabend hat. …Und dann habe ich hier noch etwas Wichtiges: Seine Schwiegereltern sind aus Finnland eingewandert…! Ihr wisst, was das heißt?“ Im Chor kommt die Antwort: „Die Sauna!“

Nichts kann mich jetzt noch halten. Ich springe auf: „Clark, bitte, flieg mich nach Vernon raus. Bitte, ich hab hier die Adresse. Ich brauche unseren Stadtplan.“ Schon habe ich ihn in der Hand. Da… Vernon, die Silver Street. „Clark, bitte!“

Doch der schaut mich nur ratlos an: „Lois, was geschieht, wenn wir ihn gefunden haben? Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach. Es ist nun für Stunden dunkel, aber er muss unbedingt in die Sonne, um regenerieren zu können. Aber er hat doch jetzt eher die Molekularstruktur eines Erdenbewohners. So kann ich ihn nicht ins Weltall fliegen. Außerdem wird er vollkommen mit Kryptonit verseucht sein. Sogar seine Haut ist in Mitleidenschaft gezogen. Ich befürchte, dass das Teufelszeug auch mich angreifen wird. Wir würden beide…!“ Er machte eine ganz eindeutige Handbewegung in Richtung Fußboden.

Der Himmel stürzt für mich ein. So nah an Clarks Befreiung und doch so weit von seiner Genesung entfernt. Genau wie ich schauen auch die Kents entgeistert auf das Ebenbild ihres Sohnes.

Wie ein Geschenk des Himmels fällt mir die Episode mit Diana Stride ein. Nur damals wusste ich noch nicht, dass Clark der kranke Superman war. Die beiden sind zu der Zeit noch zwei verschieden Personen für mich gewesen.

Erleichterten Herzens kann ich die Mitteilung machen: „Moment, Clarks Körper war schon einmal total mit Kryptonit verseucht. Der Arzt, der ihn damals untersucht hat, teilte uns mit, dass es sich wie ein Krebsgeschwür im Körper verteilen würde. Clark ist damals in den Kernreaktor des Metropoliser Atomkraftwerks gegangen. Das war für ihn möglich und hatte die Wirkung einer Intensiv-Bestrahlung. Er wurde dadurch wieder gesund. Weil es diesmal schlimmer ist, kannst du anschließend mit ihm noch zur Sonne fliegen, damit er so richtig auftanken kann. Aber wie schützen wir dich vor dem Kryptonit?“

Lois kommt uns zu Hilfe und stellt die Frage: „Gibt es denn keinen Schutz, keinen Anzug? Würde denn nicht Atomschutzkleidung das Kryptonit von dir fern halten, Clark? Und sollten wir ihn nicht erst mal finden und da rausholen?“

Ihr Mann läuft leicht rötlich an: „Natürlich, du hast ja so recht! Komm, Lois, wir fliegen erst einmal dahin!“ Er wendet sich mir zu und wirbelt sich sofort in seinen Dress.

Aber seine Frau ruft aufgeregt: „Clark, ich will auch mit! Lois und du, Ihr müsst doch einen Schutzanzug besorgen. Wer soll denn bei Clark bleiben und auf ihn aufpassen?!“ Sie hat ja so recht, die Zustimmung ist groß.

„Schutzanzug?“ Kann ich denn vor lauter Stress überhaupt nicht mehr richtig denken? „Den kann Jimmy schon einmal organisieren!“ Schnell zum Telefon. Ein kurzer Tastendruck: „…Jimmy, ich kann dir nicht oft genug sagen wie froh ich bin, dass du im Planet bist! Ich hab hier noch etwas ganz, ganz Wichtiges. Ruf bitte Dr. Klein an. Er wird wohl nicht mehr in den S.T.A.R. Labs sein, ruf` bei ihm zuhause an! Wir brauchen unbedingt einen Schutzanzug, den dichtesten, den er auftreiben kann. Er ist lebensnotwendig für Superman. Ich hole ihn nachher ab. …Jimmy, frag jetzt nicht. Erklärungen kommen später! Wir sind nah dran!“

Mir ist klar, dass Jimmy bestimmt Himmel und Hölle in Bewegung setzen wird, um diesen Auftrag auszuführen. Hoffentlich ist Dr. Bernhard Klein nicht unterwegs. Über seine Gepflogenheiten am Samstagabend ist mir nichts bekannt. Bitte, er muss zuhause sein!

Kaum habe ich den Hörer aufgelegt, ist Martha schon bei mir. Es ist offensichtlich, dass sie auch am liebsten mitfliegen würde. Doch darüber verliert sie kein Wort. Sie hat etwas ganz anderes auf dem Herzen: „Lois, du musst etwas für Clark zum Anziehen mitnehmen. Er muss sofort aus dem durchtränkten Dress heraus. Außerdem, wenn Ihr gesehen werdet, reicht ja ein Superman! Und er muss Wasser zum Trinken haben!“

Sofort wird sie von mir umarmt. „Danke, Martha. Das ist so gut, dass Ihr alle mitdenkt!“

In Windeseile holt Martha Jeans, Shirt und Unterwäsche für Clark aus dem Schrank. Sie bringt auch einen Rucksack mit. Zwei Flaschen Wasser stecke ich mit hinein. Jonathan reicht mir eine große Schere: „Für die Stricke!“

„Danke, ihr Beiden! Aber was anderes. Wollt Ihr Euch nicht nachher hinlegen?“ Bang schaue ich sie an: „Wer weiß, wie lange die beiden Clarks unterwegs sein werden. Vor morgen früh sind sie sicher nicht zurück.“

Auch an Mr. Wells muss ich mich noch wenden: „Martha wird Ihnen das Gästezimmer zeigen, Mr. Wells. Schlafen Sie doch auch ein wenig!“ Meine Schwiegermutter schenkt mir ein beruhigendes Lächeln: „Ich kümmere mich, Kind! Fliegt nur. Bringt uns unseren Jungen!“ Ihre Augen glänzen feucht.

Superman ist es anzusehen, dass er ein Problem hat. Er meint verlegen zu mir: „Wie soll ich Euch tragen? Nehme ich jede in einen Arm oder dich auf den Rücken?“

Aber mir ist das doch so egal, wie ich durch die Luft gebracht werde. Hauptsache, ich werde es! Mit Elan schwinge ich mir den gefüllten Rucksack auf den Rücken, befestige ihn noch mit einem Gurt um meinen Körper. Im Klang meiner Stimme ist eine Portion Ungeduld zu erkennen: „Clark, wie du das auch immer machen willst! Aber bring mich jetzt bitte zu meinem Mann!“

~*~*~*~*~

Das sechste Kapitel spielt ‚In Vernon‘

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » So 16. Jun 2013, 09:55

In Vernon 6/11

Ein nie dagewesenes Phänomen könnte man heute am nächtlichen Himmel von Metropolis erblicken. Superman gleitet im gemäßigten Tempo über die Stadt. Das geschieht öfter. Aber in jedem seiner Arme hält er eine Lois Lane. Das war noch nie da. Der zunehmende Mond erleuchtet mit silbernem Licht im Verein mit vielen Sternen diese Szene.

Wie genieße ich sonst die nächtlichen Flüge mit meinem Clark. Für mich ist es eines der großartigsten Erlebnisse, die Welt aus den sicheren Armen meines Mannes von oben sehen zu können. Die vielen Lichter unter und über uns. Die illuminierten Lindwürmer, die sich da unten durch die Straßen wälzen. Heute habe ich keinen Blick dafür, nichts spricht mich an. Alles geht mir viel zu langsam. Denn jede Sekunde kann entscheidend sein. Wir müssen Clark so schnell wie möglich finden!

Endlich, Vernon. Ein kleiner Park ist unser Landeplatz. Nach dem Stadtplan haben wir uns die Legende eingeprägt. Kurze Orientierungsblicke. Die Silver Street liegt gleich um die Ecke. Diese Siedlung ist keine luxuriöse Wohngegend. Durch ruhige Straßen mit kleinen Einfamilienhäusern, schlicht gebaut, gelangen wir bald zu der gewünschten Adresse. Eine Thujahecke schützt das Haus und seine Umgebung vor neugierigen Blicken. Clark schaut sich vorsichtig um. Es ist um diese Uhrzeit hier draußen sehr ruhig. Das Nachtleben spielt sich ganz woanders ab. Niemand ist in Sichtweite. Nur eine Katze huscht vor uns über die Straße, ist blitzschnell im Schatten eines Hauses verschwunden. Beruhigt packt er wieder mit je einem Arm seine Frau und mich und ist auch schon mit uns über das Hindernis hinweg geflogen.

Die gleiche Spannung, die mich beherrscht, erkenne ich in den Gesichtern meiner Begleiter. Wir schauen uns um. Ruhig und dunkel liegt das gesamte Grundstück vor uns. Auch als wir uns dem Haus nähern, geht kein Licht an. Verwundert mache ich die Feststellung: „Allem Anschein nach fürchtet Mr. Higgins keine Einbrecher. Er hat noch nicht einmal Bewegungsmelder installiert.“ Vielleicht ist auch in dieser Gegend nicht viel zu holen.

Mit seinem Röntgenblick sucht Clark das Außengelände ab und berichtet sofort, was er sieht: „Da ist ein kleines Gartenhäuschen.“ Zwei intensive Blicke genügen ihm für die Feststellung: „Doch keine Sauna und vor allen Dingen kein Clark.“

Er richtet seine volle Konzentration auf das Haus. Inspiziert Stockwerk für Stockwerk und Zimmer für Zimmer. Vor Aufregung presse ich meine Finger zusammen bis mich der Schmerz darauf aufmerksam macht. „Clark, was siehst du?“ Ich berste bald vor Ungeduld. In seiner Stimme liegt ein Berg Frust: „Clark ist nicht hier! Es gibt in diesem Haus keine Sauna. Und überall sieht es sehr verwahrlost aus. Als ob niemand hier wohnen würde.“

Nein! Am liebsten würde ich vor Enttäuschung laut schreien. Voller Hoffnung bin ich gewesen, wähnte mich dem ersehnten Ziel so nah und jetzt das! Aber ich habe mich nicht geirrt! Higgins muss der Übeltäter sein, wir dürfen auf keiner falschen Spur sein! Da fällt mir etwas ganz heiß ein: „Moment! Jimmy hatte mir doch noch eine Adresse genannt, die der toten Schwiegereltern. Wie war die bloß?“ Fieberhaft überlege ich. Wieder ist es mir, als ob ich die Stimme meines Mannes höre: „Lois, denk nach!“

Ja, nachdenken! …War es nicht dieselbe Straße gewesen? Erleichtert stöhne ich auf: „Es war dieselbe Straße…, hier ist 23. Warte mal. Nr. 55 war es, ja… Silver Street Nr. 55!“

Ohne ein Wort zu sagen, umfängt Clark uns wieder und schwebt ein Stückchen über die Gebäude hinweg weiter die Straße hinauf. Hochkonzentriert zähle ich die vorbeigleitenden Häuser: „Das muss es sein!“ Meine Stimme ist vor Aufregung ganz heiser und belegt. Sind wir jetzt wirklich am Ziel? Werden wir jetzt endlich meinen Clark finden?

Sofort nach der Landung und unserem Absetzen vergewissert sich Superman, dass es die richtige Hausnummer ist. Sie ist es. Für meine normalen Augen gibt es nicht viel zu erkennen. Nur dass das Grundstück auch hier mit einer Lebensbaumhecke geschützt ist und es ein etwas größeres Gartenhaus gibt.

Darauf richtet Clark aufmerksam als erstes seinen Superblick. Und aufgeregt stammelt er nach einigen forschenden Blicken: „Ich glaub das ist es! Ja, da ist eine Sauna. Der Ofen ist heiß. Und da liegt auch eine Gestalt…!“

Als ob ein Startschuss gefallen wäre sprinten wir drei los. Diesmal gibt es Bewegungsmelder. Das Häuschen wird plötzlich von zwei Lampen erleuchtet. Umso besser für uns.

Natürlich ist Superman zuerst an der Tür. Sie ist geschlossen. Mit einem Ruck hat er den ganzen Beschlag herausgerissen und stürmt durch die jetzt offene Tür hinein. Sofort wird es innen auch hell. Im Chor mit meinem Ebenbild schreie ich los: „Nicht! Nein! Clark, du musst da weg!“ Tatsächlich kommt er sofort taumelnd wieder heraus.

Er nickt uns zu und weicht bis an die Hecke zurück. Tief und ruhig atmend versucht er, die Schwäche zu überwinden. Seine Frau will besorgt zu ihm. Doch er winkt ihr beruhigend zu: „Es ist nicht sehr schlimm. Du musst Lois helfen!“

Mit klopfendem Herzen betrete ich den erleuchteten Raum, Lois ist sofort hinter mir. Schon hier spürte man feuchte Wärme. Wir schauen uns um. Ein Regal mit Frotteetüchern, diversen Fläschchen und Packungen steht an der Wand. Und da ist eine schwer gesicherte Tür! Ein kleines Fenster in ihr erlaubt einen Blick in den eigentlichen Saunaraum. Er ist nicht erleuchtet. Vielleicht ist hier irgendwo ein Lichtschalter, doch den suche ich jetzt bestimmt nicht.

Denn sofort mache ich mich an der Zwischentür zu schaffen. Ein großer Eisenriegel geht über das ganze Türblatt hinweg. Mein Versuch, das Metall aus seiner Halterung zu heben, gelingt mir auf Anhieb nicht. Doch schon ist Lois an meiner Seite. Mit vereinten Kräften untermalt von angestrengtem Stöhnen können wir das schwere Teil entfernen.

Zum Glück steckt der Schlüssel im Schloss. Mein Bauch krampft sich vor Anspannung zusammen. Aufgeregt zittert meine Hand. Kaum, dass ich den Schlüssel drehen kann. Endlich, die Tür ist offen. Ich kann in die Sauna hinein. Widerliche warme Feuchtigkeit schlägt mir entgegen. Etwas Licht vom Vorraum lässt mich den elektrischen Saunaofen erkennen, der gleich neben der Tür steht. Aus der übergroßen Verdampfwanne entweicht permanent Dampf. In der darüber hängenden Kräuterschale liegen zwei Brocken Kryptonit. Grünleuchtendes Gift für meinen Mann. Darum muss ich mich später kümmern.

Mit einem Satz bin ich bei der auf der höheren Stufe liegenden Gestalt, die ich zuerst mehr ahne als sehe. Plötzliche Helligkeit. Lois hat wohl den Lichtschalter gefunden. Und es ist tatsächlich der so schmerzlich Vermisste, sein Cape hängt um ihn herum wie ein nasser Aufnehmer. Arme und Beine sind durch Stricke fest an den Körper gebunden, die gleichzeitig mit der Saunabank verbunden sind. Der Kopf steckt in einem kleinen Jutesack. Ein weiterer um Clarks Hals geschlungener Strick hält ihn zusammen. Auch dieser Strick ist zusätzlich an der Bank befestigt. Und alles trieft vor ekliger Nässe.

Ich werde vor Grauen geschüttelt. Tempus hat mal wieder durch Higgins ganze Arbeit geleistet. Denn der so wie ein Paket Verschnürte rührt sich nicht. Voller Panik rüttle ich an der Schulter. „Clark! Clark!“ Ein Griff an seinen Puls beweist mir aber, dass noch Leben in ihm ist. Ich versuche ganz ruhig zu bleiben. Zuerst muss ich die Stricke von der Bank trennen. Die Schere! Bloß gut, dass Jonathan sie mir gegeben hat. Blitzschnell ist der Rucksack unten und geöffnet. Gequält schreie ich auf: „Lois, hilf mir!“ Sofort ist sie bei mir. Mit einiger Kraftanstrengung sind die nassen Stricke durchschnitten. Zwischendurch sagt sie nur knapp: „Hab mich um den Saunaofen gekümmert.“

Gut, aber ich hab jetzt andere Sorgen. Erst seinen Kopf und die Extremitäten befreien oder ihn zuerst aus diesem Kryptonitdunst heraus bringen? Erst raus! Meinen Entschluss gebe ich sofort weiter: „Er muss hier als erstes raus, Lois!“ Auch jetzt vereinigen wir unsere Kräfte, heben den Ohnmächtigen herunter und schleifen ihn aus der Hütte.

Ein kurzer Blick zeigt, dass der andere Clark nicht mehr an seinem vorherigen Platz steht. Drüben am beleuchteten Haus sind zwei Gestalten zu erkennen. Eine, die zusammen gefallen auf der Treppe sitzt, mit vor dem Gesicht geschlagenen Händen. Vor dieser steht unverkennbar in Dress und Cape Superman.

Also muss Timothy Higgins inzwischen heimgekommen und zu seinem Entsetzen von einem sehr tatkräftigen Helden in Empfang genommen worden sein.

Doch das ist für mich im Moment mehr als sekundär, ich muss mich unbedingt um meinen Mann kümmern. Gemeinsam ziehen wir ihn wie einen schweren Sack um die Hütte herum, damit wir vom Haus aus nicht gesehen werden können. Eilig holt Lois Rucksack und Schere herbei. Als erstes befreie ich Clarks Kopf und lass ein paar Tropfen Wasser in seinen Mund fallen. Vor Entsetzen vergesse ich fast zu atmen. Was hat das Teufelsgestein in seinem Gesicht angerichtet. Der Anblick erinnert mich an Bacon, der sich in der Pfanne zusammenzieht. Die Lippen blutig zerschrunden. Blutig! Bei Clark!

Weitermachen, Lois! Wieder dauert es mir viel zu lange, bis die Fesseln zerschnitten sind. Endlich kann ich ihn mit Lois` Hilfe von dem engen aber vollkommen durchnässten Dress befreien. Es stört mich nicht, dass sie ihn im Adamskostüm sieht. Er gleicht doch normalerweise ihrem Mann wie ein Spiegelbild.

Normalerweise! Aber im Moment bestimmt nicht. Denn auch hier muss ich mit Bestürzung feststellen, dass seine Haut am Körper so schrumpelig wie bei einem alten Apfel ist. Teilweise hat sie sogar feine Risse.

Die mit Kryptonit geschwängerte Feuchtigkeit muss von seinem Körper herunter. „Ich brauch Wasser!“ Suchend blicke ich umher und entdecke einen angeschlossenen Wasserschlauch. Auch meine Helferin hat ihn gesehen und holt ihn herbei. „Warte, Lois, ich hole noch ein Wasch-Gel“, wieder ist sie um die Ecke verschwunden. Gute Idee! Falls das Gel auf der angegriffenen Haut brennen sollte, würde Clark in seinem Zustand sowieso nichts davon spüren. Zuerst spritze ich den durch die Sauna erhitzten Körper ab, vereint schäumen wir ihn sorgfältig ein. Und ohne Rücksicht darauf, dass das Wasser immer noch kalt ist, wird der am Boden Liegende intensiv aber sanft abgespült. Doch auch dieses zweimalige kalte Abduschen lässt ihn nicht zu Bewusstsein kommen.

Lois bringt mehrere Male saubere und trockene Tücher aus dem Sauna-Vorraum heraus. Vorsichtig tupfe ich den malträtierten Körper ab. Mein Ebenbild erzählt zwischendurch: „Mein Clark und Higgins sind nirgendwo zu sehen Vielleicht sind sie ins Haus gegangen.“ Sorgt sie sich? Ich schaue kurz auf: „Diesen Superman wird er ganz bestimmt nicht überwältigen können!“

Eine Holzbank lehnt sich an das Gartenhaus an. Wir stemmen meinen Mann dort hinauf, legen ihn auf einige Handtücher. Wie ein Kleinkind wird er von uns angezogen. Zwischendurch tropfe ich ihm immer wieder etwas Wasser in den Mund, befeuchte seine gesprungenen Lippen. Doch es kommt und kommt keine Reaktion von ihm. Die Verzweiflung lässt mich tief aufstöhnen. Meine Parallel-Existenz versucht mir die Angst zu nehmen: „Er lebt und ist von dem Kryptonit entfernt! Das ist das Wichtigste, Lois. Er lebt!“ Schweigend kann ich nur nicken. Sprechen kann ich nicht, die Angst drückt mir die Kehle zu.

Als unser Werk vollbracht ist und Clark trockene Kleidung anhat, setze ich mich auf die Bank und lege seinen Kopf in meinen Schoß. Bang blicke ich auf ihn hinunter, immer wieder streicht meine Hand über seine feuchten Haare.

Mein Herz setzt aus, als wie ein Hauch „Lois“ aus seinem Mund kommt. Die Andeutung eines Lächelns erscheint auf seinem Gesicht mit den fest geschlossenen Lidern. Dann sind wieder nur Atemzüge zu hören, zu meiner Beruhigung sind sie tief und regelmäßig. Er muss meine Gegenwart gespürt haben. Vor Freude und Erleichterung lösen sich zwei Tränen aus meinen Augen. Sie gleiten sanft die Wangen hinunter.

So sitze ich da wie eine Pieta. Auf Lois habe ich in den letzten Minuten gar nicht geachtet. Doch nun ist sie da und nimmt neben mir Platz. „Jetzt könnte allmählich mein Clark kommen“, knurrt sie etwas nervös und ungeduldig.

Wie bestellt taucht er um die Ecke auf. Er sieht mitgenommen aus und fragt nur kurz in gebührender Entfernung von der leblosen Gestalt: „Alles okay?“ Zwei Lois Lane antworten im Chor: „Ja, soweit alles okay!“ Mit einer gepressten Stimme teilt er uns mit: „Higgins ist ein verteufelt armer Kerl. Tempus hat ihm etwas in Aussicht gestellt, da konnte er einfach nicht widerstehen! Er ist bestimmt kein Mörder, sondern verzweifelt bis zum Äußersten. Jetzt im Nachhinein tut es ihm aufrichtig leid, was er getan hat.“

Seine Frau will von ihm wissen: „Was macht er jetzt? Ihr beide müsst doch weg und versuchen, einen Schutzanzug zu bekommen! Dann bin ich hier mit ihm allein.“ Die Antwort kommt schnell: „Oh, habt Ihr mich nicht gesehen? Aber Ihr wart sicher zu beschäftigt. Ich habe ihn zu seinem Haus geflogen und erst mal in das Gartenhaus gesperrt. Da bleibt er, bis wir gleich wieder zurück sind. Clark muss später entscheiden, was mit ihm geschehen soll. Komm, Lois!“

Vorsichtig hebe ich den Kopf meines Mannes an. Noch einmal muss meine Hand über seine Haare streicheln, mehr traue ich mich nicht. Nur sehr ungern verlasse ich ihn. Doch die vor mir liegende Aufgabe soll ja dazu beitragen, ihn wieder gesunden zu lassen. Sofort rutscht die andere Lois auf meinen Platz und legt nun ihrerseits den Kopf des Bewusstlosen in ihren Schoß.

Von Supermans Armen aus schaue ich auf die beiden zurück. Etwas leichter ist es mir ums Herz. Wir haben Clark gefunden und aus der Kryptonit-Hölle befreit. Das Schlimmste liegt hinter uns!

~*~*~*~*~
Nach der Deadline ist es in der Redaktion des Daily Planet sehr still. Nur Jimmy wartet dort trotz der vorgeschrittenen Stunde. Er hat vortreffliche Arbeit geleistet. Als ich ankomme, liegt ein Schutzanzug bereit, sehr dünn und aus silberner Folie. Stolz erklärt mein junger Kollege: „Dr. Klein sagte, das Material wäre das modernste, was es zur Zeit gibt. Wieder ein tolles Nebenprodukt der Raumfahrt. Zum Glück war er tatsächlich doch noch in den S.T.A.R. Labs. Er wollte in Ruhe einige Experimente machen.“

Das Wort ‚Privatleben‘ kennt Dr. Bernhard Klein auch nicht. Aber so profitieren wir von seiner Arbeitswut.

Dankbar umarme ich den Fotografen: „Jimmy, du bist ein echter Freund. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll!“ Mit seinem Mund fragt er nichts, doch seine Blicke tun es. So gerne hätte ich ihm erzählt, wie sehr seine Recherchen zum Erfolg beigetragen haben. Doch die Zeit drängt. So vertröste ich ihn: „Ich muss schnell weiter. Morgen früh rufe ich an. Ich bin sicher, dass wir Superman dann gefunden haben. Ich sagte ja vorhin schon, dass wir ganz nah dran sind! Clark wartet unten im Wagen. Es war ihm zu anstrengend, hier heraufzukommen. Der Chief und du, Ihr werdet alles erfahren, versprochen! Jimmy, deine Arbeit war wirklich spitzenmäßig!“ Wie schon die ganze Zeit, halb Lüge, halb Wahrheit!

Hoffentlich bietet Jimmy nicht seine Hilfe an. Bevor er etwas sagen kann, bin ich schon in Richtung Aufzug unterwegs. Seinen Ruf: „Lois, warte!“ überhöre ich einfach. Im letzten Moment, als sich die Fahrstuhltüren hinter mir schließen, winke ich dem verdutzt schauenden jungen Mann noch einmal zu. Wohl dem, der solche Freunde hat! Ich bin den beiden großen Helfern auf jeden Fall Aufklärung schuldig. Allerdings auch wieder mit einem melierten Wahrheitsgehalt.

Superman hat oben auf dem Dach auf mich gewartet. Alles geht jetzt so schnell vor sich, wie ich mir das wünsche. Rasch sind wir wieder beim Haus des toten Ehepaares Antti und Kaisa Halanen. Clark ist immer noch nicht aufgewacht. Tröstlich ist allerdings sein ruhiges Atmen. Während unserer Abwesenheit hat die andere Lois ihn immer wieder mit Wassertropfen versorgt, wie sie erzählt.

Der gesunde Superman will als erstes zu dem anderen Haus, um Timothy Higgins aus der Gartenlaube zu befreien. Auch hier dauert es nur kurze Zeit, bis er wieder zurück ist. Kaum dass wir den nassen Superman-Dress im Rucksack verstauen konnten. „Er ist eingeschlafen“, berichtet er: „Wenn er wach wird, wird er wohl merken, dass die Tür offen ist.“ Zu gerne hätte ich gewusst, warum er so milde mit dem Entführer und Fast-Mörder verfährt. Aber auch das ist für mich im Moment zweitrangig. Meine Sorge, mein ganzes Interesse gilt nur meinem Mann.

Dessen Ebenbild aus dem anderen Universum zieht sich mit Lois‘ Beistand in sicherer Entfernung von dem Kryptonitgeschädigten den Schutzanzug an, schließt ihn mit höchster Konzentration. Er nähert sich langsam der leblos wirkenden Gestalt, hebt sie vorsichtig auf seine Arme. Er will Clark zuerst für einen kleinen Zwischenstopp in die Hyperion Avenue fliegen, damit er uns anschließend auch heimbringen kann. Gespannt warte ich auf seine eventuelle Reaktion auf das Meteorgestein. Neben mir hält auch die andere Lois die Luft an. Doch es geschieht nichts. Der Schutzanzug muss wohl einen schädlichen Einfluss des in Clark verbliebenen Kryptonits verhindern.

Sehnsüchtig blicke ich dem davon Fliegenden mit seiner Last nach. „Du hast ihn bald wieder“, werde ich wieder einmal von meiner Alternativ-Existenz getröstet. Mein eigenes Gesicht sieht mich mit liebevollen Augen an. Ich muss sie ganz fest in meine Arme nehmen: „Lois, von ganzem Herzen Danke für Eure Hilfe und Eure Unterstützung!“ Wir stehen noch umschlungen da, als Superman mit einem Luftzug und wehendem Cape schon wieder landet. In bewährter Weise belädt er sich mit meiner zweifachen Ausgabe und bringt uns beide hoch über der nächtlichen Stadt zurück in unser Heim.

Natürlich sind die drei Zurückgebliebenen dort noch wach. Die Eltern Kent sind überglücklich, dass ihr Sohn gerettet und am Leben ist, obwohl er außer seinen Atemgeräuschen kein Lebenszeichen von sich gibt. Martha sitzt jetzt als Pieta auf dem Sofa. Mit Tränen in den Augen schaut sie auf das geschundene Gesicht ihres Sohnes hinab. Jonathan und Mr. Wells können ebenfalls ihre Augen nicht von der reglosen Gestalt abwenden.

Sofort nach unserem Eintreffen hebt der andere Clark seine Alternative wie eine Kostbarkeit auf seine Arme. Ohne einen Moment der Ruhe fliegt er mit ihr in den nächtlichen Himmel hinauf. Fünf hoffnungsvolle Augenpaare folgen ihm, bis die Dunkelheit beide verschluckt hat.

~*~*~*~*~

Im siebten Kapitel hören wir ‚„Selbst“-Gespräche‘

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Gelis

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Do 20. Jun 2013, 21:38

„Selbst“-Gespräche (1) 7/11

Die beiden Clarks sind im nächtlichen Himmel verschwunden. Jetzt beginnt wieder einmal das Warten. Mir ist vollkommen klar, dass ich kein Auge zu machen kann, bis sie wieder bei uns sind. Aber was ist mit den anderen? „Martha, wollt Ihr nicht schlafen gehen? Mr. Wells?“ – „Nein.“ Als Antwort bekomme ich nur abwehrendes Kopfschütteln.

Durch Clarks Auffinden habe ich mich inzwischen innerlich etwas entspannt. Darum dränge ich Lois: „Dann erzähle doch bitte weiter. Ich glaube, dass alle in diesem Raum gerne wissen möchten, wie ihr beiden zueinander gefunden habt!“

Clarks Eltern unterstützen meine Bitte mit dem Ausruf: „Oh ja, bitte, Lois!“ Der Zeitreisende sagt nichts, doch seinen Augen, groß und aufmerksam hinter der Brille, ist anzumerken, dass er genau so neugierig ist wie wir anderen. Also hatten die drei Helfer vor ihrem Eintreffen bei uns keine Zeit gehabt darüber zu reden.

„Okay!“ Erst füllt die Lois Lane aus der anderen Welt bedächtig ihr Glas, trinkt ein paar Schlückchen und beginnt dann ihre Erzählung mit geröteten Wangen: „Meine Geschichte hört sich an wie eine Liebesschnulze voller Klischees. Manche mögen sie von mir aus für kitschigen Schmalz halten. Aber für mich ist sie einzigartig und einfach wunderbar!“

Sie macht dort weiter, wo sie am Nachmittag aufgehört hat.Die Materialisation nach dem Zeitsprung im Centennial-Park am 12. Februar des laufenden Jahres kommt uns zu Gehör. Es folgt der Abschied von Mr. Wells, der versucht hatte, ein wenig mit seinen eindeutigen Bemerkungen als Ehe-Vermittler zu fungieren. Ein Blick zu ihm zeigt mir, dass er bei dieser Passage verschmitzt und reichlich selbstzufrieden ob seines Erfolges in sich hinein lächelt. Da wird mir klar, dass er alles daran gesetzt hatte, auch in dem anderen Universum die Voraussetzungen für Utopia zu schaffen. Aus dem Grund hatte er also Lois in der afrikanischen Nacht Clarks und meine Beziehungsgeschichte so ausführlich erzählt. Als Ansporn aber gleichzeitig auch als Warnung. Und offensichtlich hatte er wohl damit offene Türen eingerannt.

Denn Lois berichtet weiter von dem Heimflug in Clarks Apartment und der etwas verlegenen ersten Stunde, bis sich alles durch ihre Frage nach der Frau in seinem Leben veränderte. Bei der Erzählung von seiner leidenschaftlichen Liebeserklärung, die sie bis in ihr Innerstes aufgewühlt hatte, färben sich ihre Wangen noch rötlicher. Aber ganz ehrlich gibt sie zu, dass auch sie sich eigentlich vom ersten Moment an in ihren Lebensretter verliebt hatte.

Mich wundert das gar nicht. Denn niemand kann das so gut verstehen wie ich! Habe ich nicht auch sofort bei der ersten Begegnung mein Herz an den Mann aus Stahl verloren?

Die junge Ehefrau erzählt weiter von ihrem ersten Anruf bei ihrer Schwester in Berkeley. Wie sie anschließend in dem abendlichen Gespräch von Lana Lang, dem abrupten Ende der Verlobung und Clarks Liebe zu mir, der unfreiwilligen Besucherin aus dem anderen Universum, erfuhr. Diese Liebe, die sich dann allerdings auf sie selbst fokussiert hatte und die der Grund für seine verzweifelte Suche nach ihr gewesen war.

Sie erwähnt ihre erste Nacht in Clarks Apartment mit keinem Wort. Braucht sie auch nicht! Denn mir ist sonnenklar, dass die beiden sie nicht in einem Bett miteinander verbracht haben. Clark Kents Mentalität ist mir zu gut bekannt! Da gibt es wahrlich nicht den geringsten Unterschied zwischen den Parallelwelten!

Weiter hören wir gebannt Lauschenden dann von dem nächsten Morgen, von seiner Fürsorge ihr die notwendigsten Kleidungsstücke und Pflegemittel zu besorgen. Ja, das war echt Clark Kent! Immer auf das Wohl anderer bedacht!

In Lois‘ Erzählung folgt das erste gemeinsame Frühstück, der überraschende Heiratsantrag und ihre weitaus überraschendere Antwort.

Ich sitze da wie vom Blitz getroffen und vom Donner gerührt. Komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. So einfach kann eine Lovestory sein? So unkompliziert? Ja, antworte ich mir selbst, ja, wenn man ehrlich zueinander ist! Wenn man keine Geheimnisse voreinander hat. Wenn man nicht permanent aneinander vorbeiredet. Wenn man keine Angst hat und offen dem anderen seine Gefühle zeigt. All das haben Clark und ich nicht beherzigt. Wie lange haben wir verborgen, was wir füreinander empfinden. Dazu noch das Versteckspiel um sein Alter Ego. Weil er als normaler Mann geliebt werden wollte und nicht als der strahlende Held.

Während meiner Gedankengänge ist Lois schon bei der dann am Abend stattgefundenen Hochzeit in Las Vegas angekommen.

Ihre Eltern, ihre Schwester Lucy mit Mann und Töchterchen Lois, der Bürgermeister von Metropolis Perry White und der Besitzer des Daily Planet, der Milliardär James Olsen hatten mit dem jungen Paar das Ereignis gefeiert.

Zum Schluss ihrer langen und ausgiebigen Erzählung sagt die Lois mit den längeren Haaren ganz bestimmend: „Jetzt nach drei Monaten weiß ich genau, dass es goldrichtig war, dass wir gleich geheiratet haben. Ich bin so unendlich froh, dass ich den Mut besessen habe, ihm diese Antwort zu geben. Er war lange genug allein! …Und für mich war doch da schon ein Leben ohne Clark undenkbar geworden! Wie sollte ich es noch Wochen oder Monate ohne ihn aushalten?“ Verlegen senkt sie den Blick.

Ich bin mit meiner Parallel-Existenz vollkommen im Einklang. Genau das habe ich in den letzten beiden Tagen so schmerzlich erfahren. Ein Leben ohne Clark wäre auch für mich kein Leben mehr!

Eine Weile fragen wir noch nach Details und diskutieren bis Jonathan mahnt: „Martha, komm. Wenigstens ein paar Stunden müssen wir schlafen! Wenn die beiden zurückkommen, wollen wir doch munter sein!“ Die ältere Generation erhebt sich. Es ist inzwischen drei Uhr morgens geworden. Auch Mr. Wells kann seine Augen kaum noch aufhalten. Nach einem herzlichen „Gute Nacht“ verhallen die Schritte der drei im Obergeschoss.

~*~*~*~*~

Während ich Clarks Eltern und dem Schriftsteller noch nachschaue, rückt Lois ganz nah an mich heran und ergreift meine Hände: „Irgendwie ist es für mich unfassbar, dass es uns und unsere Welt nochmals gibt. Für dich muss es doch genau so sein!“

Ich blicke aufmerksam in mein anderes Gesicht: „Du sprichst mir aus der Seele! Unglaublich! Eine Parallelwelt mit fast denselben Menschen, die es hier auch gibt. Mit fast identischen Biografien! Bis auf einige kleine Unterschiede mit doch großen Auswirkungen. Und wenn ich dich so anschaue ist es wie ein Blick in den Spiegel! Dabei meine ich nicht nur das Äußere! Auch dein Inneres gleicht meinem so sehr! Wir sind mehr als eineiige Zwillinge! Und trotzdem ist unser Lebensweg in manchen Details so unterschiedlich!“

Und wie anders! Einige Dinge muss ich jetzt unbedingt geklärt haben: „Lois, meine erste Frage! Bei Euch kennen alle Supermans Identität. Werdet Ihr nicht privat permanent beobachtet? Außerdem musst du doch in ständiger Gefahr schweben! Will man nicht über dich an Superman heran?“

„Nun, bis jetzt geht es eigentlich. Gut“, impulsiv steht sie auf, geht einige Schritte. An ihrer gekrausten Stirne bemerkt man ihr angestrengtes Überlegen. Sie setzt sich wieder hin. „Gut, ich kenne das ja erst drei Monate! Clark hat damals für unsere vierzehntägigen Flitterwochen alle offiziellen Termine abgesagt. Und das waren einige! Nur wenn seine Hilfe bei Katastrophen unbedingt erforderlich war, hat er mich allein gelassen.“

Mit einem Lächeln schaut sie mich an: „Stell dir vor, schon nach zwei Tagen gab es bei allen anderen Blättern nur eine Frage: Wo ist Superman? Warum macht er sich in der Öffentlichkeit so rar? Der Daily Planet hat danach mit unserer Einwilligung kurz mitgeteilt, dass Clark Kent und Lois Lane geheiratet haben. Das hätten wir sowieso nicht verbergen können. Als wir nach den Flitterwochen unsere gemeinsame Arbeit aufnahmen, haben wir vorher aufgrund vieler Bitten von allen Seiten eine Pressekonferenz gegeben. Die meisten Fragen haben wir beantwortet, einige allerdings mit einer Notlüge. Wie denn auch! Zeitsprung! Parallelwelt. Das konnten wir doch nicht der Allgemeinheit mitteilen. Zwanzig Minuten lang saßen wir im Blitzlichtgewitter der Kameras. Aber dann hat Bürgermeister Perry White in einem großen Aufruf an Supermans segensreiche Tätigkeit erinnert und gebeten, uns wenigstens unsere Privatsphäre zu lassen. Im Großen und Ganzen wird das respektiert. Die seriösen Medien halten sich daran. Wenn aber Papparazzi auftauchen fliegt Clark einfach mit mir weg. Die dummen Gesichter müsstest du sehen.“ Sie kichert leise vor sich hin.

„Und die Verbrecher?“ will ich wissen.

Munter fährt sie fort: „Oh, Clark hat das Jahr vorher so intensiv in der ‚Unterwelt‘ aufgeräumt! Intergang ist aufgelöst.“

Doch dann blickt sie mich mit ihren oder meinen rehbraunen Augen sehr nachdenklich an, ihre Brauen werden zwei schwarze Striche: „Da war nur eine mehr als unangenehme Sache mit Lex Luther!“ Ausgerechnet dieser Name muss fallen. „Und…?“, fordere ich sie zum Weitererzählen auf.

„Lois, es war sehr seltsam. Schau, durch den Zeitsprung bin ich ihm doch noch nie begegnet! Meine vorherigen Bitten um ein Interview mit ihm sind immer abgewiesen worden. Doch eine gute Woche nach unserem Arbeitsbeginn rief sein Privatsekretär an und gab dem Daily Planet plötzlich und ganz freiwillig einen Termin für ein Interview. Im Nachhinein wurde klar, dass es eine Falle war.“

Welche Schandtat hat Luthor sich da wieder einfallen lassen? Gespannt lausche ich Lois Worten: „Natürlich musste ich unbedingt das Interview haben. Clark wollte mich begleiten, ein Unglücksfall in einem Atomkraftwerk in Frankreich hinderte ihn daran. Seine Hilfe war unbedingt notwendig. Zuerst wollte er mich nicht allein gehen lassen. Aber die Möglichkeit einer guten Story war einfach zu groß. Aber er verlangte, dass wir einen Code ausmachten, falls es irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte. Und das war gut so. Nach dem, was er von Eurem Lex wusste, traute er unserem nicht über den Weg. Mit Recht! Denn Lex hatte sich irgendwie Kryptonit besorgt. Er erpresste mich damit. Er wollte unbedingt meine Story hören, wissen, warum ich vier Jahre verschwunden und wo ich geblieben war. Um Clark zu schützen, habe ich ihm wirklich alles erzählt.“ Was mir da zu Ohren kommt ist so typisch für Lex Luthor.

Mit beiden Händen greift sie in ihr Haar: „Oh, Lois, ich war so einfältig und vertrauensselig. Ich hab tatsächlich geglaubt, unser Lex wäre anders als der Eure. Als ich dann meinen Irrtum bemerkte, habe ich mich strikt an Clarks und meine Abmachung gehalten. Ich hab zuhause angerufen und aufs Band gesprochen. Dadurch wusste Clark nach seiner Heimkehr, dass er in Gefahr war. Wie er mir später erzählte, schwebte er, bevor ich mich von Lex verabschiedete, schon einige Minuten außen vor dem Salon. Mit seinem Röntgenblick konnte er genau erkennen, wo das Kryptonit war. Das Bleikästchen in Luthors Hand war eindeutig genug. Vor Verlassen des Raumes bin ich zu einem Fenster gegangen, hab Clark gesehen und noch das Fenster geöffnet. Dann hat Lex mich hinaus begleitet und wollte mich zum Helikopter bringen. Doch Clark kam hinzu und flog mich heim. Vorher hatte er aber das Kästchen mit dem Teufelszeug geholt. Lex‘ Gesicht hätten wir sehen mögen, als er das Fehlen bemerkte!“

Aber gar nicht erheitert erzählt sie weiter: „Clark hatte vorher auch den Helikopter mit seinem Blick durchsucht und dabei eine Bombe gefunden. Er ist jetzt noch felsenfest davon überzeugt, dass Luthor mich in die Luft jagen wollte.“

Also unterscheidet sich der alternative Lex in seinem Charakter von meinem ehemaligen Bräutigam in keiner Weise. Dieselbe Skrupellosigkeit! „Und wie ging es weiter?“ Das konnte doch nicht das Ende gewesen sein!

Lois atmet tief ein: „Clark hat mich schnell heimgebracht und ist nochmals zurückgeflogen. Du weißt ja, wie blitzschnell Superman fliegen kann. Aber kannst du dir vorstellen, dass er Lex gedroht hat? Unser Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit hat ihm Schreckliches versprochen, falls mir etwas zustoßen sollte!“

Das allerdings kann ich zu gut verstehen: „Lois, auch wenn das seiner Mentalität und all seinen Grundsätzen vollkommen widerspricht, ich kann mir vorstellen, dass er in solch einem Fall gnadenlos wäre. Ich weiß zu gut, wie sehr er dich liebt und was du ihm bedeutest. Es war vorher ohne dich schon schlimm genug für ihn. Und dich jetzt zu verlieren nachdem er dich endlich gefunden hat und Ihr sogar verheiratet seid, das müsste für ihn mehr als die Hölle sein!“

Die nächste Frage stelle ich mir nicht zum ersten Mal. Aber wie gut ist es, dass es jemand gibt, der das in der gleichen Weise erlebt: „Lois, was hält unsere Clarks eigentlich auf ihrem bewundernswerten Weg? Imgrunde genommen könnten sie absolute Herrscher in ihren Welten sein. Sich alle Kostbarkeiten aneignen. Ein Leben im größten Luxus führen. Und was tun sie? Sie denken nur an die anderen! Mit all ihren Kräften helfen sie, wo sie nur können. Obwohl das manchmal eine Sisyphusarbeit ist. Was ernten sie dafür? Gut, die meisten Menschen verehren, ja lieben sie sogar. Aber wie oft wird gerade mein Clark bekämpft. Wie oft will man ihm schaden, ihn sogar töten, wie du jetzt selbst miterlebt hast. Würde er und auch dein Clark das verkraften können, wenn wir nicht mit unserer Liebe bei ihnen wären? Hätten sie dann nicht schon längst resigniert und die Erde und die Menschheit im Stich gelassen?“

Erregt stehe ich auf, gehe ein paar Schritte. Führe meine Gedanken weiter aus: „Ich weiß genau, dass wir für unsere Männer und ihre Aufgabe so wichtig sind. Wir geben ihnen Kraft und Motivation. Äußerlich sind sie aus Stahl, so gut wie unverwundbar. Innerlich aber so verletzlich und voller Empathie.“

Mein Blick geht in imaginäre Fernen: „Wie oft kommt Clark heim und flüchtet sich in meine Arme. Er sagt, dass er vergebliche Rettungsversuche nur durch meine Liebe und Nähe ertragen kann. Und dazu kommen dann noch diese Attacken, wenn ihm jemand schaden oder ihn sogar töten will. Wie jetzt! Ich frag mich manchmal, ob die Menschen ihn überhaupt verdienen?“ Nach diesem Monolog lasse ich mich in den Sessel fallen.

Zum wiederholten Mal in den letzten Stunden werde ich sanft von meinem Gegenüber berührt: „Vielleicht hat ein gütiges Geschick uns dazu ausersehen, Lois! So banal das auch klingen mag, aber vielleicht sind wir mit all unserer Liebe der Lohn und Dank für diese Uneigennützigkeit unserer beiden Supermen. Mein Clark hat mir erzählt, dass er im letzten Jahr vor Verzweiflung manchmal in Versuchung war, einfach in den Weltraum zu fliegen. Solange, bis er einfach erloschen wäre. Nur die winzige Hoffnung, mich doch noch zu finden, hat ihn zurückgehalten. Und die hat ihn nicht getrogen.“

Lächelnd streicht sie über meinen Arm: „Was die Schwierigkeiten anbelangt muss ich sagen, hier in Eurer Welt waren und sind sie besonders hart. Was habt Ihr alles mitmachen müssen! Im Vergleich dazu hatten und haben wir bisher wirklich Glück. Das Schlimmste in unserer Welt war die Tatsache, dass Clark seine Eltern so früh verloren hat. Mit niemandem hat er in all den Jahren über seine Ängste und Probleme sprechen können. Er war eigentlich immer allein. Deswegen war unsere schnelle Hochzeit das einzig Richtige!“

Um Verzeihung bittend geb ich ihr das Lächeln zurück: „Sorry, Lois, jetzt habe ich uns aber ganz weit vom Thema fortgeführt. Wo waren wir vorhin? Ach ja, dein Clark hat Lex unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er dich in Ruhe lassen soll. Andernfalls würde er kein Pardon geben. Was in Anbetracht unserer Überlegungen vollkommen verständlich ist. Und? Hat die Drohung gewirkt? Hat Luthor sich bisher still verhalten?“

~*~*~*~*~
Im achten Kapitel gehen die ‚„Selbst“-Gespräche‘ weiter.

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Mi 26. Jun 2013, 23:30

„Selbst“-Gespräche (2) 8/11

Mit einem anhaltenden Nicken bestätigt sie ihre Worte: „Alles ist ruhig. Soviel ich weiß, ist er viel unterwegs. …Lois, ich fühle es, bei all seinem Reichtum und dem ganzen Luxus, in dem er lebt, er ist ein unglücklicher Mensch! Er ist genau das Gegenteil unserer Männer. Reichtum scheint ihm alles zu bedeuten. Da wird die Liebe wohl auf der Strecke geblieben sein. Halt ein lupenreiner Egoist. Aber lass uns von Lex Luthor aufhören.“ Das kann mir mehr als recht sein!

Lächelnd fährt sie weiter: „Im Großen und Ganzen haben wir es wirklich entschieden einfacher als Ihr. Und wie du gehört hast, hat unser Mr. Wells keine Zeitreisen machen können, also ist kein zweiter Tempus da! Der eine reicht auch vollkommen!“

Sie nimmt meine Hand in ihre und drückt sie fest: „Du, das habe ich mir seit drei Monaten gewünscht. Ich muss mich unbedingt bei dir bedanken, dass du in unsere Welt gekommen bist. Dadurch hat Clark dich kennengelernt, sich zuerst in dich verliebt und letztendlich mich deswegen gesucht! Und du hast seine Verlobte Lana Lang in die Flucht geschlagen! Dem Himmel sei Dank!“

Lanas Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf: Blond, blauäugig, hübsch, aber etwas …langweilig. Ich erlaube mir, mit meinem zweiten Ich über sie zu lästern: „Lois, ich konnte sie von vornherein nicht ausstehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie ihn gegängelt hat. Sie konnte sehr bestimmend sein. Seine Kräfte durfte er nicht im Geringsten anwenden. Wenn du sie gehört hättest.“

Ich gebe meiner Stimme einen übertrieben schrillen Klang: „Clark, komm jetzt bitte! Clark, wir müssen für unsere Hochzeit noch dieses und jenes erledigen. Clark, die Eltern warten. Clark, du weißt doch, ich will nicht, dass du das tust!“

Bei meiner Imitation fängt Lois an zu kichern. Die Erinnerung lässt mich auch schmunzeln: „Eigentlich hat er sich selbst von ihr befreit. Sie hat ihn konsequent vor die Wahl gestellt: ‚Ich oder Superman‘! Er hat sich ohne langes Zögern für Superman entschieden. Welch ein Glück!“

Vollkommen überzeugt füge ich hinzu: „Lois, er wäre in alle Ewigkeit mit ihr nicht glücklich geworden. Sie hätte ihm keine Luft zum Atmen gelassen. Und er hätte nie er selbst sein können, sondern nur ihr Schoßhündchen!“

Lois strahlt mich an: „Welch ein Glück, dass du in unserer Welt aufgetaucht bist und er sich in dich verliebt hat!“

Etwas steigt mir durch diesen Satz ins Bewusstsein: „Aber du weißt doch, dass Tempus mich damals entführt hat um Clark zu schaden? Mit meiner Hilfe wollte er ihn outen und den Menschen Angst einjagen. Und sich selbst als Retter der Welt darstellen. Damit hat er sich jedoch ins eigene Fleisch geschnitten. Er hat genau das Gegenteil dessen erreicht, was er damals beabsichtigte! Dein Clark wurde durch mich zum Superman. Wie du erzählt hast, akzeptieren ihn die Erdenbürger voll und ganz. Obwohl sie ihn auch als Reporter kennen. Naja, Ausnahmen wie Luthor muss es auch geben. Das Wichtigste war aber, er begann dich zu suchen und hat dich ein Jahr später auch gefunden.“

Wie abgesprochen greifen wir gleichzeitig nach unseren Gläsern, grinsen uns an und trinken. Dann lehnt sich mein Ebenbild in den Sessel zurück und holt ein Kissen auf den Schoß: „Ja, er hat mich gefunden. Du, Lois! Damit bringst du mich auf eine Sache, die mir irgendwie keine Ruhe lässt. Sag mal, du warst doch bestimmt auch in diese Waffenschmugglerstory involviert. Ich möchte gerne wissen, was passiert wäre, wenn Clark nicht mit Mr. Wells aufgetaucht wäre. Warst du damals auch mit den Jenkins` in Namibia?“

‚Damals‘ war vor über vier Jahren! Einen Moment muss ich nachdenken. Wie war das seinerzeit? Doch dann ist alles klar: „Nein, ich war nicht in Namibia. Kate Jenkins hatte sich einen Fuß arg verstaucht. Nur ein Stolperer, schon war es geschehen. Kleine Ursache – große Wirkung. Deshalb bin ich am 30. Januar nach Metropolis zurückgeflogen. Ein Ausflug stand nicht mehr zur Debatte, obwohl wir einige Male darüber gesprochen hatten. Siehst du, das ist der Unterschied. Und gute zwei Monate später kam Clark zum Daily Planet.“

Nachdenklich schaut die andere Lois zur Zimmerdecke. „Bin ich die vier Jahre nur verschwunden gewesen, weil die beiden zurück nach 1993 gereist sind? Wenn sie nicht gekommen wären und mich nicht mitgenommen hätten, ob ich dann wie du unbeschadet nach Metropolis heimgekehrt wäre? Hätte ich dann meinen Clark auch ganz normal kennengelernt so wie du deinen? Oder wäre ich doch, wie Mr. Wells befürchtete, auf andere Art und Weise verschwunden oder sogar getötet worden? Clark ist sogar der Meinung, dass Lex Luthor hinter dem Waffenschmuggel gestanden hat. Und er hat mich seinerzeit aus Rache für den geplatzten Deal beseitigen wollen. Es ist damals nicht gelungen. Jetzt wollte er das mit der Bombe nachholen. Was wir nicht beweisen können!“

Sie blickt mich lange und überlegend an und macht mit der Hand eine abwehrende Bewegung: „ Ach, was soll`s! Die ganze Fragerei nützt doch nichts. Ich brauchte keine Zeit um Clark näher kennenzulernen! Ich hab sie einfach übersprungen.“

Meine Gedanken gehen an die vielen Irrungen und Wirrungen während unserer vier Jahre zurück. Das entlockt mir einen kleinen neidischen Lacher: „…Dein großes Plus war ja, dass du von Anfang an gewusst hast, dass Superman Clark ist. Ich habe mich doch auch damals sofort in Superman verliebt. Bei Clark hat es entschieden länger gedauert. Zwei Jahre lang hat er sein Alter Ego vor mir verborgen und ich habe es nicht gemerkt! Immer wieder musste er dadurch lügen, darum war vieles für uns schwieriger. Und dann noch all diese Horrorszenarien von außen. Wie jetzt wieder!“

Die Schrecken der zwei vergangenen Tage überfallen mich wieder mit aller Gewalt. Das Luftholen wird zu einem schweren Seufzer. Meine alternative Existenz hört und fühlt das sofort und versucht es mit verbalem Trost: „Lois, es wird alles gut. Dein Clark kommt bestimmt gesund zurück!“ Dankbar für diesen Zuspruch nicke ich ihr zu.

Nach kurzem Überlegen erklärt meine langhaarige Ausgabe nachdenklich: „Du, Lois, ich bin überzeugt, dass ich auch so reagiert hätte. Wenn ich wie du nicht gewusst hätte, dass die beiden ein und dieselbe Person sind, hätte ich Clark auch zuerst ignoriert. Erst wenn man ihn länger und näher kennt, merkt man, wie unsagbar liebenswert er ist. Aber so beim ersten Augenschein überstrahlt Superman durch seine Präsenz und diese unglaublichen Fähigkeiten doch alle!“

Bei meiner Antwort fühle ich ein Lächeln über mein Gesicht gleiten: „Und ich glaube, wenn Superman mich damals hätte heiraten wollen, hätte ich sicher auch gleich ‚Ja‘ gesagt! Ich kann dich so gut verstehen!“

Wieder steigt meinem Gegenüber die Röte ins Gesicht: „Lois, dieser Zeitsprung war ein gewaltiger Knick in meinem Leben. Wie eine Metamorphose! Ich fühle mich wie ein Schmetterling, der sich entpuppt hat. Dem endlich bewusst wird, wie wunderschön und zauberhaft die Welt ist. Durch Clark, durch unsere Liebe!“

„Du glaubst es vielleicht nicht, Lois“, führt meine andere Existenz weiter aus: „Aber indirekt seid Ihr an unserem Glück beteiligt. Clark hat mir später erzählt, welche Überlegungen ihm durch den Kopf geschossen sind, bevor er meine Frage nach der Frau in seinem Leben, nach einer Beziehung, beantwortet hat. "

Die Erinnerung an jenen Abend erhitzt ihre Wangen, lässt ihre Augen blitzen: „Clark hat sich gedacht, dass er meine Frage nicht mit Ausflüchten, Halbwahrheiten oder versteckten Anspielungen beantworten darf! Er wollte nicht die gleichen Fehler wie dein Clark machen! Darum hat er mir offen und frei seine Liebe offenbart! Das war das einzig Richtige! Und mit der Wahrheit ist es so geblieben. Wir wollen uns nie belügen und nie etwas verschweigen! Und bei Euch ist es bestimmt genauso!“

Mit Schaudern denke ich an so manche unglückliche Situation zurück. „Ach, wir haben es uns ja selber schwer gemacht. Auch ich hab so viele Fehler begangen, nicht nur Clark. Und das lässt uns heute noch behutsamer miteinander umgehen. Nie wieder darf der Schatten einer Unwahrheit zwischen uns sein. Das haben wir uns geschworen! Es gibt genug anderes, das uns das Leben schwer macht!“

Durch diese Bemerkung konzentrieren sich meine Gedanken auf das große Problem, das Clark und ich in der letzten Zeit vor seinem Verschwinden hatten. Und da ich es im Grunde selber bin, die hier bei mir sitzt, wage ich die Frage, die mir schwer auf dem Herzen liegt: „Lois, sag mal, wie ist es bei Euch mit dem Nachwuchs? In der ersten Zeit habe ich mich gescheut darüber nachzudenken. Vielleicht aus Furcht vor der Verantwortung und davor, dass ich keine gute Mutter sein würde. Doch inzwischen wünsche ich mir nichts sehnlicher. Ich oder besser, wir hätten so gerne ein Kind! Aber Dr. Klein hat Superman diesbezüglich mehreren Tests unterworfen und abschließend gesagt, dass seine Physiologie mit der einer Erdenfrau nicht kompatibel wäre.“

Diesen Schlag muss sie erst einmal verdauen. Den Ausdruck ihrer Augen kann ich nur als fassungslos bezeichnen. Das Gesicht wird erst blass und färbt sich dann rot. Aber dann strömt der Protest aus meinem Vis-à-vis mit Bestimmtheit und einer festen Stimme nur so heraus: „Das glaube ich nicht! Und das will ich auch nicht glauben! Das würde ja auch für uns gelten. Und Clark soll eine große Familie bekommen. Wie lange war er einsam und allein! Nie wieder darf es so sein!“

Sie springt auf und wandert aufgeregt hin und her. Ballt ihre Hände zu Fäusten, als ob sie auf einen imaginären Feind einschlagen wollte. Leidenschaftlich kommen die Worte aus ihr heraus: „Du bist ich und ich bin du! Eigentlich führen wir ja Selbstgespräche, reden mit uns selbst. Deshalb macht es mir nichts aus, dir das alles zu erzählen. Wir haben von Anfang an nicht verhütet. Als Clark mich in der Hochzeitsnacht danach gefragt hat, antwortete ich ihm, dass ich ihm Kinder schenken möchte und das so schnell wie möglich! An seiner Reaktion habe ich gemerkt, wie gerne er sie auch hätte! Nun hoffen wir seit drei Monaten, dass ‚Es‘ passiert. Leider bis jetzt nicht. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Als Mr. Wells zu uns kam, wollten wir gerade nach Südfrankreich aufbrechen. Jimmy hat dort ein Ferienhaus. Und weil wir ziemlich schnell Juwelendiebstähle aufgeklärt haben und die Story wirklich klasse ist, stellt er uns das Haus zur Verfügung. Eine Woche lang. Ganz ohne Stress. Nur Clark und ich. Wir erhoffen uns so viel davon, es ist gerade meine fruchtbare Zeit.“ Während ihrer erregten Rede lösen sich die Hände, auch die Stimme nimmt wieder die normale Lage an.

Ruhiger geworden setzt sie sich: „Mein Clark tröstet mich und vielleicht sich selbst bei jedem Mal, wenn wir merken, dass unsere Bemühungen erfolglos geblieben sind. Er sagt, so hätte er mich noch vier Wochen nur für sich allein. Und dass meine entsprechenden Organe erst einmal das Andersartige seines Körpers akzeptieren müssen. Denn jedes Mal, wenn wir uns lieben, würde ich etwas Kryptonisches von ihm erhalten. Und vielleicht ist diese Gewöhnungsphase irgendwann endlich vorbei!“

Also auch bei dem anderen Paar dasselbe Problem. Diese Tatsache finde ich trotz ihrer Tragik irgendwie beruhigend. Diesmal nehme ich die Hand meines Ebenbildes: „Genau das sagt mein Clark mir auch. Auch wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Und ganz ehrlich, wär es nicht jammerschade, wenn unsere wundervollen Männer ihre Gene nicht weitergeben könnten? Außerdem bin ich überzeugt davon, dass sie phantastische Väter wären! So wie sie es als Ehemänner sind!“

Mein Gegenüber nimmt den Ball sofort lächelnd auf: „Ja! Genau! Kocht dein Clark auch so hervorragend? Hilft er auch bei der Hausarbeit? Das Putzen hat meiner vollkommen übernommen. Er sagt immer…“

„…warum sollst du kostbare Zeit mit etwas verschwenden, was ich in Sekunden schaffe?“, unterbreche ich sie amüsiert. „Es kommt mir immer vor, als ob hundert Heinzelmännchen am Werke sind.“

„Ganz genau!“, lacht die andere Lois. Dann wird sie puterrot: „Aber das Beste sind seine Qualitäten als Liebhaber! Lois, hast du gewusst, dass das ‚Super‘ auch dafür gilt? Dass gewöhnliche Maßstäbe auch hier nicht gelten? Dein Clark ist doch hundertprozentig genau so! Das Schlimme ist nur, ich bekomme nie genug von ihm. Ich liebe ihn so sehr! Ein Blick in seine Augen und auf seinen Mund, dann bin ich schon wieder hin! …Und dann dieser Body!“

Diesmal bin ich diejenige, die nicht sitzen bleiben kann: „Mir geht es doch wie dir! Ganz genau so! Manchmal glaube ich, dass alle unsere Schwierigkeiten der Preis für dieses Glück in seinen Armen ist. Ein einziger Außerirdischer auf der ganzen Welt, in deiner und hier in meiner. Und er verliebt sich ausgerechnet in Lois Lane. Es wäre zu schön und wahrscheinlich auch zu einfach, wenn es keine Komplikationen geben würde.“

Schweigend gehe ich in Gedanken auf und ab. Aber müssen es denn gleich so lebensbedrohende Schwierigkeiten sein? Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Ich darf mir nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn wir Clark nicht mehr lebend gefunden hätten, wenn wir zu spät gekommen wären! ‚Er lebt‘! Diesen Satz kann ich mir nicht oft genug sagen.

Als ich mich wieder der Sitzecke zuwende, sehe ich, dass meine Gesprächspartnerin die Augen zugemacht hat. Ein vages Lächeln spielt um ihren Mund. Denkt sie vielleicht an selige Stunden in den Armen ihres Mannes?

Zurück in meinem Sessel, lehn ich mich bequem zurück, schließe auch die Augen und denke an meinen Clark. Aber nicht an Vergangenes sondern an die Gegenwart. Wird ihn die Kraft der Atomstrahlung und der Sonne wieder regenerieren und heilen? Werde ich ihn so wiederbekommen, wie er sich vor zwei Tagen von mir verabschiedet hat? „Schatz, schlaf weiter. Ich bin bald wieder da!“

Dieses ‚Bald‘ dauert nun schon vierundfünfzig Stunden. Wie lange wird es noch dauern?

~*~*~*~*~

Ist das wahr? Ich sehe meinen Mann vor mir. Gesund, unverschämt gut aussehend wie immer. Dieser Anblick lässt mein Herz aufgeregt im Rhythmus seines Namens schlagen: ‚Clark-Clark. Clark-Clark‘! Er kommt näher, nimmt mich in seine Arme und drückt seine Lippen auf die meinen. Es ist so realistisch, dass mein Körper vor Freude zusammenzuckt. Davon erwache ich. Seh, dass ich immer noch im unserem Wohnzimmer im Sessel sitze. Voller Sehnsucht schaue ich mich um. Vergebens! Er ist nirgends zu sehen, ich habe ihn mir nur herbei geträumt.

Auch die am meiner Seite sitzende andere Lois Lane öffnet wieder die Augen, blickt ebenfalls in die Runde und meint lächelnd: „Komm, wir kochen einen Kaffee! Er wird zwar nicht so gut schmecken wie der unserer Männer, aber er wird uns gut tun.“ Als ob sie meine schwermütigen Gedanken ahnen würde.

In der Küche plaudert sie fröhlich weiter, während wir gemeinsam die Kaffeemaschine bedienen. „Dass wir sogar dieselben Wohnungen haben! Als Jimmy uns am Ende unseres Hochzeitsurlaubs die Adresse eines zum Verkauf stehenden Hauses mitteilte, wusste mein Clark ja nicht, dass es auch Eure war. Erst als wir davor standen, hat er das Haus erkannt. Ich war sofort begeistert. Besonders die Zimmer im Obergeschoss. Platz für mehrere Kinder!“

Die Kaffeemaschine arbeitet gluckernd vor sich hin. Der aromatische Duft verbreitet sich in der Küche. Wir stehen wartend am Fenster und schauen in den Morgen hinaus.

~*~*~*~*~

Endlich! Kapitel neun berichtet über ‚Die Heimkehr‘

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » Mo 1. Jul 2013, 21:37

Die Heimkehr 9/11

Im Fenster sehe ich unsere Spiegelbilder. Zweimal Lois Lane. Nur hat die eine längere Haare. Unsere Augen treffen sich. Hat sie die gleiche Idee? „Wahnsinn, zweimal Lois Lane!“, wiederholt sie meinen Gedanken.

Dann schüttelt sie ihren Kopf hin und her, dass ihre Haare wie ein seidiger Vorhang um ihr Gesicht fliegen: „Bis auf die Frisur!“ Ihre Wangen bekommen einen rosigen Anstrich: „Meinem Clark gefällt es lang besser. Er hat mir allerdings freigestellt, sie so zu tragen, wie ich es möchte. Vielleicht will er mir aber auch damit sagen, dass er mich liebt und nicht dein Ebenbild.“

Wir lösen die Blicke voneinander und betrachten die vor uns liegende Straße. Die frühen Vögel, die Amseln, begrüßen mit ihren Melodien den neuen Tag. Ein richtiges Konzert ist zu hören. Einzelne Autos fahren schon vorbei. Ein Zeitungsjunge wirft die druckfeuchten Presse-Erzeugnisse vor die Haustüren. Frische Milch wird in Flaschen vor verschiedene Eingänge gestellt. Mitten in Metropolis eine Vorstadt-Idylle.

Während wir uns da draußen diese Kulisse anschauen, löst der Anblick der Zeitungen in meinem Kopf eine Assoziation aus. Was hat meine Alternative in unserem Gespräch erwähnt? Hoppla, das muss ich genauer wissen: „Lois, du hast vorhin mal gesagt, dass ihr über Juwelendiebstähle geschrieben und sie quasi aufgeklärt habt? Waren die auch in Midtown in den beiden Geschäften von Larry Minson? Daran haben wir auch gearbeitet, bevor Clark verschwand. Aber das habe ich vollkommen zur Seite geschoben. Irgendetwas hat mich an meinen Aufzeichnungen stutzig gemacht, aber ich weiß nicht mehr was. Doch das wird mir wieder bewusst, wenn ich mir unsere Notizen genauer anschaue.“

Die andere Lois Lane lächelt mir zu: „Lois, genau! Auch mir ist etwas bei unseren Recherchen aufgefallen. Und zwar die Tatsache, dass beide Geschäfte vor gar nicht langer Zeit neue Alarmanlagen bekommen haben. Von derselben Firma. Natürlich mussten wir da nachhaken. Und so kamen wir auf die Lösung. Ein Angestellter, Paul Curzon, konnte trotz der Sicherheitsmaßnahmen die Codes kopieren und sich so unbemerkt Zutritt zu den Geschäften verschaffen. Die Polizei hat die gestohlenen Juwelen noch bei ihm gefunden. Er fühlte sich so sicher.“

Sie fängt leise an zu lachen: „Er hat nämlich von seiner Freundin ein Alibi bekommen. Auch die Polizei stellte das mit den Alarmanlagen fest und überprüfte die in Frage kommenden Angestellten. Doch wegen des Alibis war er nicht mehr in Verdacht. Durch einen Zufall haben wir jedoch herausbekommen, dass er noch eine Geliebte hat. Mit dieser Tatsache haben wir die erste Freundin konfrontiert und prompt hat sie ihre Aussage zurückgezogen. Wir haben die Polizei begleiten dürfen, Clark hat die Juwelen sofort gefunden. Du weißt schon…!“ Mit ihren Zeigefingern wies sie auf die Augen.

Ich schüttelte voller Erstaunen meinen Kopf. War hier auch die Parallelität gegeben? Wahnsinn! Dann bekämen wir auch noch diese Zugabe zu dem Riesengeschenk von Clarks Rettung.

Das lässt mich wieder an das vorherrschende Problem denken. Sehnsüchtig blicke ich zum Himmel empor. Wann werden endlich die beiden Gestalten auftauchen? Oder werden sie einzeln kommen? Das heißt dann, dass es meinem Clark wieder gut geht.

Der Kaffee ist fertig. Mein Ebenbild füllt zwei große Tassen für uns beide. Ausnahmsweise nehme ich viel Zucker. Das ist jetzt notwendig. Ja, das heiße Getränk weckt meine Lebensgeister und macht mich hoffnungsfroh. Dankbar schaue ich zu meiner Nachbarin: „Ach Lois, es war so gut, dass H. G. Euch gebracht hat. Bestimmt hätte ich meinen Clark auch ohne Euch gefunden. Die Schwiegereltern hätten mir sicher geholfen, ihn daraus zu bekommen. Aber die telepathische Verbindung! Die hat ihm gewiss Kraft gegeben. Dann der Kernreaktor und der Flug zur Sonne! Das hätten wir nicht gekonnt. Seine Regeneration hätte hier auf der Erde sicher Tage oder sogar Wochen gedauert! Tausendmal danke! Und dass du bei mir warst. Das tat so gut! Dazu noch die wahrscheinliche Aufklärung der Juwelendiebstähle. Ich bin sicher, dass bei uns die gleichen Fakten vorliegen. Nicht zu fassen! Ich kann dir nur von Herzen danken!“

Ganz fest umarmt sie mich: „Ach, Ihr hättet doch das gleiche für uns getan! Vielleicht brauchen wir auch mal Eure Hilfe. Außerdem war es mehr als toll, dass wir beide miteinander reden konnten. Es ist ja nicht so, dass wir telefonieren oder uns zum Sonntagskaffee treffen könnten!“

Bei dieser Vorstellung kann ich seit Clarks Verschwinden das erste Mal herzlich lachen. „Oh, wir richten zwischen den beiden Universen einen Pendelverkehr ein! Mal nehmt Ihr unsern Platz ein, das nächste Mal wir Euren. Oder ein Superman bedient beide Welten und der andere hat frei und kann mit seiner Frau auf eine einsame Insel!“

Aber unsere Fröhlichkeit ist durch diese Bemerkung wie weggeblasen. Lois meint ganz ernst: „Ist das nicht fürchterlich? Jedes Mal, wenn er wegfliegt und mich allein lässt, muss ich mir sagen, dass ich gewusst habe, wen ich heirate. Und ich kann doch nicht Menschen sterben lassen, nur weil ich ihn bei mir haben möchte. Trotzdem tut es weh. Manchmal gibt es tagelang keine Gelegenheit uns zu lieben. Bei Euch wird es nicht anders sein!“

„Ja! So ist es!“ Und wie oft! Bestätigend kann ich nur sagen: „Ja, auch ein Preis für unsere wundervollen Männer, den wir zahlen müssen!“

Wir füllen unsere Tassen noch einmal auf und gehen ins Wohnzimmer zurück. Doch zu einer Unterhaltung kommt es nicht mehr.

Denn unsere Zweisamkeit wird beendet. Bedächtigen Schrittes, wie so oft prüfend auf seine Taschenuhr schauend, kommt Mr. Wells die Treppen herunter. „Wie ich sehe, sind die beiden Mr. Kent noch nicht eingetroffen?“, fragt er und gibt sich eigentlich schon selbst die Antwort.

Meine Frage nach einer Tasse Kaffee bejaht er dankbar. Rasch hole ich sie ihm. Umständlich löst er durch sachtes Rühren den Zucker auf und meint nach dem ersten Schluck: „Diese Zeit hier, diese Neunziger Jahre gefallen mir. Diese technischen Errungenschaften, diese Entwicklung in der Medizin, sogar ein Schaf wurde geklont!“

Über seine Brille hinweg sieht er uns abwechselnd an: „Meine Damen, und Sie haben ein Problem? Verzeihen Sie, wenn ich ein so intimes Thema anspreche.“ Er hebt den Kopf und schaut zur Decke empor: „Mir ist vorhin etwas durch den Kopf gegangen. …Hä-ämm! Durch die Einwirkung des Kryptonits ist der Metabolismus Ihres Gatten wahrscheinlich etwas durcheinander geraten, Miss Lane.“ Er nickt mir zu. Aufmerksam lausche ich seinen Worten, genau wie meine andere Existenz.

Wieder schaut er angestrengt woanders hin, nur ja nicht in unsere Augen: „Ich will damit sagen, dass sich ihre Physiologien angenähert haben könnten. Das wäre vielleicht ein Versuch wert. Sie wissen schon, was ich meine! Und vielleicht hat ihr Gatte, Miss Lane“, jetzt sieht er kurz auf die andere Lois, „auch etwas von der Strahlung des Kryptonits abbekommen. Wie gesagt, es wäre ein Versuch wert.“

Vollkommen verblüfft betrachte ich den Gast aus einer anderen Zeit. Er wird doch von unserem vorherigen Gespräch nichts mitbekommen haben? Ach ja, er weiß ja so viel aus zukünftigen Geschichtsbüchern! Aber auch diese Intimitäten?

Trotzdem kann ich nur mit Mühe meine Heiterkeit zurückhalten. Herbert George Wells nicht nur als Heiratsvermittler wie bei dem alternativen Paar sondern auch noch als Familienplaner! Der Mann aus dem spießigen vergangenen Jahrhundert und der genauso spießigen ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Seit fünfzig Jahren tot! Wenn das nicht kurios ist!

Mein Blick sucht mein Gegenstück, um dessen Mundwinkel es auch verdächtig zuckt. Wie abgesprochen sagen wir einmütig: „Danke, Mr. Wells, wir werden unser Glück versuchen!“

„Stellen Sie sich vor, meine Damen“, der Schriftsteller blüht auf, wird richtig lebhaft: „Stellen Sie sich vor, damit hätte Tempus genau das Gegenteil dessen erreicht, was sein Ziel war. Er wollte die Voraussetzungen für Utopia vernichten. Er hätte sie bei Ihrem Erfolg aber erst recht geschaffen!“

Triumphierend sieht er von einer Lois Lane zur anderen: „Sehen Sie, wieder bewahrheitet sich das alte Sprichwort: ‚In jedem Schlechten liegt etwas Gutes‘!“

Meine Bemerkung von vorhin fällt mir wieder ein. Ich habe doch auch so etwas Ähnliches wegen meiner Entführung ins Parallel-Universum durch Tempus festgestellt. …Wie paradox, dass dessen bitterböse Absichten immer etwas Gutes für uns bereit halten, sich jedes Mal in das Gegenteil verkehren.

Wie der kleine Beherrscher der Zeit schaue ich jetzt auch auf die Uhr. Es ist inzwischen 07:00 Uhr geworden. Bis auf den kurzen Moment, oder die halbe Stunde, oder wie viel auch immer, habe ich nicht geschlafen. Aber ich bin auch nicht müde. Im Gegenteil. Der Zeitpunkt der Rückkehr der beiden Clarks kommt immer näher. Dadurch stehe ich unter Hochspannung.

Mit den Worten: „Ich geh mich etwas frisch machen, bevor Martha und Jonathan aufstehen“, erhebe ich mich und gehe hinauf ins Badezimmer. An den Geräuschen kann ich erkennen, dass auch mein Ebenbild die Gästedusche aufsucht.

Das Waschen tut mir gut. Zum Schluss lasse ich immer und immer wieder kaltes Wasser in meine Hände laufen und tauche mein Gesicht hinein. Das erfrischt mich nach der schlaflosen Nacht. Für ausgiebiges Duschen ist mir die Zeit zu schade. Die Hoffnung erfüllt mich, dass jeden Moment der Ersehnte auftauchen könnte.

Aus dem Zimmer, das ich den Schwiegereltern überlassen habe, sind Laute zu vernehmen. „Bad frei!“, rufe ich oben im Flur, bevor ich wieder die Treppen hinunter eile. Soviel Normalität wie möglich soll jetzt hier herrschen. Nur nicht auf mein stark klopfendes Herz und den jagenden Puls achten! Trotzdem, eine ungeheure Erwartung liegt greifbar in der Luft.

Als erstes hole ich die Zeitung und die Milch herein. Die Schlagzeile ist natürlich wieder die Frage nach Supermans Verbleib. Perry hat den Artikel selbst geschrieben, ein Beweis, wie wichtig ihm das Ganze ist. Darum kommt auch kein subtiler Vorwurf zum Ausdruck sondern nur Sorge. Bei den anderen Zeitungen wird es wohl nicht so moderat klingen.

Lois ist bereits in der Küche und kocht erneut Kaffee. Jonathan kommt die Treppen herunter. Er schaut sich nur um, fragt aber nicht nach den beiden Clarks. Sofort macht er sich auf den Weg, um Brötchen zu holen.

Mit so viel Hilfe, denn auch Martha kommt herzu, ist das Frühstück schnell zubereitet. Der Tisch ist gedeckt. Aromatischer Kaffeeduft hängt in der Luft. Jonathan ist inzwischen wieder zurückgekehrt. Taufrische Bagel und Croissants stehen auf dem Tisch.

Nur wird die Morgenmahlzeit vollkommen vergessen, denn das so sehnlichst Erwartete tritt endlich ein. Die Türglocke ertönt. Wie vom Blitz getroffen stürze ich, bevor sich jemand anderes bewegen kann, zum Eingang. Meine Hand reißt die Tür auf…, er ist es wirklich, er, um den ich so gebangt habe! Meine ganze Welt ist in dieser Sekunde in der Gestalt komprimiert, die hier vor mir steht.

„Clark!“ - „Lois!“ Ein Aufschrei und endlich, endlich liege ich wieder in seinen Armen, dem schönsten Platz auf der Welt, im ganzen Universum. Ich fühle seine Lippen auf den meinen. Für einen Augenblick lasse ich mich seelisch einfach fallen. Ich muss nicht mehr stark sein! Es sind Tränen der Erleichterung und Freude, die aus meinen Augen stürzen. Ein gewaltiges Aufschluchzen erschüttert meinen Körper. Clark hält mich an sich gedrückt, küsst mir die Nässe aus dem Gesicht: „Darling, alles ist gut! Ich bin doch da, ich bin doch bei dir!“ Unter den versiegenden Tränen lächle ich ihm zu. Ja, ich habe ihn wieder! Alles ist gut!

Noch ein Kuss, ein seliger Moment, dann löst er sich und schiebt mich in den Flur hinein. Etwas Rotblaues huscht blitzschnell an uns vorbei. Aus dem Wohnraum sind die erlösten Freudenrufe meines Ebenbildes zu hören.

Bevor ich den Heimkehrer seinen Eltern überlasse, muss ich sein Aussehen begutachten. Ganz sanft nehme ich sein Gesicht in meine Hände. Dieser vertraute Anblick, aber immer wieder neu und faszinierend. „Du kannst wieder sehen, Clark? Geht es dir gut, ja? Wie fühlst du dich? Dein Gesicht sieht ja schon fast normal aus. Der Mund und die Augen sind wie früher. Auch die Haut hat sich fast wieder geglättet!“ Einige Fältchen und ein paar kleine Krater kann ich noch ausmachen.

Clark will mich gar nicht loslassen: „Honey, mir geht es fast schon so wie vorher. Vielleicht dauert es noch ein paar Tage, bis alles wieder in Ordnung ist. Im Notfall kann ich auch noch einmal zur Sonne fliegen. Aber ich wollte so schnell wie möglich bei dir sein!“ Er zieht mich eng an sich heran, presst seine Wange an die meine: „Du musst vor Sorge ja bald umgekommen sein! Clark hat mir von deinen Aktivitäten erzählt.“

Meine Finger machen sich selbständig und hören überhaupt nicht mehr mit Streicheln auf. „Ach, Clark, was du durchgemacht hast, war doch weitaus schlimmer!“ Mit allen Sinnen nehme ich seine Gegenwart auf. Ihn tatsächlich zu sehen, nicht nur zu träumen, das ist unvergleichlich schön und lässt die Schrecken der vergangenen zwei Tage in den Hintergrund treten.

Es fällt mir schwer, ihn abzugeben, aber seine Eltern wollen ihn bestimmt auch umarmen: „Komm, du wirst sehnlichst erwartet.“ Eng umschlungen gehen wir in den Wohnraum hinein, wo ich mich von ihm löse, um ihn seinen Eltern zu überlassen. Von Emotionen überwältigt stehe ich im Zimmer und schaue zu, mit wie viel Liebe Martha und Jonathan ihren Sohn in Empfang nehmen.

Der andere Clark trägt schon normale Kleidung und hält seine Frau umfangen. Ich muss zu ihm, ihn ganz fest umarmen: „Clark! Danke, tausendmal Danke!“

Aber meine Wissbegier lässt sich nicht unterdrücken: „Erzähl, wie war es da oben?“ Zu gerne hätte ich erlebt, wie Atomkraft und die Sonne den malträtierten Körper meines Mannes wieder mit neuer Energie erfüllten.

„Oh, man konnte richtig zuschauen, wie er sich erholt hat“, beginnt der zweimalige Retter in der Not: „Im Reaktor erlangte er das Bewusstsein wieder. Nach geraumer Zeit gab er mir zu verstehen, dass er sich für den Trip zur Sonne fit fühlen würde. Wir flogen so nah wie möglich an sie heran. Ach so, den Anzug habe ich auf dem Gelände des Kraftwerks zurückgelassen.“

Mein Mann ist mit seinen Eltern inzwischen hinzugekommen und sie hören dem Erzählenden auch zu: „Ich konnte zusehen, wie sich die Haut allmählich glättete. Nach einiger Zeit waren seine Kräfte so weit zurückgekehrt. Dann fing er an zu drängeln. Er wollte zu Euch. Na ja, und jetzt sind wir hier!“

Mein Blick fällt auf den Schriftsteller. Mit einem ungeheuer befriedigten Gesichtsausdruck sitzt Mr. Wells da, hört zu und beobachtet das Geschehen. Als ob er Zuschauer bei einem Bühnenstück wäre. Und was er sieht, muss ihm sehr gefallen und auch etwas rühren. Seine Augen blinken verdächtig.

~*~*~*~*~

Im zehnten Kapitel staunen wir über ‚Perrys Sprung über den eigenen Schatten‘

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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » So 7. Jul 2013, 18:39

Perrys Sprung über den eigenen Schatten 10/11

Mein Clark wendet sich staunend der anderen Lois zu: „Tatsächlich! Er hat dich wirklich gefunden. Ihr wisst sicher, dass ich es damals im Februar gespürt habe? Du darfst nie an seiner Liebe zweifeln, Lois. Denn er war so glücklich, dass dieses Gefühl alle Dimensionen gesprengt hat.“ Seine Alternativ-Existenz klopft ihm leicht auf die Schulter und drückt die Lippen auf die Haare der eigenen Frau.

Auch die kleine Gestalt im Sessel wird von dem Geretteten begrüßt: „Mr. Wells, wie kann ich Ihnen danken, dass sie uns wieder einmal diese Hilfe gebracht haben?“

Der Zeitreisende lächelte verschmitzt. Seine Augen funkeln vergnügt hinter seiner Brille: „Oh, Ihre Frau wird Ihnen sicher diese Frage beantworten können.“ Er schmunzelt in sich hinein. Clark schaut etwas verunsichert zu mir herüber.

Ich stehe einfach nur da. Genieße diese Augenblicke. Alles hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Mein Clark ist fast wieder der alte. Und das, was ihm noch fehlt, könnte uns zum Segen werden.

Martha ist diejenige, die alle an den Esstisch bugsiert. „Jetzt wird endlich gefrühstückt. Wir können ja weiter erzählen. Nur verschlucken darf sich keiner!“

Wieder fühle ich Clarks Arm an meiner Schulter, er führt mich an meinen Platz. Gerade als ich zu einem Bagel greifen will, durchzuckt mich ein gewaltiger Schreck: „Ich habe das Kryptonit im Saunaofen vergessen. Vor lauter Sorge um Clark habe ich nicht mehr daran gedacht“

Doch wieder kommt Hilfe aus dem Parallel-Universum. Lois schüttelt den Kopf: „Alles okay! Ich hab mich drum gekümmert. Mit Hilfe eines Isolierhandschuhs, der da lag, habe ich den Kräuterkorb herausgenommen und die Kristalle verbuddelt. Ich mach dir eine Skizze von der Stelle im Garten, wo ich sie vergraben hab. Aber Clark“, sie wendet sich an ihren Mann: „Du bist uns noch eine Erklärung schuldig. Für welches Versprechen von Tempus hat Higgins das getan?“

Alle Hände bleiben plötzlich still liegen. Kein Croissant wird geschmiert oder gekaut, kein Löffel voller Müsli zum Mund geführt, keine Kaffeetasse erhoben. Im Kollektiv starren wir den Angesprochenen an.

„Ach ja, der arme Teufel“ Alt-Clark schaut von einem zum anderen: „Tempus hat das Ganze ja so raffiniert eingefädelt. Durch geschickte Fragen muss er persönliche Dinge seiner Wärter erfahren haben. Dann hat er sich wohl Higgins ausgesucht, weil die Kryptonier seine Familie ermordet haben. Er hat ihm eingeredet, dass Superman an der kryptonischen Invasion und dadurch am Tod seiner Lieben schuld gewesen wäre.“

Der Erzähler ist der einzige, der einen Schluck aus seiner Tasse nimmt. Nur das klingende Geräusch des abgesetzten Porzellans durchbricht unsere atemlose Stille. Sein Bericht geht weiter: „Tempus konnte den armen Mann überzeugen, dass er aus der Zukunft kam und weitere Zeitreisen möglich wären. Einige Begebenheiten hatte er ihm voraussagen können. Und als Higgins ihm glaubte und vertraute, hat Tempus ihm ein Versprechen gegeben. Er wollte, wenn Superman tot und er dann automatisch frei wäre, mit ihm in die Vergangenheit reisen und seine Familie retten. Der arme Kerl hat das geglaubt oder wollte es unbedingt glauben. Er war so verzweifelt! Er hätte alles dafür getan, wenn jemand diese schreckliche Geschichte hätte rückgängig machen können! Wenn er seine Familie wieder bekommen würde und er nicht mehr so grenzenlos allein wäre!“

Diese Worte lassen mich schlucken. ‚Grenzenlos allein‘! Nein, das war ich in dieser schlimmen Zeit nicht gewesen. Alle haben mich mit so viel liebevoller Hilfe umgeben. Aber trotzdem! Ich schmiege mich noch mehr in Clarks Arm, den er wieder um mich gelegt hat. Ihn spüren, ihn so nah zu haben nach diesen Horror-Tagen ist ein nicht zu beschreibendes Gefühl.

Doch das muss ich von dem Spezialisten in Sachen Zeitreise wissen: „Mr. Wells, wäre das denn möglich, den Tod rückgängig zu machen?“

Nicht er sondern der andere Clark beantwortet meine Frage: „Als es um das Auffinden meiner Lois ging, hat Mr. Wells mir gesagt, dass man zwar in der Vergangenheit die Zukunft beeinflussen, aber die Vergangenheit nicht so einfach ändern kann. Was geschehen ist, ist geschehen. Meine Eltern sind auch durch einen Unfall ums Leben gekommen.“ Ein sehnsüchtiger Blick fliegt zu Martha und Jonathan hinüber.

Für uns alle sichtbar nimmt seine Frau seine Hand und drückte sie fest. Obwohl sie nichts dazu sagt, stehen die Worte im Raum: ‚Du bist nicht mehr allein! Jetzt bin ich bei dir‘!

Sofort wird seine Miene wieder normal, ein zärtlicher Blick streift ihr Gesicht und er spricht weiter: „Mr. Wells hat mir damals erläutert, dass, wenn wir zurückreisen und sie retten würden, es wenig Sinn hätte. Sie würden kurze Zeit später doch sterben. Das habe ich Higgins erklärt. Mein Anblick machte ihn ja sowieso fix und fertig. Superman, den er mit Hilfe von Kryptonit überwältigt hatte und den er schon fast gestorben wähnte, stand plötzlich putzmunter vor ihm! Ich hab ihm als Begründung gesagt, dass das Kryptonit nach gewisser Zeit seine Wirkung verloren hätte.“

Mr. Wells will aber über den Tod der Familien Higgins und Halanen genauere Fakten hören: „Mr. Kent, wir wissen, dass es vor dem historischen Museum passiert ist. Hat man denn die Leichen gefunden? Hat Higgins sie gesehen?“

Der Angesprochene zuckt mit den Schultern: „Das weiß ich nicht so genau. Aber wir müssen uns sowieso noch um ihn kümmern.“ Er schaut herüber zu uns: „Clark, du wirst entscheiden müssen, was mit Higgins geschehen soll. Eines weiß ich, er ist kein schlechter Mensch, nur ein sehr verzweifelter. Durch die Außerirdischen ist sein ganzes Leben aus den Fugen geraten. Alle seine Lieben sind tot.“

Einen Moment starrt er auf den Tisch. Denkt er an sein eigenes Schicksal? Aber dann hebt er wieder seinen Kopf an: „Tempus hat ihn immer wieder aufgefordert, dich in deinem geschwächten Zustand so schnell wie möglich zu erstechen oder zu erschlagen. Doch das konnte er nicht. Es war für ihn noch nicht einmal möglich, dich anzusehen. Deshalb der Sack über dem Kopf. Dich durch die Einwirkung des Kryptonits sterben zu lassen, das war das einzige, wozu er imstande war.“

Wieder muss ich hart schlucken, als ich mir den Zustand meines Mannes beim Auffinden vor Augen führe: „Das war ja bestialisch genug. Aber trotzdem tut mir der Mann auch leid. Und Tempus hätte doch sein Versprechen in alle Ewigkeit nicht gehalten.“

Darüber sind wir Anwesenden uns absolut einig. „Ganz genau…“ – „Aber sicher“ – „Hundertpro…“, wie das zustimmendes Murmeln von allen Seiten beweist.

Mein Ehemann verstärkt den Druck seines Armes um meine Schultern noch ein wenig und schaut mich um Verständnis bittend an: „Lois, ich möchte nichts gegen ihn unternehmen. Er ist genug gestraft und rechtlich können wir sowieso nichts machen. Dann müssten wir viel zu viel preisgeben. Außerdem wäre unsere Geschichte mit Zeitreisen und Parallel-Existenzen ziemlich unglaubwürdig. Meinst du nicht auch?“

Sein beschwörender Blick ist gar nicht nötig. Er hat ja so recht. Was hätten wir von Higgins` Bestrafung? Den eigentlich Schuldigen können wir sowieso nicht zur Rechenschaft ziehen. Mein Mann ist wieder bei mir, mehr will ich nicht!

Einen kurzen Moment schließe ich die Augen, schaue ihn wieder an: „Wie du willst, Clark. Ich hab dich wieder! Alles andere ist für mich nebensächlich. Und Higgins wird so etwas bestimmt nicht noch einmal versuchen.“ Ein kleiner Kuss besiegelt unser Einvernehmen.

In aller Ruhe widmen wir uns endlich dem Frühstück. Gesprächsthemen sind unter anderem auch die Verwandten und Bekannten in den beiden Universen. Die Unterschiede oder Übereinstimmungen werden gesucht und dargelegt. Die größte Differenz gibt es wohl bei James B. Olsen. In der anderen Welt ein erfolgreicher Milliardär, hier nur ein Zeitungsfotograf, wenn auch ein begabter und vielversprechender.

Nebenbei kann ich Clark auch noch von der Aufklärung der Juwelenraube berichten.

Mit großer Zufriedenheit bemerke ich, dass er mit Appetit sein Frühstück genießt. Die Gewaltkur im Reaktor und im Einzugsbereich der Sonne hat ein Wunder bewirkt. Am liebsten würde ich ihn trotzdem ins Bett verfrachten, doch ich bin den beiden großen Helfern im Daily Planet noch etwas schuldig.

Zwar fängt Mr. Wells schon an, demonstrativ auf seine Uhr zu schauen. Das ignoriere ich einfach, denn ich muss ein Versprechen erfüllen: „Clark“, wende ich mich an den Besucher aus dem Parallel-Universum: „Würdest du bitte als Superman mit uns zum Daily Planet kommen? So werden der Held und Clark Kent wieder einmal zusammen gesehen. Jeder Verdacht würde dadurch im Keime erstickt. Es ist schon immer sehr verdächtig, wenn die beiden gleichzeitig von der Bildfläche verschwinden.“

„Na klar!“, ist die nonchalante Antwort. „Was sagen wir als Begründung für das Abhandenkommen des Superhelden?“, will er noch wissen. Ich erinnere mich an meine Überlegung vor zwei Tagen: „Die Wahrheit, Clark, die Wahrheit. Nur ein wenig maskiert und geschminkt. Vor allen Dingen abgespeckt! Ich werde uns gleich bei Perry avisieren! Lasst mich reden, ich habe mir schon etwas überlegt!“

„Moment“, Alt-Clark grinst uns fröhlich an: „Soll ich nicht schnell Paul Curzon dingfest machen? Meine Lois hat mir erzählt, dass er hier auch am Werk war. So haben wir gleich für Euren Chef eine tolle Story. Ich fliege sofort los. Bin gleich wieder da!“ Schon wirbelte er sich in seinen Dress.

Und wenn es hier doch anders ist? „Clark, halt!“, rufe ich, „Lass mich kurz über unsere Aufzeichnungen schauen. Rein prophylaktisch!“

Die Mühe hätte ich mir sparen können. Die Fakten stimmen vollkommen überein. Alarmanlagen, dieselbe Firma, der Name Curzon taucht auf, im Polizeibericht ist das Alibi vermerkt.

Superman fliegt los. Und meine alternative Existenz schreibt aus dem Gedächtnis heraus schon mal unsere Story. Ich habe keine Einwände. ‚Von Lois Lane und Clark Kent‘ steht da. Stimmt doch hundertprozentig!

Wie so oft in den letzten Tagen rufe ich beim Daily Planet an. Natürlich sind Perry und Jimmy vor Ort. „Chief, wir kommen gleich vorbei. Mit Superman, wir haben ihn gefunden.“ Erst atemloses Staunen auf der anderen Seite. Dann ein triumphierendes: „Jaaa! Lois, bis gleich!“ Perrys Armbewegung mit der geballten Faust habe ich dabei genau vor Augen.

Während unser Besuch aus dem Parallel-Universum unsere Arbeit erledigt, will mein Clark superschnell unter die Dusche und sich umziehen. Gerne wäre ich mit ihm gegangen, aber das Haus ist voller Besuch. Und die beiden Supermen haben ziemlich flott ihre Vorhaben erledigt. Schneller als gedacht ist Alt-Clark wieder zurück. Nach seiner Ankunft fahren wir sofort los.

Der Held im Dress begleitet uns im Auto auf dem Weg zum Daily Planet: „Es war so einfach“, erzählt er unterwegs ganz locker: „Curzon war bei seiner zweiten Freundin. Ich brachte die erste dorthin, sie sah die beiden im Bett und rief sofort die Polizei an um ihre Aussage zu widerrufen. Die Juwelen waren an derselben Stelle wie bei uns versteckt. Curzon ist schon in Untersuchungshaft! Und Ihr habt Eure Story!“

Dankbar klopft mein Clark ihm auf die Schulter. Kurz stimmen wir noch unsere Strategie ab. Dann taucht auch schon das Planet-Building auf. Vor dem Gebäude trennen wir uns.

Die Redaktion ist am Sonntag nur notdürftig besetzt. Trotzdem werden wir mit großem Hallo begrüßt. Mit Supermans Eintreffen durch das Fenster ist die Dramaturgie nicht mehr zu übertreffen. Staunend sieht die reduzierte Belegschaft der Redaktion den Mann aus Stahl herein schweben. Sogar der ‚Chief‘ eilt herbei, um den illustren Gast zu begrüßen.

Strahlend bittet er uns drei Ankömmlinge und Jimmy in sein Büro. Mit Erleichterung, die sehr offensichtlich ist, lässt er seine großen Augen auf Superman ruhen und kaut dabei auf einem Bleistift. „Bei allen Songs von Elvis“, bricht es aus ihm heraus: „Welch eine Freude, Sie hier zu sehen. Jimmy! Fotos!“

Darauf scheint Jimmy nur gewartet zu haben. Aus vielen verschiedenen Perspektiven werden alle Anwesenden fotografiert. In immer wieder anderen Zusammensetzungen gestaltet er seine Motive. Mit immenser Geduld lassen wir diese Prozeduren über uns ergehen.

„Genug, Jimmy! Setz dich hin! So! Jetzt lassen Sie mal hören! Was war los?“ Perry lehnt sich voller Erwartung in seinen Sessel zurück. Wieder fixiert er den Mann ihm gegenüber.

Doch ich ergreife das Wort: „Chief! Jimmy! Ich verrate jetzt mit Supermans Einwilligung ein großes Geheimnis. …Es gibt tatsächlich etwas auf diesem Planeten, das unserem Helden gefährlich werden kann. Clark und ich haben Ihnen doch damals schon von diesem Kryptonit erzählt. Es existiert tatsächlich! Jimmy, du warst seinerzeit sogar dabei. Erinnern Sie sich, Chief, dieser besessene Jason Trusk damals in Smallville? Der Clark aus seinem Wahn heraus für Superman gehalten hat? Der ist ja tot, aber ein anderer Außenstehender weiß über Kryptonit Bescheid.“

Und mit zweifacher Clark-Unterstützung erzähle ich von Tempus, der Superman unbedingt mit dem Meteorgestein töten wollte. Von Timothy Higgins, der sein Werkzeug wurde. Als dessen Motiv nenne ich nur den Hass und seine Rachegelüste allen Kryptoniern gegenüber. Wie Perrys Anrufe bei dem Gefängnisdirektor und Jimmys Recherchen mich auf die Spur des Täters führten. Und wie ich letztendlich Superman finden konnte. Hier schmuggel ich Clarks Hilfe mit hinein. Auch wenn er noch durch die angebliche Krankheit geschwächt war. Nur Mr. Wells, das Paar aus der Alternativ-Welt und ihre Reise hierher zu uns erwähne ich mit keinem Wort.

Perry und Jimmy hängen an meinen Lippen. Die Geschichte hat schon Sensations-Charakter. Hoffentlich formuliert der Chefredakteur nicht schon in Gedanken die Schlagzeile. Ich hoffe sehr, dass Perry so reagieren wird, wie ich mir das vorstelle und inbrünstig hoffe.

Nein, ich brauche mir keine Sorgen machen. Erleichtert nehme ich seine Worte zur Kenntnis, die allerdings mit Bedauern durchtränkt sind: „Heiliger Elvis! Das ist doch mal eine tolle Story! Aber leider! Schreiben dürfen wir sie nicht. Sonst würden alle Gangster der Welt erfahren, wie Superman beseitigt werden kann! Nein, nein, da müssen wir uns etwas anderes ausdenken!“

Ich lehne mich etwas vor und suche den Augenkontakt mit ihm: „Danke, Chief! Ich wusste, dass Sie die Problematik erkennen würden. Deshalb hat Superman auch entschieden, dass er nichts gegen Higgins unternehmen wird. Zuviel würde dann an die Öffentlichkeit dringen. Könnte man Supermans Abwesenheit in den beiden Tagen nicht damit erklären, dass er für die Regierung in geheimer Mission unterwegs gewesen war? In außerordentlich geheimer?“

Würde unser sonst so ehrlicher Chefredakteur seine Prinzipien für Superman opfern?

Hilfe bekomme ich von Jimmy. Er stimmt lebhaft zu: „Ich weiß von meinem Dad, dass die Geheimdienste immer alles sehr geheim halten. Da weiß ein Dienst nichts von den Aktivitäten der anderen. Jeder würde glauben, dass Superman für einen anderen gearbeitet hätte, weil sowieso jeder dementiert und keiner etwas zugibt! Egal, was es ist! Egal, ob etwas stimmt oder nicht!“

Wir müssen alle herzlich lachen. Perry ist der erste, der wieder ernst wird. Zwei seiner Finger massieren nachdenklich sein Kinn. Seine großen Augen mustern uns der Reihe nach. Mit in Falten gelegter Stirn meint er: „Ihr wisst alle, wie korrekt ich normalerweise bin. Sonst kommen mir Falschmeldungen nicht ins Blatt! Aber hier muss ich wohl beide Augen zudrücken. Superman muss geschützt werden! Und da wir unbedingt eine Erklärung für sein zweitägiges Verschwinden brauchen, müssen wir zu dieser List greifen. Auch Elvis hat damals, als er….“ Er verstummt. Hat er unsere sich verzweifelt drehenden Augen bemerkt? Nach einer Elvis-Story steht keinem von uns der Sinn!

Aber hallo! Von List spricht er, nicht von Lüge! Und seine Elvis-Story hat er abgewürgt. Ja, Perry White vollbringt das Kunststück und springt über seinen eigenen Schatten!

„Und Sie haben diese Kryptonit-Einwirkung schon verkraftet?“, will der Chief von Superman wissen.

Ich lächle Jimmy dankbar zu, während Superman mit seiner Antwort beginnt: „Der Anzug, Mr. White, den Jimmy so supermäßig besorgt hat. Clark hat ihn angezogen. Durch ihn konnte er mich in den Reaktor bringen. Die Ausbreitung des Kryptonits wurde durch meine Befreiung gestoppt. Die Nuklear-Strahlung hat das bereits in meinem Körper befindliche Teufelszeug dann vernichtet.“

‚Bitte Perry‘, flehe ich in Gedanken, ‚sei damit zufrieden und frag nicht mehr‘!

~*~*~*~*~

Im elften und letzten Kapitel geht es um ‚Erfüllte Wünsche‘


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Re: „Lois, denk nach!“

Beitragvon Gelis » So 21. Jul 2013, 08:24

Erfüllte Wünsche 11/11

Um ihn auf andere Gedanken zu bringen schiebe ihm die Story zu: „Chief, wir haben hier noch die Aufklärung der Juwelendiebstähle als Zugabe!“

Überrascht greift er nach dem Konzept. Mit Kennerblick überfliegt er das Geschriebene. Murmelt unverständliche Worte in sich hinein. Gut! Sein Gesichtsausdruck verrät, dass er offensichtlich mehr als zufrieden ist! „Ja, wie habt Ihr das denn geschafft?“, will er wissen. Seine Augen blinken uns wissbegierig an.

Wenn es den Pulitzer auch für das Lügen gäbe, hätte ich sicher schon einen verliehen bekommen: „Chief, nachdem es Clark besser ging, hat er unsere Aufzeichnungen studiert. Dabei ist ihm Tim Curzon aufgefallen. Instinkt! Und Superman ist vor unserem Besuch hier noch losgeflogen und hat ihn überführt!“

„Phantastisch!“, Perry reibt sich die Hände und strahlt über das ganze Gesicht: „Das sind meine Reporter! Das sind Lane und Kent!“ Wenigstens mit der zweiten Aussage hat er recht!

„Clark“, wendet er sich meinem Mann zu: „Da haben Sie sich ja trotz ihrer Krankheit gewaltig angestrengt. Superman befreit und eine Story geschrieben. Aber ganz ehrlich, so richtig gefallen Sie mir immer noch nicht. Sie sind so grün um die Nase. Mir wäre lieber, Sie würden morgen noch daheim bleiben. Natürlich unter der Obhut Ihrer Frau! Wir haben für morgen mit der Aufklärung der Juwelendiebstähle unsere Headline, und was für eine! Da können Sie ruhig noch einen Tag Kräfte sammeln.“

Bevor Clark dankend ablehnen kann, denn die Befürchtung hege ich, sprudel ich sofort los: „Danke, Chief, das ist wirklich großzügig. Er tut nur so stark, dabei zittern ihm noch ganz schön die Knie. Eigentlich sollte er jetzt zuhause im Bett sein, aber er wollte natürlich unbedingt mit!“

Tadelnde Blicke treffen mich aus Clarks dunklen Augen. Nach ihnen und dem Stirnrunzeln zu schließen werde ich nachher einige Leviten gelesen bekommen. Aber ich weiß genau, wie ich die im Keime ersticken kann.

Superman steht zuerst auf: „Mr. White, ich glaub, ich muss mal wieder nach dem Rechten sehen, das verstehen sie sicherlich!“

Wir erheben und verabschieden uns. Ich bin mir mehr als sicher, dass unser Chief schon in Gedanken seine Erklärung über Supermans Abwesenheit formuliert. Allerdings in sehr vagen Worten. Und bestimmt nicht für die Titelseite.

Superman nimmt seinen gewöhnlichen Weg durch das Fenster. Clark und ich werden von Jimmy noch zum Aufzug begleitet: „Tolle Story, tolle Bilder!“, freut er sich. Verschwörerisch schaut er uns an: „Wenn der Chief jemals nach der Smallville-Story und der Behauptung von Diana Stride im Glauben gewesen ist, Clark wäre doch Superman, nun, jetzt hat er das Gegenteil selber gesehen!“

~*~*~*~*~

Clark ist wirklich noch ganz schön wackelig auf den Beinen, stelle ich im Aufzug fest. Mein inniger Kuss haut ihn fast um. Zum Glück haben wir es bis zum Auto nicht weit. Ich setze mich wieder an das Steuer, was ihm sehr recht ist.

Bis zur Abfahrt dauert es ein wenig. Denn trotz seiner noch vorhandenen Schwäche nimmt mein Ehemann mich erst in seine Arme. Und ich habe seine Nähe und Zärtlichkeit so sehr vermisst, dass ich nicht genug davon kriegen kann.

Eine Frage habe ich auf dem Herzen. Bisher habe ich es geflissentlich vermieden von seiner Leidenszeit zu sprechen. Er soll nicht so schnell wieder mit diesem Schrecken konfrontiert werden. Sein Körper hat diese Tortur fast kompensiert. Aber auch seine Seele?

Behutsam nehme ich sein Gesicht in meine Hände: „Clark, kann das sein, dass du mich in Gedanken aufgefordert hast nachzudenken? Immer wieder meinte ich deine Stimme zu hören ‚Lois, denk nach‘! Das hat mich so angespornt. Und mir ungemein geholfen.“

Dieser Blick! Schokoladenbraun und voller Liebe! Er nickt: „Ja, Honey! Niemand kennt mich so gut wie du. Mir war sonnenklar, wenn mich jemand findet, dann du, Lois! Du musstest aber ruhig und besonnen vorgehen. Nicht unüberlegt und stürmisch. Darum habe ich immer an dich gedacht und mir gewünscht, dass du nachdenkst. Du warst sowieso mein Schutzwall gegen die Angst und die Verzweiflung, die mich auffressen wollten.“

Seine Finger gleiten in mein Gesicht, streicheln es auf seine unnachahmliche Weise. Wie habe ich diese Berührung vermisst. Sehr ernst spricht er weiter: „Vor der Kommunikation mit Clark war das besonders schlimm. Diese telepathische Verbindung hat mir sehr geholfen, mir vielleicht das Leben gerettet. Weißt du, dass gerade ich als der stärkste Mann der Welt nicht in der Lage war, mir selbst zu helfen, mich zu befreien, aus dieser Kryptonit-Hölle zu entfliehen, das hätte mich bald um meinen Verstand gebracht.“

Mit unendlicher Zartheit nimmt er meine Hände, drückt seine Lippen innig erst auf die eine, dann auf die andere. Schaut mich an mit seinem Lächeln, das mich atemlos vor Liebe macht. „Ohne dich, ohne das Bewusstsein deiner Liebe wäre ich gestorben, Lois. Du warst mein Schutzengel, in Gedanken war ich immer bei dir! Auch, weil mir immer wieder in den Sinn kam, was gerade in der Welt passieren könnte. Wie viele Menschen meine Hilfe brauchten und danach schrien. Und ich war zu keiner Aktion fähig. In diesen Momenten war ich froh, dass durch die Wirkung des Kryptonits mein Supergehör versagte. Stell dir vor, in meinem eigenen Elend hätte ich noch die Verzweiflung anderer Menschen akustisch mitbekommen. Das hätte ich nicht ausgehalten.“

Erschüttert höre ich zu. Diese Aspekte sind mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Für Clark, der die Empathie selber ist, müssten das unerträgliche seelische Schmerzen gewesen sein. „Clark, es ist vorbei!“, sage ich nur. „Versuche, nicht mehr daran zu denken. Komm, ich fahre uns jetzt heim!“

Doch er beugt sich zu mir und hält meine Hand fest, die den Zündschlüssel drehen will: „Eine Frage noch, Lois. Was hat H. G. gemeint? Du wüsstest, wie ich ihm danken könnte?“

Jetzt muss ich ihm doch noch einen Kuss geben: „Süßer, das werde ich dir zeigen, wenn wir endlich im Bett sind!“ Ein kleines vergnügtes Glucksen löst sich aus meiner Kehle, als ich das Verständnis in seinem Blick bemerke. Um seinen Mund nistet sich ein zärtliches Lächeln ein.

Dann lehnt er sich zurück und schließt erschöpft die Augen. Ich spüre seine Hand auf meinem Oberschenkel: „Ich möchte dich fühlen, Honey! Ich muss einfach wissen, dass ich bei dir bin!“ Von der berührten Stelle geht ein warmer Strom aus und verbreitet sich wie Sonnenstrahlen in meinem ganzen Körper. Ob er das genau so empfindet?

Während der Fahrt schaue ich ihn ab und zu besorgt an. Diese ganze Tortur erst mit dem Kryptonit, dann im Reaktor und der Flug zur Sonne und zurück müssen auch für seinen außerirdischen Körper etwas viel gewesen sein. Er sitzt nur da, seine Augen sind geschlossen, aber das Lächeln ist geblieben.

Der Sonntagsverkehr hält sich um diese Zeit sehr in Grenzen. Ziemlich schnell sind wir wieder daheim.

Dort herrscht ein Ausnahmezustand. Aufgeregt werden uns von Clarks Eltern und der anderen Lois die neuesten Entwicklungen erzählt:

Während unserer Abwesenheit ist Mr. Wells in die Zeit der kryptonischen Invasion gereist. Vor dem Metropolis History Museum hat er nach längerem Suchen das heruntergestürzte Auto von Raija Higgins gefunden. Die Ehefrau von Timothy Higgins, ihre Eltern Antti und Kaisa Halanen und der siebenjährige Matti waren tot. Doch Töchterchen Satu, vier Jahre alt, lebte noch. Wie durch ein Wunder hatte sie den Sturz ohne sichtbare Verletzungen überlebt. Sie stand aber unter einem gewaltigen Schock.

Mr. Wells wollte durch einen Zeitsprung mit dem Kind keine Irritationen aufkommen lassen. Darum hat er die Kleine kurzerhand in das King Street Waisenhaus gebracht. In dem Trubel und Durcheinander der damaligen Zeit war das kein Einzelfall. Dort würde man sich gewiss erst einmal gut um sie kümmern und sie auch ärztlich behandeln. In der Nähe des heruntergestürzten Autos lagen noch andere Leichen, auch Kinder, manche unkenntlich. Sicher hatte man damals gedacht, Satu wäre aus dem Auto geschleudert worden.

Für die Rückreise hat Mr. Wells seine Koordinaten wieder so eingestellt, dass er nur eine einzige Minute abwesend gewesen war.

Als Superman vorhin vom Planet zurückkehrte und ihm diese Neuigkeit erzählt wurde, flog er noch einmal nach Vernon. Er teilte Higgins nur mit, dass er seine Tochter in dem bewussten Waisenhaus finden würde. Und dass er für diese abscheuliche Tat keine Strafe zu befürchten hätte, wenn er sich sofort in einen anderen Trakt des Gefängnisses versetzen lassen würde. Tempus darf von dem Scheitern des Mordversuchs an Superman nichts erfahren. Er soll noch lange in Erwartung und Ungewissheit schmoren.

Natürlich versprach der Witwer alles hoch und heilig. Er konnte es kaum erwarten, zu dem Waisenhaus fahren zu können. Zum Glück wohnt in Gotham City noch eine Cousine, die ihm sicherlich zur Seite stehen wird.

Das ist natürlich eine aufregende Neuigkeit. Mit dieser Lösung bin ich höchst zufrieden. Denn das Geschick dieses Mannes geht mir doch, trotz seines Verbrechens, unter die Haut. Auch Clark findet diese Lösung mehr als akzeptabel.

Doch etwas anderes fängt an, mir Probleme zu bereiten. Meine Kräfte schwinden dahin. Drei Nächte habe ich so gut wie nicht geschlafen. Dazu kam die viel schlimmere nervliche und seelische Belastung durch die Angst und die Ungewissheit um Clarks Schicksal. Nun, da alles vorbei ist und sich so außerordentlich gut gefügt hat, falle ich innerlich zusammen. Ich fühle mich wie eine ausgepresste Zitrone. Nur mühsam halte ich mich noch auf den Beinen.

Der Abschied von dem Alternativ-Paar und Mr. Wells rauscht an mir vorbei. Ich fühle, dass ich gedrückt und auf die Wange geküsst werde, tue das gleiche und sage immer wieder: „Von ganzem Herzen Danke!“

Als die Reisenden von Universum zu Universum mit dem Zeitfenster verschwunden sind, schwankt die Erde um mich herum. In den Ohren saust es, heiß steigt es in mir auf. Wie in starker Vergrößerung sehe ich Clarks verstörtes Gesicht. „Müde! Schlafen! Bett!“, höre ich mich flüstern. Wie im Traum merke ich, dass ich hochgehoben werde. In seinen Armen muss ich wohl schon eingeschlafen sein.

~*~*~*~*~

Als erstes höre ich entfernt Stimmen. Vogelgesang. Automotoren. Ich merke, dass ich im Bett liege. Wohlbehagen erfüllt mich von den Fuß- bis zu den Haarspitzen. Weil es so ist, wie ich es am liebsten habe. Denn neben mir fühle ich beim Aufwachen sofort Clarks Nähe und Wärme. Höre seine regelmäßigen Atemzüge, noch bevor ich die Augen öffne.

Das tue ich dann aber ganz schnell, ich will ihn auch sehen können. Seine Augen sind geschlossen. Das Gesicht macht einen entspannten Eindruck. Es sieht aus, als ob er leicht lächelt. Ruhig bewegt sich seine Brust beim Atmen auf und ab.

Meine Blicke wandern durch das Schlafzimmer. Es ist noch hell. Oder schon wieder? Egal, das ist im Moment so uninteressant. Wie bin ich ins Bett gekommen? Eine schwache Erinnerung an den Abschied von dem Alternativ-Paar und Mr. Wells ist noch vorhanden. Müdigkeit und Schwäche gepaart mit gewaltiger Entspannung müssen mich wohl überwältigt haben.

Mein Mann wird mich hierher getragen haben. Hat mich sogar entkleidet, denn meine tastenden Finger fühlen nur den dünnen Stoff eines Nachthemdes. Und dann hat er sich gleich zu mir gelegt, um auf mich zu achten. Kein Wunder, dass er auch eingeschlafen ist nach all dem, was er durchgemacht hat.

Martha und Jonathan? Von unten sind keine Geräusche zu hören. Heimgereist sind sie sicherlich noch nicht, vielleicht ruhen sie sich auch aus. Das werde ich später erfahren.

…Später. Doch jetzt steht etwas ganz anderes im Vordergrund. Etwas, was das Bewusstsein und das Empfinden von Clarks Gegenwart in mir immer größer werden lässt und allmählich meinen ganzen Körper durchflutet. Was meinen Puls in die Höhe treibt und mein Herz schneller schlagen lässt. Was mich schwer atmen und eine Hundertschaft Ameisen in meinem Bauch kribbeln lässt.

Immer heißer steigt Verlangen in mir auf. Mein Ehemann ist hier im Bett neben mir. Ich brauche ihn nur berühren oder seinen Namen flüstern, er wird dank seiner Super-Sinne sofort munter werden.

Aber wie weit hat er sich erholt, körperlich wie seelisch? Ist er nach dieser Tortur eigentlich schon bereit für das, was als Wunsch so stark in mir erwacht ist? Steht ihm jetzt schon der Sinn nach diesen weltlichen Dingen, die uns jedoch dem Himmel so nahe bringen? Wenn nicht, wäre ich als liebende Frau gefragt…! Mit all meiner Liebe würde ich versuchen, ihn wieder den Freuden des Lebens zuzuführen.

Mit diesen Gefühlen wende ich meinen Blick wieder Clark zu. Gegen das Fenster zeichnet sich wie ein Schattenriss sein Profil ab. Zärtlich gleitet mein Blick den Konturen nach. Seine Haut hat fast wieder die gewohnte Struktur erreicht. Durch Atombestrahlung und Sonnenkraft ist er äußerlich wieder genesen. Für die Heilung seiner Psyche fühle ich mich verantwortlich.

Einige Momente sauge ich sein Bild noch in mir auf. Dieser Anblick taucht mich in die Spirale des Glücks ein, die uns nach seinem Erwachen immer höher schleudern wird, immer höher, bis wir den Gipfel erreichen werden.

Länger kann ich mich nicht mehr beherrschen. So leise, dass ich es selbst kaum höre, flüstere ich seinen Namen: „Clark!“ All mein Verlangen liegt in diesem Wort. Es wird in ihm ankommen, verstanden und zurückgegeben werden. Wie ein hauchzarter Kuss streichle ich seine wieder gesundeten Lippen, fühle ihr Pulsieren, ihre Sanftheit.

Meine Berührung lässt sie sich öffnen und gleichzeitig mit ihnen heben sich auch seine Lider. Sein Kopf wendet sich mir zu. Schoko-Augen, bis an den Rand mit Liebe gefüllt, blicken mich an: „Lois…! Geht’s dir gut?“ Ich kann nur nicken, denn ich vergehe in diesem Blick, mein Herz schlägt Stakkato. Auf dem Grund dieses dunklen Meeres entsteht ein Lächeln, das sich auf sein ganzes Gesicht verbreitet: „Darling, wie war das noch? Wolltest du mir nicht etwas zeigen…? Ich hab da noch so eine ganz vage Erinnerung!“

Seine Arme umfangen mich und holen mich ganz dicht an sich heran. Mein Nachthemd fliegt irgendwo in den Raum hinein. Mit allem, was ich habe, umklammere ich seinen Körper, fühle seine warme, jetzt wieder glatte Haut. Bemerke mit Entzücken, dass meine Sorgen vollkommen unberechtigt waren. Dann ist sein Mund voller Begehren und Leidenschaft auf dem meinen. Die Welt um mich herum versinkt in einem Feuerwerk der Sinne …

~*~*~*~*~

Fünf Wochen später.

Es spielt für mich überhaupt keine Rolle, ob Herbert George Wells mit seiner Prognose recht hat, dass unsere Physiologien sich durch die Wirkung des Kryptonits angenähert haben oder ob nun mein eigener Körper inzwischen für das Fremdartige in Clark bereit ist.

Seit drei Wochen hegen wir aus gutem Grund eine große Hoffnung! Auch ein Test zeigte ein positives Ergebnis. Aber anhand eines Ultraschallbildes, das wir nach der heutigen Untersuchung bei meiner Gynäkologin mit nach Hause bringen, wissen wir definitiv, dass das sehnlichst erwartete Ereignis eingetreten ist.

Clarks eigene Euphorie ist so groß, dass er keine fremden Glücksgefühle wahrnehmen kann. Trotzdem bin ich mir hundertprozentig sicher, dass ‚Es‘ auch bei unseren Alternativ-Existenzen in der Parallelwelt, genau wie bei uns beiden, tatsächlich geschehen ist.

Hier wie dort wird der größte Wunsch endlich erfüllt!


E N D E

:superman:
"How to double a good library? Read the books (stories) twice!"
(Charles Tschopp)

"Now is the best time!" (Paul Claudel)
Gelis

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