Seite 1 von 1
Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 11:28
von Magss
Ich weiß ja nicht so genau, ob ihr überhaupt Lust habt, mir auf diese Reise zu folgen. Es ist meine bisher längste Story, und definitiv die, an der ich am längsten schreibe. Weniger eine Was-wäre-wenn-Geschichte als vielmehr der Versuch offene Fragen zu klären, Verhalten zu verdeutlichen und die eine oder andere Lücke im Verlauf der verschiedenen Drehbücher zu schließen.
Die Idee wurde vor mehr als eineinhalb Jahren geboren, Mellie, ich und ein paar andere diskutierten in einem FDK-Thread (und später im Chat), dass es lohnenswert wäre, doch mal die Männer in Lois Lanes Leben zu beleuchten. Was ist genau passiert, um sie zu der Frau werden zu lassen, die wir am Beginn der 1. Staffel kennen lernen: Ehrgeizig, zickig, misstrauisch und beziehungsunfähig. In den Folgen gibt es nur wenige Hinweise, da war Paul, ihr erster, den hat ihr Linda King ausgespannt. Dann erwähnt sie Claude, in den war sie wohl verliebt, und er hat ihr nach einem One-Night-Stand die Story geklaut. Und natürlich durften wir alle die Sache mit Lex miterleben. Aber was hat sie bloß getrieben, 'ja' zu sagen?
Ich habe noch einen fiktiven Mann (John) eingeführt, weil es mir passend erschien.
Ursprünglich wollten Mellie und ich diese Story zusammen schreiben. Die Zeit war gegen uns. Ich fand die Idee aber so faszinierend, dass ich alleine weiter geschrieben habe. Wir haben gemeinsam viele Ideen entwickelt, alleine habe ich dann einiges davon verworfen, umgestellt, neu zusammen gestellt und dann das hier entwickelt. Alle Titel der Kapitel stammen von Mellie. Der erste Teil über Paul, die ersten Seiten sind noch ein Gemeinschaftswerk, danach bin ich alleine verantwortlich.
Alleine? Das stimmt natürlich nicht ganz, ich hatte meine Betas. Wahrscheinlich habe ich für diesen Text mehr Betas als Leser. Den ganzen Text haben gelesen und gebetat: Kitkaos, Tahu und – eine ganz neue und in meinen Augen sehr fruchtbare Zusammenarbeit - bakasi. Und diesmal habe ich meinen Betas wirklich etwas zugetraut. Sie haben es trotz Ausbildung, Weiterbildung und PJ Seite für Seite mitgelesen. Ein riesiges Dankeschön dafür! Die ersten Teile hat auch Lara Joelle Kent gelesen. Mit allen gab es ausgedehnte Diskussionen, wie Lois reagiert, wie es sich abgespielt haben könnte, warum sie immer wieder in solche Situationen geraten ist. Und am wichtigsten, warum ist sie so eine Kratzbürste? Warum verliebt sie sich als erwachsene Frau unsterblich in den fliegenden Helden? Und warum sagte sie 'ja' zu Lex? Dann habt ihr Helfer meinen Text mitgeholfen zu überarbeiten. Für all das bin ich euch wirklich dankbar. Jeder einzelnen von euch! Ihr habt mir wirklich sehr geholfen.
Was kann ich noch schreiben? Vielleicht noch ein Zitat, mit dem ich Tahu zwischenzeitlich amüsiert habe. Ich habe es wohl an den Claude-Teil gehängt: „
Oh man, ich brauch eine Pause. Immer wenn ich mit einem Mann durch bin, brauche ich einen gewissen Abstand, bevor ich mich auf den nächsten einlassen kann...“ Vielleicht besser, wenn mein Mann nie erfährt, dass ich das gesagt habe...
Disclaimer: Die Serie "Superman - die Abenteuer von Lois & Clark", Clark Kent, Lois Lane, Daily Planet, Metropolis, Krypton – all das gehört nicht mir und die Charaktere auch nicht, sondern denen, die die Idee hatten, Jerry Siegel, Joe Shuster oder DC-Comics, um nur einige zu nennen. Nur die Idee für diese Geschichte ist meine. Ich schreibe nur für mich, und verdiene kein Geld damit.
Über Kommentare (und damit meine ich wirklich positive wie negative) würde ich mich natürlich riesig freuen.
Memory Lane "WAS?! Clark ist Superman?! Lois, du spinnst! Ich habe gedacht, dass du deine Obsession mit Superman überwunden hast. Du bist doch verheiratet. Komm schon, dein Mann ist einfach süß. Und jetzt willst du mir klarmachen, er akzeptiert deine Schwärmerei für diesen Superhelden in Strumpfhosen, diesen fliegenden Gott? Ja, er unterstützt dich noch dabei und macht für dich den Superman? Lois, das ist krank!"
Hin und wieder fragte ich mich doch, ob meine Schwester nicht eine Neigung zum Plappern hatte. Lucy schüttelte den Kopf. Nachdem sie mir die ersten Worte geradezu entgegen geschleudert hatte, war sie ruhiger geworden. Aber ihr Kopfschütteln drückte tiefstes Unverständnis aus.
Gut gewappnet mit Crackern und Prosecco kamen Lucy und ich aus der Küche und machten es uns im Wohnzimmer vor dem brennenden Kamin gemütlich. Wir waren alleine im Haus. Und wir hatten alle Zeit der Welt.
"Es tut mir leid, Schwesterchen, wenn ich mich falsch ausgedrückt habe. Clark macht mir nicht den Superman", wobei ich bei der Vorstellung, dass sich das wahrscheinlich tatsächlich in manchen Schlafzimmern so abspielen könnte, grinsen musste, "er ist es - wirklich!", sagte ich das letzte Wort mit Nachdruck. Lucy sah mich nun an, als hätte ich grüne Antennen auf dem Kopf. Mir war schon klar gewesen, dass es nicht ganz einfach für sie werden würde. Aber Clark und ich hatten beschlossen, dass die Familie und damit auch Lucy die Wahrheit erfahren sollte. Sie war Nicis Patin, sie verbrachte viel Zeit mit ihrem Neffen und sie sollte wissen, was auf sie zukam, bevor sich bei ihm das Erbe seines Vaters, die eine oder andere der Superkräfte zeigen würden. "Lucy, wie oft habe ich in meinen Artikeln geschrieben, dass Superman eine Zweitidentität hat?"
Sie trug ihr Haar inzwischen wieder länger. Es stand ihr gut. Und das warf sie sich nun über die Schulter. Dabei sah sie mich fragend an, als könnte sie mir nicht folgen. "Immer wieder. Oft... eigentlich ständig, jedenfalls anfangs...", stammelte sie. Ich schien sie verwirrt zu haben. Meine Schwester las meine Artikel, wann immer es ging, das wusste ich.
"Ja, natürlich nur anfangs. Nach einer gewissen Zeit kam der Punkt, da habe ich begonnen ihn zu schützen. Noch etwas später wusste ich es dann und seitdem hüte ich die Information um Superman als ein tiefes Geheimnis. Jedenfalls - diese Zweitidentität ist Clark. Oder Clarks Zweitidentität ist Superman, wie du willst." Ich sollte nachsichtiger sein mit meiner kleinen Schwester. Ich hatte zwei Jahre gebraucht, um es zu sehen, es zu verstehen. "Denk dir mal die Brille weg. Und vergleiche Clarks Körperbau mit dem von Superman..." Sie hatte meinen Ehemann ein paarmal ohne T-Shirt gesehen und sich immer sehr schwärmerisch, vielleicht sogar manchmal etwas neidisch darüber ausgelassen. Ich gab ihr nun einfach etwas Zeit, um diesem Gedanken zu folgen und schenkte uns beiden noch etwas Prosecco nach.
Lucy sah mich grüblerisch und ernst an. Sie kaute auf ihrem Daumen. Als sie noch klein war, kaute sie in solchen Situationen an ihren Nägeln. Das machte sie heute natürlich nicht mehr. Doch dieses zarte, kraftlose Kauen war so ein Überbleibsel aus Kinderzeiten. Ich konnte geradezu sehen, wie sich die gedanklichen Fragmente zu einer konkreten Vorstellung zusammenfügten und es sah so aus, als würde sie langsam verstehen, wovon ich sprach. "Das... das ist wirklich irre! Lois, das würde bedeuten, dass du am Ende doch Superman bekommen hast. Ich fasse es nicht!" Sie schüttelte schon wieder den Kopf, lachte aber diesmal dabei. Dabei fielen ihre langen Haare wieder nach vorne.
"Ich habe Clark bekommen, das ist es, was zählt. Superman war nur die Zugabe." Diese Formulierung entlockte mir dann aber doch noch ein Schmunzeln. Lucy akzeptierte diese Neuigkeit besser und schneller als ich gedacht hatte. Sollte sie etwa erwachsen geworden sein?
Sie sah mich einen Moment an und dann schien ihr eine neue Idee zu kommen: "Okay, okay...", sie wurde nun ganz aufgeregt. Was ging ihr bloß jetzt im Kopf herum? "Zugabe oder nicht, du hast Superman in deinem Bett..." Da hatte sie natürlich Recht, ich nickte. Wobei mir das Wort 'Bett' eine grobe Vorstellung gab, worauf meine jüngere Schwester als nächstes hinaus wollte. "Gut, Lois, diese Antwort wirst du mir nicht schuldig bleiben - was bitte ist Super-Sex?" Ich hatte sie genau richtig eingeschätzt.
"Lucy!", ich versuchte einen strengen Ton anzuschlagen, was mir nicht ganz so überzeugend gelang. Auch ich musste grinsen. Diese Frage hatten sich wahrscheinlich schon Tausende von Frauen auf der ganzen Welt gestellt.
"Nein, nein!", drohte sie mir, "Du wirst mir nicht davon kommen." Meine Schwester war ganz aufgeregt. Sie hatte sich aus der gemütlichen, entspannten Haltung in ihrem Sessel schon längst nach vorne gebeugt und fuchtelte wild mit den Armen. "Ich will Details! Das bist du mir schuldig. Du kennst jedes intime Geheimnis meines Lebens." Sie hatte mir wirklich von vielen Männergeschichten mehr Einzelheiten erzählt als ich wissen wollte. Mir war nur niemals klar gewesen, dass ich ihr das jemals zurückzahlen musste. Und wenn es schon sein musste, warum dann ausgerechnet jetzt? "Komm, ich hab dir immer alles erzählt“, bettelte sie mich an, „während sich bei dir immer alles im Stillen abgespielt hat. Ich hab mich schon manchmal gefragt, ob du nicht doch als Jungfrau in die Ehe gegangen bist. Also erzähl: Superman - was bedeutet das? Fliegt er? Gibt es eine kryptonische Eigenschaft, die nur du kennst? Was macht er mit seinen ganzen Kräften? Ich will alles wissen!" Gespannt und erwartungsvoll sah sie mich an - sie platzte vor Neugierde.
Ich sah meine Schwester nachdenklich an und mir gingen dabei zwei Fragen durch den Kopf, warum sollte ich ihr von meinem Intimleben erzählen? Nur weil sie das machte? Auf der anderen Seite, mit wem außer mit meiner Schwester würde ich dieses Thema jemals anschneiden können? Es gab nur zwei weitere Frauen, die überhaupt wussten, wer der Mann war, der mich glücklich machte, meine Schwiegermutter und meine Mutter. Martha war sicher einer der verständnisvollsten Menschen, die ich kannte. Aber nie im Leben würde ich ihr eine Einzelheit, so eine Einzelheit über ihren Sohn berichten. Und meine Mutter - dieser Gedanke war so absurd, dass ich ihn noch nicht mal denken konnte.
Früher, als ich noch mit Männern von der Erde geschlafen hatte, hatten wir Frauen, wenn wir unter uns waren, immer auch mal gerne einen kleinen Scherz über die Männer gemacht. Über das Was und das Wie. Das hatte Spaß gemacht. Doch mein heutiges Leben mit Clark war so anders... so vollkommen anders. Vielleicht täte es sogar mal ganz gut, zu reden. Aber...
"Lucy, das hätte gar keinen Sinn.“, begann ich, während ich abwehrend meinen Kopf schüttelte. „Damit du wirklich verstehen kannst, was Clark mir bedeutet, müsstest du wissen, was ich davor erlebt habe...", versuchte ich auszuweichen. Aber noch während ich die Worte sagte, wurde mir klar, dass das weniger als Ausweichmanöver taugte, sondern eher die Einleitung für mehr war - ganz in Lucys Sinne. Verflixt, wann würde ich endlich lernen erst zu denken und dann zu handeln, oder zu sprechen?
Sie grinste mich an, machte es sich in ihrem Sessel wieder bequem, legte sich die Wolldecke wieder über die Beine, damit ihr nicht kalt wurde, nahm sich noch ein paar Käsecracker und ihr Glas Prosecco. "Gut, leg los. Die Kinder sind bei den Großeltern, dein Mann rettet die Welt, wir haben die ganze Nacht Zeit."
Ich atmete tief durch. Nicht dass es allzu viele Erfahrungen waren, die ich vor Clark gemacht hatte, aber ob die Nacht dafür reichen würde...?
„Okay... Zuerst war da Paul...Um cool zu sein "Erde an Lois!" Mit einem Ruck wachte ich aus meinen angenehmen Tagträumen auf.
"Lois, wo warst du nur mit deinen Gedanken?"
Natürlich, das musste sie ja fragen. Beste Freundinnen erzählten sich schließlich alles. Aber das hier würde ich trotzdem besser für mich behalten.
Linda sah mich kritisch an und folgte dann meinem Blick, der immer noch in die verräterische Richtung, zum 'Schwarzen Brett' ging. Vor dem Betonpfeiler, der über und über mit Zetteln übersät war, stand eine Gruppe von jungen Männern und diskutierten angeregt. Und auf einmal erhellte sich ihr Gesicht. Sicher hatte sie entdeckt, wen ich schon die ganze Zeit beobachtete. "Es ist Paul, nicht? Ich wusste es! Du fährst total auf ihn ab!" Begeistert sah sie mich an.
Wie? Was? "Linda!“, ich musste wenigstens so tun, als wäre das nun vollkommen abwegig. „Das hat überhaupt nichts mit Paul zu tun. Ich weiß ja nicht einmal, wer Paul ist...", versuchte ich so unbeteiligt wie nur möglich zu sagen. Demonstrativ drehte ich mich um und sah nun aus dem Fenster. So ein Campus glich doch einem Ameisenhaufen, ständig lief jemand von hier nach dort.
Linda sah mich mit diesem Blick an, der mir sagte, dass sie es besser wusste. "Natürlich kennst du Paul. Er ist der Redakteur unserer Uni-Zeitung, bei der du auch gerne arbeiten würdest, und das lieber gestern als heute. Ihr habt erst letzte Woche darüber gesprochen", triumphierte sie. Und wie um mir zu zeigen, dass sie sich von meinem in die Ferne schweifenden Blick nicht täuschen ließ, setzte sie sich auf eine dieser Fensterbänke und beobachtete mit einem breiten Grinsen im Gesicht das Treiben um das Schwarze Brett herum.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete schnippisch: "Und wenn schon. Nur weil ich ihn kenne, heißt das noch lange nicht, dass ich mich für ihn interessiere. Es gibt Tausende von netten Männern allein auf diesem Campus“, versuchte ich mich herauszureden, „Warum sollte es ausgerechnet Paul sein? Ich meine, wenn ich denn überhaupt verliebt wäre, was ich natürlich nicht bin." Ich redete mich um Kopf und Kragen. Und wahrscheinlich sah man mir auf hundert Meter an, was ich wirklich dachte. Ganz besonders Linda hatte da immer so ein unangenehm entlarvendes Gespür. Verflixt!
„Verliebt hast du jetzt gesagt." Ihr Grinsen wurde noch breiter. Linda King sah mich selbstsicher an, viel zu selbstsicher für meinen Geschmack. "Lois, immer, wenn du ihn siehst, bist du meilenweit weg und hast auch immer dieses selige Lächeln auf den Lippen. Der Fall ist ganz klar: Du bist scharf auf ihn." Bei diesen Worten schmunzelte sie. Ihre Augen hatten etwas Allwissendes. Manchmal konnte ich sie nicht leiden.
"Ich bin nicht scharf auf ihn!" protestierte ich. "Ich wüsste auch gar nicht, warum ich ausgerechnet auf ihn scharf sein sollte." Etwas ungeschickt packte ich die Bücher in meine Tasche. Das gab mir die Möglichkeit einfach zu gehen, wenn sie weiterhin so einen Mist erzählen würde.
Linda leckte sich kurz die Lippen, bevor sie mit ihrer Aufzählung begann: "Nun, er sieht toll aus. Diese blonden Haare. Und diese himmelblauen Augen. Sein charmantes Lächeln. Tolle Figur... Und du musst zugeben, er ist der vollendete Gentleman. Wortgewandt, gewitzt, humorvoll..."
Ich seufzte nur. Sie hatte es geschafft, all seine Vorzüge in einem Atemzug aufzuzählen. Ich konnte dieser Aufzählung noch etliche weitere Attribute hinzu zählen: Er hatte ein Lächeln, wie ich das noch nie vorher gesehen hatte. Warm, herzlich, charmant, so ein richtiges Gänsehautlächeln. Er hatte immer etwas zu erzählen, hatte schon so viele aufregende Abenteuer erlebt. Er war intelligent, gebildet und konnte einen unglaublich gut unterhalten. Alle mochten ihn, was ja nun wirklich kein Wunder war. Ich griff meine Tasche fester als wollte ich mich daran festhalten.
Und dann bekam Linda diesen Blick, den ich nicht ausstehen konnte. Wir verstanden uns wirklich gut, waren schnell gute Freundinnen geworden. Aber manchmal zeigte sie mir nur zu gerne, dass sie bereits ein Jahr länger auf dem Campus war, sich besser zurechtfand, mehr Leute kannte, und immer wenn sie das tat, dann mit diesem Blick. Diesem Lois-ich-zeig-dir-mal-wie-die-Welt-funktioniert-Blick. Genau wie in diesem Moment. „Ich kenne ihn ganz gut. Ich könnte da was arrangieren...“, setzte sie gönnerhaft an.
Sie hatte sich so vor mir aufgebaut, dass ich den Blick wieder frei hatte auf die Gruppe von Leuten. Paul stand mit dem Rücken zu mir. Aber ich genoss es auch, mir seine Rückseite anzusehen. Doch ja, die hatte etwas! Er sah einfach aus jeder Richtung klasse aus.
„Ach komm schon, Linda!“, platzte es aus mir heraus. „Er interessiert mich doch überhaupt nicht. Wozu also? Zugegeben“, lenkte ich etwas leiser ein. Es war ja nun wirklich nicht nötig, dass noch jemand mitbekam, worüber wir redeten. „Ich würde schon gerne an der Uni-Zeitung mitarbeiten. Ich glaube, ich habe wirklich das Zeug dazu. Und ja", fuhr ich genervt fort, "ich weiß, das geht nicht im ersten Jahr, du erklärst es mir ja ungefähr dreimal am Tag.“ Hoffentlich hatte sie nicht gesehen, wo ich die ganze Zeit hingeblickt hatte, wen ich die ganze Zeit beobachtet hatte.
Nun war es an Linda, ihre Arme zu verschränken. Wenn sie diese Haltung einnahm, wirkte sie ein Stück größer und sie wusste das. „Aber auch nur, weil du mir mindestens dreimal am Tag erzählst, wie gerne du bei der Zeitung mitmachen möchtest“, beschwerte sie sich.
Natürlich wollte ich bei der Zeitung mitmachen, ich wollte Reporterin werden! Je eher ich mit dem Schreiben begann, umso besser. Kein Mensch wusste, was diese dumme, blödsinnige und vollkommen überflüssige Regel sollte.
~ ~ ~
Ein paar Stunden später trat ich vor die Bibliothek, den Arm voller Bücher. Warum nur mussten diese verdammten Dinger so schwer sein? Warum brauchte ich nur immer so viele davon? Andere Studenten kamen mit weniger als der Hälfte aus. Nun, wenn sie glaubten, dass das reichen würde – ihr Problem. Aber gleich würde mir die ganze Ausbeute des heutigen Tages aus dem Arm rutschen, wenn ich es nicht irgendwie anders ordnete. Also erst einmal auf die Bank gesetzt. Meine Arme fühlten sich an wie Gummi und die Muskeln krampften.
Das würde wieder ein arbeitsreiches Wochenende werden, Kommunikations- und Mediengeschichte, Empirische Kommunikations- und Medienforschung, Wissenschaftstheoretische Grundlagen und Datenerhebung, Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik, Kommunikationsökonomie und noch ein paar Biographien... Puh!
Während ich so auf der Bank vor der Bibliothek saß, kam jemand auf mich zu. Genau aus der Richtung, in der gerade die Sonne unterging. So konnte ich ihn auch kaum erkennen, war geblendet. Ich sah nur seine Silhouette, aber die Stimme erkannte ich sofort.
„Hi Lois.“ Nur zwei Worte, doch allein diese Stimme jagte mir bereits einen Wonneschauer über den Rücken. Tief genug, um wirklich männlich zu wirken und doch noch ein wenig jungenhaft und ungehobelt - es war Paul.
„Hi...“ Warum fiel mir ausgerechnet in so einem Augenblick nichts Klügeres ein? In so einer Situation wurde ich immer zu einem stotternden Häufchen Elend. Warum musste ich mit diesen blöden Büchern hier sitzen? Ich sah aus wie ein Streber. Warum hatte ich die gleichen Klamotten an, die ich schon den ganzen Tag trug? Warum, warum...?
Ich konnte ihn gar nicht erkennen, die Sonne ging direkt hinter ihm unter. Nur wenn ich blinzelte, konnte ich ihn sehen – sah bestimmt super aus. Aber Paul redete immer noch mit mir.
„Und?“ Er machte eine kurze Pause und sah mich erwartungsvoll an. „Hast du schon etwas vor heute Abend?“
Na wunderbar! Es war Freitag, ich trug eine LKW-Ladung Bücher über den Campus und Paul dachte, ich hätte nichts vor an einem Freitagabend. Er dachte sicher, dass ich der dümmste Backfisch weit und breit war. Aber Moment mal... Hatte er mich gerade gefragt, ob ich etwas vorhatte? Hatte er mich gerade gefragt, ob ich frei war? Fragte er mich, ob ich ausgehen wollte - mit ihm? Hatte sein Blick nicht gerade etwas Verführerisches bekommen? Oder wollte ich das nur so sehen? Mein Herz schlug so wild, als wollte es mir aus dem Brustkorb springen. Was sagte ich ihm bloß? Warum fiel mit jetzt nichts Schlagfertiges ein? Am besten wechselte ich ganz schnell das Thema.
„Paul", versuchte ich so gelassen zu klingen, wie nur möglich, "es ist gut, dass ich dich hier treffe. Ich wollte dich nach deiner Meinung...“, wo hatte ich diesen Artikel denn bloß hingetan – ah, da war er ja, „...fragen. Es geht um eine Betrugsgeschichte. Hier auf dem Campus! Sag mir einfach, was du davon hältst.“ 'Ohh Lois!' Mit dieser Story hatte ich ihn ja ganz geschickt von der Freitag-Abend-Frage abgelenkt. Entweder würde er das Papier lesen, das ich ihm gerade gereicht hatte oder sich am besten gleich jemand anderes einladen. 'Du bist wirklich ein Idiot!' schimpfte ich mit mir selber.
Paul lächelte mich an. Mhh, was für ein Lächeln... Er schien von Innen heraus zu strahlen. Seine Augen leuchteten. Fast so, als ginge die Sonne mit ihm auf. Ich bekam ganz weiche Knie – zum Glück saß ich bereits. Dann reichte er mir den Artikel, den ich ihm gerade gegeben hatte, zurück. Ich nahm ihn mit zittrigen Händen entgegen.
Die untergehende Sonne umrahmte ihn inzwischen in einem warmen Licht. Das sah fast wie eine Erscheinung aus. „Lois, du hast einen Artikel geschrieben, für die Zeitung? Obwohl du – offiziell – noch gar nicht veröffentlichen darfst?“ fragte er ganz ruhig und gelassen.
Offiziell? Das hieß es gab einen inoffiziellen Weg? JA! Das war meine Chance!
„Also, ich sag dir etwas.“ Er schob eine Hand lässig in seine Hosentasche. Oh Mann, er sah so verdammt gut aus! „Ich habe jetzt gerade nicht die Zeit den Artikel zu lesen“, fuhr er ganz entspannt fort, „Aber warum kommst du nicht heute Abend bei mir vorbei? Hm? Dann werfe ich einen Blick darauf und sage dir, was wir machen können... mit deinem Artikel.“ Noch so ein entwaffnendes Lächeln. „So gegen neun? Wenn du Zeit hast? Wir werden auch sicher ungestört sein...“ Hatte er mir gerade zugezwinkert?
Mehr als ein Nicken bekam ich leider nicht zustande. 'Oh Lois, reiß dich zusammen!'
„Okay, dann bis nachher.“ Und dann wieder dieses breite, gewinnende Lächeln... Damit drehte er sich um und ging.
Ich war noch ein wenig durcheinander. Was für ein Abend! Als ich aus der Bibliothek gekommen war, hatte ich noch gedacht, dies würde wieder so ein langweiliges Wochenende mit Lernen und nichts als Lernen werden. 'Wahrscheinlichkeitstheorie' fiel mir dieser gruselige Buchtitel wieder ein. Und jetzt? Jetzt hatte ich eine Verabredung mit dem süßesten Typen weit und breit. Ja! Wenn Linda das wüsste, dachte ich mit einem zufriedenen Grinsen. Das hatte ich auch ganz ohne Lindas Hilfe geschafft. Oder ob sie da etwas arrangiert hatte? Nein! Ich hatte es doch strickt abgelehnt. Er wollte mich sehen. Mich! Er wollte meine Story lesen! Meine Story! Dann hatte er angedeutet, dass es einen inoffiziellen Weg geben könnte. Und... ich würde alleine mit ihm sein. Mark, sein Mitbewohner war schon heute Mittag nach Hause gefahren, da war ich sicher. Ich hatte ihn in den Bus Richtung Bahnhof steigen sehen.
Das konnte ja interessant werden! Vielleicht war ja sogar noch etwas mehr drin? Womöglich mochte er mich ja sogar ein wenig? Oooh, ich konnte es mir schon vorstellen: Kerzenschein, leise Musik im Hintergrund, ein wenig küssen, Händchenhalten und vielleicht sogar ein wenig kuscheln? Oh, Himmel, lass es wahr werden!
~ ~ ~
Es war schon sieben Uhr, und ich hatte immer noch keine Ahnung, was ich zu diesem besonderen Treffen anziehen sollte. Das Kleine Schwarze? Oder war das zu offensichtlich? Lieber enge Jeans und ein knappes Top? Vielleicht einen Minirock statt der Jeans? Ich wünschte nur, ich könnte Linda danach fragen, aber sie war heute leider ausgeflogen. So, wie ich sie kannte, übernachtete sie wieder woanders, also musste ich selber sehen, was ich machte.
Eines war sicher, ich würde erst einmal duschen. Also schnell ein Set Unterwäsche rausgesucht... Moment, was für Unterwäsche zog ich eigentlich an? Himmel hilf, wer hätte gedacht, dass eine einfache Verabredung so kompliziert sein konnte? All diese Entscheidungen...
Also mal langsam: Ich wollte, dass meine Unterwäsche zum Rest passte, war doch klar. Schließlich wäre es mehr als peinlich, wenn unter einem schwarzen Kleid ein weißer BH hervorblitzte, oder? Nicht, dass ich etwas in der Richtung vorhätte, aber man wusste ja nie so genau...
Das bedeutete dann also, dass ich mich erst einmal entscheiden musste, was ich oben drüber tragen würde, um zu wissen, was unten drunter in Frage kam. Mein allererste Griff in den Kleiderschrank ging zu einem eng sitzenden schwarzen Kleid. Aber das legte ich schnell wieder beiseite. Es war zu gewagt! Die Schultern waren frei, nur zwei dünne Träger, die sich im Rücken kreuzten und es hatte wirklich ein tiefes Dekolleté. Ich hatte es noch nie getragen. Nur, was gab es da noch?
Ein wenig später lag der gesamte Inhalt meines Kleiderschranks auf dem Bett und ich wusste immer noch nicht, was ich nun anziehen sollte. Ich geriet langsam in Panik, ich konnte doch jetzt nicht mehr absagen. Nein, das kam nicht in Frage, auf keinen Fall! Ich wollte dieses Treffen, ich wollte ein Date mit Paul, mehr als ich das Linda gegenüber jemals zugestehen würde. Okay, ich sollte eine Entscheidung treffen und zwar genau jetzt! Ein enger schwarzer, knielanger Rock, hoch geschlitzt - ich wartete schon lange auf eine passende Gelegenheit, ihn endlich tragen zu können. Dazu eine helle Bluse. Zum Schluss legte ich noch eine silberne Kette mit einem einfachen Anhänger an. Das war vielleicht nicht das Aufregendste, was mein Kleiderschrank zu bieten hatte, aber es war Lois Lane.
Alles Weitere lief dann wie von selbst, nun fügte sich alles. Duschen, Beine rasieren, anziehen, etwas Lidschatten, Rouge, einen passenden Lippenstift und der Versuch meine Haare zu bändigen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Frisörbesuch doch etwas Neues ausprobieren, lange Haare und Dauerwelle war wirklich nicht das Gelbe vom Ei. Um zehn vor neun sah ich in den Spiegel und fragte mich, ob ich noch die Zeit hatte, doch etwas anderes anzuziehen... nein, eindeutig nein. Warum auch? Was mir aus dem Spiegel entgegen blickte, war gar nicht mal so übel. Trotzdem war ich völlig aufgekratzt. Ich griff mir meine Tasche, sah zum hundertsten Mal nach, ob der Artikel auch wirklich darin lag und machte mich auf den Weg zum Block G3.
~ ~ ~
Genau in dem Moment, in dem ich gerade an die Tür 103 klopfen wollte, öffnete sie sich und er stand vor mir. Mein erster Blick ging zu seinen Augen, sie waren grün mit einem gelben Kranz um die Pupille. Dann glitt mein Blick zu seinen Lippen. Er hatte wunderschöne, volle Lippen. Paul trug ein blaues Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte und enge Jeans. Die Komposition seiner Erscheinung verschlug mir den Atem. Er hingegen sah überhaupt nicht überrascht aus, sah mich selbstbewusst an. Hatte er mich kommen gehört?
„Oh Lois, schön, dass du schon da bist.“ Und immer wieder dieses Lächeln... „Komm rein und mach es dir bequem. Hey, du siehst wirklich schick aus! Ich bin überwältigt.“ Das hörte sich ziemlich überzeugend an. Entweder war er der beste Lügner der Welt, oder ich schien ihm wirklich zu gefallen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch schlugen Purzelbäume. „Also, ich wollte uns gerade einen Tee kochen. Bin gleich wieder da“, sagte er hektisch, aber mit einem Lächeln. Mit diesen Worten stürmte er an mir vorbei.
Tja, und da stand ich dann also etwas unschlüssig in seinem Zimmer. Aber das gab mir die Möglichkeit, mich ein wenig umzusehen. Für das Zimmer eines Jungen war es ziemlich aufgeräumt. Ob es wohl wegen mir so ordentlich war, oder sah es hier immer so aus? Es hatte natürlich die gleichen zweckmäßigen Möbel wie Lindas und mein Zimmer. Aber im Gegensatz zu unserem Zimmer, schienen in diesem Block Küche und Bad auf dem Flur zu sein. Er hatte gesagt, ich sähe 'schick' aus und er sei 'überwältigt'. Diese Worte gingen mir gerade durch den Kopf. Ich hatte eine ganz schöne Gänsehaut. Marks Seite des Zimmers lag im Dunkeln und auch Pauls Seite war nicht besonders hell ausgeleuchtet. Ob die Deckenlampe kaputt war oder wollte er erreichen, dass es kuscheliger war? Es gab nur zwei Sitzmöglichkeiten, seinen Schreibtischstuhl, der allerdings völlig mit Büchern beladen war, und sein Bett. Also setzte ich mich aufs Bett. Aus dem Kassettenrecorder war leise 'One more night' von Phil Collins zu hören, ein wirklich schöner Song.
Ich atmete einmal tief durch und versuchte mich etwas zu beruhigen. Aber ich konnte nicht verhindern, dass ich völlig angespannt dort saß. Ob es Paul wirklich nur um meine Story ging? Wir würden ja sehen, was der Abend noch bringen würde. Wenn er mich küssen wollte, hätte ich ganz sicher nichts dagegen. Oh nein, ganz bestimmt nicht.
Paul kam aus der Teeküche zurück, aber er hatte keine Teekanne dabei, sondern eine Flasche Wein. „Also, Tee ist nicht, der ist alle, tut mir leid.“ Er machte in betretenes Gesicht, fuhr dann aber mit einem triumphierenden Lächeln fort: „Aber ich habe eine Flasche Wein aufgetrieben." Er ging zu dem kleinen Schränkchen am Ende des Bettes. "Ich denke, ich habe sogar zwei Gläser da“, murmelte er konzentriert, während er in dem Schränkchen suchte.
„Ähm, ich vertrag Alkohol nicht besonders gut...“, druckste ich herum.
Stolz holte er zwei Gläser aus dem Schränkchen hervor. Sie waren etwas groß für Rotweingläser, aber in einem Studentenwohnheim lernte man schnell die Ansprüche herunter zu schrauben. „Ach komm schon Lois, nur ein kleiner Schluck, der ist wirklich lecker. Probier mal.“
Paul füllte zwei Gläser mit dem Rotwein, kam zu mir und setzte sich neben mich auf sein Bett. Und immer wieder dieses ermunternde Lächeln... Er reichte mir das Weinglas. Ich wusste, ich sollte nichts trinken, schon gar nicht, wenn ich so aufgeregt war. Das Kerzenlicht spiegelte sich in seinen Augen... Immer noch dieses Lächeln. Dem konnte ich doch nicht widerstehen. Ich nahm das Glas zögerlich und wir stießen an.
„Oh-oh, du bist wirklich auf den ältesten aller Verführ-Tricks herein gefallen? Lois, das stinkt doch zum Himmel! In einem Studentenwohnheim gibt es eine Zutat, die niemals ausgeht: Tee! Du hast ihm das geglaubt?“ Lucy fragte mich das sehr entsetzt.
„Ja... ich habe es ihm geglaubt, natürlich.“ Es war mir auch gar nicht peinlich. Ich war naiv, das stimmt. Habe geglaubt, was jemand mir sagte. Doch es waren genau solche Begegnungen, wie diese mit Paul, die mich dann zu der Skeptikerin hatten werden lassen. „Ich habe ihm schließlich auch geglaubt, es ginge ihm um meinen Artikel... Aber ich war noch jung.“
„Ja, jung schon“, echauffierte sich meine Schwester, „aber doch auch kein Kind mehr.“ Doch dann besann sie sich und vielleicht erinnerte sie sich an ihre eigen Jungendzeit. Lucy neigte in der Zeit, genau wie ich, dazu den falschen Männern zu vertrauen. Dann fuhr sie viel ruhiger fort: „Okay, lass hören, wie du dich hast um den Finger wickeln lassen. Mit dem Rotwein, der zufällig verfügbar war...“ Der Wein war schwer und süß, so gar nicht mein Geschmack. Paul stieß gleich noch einmal an, vorsichtshalber nippte ich dieses Mal nur an meinem Glas.
"Ich bin wirklich froh, Lois, dass ich dich da heute getroffen habe." Er sagte das so überzeugend, ich konnte nicht anders als ihm zu glauben. Himmel! Er mochte mich doch! Paul stieß mein Glas mit seinem noch einmal an. Warum trank er so schnell? "Ich wollte dich schon öfter mal ansprechen. Umso schöner, dass es heute geklappt hat." Oh nein, er hatte sich nur nicht getraut! Wie lange war er wohl schon verliebt in mich? Oh Lois!, Verliebt war sicher etwas zu enthusiastisch gedacht, mehr mein Wunschdenken.
Ich hätte so gerne etwas gesagt, etwas Schlagfertiges, etwas Kluges, etwas Witziges. Aber es kam mir in diesem Moment fast so vor, als hätte ich das Sprechen verlernt. Er stieß noch einmal an und drängte mich damit wieder zum Trinken. Das erste Glas war schon leer und der Wein begann bereits mir in den Kopf zu steigen. Ich vertrug einfach nichts.
Paul sah mich an und sein Lächeln verschwand. Sein Blick wurde ganze weich und ich hatte das Gefühl, er würde mir immer tiefer in die Augen sehen. Plötzlich nahm er mir mein Glas aus der Hand und stellte es beiseite. Was war denn nun? Er kam mir immer näher. Ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren, in warmen Wellen breitete sich ein Kribbeln über meinem ganzen Körper aus. Ich roch sein Aftershave, herb, würzig, frisch - männlich. Paul neigte seinen Kopf etwas zur Seite. Ohne dass ich wusste wie, war seine Hand plötzlich auf meiner Wange und seine Lippen auf meinen. Oh Himmel, dieser Kuss kam so überraschend. Er drängte meine Lippen auseinander und seine Zunge schnellte hervor. Er schmeckte so gut. Spritzig, vollmundig und aufregend. Der Wein bekam gerade eine ganz neue Dimension, jugendlich, betörend und mit dem Verlangen nach mehr, all das durfte ich aus dem Tanz unser begierigen Zungen heraus kosten. Dieser Moment hätte gerne ewig dauern dürfen. Ich saß hier wirklich mit dem süßesten Jungen des Campus und wir küssten uns sehr, sehr innig. Mein Herz hämmerte wild.
Dieser Kuss schien nicht enden zu wollen. Und er hätte gerne bis ins nächste Jahrhundert gehen dürfen. Im nächsten Augenblick schlang er seine Arme um mich und drehte mich zur Seite und auf den Rücken. Hey, das war jetzt aber etwas schnell, wollte ich sagen, aber sprechen war gerade unmöglich. Oh verdammt Lois, das wurde wohl doch etwas mehr als nur ein unschuldiger Kuss. Was war eigentlich ein unschuldiger Kuss, schoss mir diese blödsinnige Frage durch den Kopf. Doch nur, weil wir jetzt nicht mehr aufrecht saßen, war es ja noch keine Katastrophe, oder? Sollte ich ihn nicht besser aufhalten? Damit er dachte, ich sein so ein 'Rühr-mich-nicht-an' - nein! Aber könnte er so nicht denken, ich sei schnell rumzukriegen...?
Paul ließ seine Hände über meinen Körper wandern, meine Arme, Schultern, Hals, sie schienen überall zu sein. Überall hinterließen sie eine glutheiße Spur. Ich glaube, ich hatte noch nie in meinem ganzen Leben etwas so intensives gespürt. Strich er mir sanft über die Haut, reagierte jede einzelne meiner Zellen und richtete jedes feinste Härchen auf. Dort, wo meine Bluse meinen Körper bedeckte, griff er etwas beherzter zu. Flüchtig berührte er meine Brust, sicher aus Versehen, es hatte etwas elektrisierendes, aber auch...
Ich stockte, war hin und her gerissen, auf der einen Seite fühlte es sich gar nicht mal so schlecht an. Auf der anderen Seite kannten wir uns doch kaum, hatten kaum mehr als ein paar Worte gewechselt. Auch heute Abend, ganz besonders heute Abend. Wir kannten uns doch kaum. Das war mir zu vertraut, zu eng. Seine eine Hand glitt unter meinen Rock - oh nein – Lois, tu etwas!
Seine Hand wanderte höher und höher. Ich merkte, wie sich etwas in mir sträubte. Das ging mir alles zu schnell. Konnte ich ihn jetzt noch aufhalten? Hätte ich das nicht schon früher machen müssen? Hatte ich ihn durch die Tatsache, dass ich ihn nicht gestoppt hatte, nicht geradezu ermutigt? Was sollte ich jetzt nur machen?
Mit meiner einen Hand auf seinem Brustkorb sorgte ich dafür, dass sich unsere Lippen trennten. Mit der anderen stoppte ich seine Hand, die unter meinem Rock nach meiner Ansicht etwas zu forsch voran schritt. Atemlos sagte ich zu ihm: "Paul, was ist mit meinem Artikel, du wolltest ihn doch sehen..." Na wunderbar, prima abgelenkt. Damit würde er sicher denken, ich war nur wegen des Artikels hier.
Er lächelte mich überlegen an, legte mir seinen Zeigefinger auf meine Lippen und machte: "Pst", seine andere Hand wanderte nun langsam ein wenig tiefer, glitt an meinem Hals entlang und streifte wieder meine Brust. Paul strahlte mich an. "Lois, entspann dich. Ich werde deinen Artikel in die Zeitung bringen, das ist doch kein Problem."
Das löste in mir einen stillen Jubelschrei aus. Ja! Ich hatte es geschafft, mein erster Artikel! Er würde gedruckt werden und das in meinem ersten Collegejahr! Wer hatte das vor mir geschafft? Pauls Hände wanderten immer weiter, berührten mich überall. Nur langsam dämmerte mir der Preis für seine Großzügigkeit. Aber ich konnte Paul doch jetzt nicht mehr zurückweisen. Er ging weiter. Zielstrebig, sehr zielstrebig, wie mir schien. Ich konnte doch jetzt nicht mehr 'nein' sagen. Nicht, nachdem ich ihn nach meinem Artikel gefragt hatte, nachdem er mir gesagt hatte, dass er den Artikel drucken würde und das gegen alle Regeln. Von Entspannung war lange keine Rede mehr. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich hier in etwas hinein manövriert hatte, aus dem ich nicht mehr heil herauskommen konnte. Also versuchte ich die Zähne zusammen zu beißen und auszuharren, versuchte die tapfere Lois zu mobilisieren.
Wann hatte er meine Bluse aufgeknöpft? Ich hatte das gar nicht gemerkt. Wie weit würde er gehen? Seine Hände waren überall, und was sie taten gefiel mir nicht wirklich. Das war einfach alles zu... intim. Zu plötzlich. Zu nah. Und eigentlich wollte ich es doch noch nicht. Zumindest nicht so schnell, nicht so überstürzt... Ich versuchte an etwas anderes zu denken, an mein Zimmer, wo ich jetzt auch über meinen Büchern sitzen könnte, oder an zu Hause. Als nächstes schob er meinen Rock ganz nach oben und war gleich darauf in meinem Slip - da wusste ich, wie weit er gehen würde...
Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Das Gefühl des Triumphs war inzwischen vollständig zerstört. Stattdessen war da das Gefühl, benutzt zu werden und nichts dagegen tun zu können. Oder hätte ich etwas machen können?
Doch 'Es' musste sowieso irgendwann passieren. Ich hinkte hinterher, schon lange. Alle anderen hatten 'Es' schon längst getan, hatten immer etwas zu erzählen. Nur ich saß immer schweigend dazwischen, es war einfach Zeit für mich. Und wenn 'Es' heute schon passieren musste, dann doch lieber mit so einem Typen wie Paul. Noch vor wenigen Stunden fand ich noch, dass Paul der süßeste Typ auf dem ganzen Campus war. Süßer und intelliegenter bestimmt als Stan oder Will oder die anderen widerlichen Kerle. Aber warum fühlte ich mich dann, als würde ich gerade von einer Lawine überrollt? Ich hatte keinen Einfluss mehr, keine Kontrolle, keine Macht. Es passierte einfach...
~ ~ ~
Für den Heimweg zu meinem Wohnblock wählte ich den langen Weg durch den Park, ich lief sogar noch um den Teich herum. Es war eine sternenklare, mondlose Nacht und stockfinster. Ich fühlte mich so ausgelaugt, dass mir noch nicht mal mehr die riesigen Bäume mit ihren tiefschwarzen Schatten Angst machten. Ich wollte einfach noch nicht in mein Zimmer zurück. Im schlimmsten Fall wäre Linda da gewesen und würde mich fragen, wo ich gewesen war, was in mich gefahren sei. Was sollte ich ihr antworten? Ich habe mit ihm geschlafen und es war furchtbar? Das war die Wahrheit, aber die konnte ich Linda doch nicht erzählen. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Linda hatte so scheinbar mühelos-lässig eine Affäre nach der anderen und allem Anschein nach auch noch Spaß daran. Warum nur machten alle so ein Aufhebens darum? Ich fühlte mich benutzt, übergangen und so machtlos. Wenn ich vorhin schon gewusst hätte, was ich jetzt wusste, hätte ich nein gesagt. Warum hatte ich nicht die Kraft dazu gehabt, ihn aufzuhalten?
Paul hatte keinen Zweifel an seinem Vorhaben aufkommen lassen, hatte begonnen mich nach und nach immer weiter auszuziehen. Seine Hände waren immer weiter gegangen. Mit jedem weiteren Schritt hatte ich nur immer deutlicher gemerkt, dass ich nicht wirklich wollte, dass ich einfach noch nicht soweit war. Aber ich hatte nichts gesagt. Schweigend ertragen. Er war recht ungeschickt gewesen und hatte mir wehgetan. Nur warum hatte ich nicht 'nein' gesagt?
Ich hatte es als Defizit empfunden, noch unerfahren zu sein. Das hätte ich ihm auch nicht sagen können - vorher, aus Angst, er würde mich auslachen. Bis vorhin war ich noch Jungfrau gewesen, er hatte es vielleicht sogar bemerkt. Doch ganz gleich, was er mitbekommen hatte, gesagt hatte er nichts. Was aber auch nicht wirklich verwunderlich war, er hatte ja offensichtlich auch nicht bemerkt, dass ich nicht gewollte hatte. Oder doch?
Warum hatte er mir nicht einfach etwas Zeit geben können? Aber Warten wurde scheinbar sowieso überbewertet. Wir hätten doch nur ein wenig kuscheln können - doch einfach nur Kuscheln wurde wohl auch überbewertet. Und warum mussten die Kerle immer gleich aufs Ganze gehen? Ein wenig Streicheln wäre doch auch sehr schön gewesen - aber auch Petting wurde völlig überbewertet. Und wenn es schon unbedingt zur Sache gehen musste, dann doch bitte... doch auch Vorspiel wurde offensichtlich vollkommen überbewertet. Wenigstens konnte ich den sexuellen Einstieg abhaken – wenn auch mit der Erkenntnis, dass das erste Mal in meinen Augen total überbewertet wurde. Ich für meinen Teil konnte da jedenfalls nichts Besonderes, Mystisches, Einmaliges dran finden. Ich war nur froh, als es vorbei war.
Aber wurde all das wirklich überbewertet? Zählte es heute tatsächlich nichts mehr, sich erst einmal kennen zu lernen, sich nach und nach näher zu kommen? War es etwa altmodisch, sich Nähe spüren zu wollen, Gefühle aufkeimen zu lassen, Vertrauen aufzubauen? Waren meine Ansprüche zu hoch? Verlangte ich zu viel?
Doch nachdem ich den Teich sogar schon zweimal umrundet hatte, wurde mir kalt und ich ging in unser Zimmer. Überraschenderweise war Linda da, aber sie schlief fest. Das war gut so. So würde sie nicht auf die Idee kommen, mich zu fragen, warum ich mitten in der Nacht unbedingt noch duschen wollte – und das musste ich nun einfach tun. Ich ließ meine Tasche auf den Boden fallen, zog mich aus, ohne auch nur das kleinste Geräusch zu machen und ging ich mich erst einmal Waschen. Versuchte das Erlebte abzuspülen.
Doch kurz darauf war mir klar, Schlafen konnte ich sowieso nicht. Ich wälzte mich hin und her und weinte still in mein Kopfkissen. Ich wusste in diesem Moment gar nicht, was eigentlich schlimmer war, dass 'Es' wirklich so schrecklich gewesen war oder die Tatsache, dass ich mich in Paul so vollständig getäuscht hatte.
~ ~ ~
Das ganze Wochenende dachte ich darüber nach, ob mein erster Artikel in der Unizeitung es wert gewesen war, was ich getan hatte. Und jedes Mal, wenn ich mich fragte, ob ich es wieder tun würde, kam mir ein sehr deutliches 'Nein!' in den Sinn. Doch erst am Montagmorgen, als an allen Verteilstellen die neueste Ausgabe der Unizeitung auslag, dachte ich wieder ganz konkret an meinen Artikel. Und ich fiel fast in Ohnmacht. In den größten Lettern, die der Druck hergab, prangte die Überschrift auf der Titelseite: BETRUG UM DEN SPORTAUSSCHUSS AN UNSERER UNI – von Linda King. Ich überflog den Artikel – es war meiner, wortwörtlich! Von Linda King... Wie war sie an den Artikel gekommen? Von Linda King... Wie konnte sie ihn als ihren ausgeben? Von Linda King... Ich dachte, wir wären Freundinnen... gewesen.
Je mehr ich über das 'Wie' nachdachte, umso mehr kam ich dahinter, dass es nur eine Erklärung geben konnte: Linda war da gewesen, als ich Freitagnacht, nach dem gruseligen Date mit Paul, zurück in unser Zimmer gekommen war. Ich hatte Paul den Artikel zeigen wollen, doch dazu war es gar nicht gekommen. Er hatte anderes im Sinn gehabt und das wahrscheinlich von dem Moment an, wo er mich vor der Bibliothek angesprochen hatte, ob ich Zeit hätte. Der Artikel war immer noch in meiner Tasche gewesen, die ich einfach irgendwo fallen gelassen hatte. Wenn er dann morgens noch in meiner Tasche gewesen wäre, als Linda schon weg gewesen war, dann müsste er jetzt auch noch dort sein – aber das war er nicht. Linda hatte mir meinen Artikel gestohlen! Meine Zimmergenossin, meine Freundin hatte mir meinen Artikel gestohlen und ihn als ihren ausgegeben.
Entrüstet, atemlos und wütend lief ich in unser gemeinsames Zimmer, das würde sie mir büßen! Dafür würde sie bezahlen! Das würde ich mir nicht gefallen lassen – nicht von ihr! Doch unser Zimmer war leer. Stimmt ja, sie war die ganze Nacht nicht hier gewesen.
Ich musste zu Paul. Ich musste das klären, ich musste ihm sagen, dass das in Wirklichkeit mein Artikel war. Vielleicht bekam ich so die Chance auf einen anderen Artikel. Obwohl sich sicher nicht so schnell wieder eine so hervorragende Betrugssache ergeben würde.
Wütend stapfte ich zu seinem Wohnblock G3. Es war noch früh, er war sicher noch in seinem Zimmer. Auf dem Weg nach oben nahm ich immer zwei Stufen zugleich. Ohne anzuklopfen stürmte ich in sein Zimmer... Da traf mich der Schlag... ich konnte nicht atmen... ich konnte es nicht glauben... ich stand wie angewurzelt dort... In Pauls Bett lagen er – und Linda! Eng umschlungen, nackt, gerade eben von der Decke bedeckt – und schliefen scheinbar noch fest.
Ich kämpfte mit dem Kloß, der mir den Hals zuschnürte, zog leise die Tür wieder zu und schloss meine Augen. Das musste ich tun, ich wollte auf keinen Fall hier im Flur, vor seinem Zimmer stehen und wieder anfangen zu heulen. Ich blieb einen Moment wie angewurzelt dort stehen. Die Tränen brannten in meinen Augen. Doch dieser Mistkerl war nicht eine einzige Träne wert! Und ich hatte schon so viele an ihn verschwendet.
Mein erster Artikel... mein erster Mann... mein erstes Mal... meine beste Freundin – und alles, wirklich alles ein kompletter Reinfall!
Lucy sah mich an, ungläubig, fassungslos, empört. „So ein... Mistkerl! So ein fieser, gemeiner, blöder... und wahrscheinlich war er noch nicht mal gut, oder?“ Sie reichte mir ihr leeres Glas, damit ich es nachfüllen konnte.
„Gut...?“, schnaubte ich. „Als er das College verließ, rühmte er sich damit, in dieser Zeit mit mehr als hundert Frauen geschlafen zu haben. Er war scheinbar mehr an Quantität denn an Qualität interessiert. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass er keine Kerbe in seinen Bettpfosten geschnitzt hat. Aber ich war verliebt, oder glaubte das wenigstens... Und Qualität? Die würde ich ihm auch nicht bescheinigen. Auf einer Skala von eins bis zehn... so etwa eine 1,3... höchstens!“
Lucy lachte, ich stimmte mit ein. Heute konnte ich das.
„Nicht sehr ermutigend, wenn der Erste so ein Rambo ist. Hat es dich nicht abgeschreckt?“, fragte meine Schwester mitfühlend.
„Ja, doch. Heute kann ich darüber glücklicherweise lachen. Damals hat es mich ziemlich fertig gemacht. Über Wochen war ich praktisch ein Wrack. Der erste Liebeskummer ist immer der Schlimmste. Ich habe fast zwei Jahre gebraucht, bis ich den nächsten Kerl so dicht an mich heranließ. In der Zeit habe ich mein Erfolgsrezept gegen Herzenskummer entdeckt: Arbeit über Arbeit. Zwei Jahre übrigens, in denen ich mehr Artikel für die Zeitung geschrieben habe als Linda in ihrer ganzen Collegezeit. Sie hingegen konnte nie wieder einen Artikel vorweisen, der an ihre einzige Titelstory heranreichte – wen wundert's? Ich habe mir natürlich ein anderes Zimmer genommen, habe nie wieder ein Wort mit ihr gewechselt. Jedenfalls nicht mehr zu Collegezeiten.“ Mein Blick glitt in die Ferne, an den Rand meiner Erinnerung. Das alles war glücklicherweise schon sehr lange her.
Lucy holte mich zurück ins Hier und Jetzt. Sie fragte mich zwischen zwei Schlucken aus ihrem Glas: „Wo ist dein Mann überhaupt... in diesem Moment?“
„China, Erdbeben“, sagte ich nur kurz angebunden. „Das rief er mir noch zu, bevor er abhob.“
Lucy sah mich ungläubig an. „Abhob? Du meinst, er... fliegt da direkt hin?“ Etwas an diesem Gedanken schien sie zu irritieren. Dabei wusste sie doch nun, dass er fliegen konnte.
„Ja, klar.“ Ich sollte nachsichtiger mit ihr sein und ihr etwas Zeit geben. Wer hatte schon einen fliegenden Schwager? Für mich gehörte es heute zur Normalität, dass er auf dem Weg von Neuseeland, wo er ein Buschfeuer gelöscht hatte, im indischen Ozean noch kurz einen Tanker barg, ein russisches U-Boot aus dem Eismeer befreite, um dann eine Stunde nach Verlassen des Hauses wieder hier zu sein. Manchmal brachte er dann noch frische, warme Bagels mit. Und meist erschien er ganz gelassen und nur sein verdreckter Anzug zeugte davon, was er alles erlebt hatte.
Ich winkte dann lässig ab. „Mit den Nachbeben kann das allerdings noch Stunden dauern... Erdbeben sind erfahrungsgemäß immer eine längere Sache. Wir haben Zeit. Also, der Nächste, mein erster richtiger Freund, an ihn bin ich auch durch eine Story gekommen. Er hieß John...
Re: Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 11:30
von Magss
Kalt gelassen
Zwei Jahre später hatte ich einen eigenen Schreibtisch im improvisierten Redaktionsbüro der Unizeitung. Ich war zur stellvertretenden Chefredakteurin aufgestiegen und arbeitete mit Meryl, der Chefredakteurin, hervorragend zusammen. Meinem persönlichen Einsatz war es zu verdanken gewesen, dass wir zwei Computer zur Verfügung hatten, was einen unglaublichen Vorzug bedeutete. Doch trotz dieser ausgesprochen positiven Wendung habe ich nie wieder an einem Ort arbeiten müssen, der so sehr stank. Es roch ständig nach Lösungsmitteln, weil wir einen Teil des Drucks auch hier unten im Souterrain erledigten. Auf der anderen Seite waren in diesem Gebäude die Mediziner und ihre Präparationsräume untergebracht. Der stechend, durchdringende Formalingeruch war auch nicht besser. Manchmal schrieben wir wie unter Drogen. Aber die Unizeitung war noch nie so erfolgreich gewesen wie in dieser Zeit. Jedenfalls hatten wir die Auflage zu den Vorjahren kräftig steigern können.
Ich hatte noch nie so viel Spaß gehabt. Das war wirklich meine Welt. Recherchieren, Interviewen, Schreiben und mit der Sportredaktion um jede einzelne Zeile streiten. Mit jedem Artikel, den ich schrieb, konnte ich anwenden, was ich gelernt hatte und lernte noch mehr dazu. Und ich war gut. Ich war selbst überrascht über meine Fähigkeiten. Hier in den Kellerräumen, in unserer Redaktion wuchs ich über mich hinaus, hier konnte ich meine Unsicherheiten vergessen, hier hatte ich mir bereits in kürzester Zeit einen Namen gemacht.
"Lois!" Meryl war an meinen Schreibtisch gekommen und setzte sich auf den zarten Stuhl. Es wunderte mich immer, dass der das aushielt. Meryl wog ungefähr 140 Kilo. Sie hatte ihr langes, schwarzes Haar zu einem Zopf zusammen geflochten. Ihre Intelligenz übertraf wahrscheinlich die einer ganzen Footballmannschaft, was sie nicht gerade zur beliebtesten Studentin auf dem Campus machte. Es gab eine ganze Menge, vornehmlich männlicher Kommilitonen, die sie einfach nicht leiden konnten. In Wirklichkeit hatten sie wahrscheinlich Angst vor ihr. Das war vollkommen unbegründet, für mich war sie eine meiner besten Freundinnen, die ich je hatte. "Zu deinem Artikel über die Finanzen hier auf dem Campus... könntest du mir nicht noch ein Interview bringen, oder am besten gleich zwei? Eines von jemand, der nicht weiß, wie er das Studium finanzieren soll und am besten noch von jemandem aus der Kaschmir-Liga. Glaubst du, du kommst an irgend so einen reichen Schnösel ran?"
Vor wenigen Wochen hatte die Meldung über die Erhöhung der Studiengebühren zu einem wahren Krieg geführt. Da war von weiterer Elitebildung die Rede, von Bevorzugung der eh schon besser gestellten. Solche Artikel schrieb ich im Schlaf. Kampfparolen, Gerechtigkeit, Chancengleichheit, etwas, wofür man sich einsetzen musste. Die Ware Bildung in einem sowieso schon korrupten System. Denn wo landeten die Studiengebühren denn schon? Der Direktor bekam einen neuen Dienstwagen, die Uni den x-ten neuen Anstrich in zwei Jahren. Woanders wurde unnötigerweise gefliest – und die Studenten saßen immer noch in den Gängen der ewig überfüllten Hörsäle.
"Ich kenne John Sevege. Der erfüllt doch eigentlich alle Voraussetzungen, er ist reich, ein Schnösel und er schuldet mir noch etwas. Ich habe ihm mal in Geschichte geholfen, selbst mit unserem Fach Mediengeschichte hatte ich mehr drauf als er. Ohne meine Hilfe hätte der nie seine Scheine zusammen bekommen." Ich musste grinsen bei dem Gedanken an den verzweifelten John. Damals hatte er geglaubt, sein Vater würde ihn enterben, wenn er noch einmal in Geschichte durchfiel. „Wenn er seinen Abschluss nicht schafft, wäre das schrecklich für ihn. Womöglich müsste er dann arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu gewährleisten - einfach grausam, die Vorstellung.“ In gespielter Trauer schüttelte ich ergriffen den Kopf.
Meryl lachte trocken. "Jaah. John Sevege ist genau der Richtige für so ein Interview. Schaffst du beide oder soll ich Derek an ein Interview mit so einem armen Schlucker setzen?"
Ich seufzte, normalerweise gab ich nicht gerne etwas aus der Hand. "Meryl, ich hab in drei Tagen meine letzte Statistikprüfung... Sonst gerne, aber es ist grad etwas eng..."
"Okay, Derek soll das machen, konzentriere du dich auf John und auf deine Prüfung natürlich. Donnerstag Deadline? Ist das okay für dich? Ich könnte den Druck für die nächste Auflage auch noch etwas schieben...", fragte sie mich entgegenkommend und ich hörte ihre ganze Unterstützung daraus.
Ich sah auf meine Uhr. "Es ist jetzt kurz vor zwölf. Ich versuche John in der Mensa zu kriegen. Wenn er zusagt, gebe ich dir nachher noch Bescheid. Dann sollte Donnerstag kein Problem sein."
Genau so lief unsere Zusammenarbeit, wir waren ein unglaublich gut eingespieltes Team. Ich packte meine Unterlagen ein, griff meine abgewetzte Ledertasche und machte mich auf den Weg.
Wie ich es vermutet hatte, traf ich John in der Mensa der Juristen. Er stand in einer Gruppe von Kommilitonen und scherzte, wie die anderen auch, über das letzte, katastrophale Footballspiel. Unsere Jungs hatten haushoch verloren und uns vor allen blamiert.
John hatte sich, seit wir vor knapp einem Jahr zusammen Geschichte gepaukt hatten, unglaublich gut gemacht, wie ich erstaunt feststellen musste. Er wirkte reifer und erwachsener. Seine braunen Haare trug er inzwischen sehr kurz und adrett. Mit seiner schulterlangen Matte hatte er damals versucht auszusehen wie ein verkannter Künstler. Sicher kam der Kurzhaarschnitt auch bei seinem Vater besser an. Er war braungebrannt. Sein Vater belohnte ihn gelegentlich mit einem verlängerten Surf-Wochenende auf Hawaii, wie er mir erzählt hatte. Er sah wirklich gut aus, das hatte ich gar nicht mehr so in Erinnerung gehabt. Aber damals hatte er sich wirklich nach Kräften bemüht einen Anti-Look zu pflegen, alles was angesagt war und gut aussah, lehnte er ab. Kaum sagte jemand zu ihm 'Das Hemd sieht gut aus an dir', hatte er in den Müll geschmissen. Er tat einfach alles, um nicht zu gefallen. Heute wirkte er einfach sportlich durchtrainiert und richtiggehend attraktiv.
"John, könnte ich dich kurz mal sprechen?" Ich musste sie unterbrechen, es sah nicht so aus, als würden ihnen bald keine Scherze mehr einfallen.
Erstaunt sah er mich an. Das war nicht weiter verwunderlich, wir hatten sonst praktisch nichts miteinander zu tun. "Lois...! Ja, natürlich. Was gibt es, was kann ich für dich tun?", fragte er mich ausgesprochen freundlich und zuvorkommend. Er ließ seine Freunde stehen und kam zu mir. Wir setzten uns auf eine Bank.
Ich erklärte ihm mein Anliegen, wobei ich die Umschreibung 'der ist perfekt, weil er ein Schnösel ist' wegließ. Schließlich wollte ich etwas von ihm. Ich erklärte ihm die Umstände und er willigte ein, mir dieses Interview zu geben. Ich durfte ihn namentlich erwähnen und alles, was ich wollte. Er hatte auch noch gerade Zeit. Manchmal hatte der Mensch doch einfach Glück.
Wir brauchten etwa eine Stunde für das Interview.
Danach lief es dann doch etwas anders als ich es erwartet hatte. Oder besser gesagt, es lief vollkommen anders. Was seine Auskunftsbereitschaft anging, hatte ich ihn richtig eingeschätzt. Aber er schaffte es doch, mich zu überraschen. Sein Vater hätte sich auch Harvard leisten können - er war Multimillionär - aber John wollte das nicht. Nicht um seine Chancen von sich aus zu verschlechtern, sondern eher, weil er hoffte auf einem 'normalen' College auch mehr normale Leute zu treffen. Nun war das Metropolis Columbia College nicht das Schlechteste, aber es gab doch einige, die ihm bessere Aussichten ermöglicht hätten. Aber am meisten überraschte es mich, dass er sich in der Finanzierungspolitik des amerikanische Bildungswesens sehr gut auskannte und meinem Argument einer umfassenden Reformierung vollkommen und ohne jede Einschränkung zustimmte. Es zeigte sich, dass er sich auch mit solch existenziellen Fragen sehr sensibel auseinander gesetzt hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass sich jemand wie er, jemand mit seinem familiären und finanziellen Hintergrund zu solchen Fragen so viele Gedanken machte.
Am Ende unseres sehr angenehmen Gespräches verblüffte er mich noch einmal mehr. "Lois, jetzt habe ich meine Schuld zur Geschichtsprüfung aber mehr als abgearbeitet. Wie wäre es, wenn du mit mir ausgehst... heute Abend, bei Tonis...? Also, was sagst du?" Er lachte mich freundlich, ja geradezu strahlend an. Und wieder konnte ich nichts anderes denken als dass er heute einfach nur sehr gut aussah. Dass er mir sehr viel reifer erschien. Dass er etwas Interessantes an sich hatte... Ich sagte zu.
~ ~ ~
Die Menschen zwischen Teenie und Erwachsenenalter waren schon eine Spezies für sich. Besonders diejenigen bei denen man nicht ganz sicher war, ob man sie Jungs oder Männer nennen sollte. Bei den weiblichen Wesen war diese Einschätzung meist etwas einfacher zu treffen. Aber die meisten Männchen in diesem Alter waren eher Jungs als Männer, auch wenn sie selber das anders sahen. Das traf auf alle meine Kommilitonen zu, egal welcher Fakultät sie angehörten oder aus welchem familiären Hintergrund sie kamen. Deswegen hatte ich in der Zeit nach Paul auch jeden Versuch einer Verabredung abgeschmettert. John machte da eine rühmliche Ausnahme. Je mehr ich ihn kennen lernte, um so mehr zeigte sich das. Er war sensibel, gebildet, interessierte sich für die ungewöhnlichsten Fachgebiete - und er hatte Humor. Niemand konnte mich so zum Lachen bringen wie er. Mit niemandem konnte ich so angeregt diskutieren wie mit ihm. Wir gingen oft ins Kino oder ins Theater und besprachen das Gesehene immer sehr ausgiebig. Dabei machte es überhaupt keinen Unterschied, ob es sich um etwas Sozialkritisches oder einen Kitschfilm handelte.
Eine ganze Nacht hindurch und unerwarteterweise kontrovers hatten wir einmal über 'Der Name der Rose' diskutiert. John war der Meinung der Film sei mit seiner düsteren Atmosphäre, den theologischen, kunstgeschichtlichen und philosophischen Darstellungen vollkommen überzogen. Die gezeigten Lebensbedingungen könnten seiner Meinung nach nur überzeichnet sein und sämtliche Figuren wären einfach nur unheimlich. Ein europäischer Film eben. Einzig die 'Rose' hatte es ihm auf eine unerklärliche Weise angetan... Mich brachte seine vehement vorgebrachte Kritik nur zum Schmunzeln. Zeigte sich hier doch einmal mehr seine Schwäche in Geschichte. Gut, ich hatte das Buch gelesen und wusste, dass Eco dafür bekannt war, gerade die historischen Hintergründe recht genau recherchiert zu haben. Auch war ich der Meinung, dass der Film die Stimmung des Buches hervorragend wiedergegeben hatte. Mich hatte natürlich eher Sean Connery fasziniert, oder sogar ein wenig der junge Adson von Melk...
Wir hatten zwei gemeinsame Lieblingsfilme, über dessen Qualität es nicht die Spur eines Zweifels gab, 'Out of Rosenheim', den wir beide alleine schon wegen der Musik liebten und 'Die Hexen von Eastwick'.
John nahm mich ernst, er forderte mich geistig heraus und er regte mich an. Wenn er redete, bekam er so einen leuchtenden Ausdruck in den Augen. Wir waren intellektuell auf einer Wellenlänge und eh ich mich versah... waren wir ein Paar.
Ich hatte das weder geplant noch erwartet, es war einfach passiert. Ich war auch nicht unglücklich darüber. Ich war ganz froh mit 20 endlich auch einen richtigen Freund zu haben. Jemand, mit dem ich ausging, jemand, mit dem man mich zu jeder Fete zusammen einlud, mit dem ich nächtelang diskutieren konnte. Wir wollten die Welt verbessern, wir hatten Ideen, wir hatten Ideale und er erweckte in mir die Illusion, dass ich glücklich sein könnte.
Wirklich verliebt war ich nicht, nicht so mit Herzklopfen und nicht schlafen können. Nicht so wie ich in Paul verliebt gewesen war. Aber bei Paul war ich noch unkritischer gewesen. Glücklich hatte mich das schließlich auch nicht gemacht. Vielleicht traute ich mich aber auch einfach nicht, mich noch einmal auf so ein Gefühl einzulassen. John war für mich eher wie ein guter Freund, wie ein großer Bruder, nur dass wir auch das Bett teilten. Wir waren intellektuell auf einer Wellenlänge und ich genoss es, 'mein Freund' zu sagen. Aber wirklich glücklich...?
Ich saß an meinem Redaktionsschreibtisch, sah aus dem schmalen Fensterschlitz des Souterrainfensters und träumte vor mich hin. Ich fragte mich genau diese Frage: Wie glücklich könnte ich überhaupt werden? Wie viel Anrecht hatte ein einzelner Mensch auf Glück? Gab es vielleicht Menschen, die gar nicht die Fähigkeit besaßen, glücklich zu sein? Schon meine Mutter war nicht glücklich gewesen. Nicht, dass ich besonders philosophisch veranlagt war, aber in den vier Monaten seit ich mit John zusammen war, fragte ich mich das immer mal wieder.
~ ~ ~
"So, Babe, jetzt werde ich noch ein paar Seiten lesen." John beugte sich über mich und griff sich sein Buch vom Nachttisch. "Das ist gerade wirklich spannend..." Er lächelte mich noch kurz an, aber nur um gleich darauf sein Buch aufzuschlagen und sich richtig zuzudecken.
Ich würde nie verstehen, wie ein Mann direkt nach dem Sex Stephen King lesen konnte. Wie er ein beliebiges Buch direkt danach lesen konnte und dann auch noch ausgerechnet Horrorromane. Ich hätte so gerne noch etwas geschmust, mich noch etwas angelehnt oder noch etwas geredet. Ich hätte ihm so gerne endlich mal gesagt, dass es mir immer viel zu schnell ging. Wann würde ich es schaffen, ihm das zu sagen? Ich ließ es ihn nicht merken und das machte es fast noch schlimmer. Wenn ich jetzt zu ihm sagte, er sei eigentlich immer zu schnell und das war von Anfang an so, müsste ich ihm auch eingestehen, dass ich ihm etwas vormachte. Manchmal fragte ich mich selber, ob ich dies alles nur tat, um die Fassade einer Beziehung aufrecht zu halten. Als müsste ich mir selbst und allen um mich herum beweisen, dass ich so etwas konnte.
Statt auch nur ein Wort zu sagen, nahm auch ich mir stumm mein Buch und schlug es auf. 'Das Geisterhaus' von Isabell Aliende. Ich sah auf den Text, sah die Buchstaben, doch ich las nicht. Ich war nicht in der Stimmung für den Zauber dieses südamerikanischen Real-Märchen. Wenn wir miteinander diskutierten, wenn wir die gesellschaftlichen Grundfeste verbal neu erschufen, da war so viel Inbrunst zwischen uns. Doch wenn wir miteinander schliefen, war es, als kannten wir beiden die Bedeutung des Wortes Leidenschaft nicht.
Ich lag neben ihm und mein Blick versuchte ihn zu überreden, dass er mich beachtete. "Warum...“, sollte ich mich endlich trauen, ihn zu fragen, warum er danach immer so abweisend war, warum er so wenig zärtlich war? Vielleicht sollte ich ihn dann auch mal fragen, warum nichts von dem, was zwischen uns im Bett geschah mit mir zu tun hatte? Verdammt, ich traute mich nicht.
Er sah mich erwartungsvoll an. Aber da war auch schon wieder etwas in seinem Blick, das mir sagte: Du wirst doch jetzt keinen Stress machen – oder? Er würde mich doch nicht verstehen... und ich hatte auch nicht die Kraft zu diskutieren, also schwenkte ich kurzerhand auf ein weniger tiefgreifendes Thema: „... wolltest du nicht länger auf Charlys Party bleiben? Es war doch eigentlich ganz nett.", fragte ich vorsichtig. Zum einen war ich froh, diesem Thema mal wieder ausgewichen zu sein. Aber irgendwann musste ich mit ihm reden. Ich wusste ja selber nicht, ob er einfach nur ignorant war, es selber nicht besser wusste oder es nicht vielleicht auch an mir lag. Zum anderen ärgerte ich mich über meine Feigheit. Ich konnte doch nicht so einfach sagen: 'Mir gefällt der Sex mit dir nicht?' Würde ihn das nicht total treffen?
Er las noch ein paar Zeilen weiter, legte einen Finger auf die Stelle bis zu der er wohl gerade gekommen war und sah mich gelassen an. "Ich dachte, du wolltest auch noch etwas mit mir alleine sein." Er schlug sein Buch wieder auf. "Außerdem mögen wir doch beide die schräge Musik nicht, die Charly immer auflegt..." meinte er kurz und war schon bald wieder in seinen Thriller vertieft.
Natürlich hatte John Recht, Charly hatte einen unmöglichen Musikgeschmack und war bekannt dafür. Aber gerade heute war die Musik wirklich gut gewesen. David hatte seine ganze Plattensammlung für Charlys Party zur Verfügung gestellt. Die Leute waren nett gewesen, es hatte tolle Gespräche gegeben. Niemand hatte sich frühzeitig betrunken und hatte somit gedroht die Party zu schmeißen. Ich wäre gerne noch etwas geblieben.
Mir gefielen die Nächte besser, wenn wir eine kulturelle Veranstaltung besuchten oder ins Kino gingen. Ich liebte es stundenlang über einen kontroversen Film, eine interessante Lesung oder eine Ausstellung zu diskutierten. Verbal waren wir so viel enthusiastischer, temperamentvoller und leidenschaftlicher.
Ich kuschelte mich noch etwas an ihn, streichelte ihm zart über die Brust und gab ihm die Zärtlichkeit, die ich so gerne erhalten hätte. Wenigstens war ich ihm auf diese Art nah, wenn auch nur ein ganz klein wenig. Er ließ es ungerührt geschehen. Und ich wusste nicht, ob es ihm gefiel oder nicht. Mein Buch legte ich beiseite; auf das Lesen konnte ich mich in diesem Moment doch nicht konzentrieren. Auch die Frage nach der Planung für den morgigen Sonntag ließ ich ungestellt. Ich war mir nicht sicher, ob ich noch eine Enttäuschung verkraften würde.
~ ~ ~
Das Redaktionsbüro lag im Dunkeln. Das wenige Licht der Straßenlaternen vor den Fenstern legte eine gespenstische Atmosphäre auf den kalten Raum. Ich hatte extra kein Licht angemacht. Ich wollte einfach nichts sehen, weder meine trostlose Umgebung, noch mich. So verkroch ich mich noch etwas tiefer in dem abgewetzten Sofa und schluchzte ganz ungehemmt vor mich hin. Hier in den Räumen der Uni-Zeitung, mitten in der Nacht, konnte ich sicher sein, dass mich niemand hören würde. Niemand käme auf die Idee zu fragen, was denn passiert sei, warum ich die Tränen so hemmungslos fließen ließ. Niemand sollte einen Blick hinter meine Fassade bekommen.
Dieses Sofa war nicht nur abgewetzt, es war auch extrem ungemütlich, weil vollkommen durchgesessen. Überall spürte ich, wie sich die Stahlfedern durch den dünnen und ausgeblichenen Oberstoff drückten. Mich hier unten in den Kellerräumen zu verkriechen gab mir wenigstens einen Hauch von Trost. Außerdem spiegelte der Schmerz durch die harten Federn ganz gut das Gefühl in meinem Inneren wider.
Ich machte mir noch nicht einmal die Mühe, die Tränen wegzuwischen. Wozu auch? Wen würde es hier stören, mein verweintes Gesicht zu sehen? Salzige Tränen liefen mir über die Wangen und ein dicker Kloß schnürte mir den Hals zu.
Plötzlich – ein Geräusch an der Tür! Das konnte nicht sein – es war drei Uhr in der Nacht! Wer würde um diese Zeit in das Redaktionsbüro der Zeitung kommen? Mein Herz hämmerte in meiner Brust.
Das Geräusch war eindeutig, ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, umgedreht... Gespannt hielt ich die Luft an. Schemenhaft konnte ich in der Dunkelheit erkennen, wie sich die Tür öffnete... Das Licht ging an und augenblicklich sah Meryl mir direkt in die Augen. Sie riss diese überrascht auf und schien bei meinem Anblick beinahe einen Herzinfarkt zu bekommen.
„LOIS!“ Sie hielt sich erschrocken die Hand auf Herz. „Was, in Drei-Teufels-Namen machst du hier?! Mitten in der Nacht! Im Dunkeln! Willst du mich umbringen?!“ Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. „Ich wollte alleine sein...“, murmelte ich kleinlaut vor mich hin.
Meine Chefredakteurin ließ ihre Jacke und ihre Tasche auf den Boden fallen und kam auf mich zu. Ihr Schreck schien verflogen zu sein. Sie sah mich mitfühlend an und setzte sich zu mir auf das heruntergekommene Sofa. „Was ist los? Für wen sind diese Tränen?“ und sie gab mir ein Taschentuch.
Ich schnäuzte laut in das Taschentuch. Oh verdammt, ich wollte alleine sein, damit ich mich niemandem erklären musste. Und wer erwischte mich hier am denkbar verstecktesten Ort auf dem ganzen Campus? Ausgerechnet Meryl! Sie hatte so eine Art... einem alles zu entlocken, sie würde nicht eher Ruhe geben, bis sie genau wusste, was los war. Und sie würde es sofort merken, wenn ich ihr eine ausweichende Geschichte erzählte. Da konnte ich also auch gleich mit der Wahrheit herausrücken. „John...“
Meryl schnaubte verächtlich. „Hat er dir den Laufpass gegeben?“ fragte sie dann ganz sachlich.
Ich schüttelte den Kopf, sah sie aber noch nicht an dabei. Eigentlich wollte ich dieses Bild in meinem Inneren verdrängen, wollte nicht mehr daran erinnert werden. Der Schmerz brannte so tief. Ich spürte wieder die Wut in mir aufsteigen, die Wut und diese Ohnmacht. Meine Lippe zitterte. „Ich habe ihn mit Diana erwischt...“
„Wobei erwischt...?“, fragte Meryl immer noch betont ruhig.
„... Im Bett...“ Ohne dass ich es wollte, brachen die Tränen nun wieder aus mir heraus.
Meryl nahm mich in den Arm und drückte sich an mich. „Oh Lois, dieser Mistkerl – er ist nicht eine einzige Träne wert. Ich wusste, dass das schief gehen würde, er ist eben doch ein Schnösel. Ein rücksichtsloser, verantwortungsloser, gemeiner, niederträchtiger... Lois, er ist es nicht wert. Andere Mütter haben auch nette Söhne, glaub mir. Aber verschwende an diesen Mistkerl keine weitere Träne...“
Sie sprach immer weiter und weiter. Versuchte mir Trost zu geben, wo es keinen gab. Ich hatte mich hier verkrochen, um alleine zu sein, um zu vergessen oder wenn das nicht möglich war, wenigstens zu verdrängen. Ich wusste natürlich, dass ich das Bild von den beiden so schnell nicht aus meiner Erinnerung löschen können würde. Mit allem Möglichen hatte ich gerechnet, nachdem John unsere Verabredung für den heutigen Abend so kurzfristig abgesagt hatte, aber doch nicht damit. Warum hatte ich es wieder einmal nicht kommen gesehen?
Es tat einfach nur gut in ihrem Arm gehalten zu werden. „Meryl“, ich putzte mir die Nase, „ist dir so etwas auch schon mal passiert?“ Inzwischen hatte ich mich etwas beruhigt.
Sie sah mich an und grinste. „Wenn ich meinen Freund je mit einer anderen erwischen sollte, würde es Tote geben. Mindestens einen – je nach momentaner Stimmung - sie, die andere, oder er. Hängt wohl davon ab, wie viel er mir bedeutet.“
Bei dem Gedanken an so einen Furcht einflößenden Racheengel musste selbst ich kurz lachen. Aber David, Meryls Freund, würde so etwas sicher niemals tun. Er betete den Boden an, auf dem sie ging. Er war so ein lieber, rücksichtsvoller Kerl. „Ich glaub, es liegt an mir...“
„Ah, ich verstehe“, sie hob eine Augenbraue und ihr einer Mundwinkel zog sich zu einem leichten Lächeln, „mangelndes Selbstbewusstsein lässt grüßen. Weißt du, Lois, vielleicht solltest du dich zukünftig mal in der Fakultät der Psychologen rumtreiben. Die meisten von denen sind Langweiler und haben irgendeine schräge Kiste mit ihrer Mutter am laufen. Von den grässlichen Pullundern, die sie alle so gerne tragen, oder der Tatsache, dass sie alle nicht zu wissen scheinen, was ein Frisör ist, ganz zu schweigen. Aber unter Umständen würdest du dich danach besser verstehen. Also, warum glaubst du, es liegt an dir?“
„Weil ich es schon mal erlebt habe“, gab ich kleinlaut und mit nach unten gerichtetem Blick zu.
Meryl schnaubte einmal kurz. „Du hattest schon mal einen Freund, der dich betrogen hat oder hast du John schon einmal dabei erwischt...?“
Ich wurde immer kleiner, sank immer tiefer in das Sofa und antwortete noch kleinlauter: „Beides... Also bei John hatte ich bisher nur den Verdacht. Aber ich glaube, dass da mit den beiden schon länger etwas läuft. Ausgerechnet Diana, die ist doch geistig so minderbemittelt, die kann doch ihren Namen nur fehlerfrei schreiben, wenn sie ihn abschreibt.“ Ich konnte einfach nicht vergessen, wie sehr es mich getroffen hatte, die beiden erwischt zu haben. 'Ein Stich ins Herz' traf es nicht annähernd. Es tat so viel mehr weh als damals bei Paul und Linda. John hatte ich vertraut, mit ihm war ich ja auch nicht nur eine Nacht zusammen, wir waren ein richtiges Paar. Ich hatte immer alles versucht zu tun, damit es funktioniert. Alles was ich glaubte tun zu müssen. Ich wollte, dass es funktioniert.
„Oh Lois... Warum tust du dir das an? Was fasziniert dich so an diesen Typen, die schlecht für dich sind? Ich würde mir das nie gefallen lassen. Ich würd's aber auch nie tun!“ Sie strich mir noch einmal ermutigend über den Arm.
„Meryl, warum sind wir beide nicht lesbisch – wir würden ein tolles Team abgeben.“ Wahrscheinlich gab ich ein tolles Bild ab, verweinte Augen und ein leicht ironisches Lächeln.
Sie lachte. „Oh ja, Lois, das ist eine tolle Idee. Wir würden die erste rein weibliche Zeitung der Vereinigten Staaten gründen. Eine neue feministische Weltordnung...“ Sie seufzte. „Aber es tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, ich steh nicht auf Frauen.“
Ich ja leider auch nicht.
Lucy sah mich entsetzt an. „Du hast mit gerade mal 20 Jahren überlegt, auf Männer zu verzichten?“
Ich nickte gelassen. „Und das auch nicht zum letzten Mal.“
Sie sah mich gefasst an. „Lois, wie kommt es, dass wir beide uns immer die Chaos-Typen ausgesucht haben? Warum?“
Erst einmal machte ich uns noch eine Packung Käsecracker auf. Lucy hatte die letzten geradezu eingeatmet. Es war wirklich interessant, wie sie von meiner Geschichte auch auf sich selbst schloss. Ihre Liebhaber waren auch nicht unbedingt alles Hauptgewinne. „Es ist Dad...“
Entsetzt starrte sie mich an. „Ach komm schon, Lois! Ist das nicht ein bisschen zu einfach gedacht? Klingt ein wenig nach Waschküchen-Psychologie.“ Sie nahm sich noch ein paar Cracker.
Dann gab ich uns beiden noch etwas Prosecco und fuhr ganz gelassen fort. „Nein! Er hat uns verlassen. In erster Linie hat er zwar Mum verlassen, aber er hat schließlich auch dich und mich verlassen. Wir beide sind in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass die Männer, die wir lieben und denen wir vertrauen, uns verlassen. Und wir können nichts dagegen tun. Du hast doch auch dein halbes Leben lang gedacht, es sei deine Schuld.“ Nachdem ich die Flasche abgestellt hatte, sah ich sie an und versuchte ihre Gedanken zu ergründen.
Lucy richtete ihren Blick nach innen. „Kann schon sein“, sagte sie kleinlaut. Volltreffer. Sie lenkte auf ein anderes Thema. „Wie lange warst du mit John zusammen und warum? Was hatte er an sich? Das hab ich nicht verstanden.“
Ja natürlich, das war viel unverfänglicher als sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. "Fünf Monate. Tja, und warum?“ Ich ging ihr zuliebe auf ihren Einwand ein. Unser gemeinsames Thema, unsere Vergangenheit, Dad, Mum und wie sie mit uns umgegangen waren und wie wir dann damit umgegangen waren, nun, dafür würde noch Zeit sein. „Heute würde ich sagen, er war ein Blender, ein Schmeichler. Er konnte sehr gut mit Worten umgehen. Er redete mich manchmal in Grund und Boden..."
Meine Schwester sah mich mit einem Ausdruck höchsten Erstaunens an. "Dich?!"
Ich lächelte. "Ja, erstaunlich, dass ausgerechnet ich das sage, nicht wahr? Aber wenn es etwas gibt, was ich von ihm gelernt habe, dann, dass du im Vorteil bist, wenn du jemanden an die Wand reden kannst. Damals habe ich das übrigens anders gesehen. Ich hab zu der Zeit einfach gedacht, ich müsste einen Freund haben. Ich hab mich schon wieder von den Erwartungen der anderen leiten lassen, etwas zu tun, wozu ich eigentlich immer noch nicht bereit war."
"Puh! Und wieder einer, der dich betrügt - und der ein schlechter Liebhaber ist. Langsam verstehe ich, warum du nie über deine Männerbekanntschaften geredet hast. Du wolltest mich nicht erschrecken. Was ist aus Meryl geworden?“
„Meryl...“ ich lachte in der Erinnerung an sie. „Sie war wahrscheinlich während der gesamten Collegezeit meine einzige wirkliche Freundin. Auf sie konnte ich mich verlassen. Sie war schlau, aber nie arrogant. Sie war so ziemlich der einzige Mensch, der mich nicht hintergangen hat. Ich hab sie vor ein paar Jahren mal auf einem Kongress getroffen. Sie lebt in der Nähe von Santa Barbara, hat dort eine kleine Zeitung geerbt. Ich glaube ein entfernter Onkel hat sie ihr vermacht. Nicht das Kaliber, um sich Preise zu erschreiben, aber ich hatte den Eindruck, dass sie sehr glücklich ist. Ihr Mann hat ein kleines, aber feines Restaurant und betet den Boden an auf dem sie geht.“ Ich sah sie noch genau vor mir, wie sie mir all das mit einer bemerkenswerten Überzeugung erzählte. Sie hatte es wirklich verdient. Meryl war wirklich ein guter Mensch.
„Wer war der nächste?" Lucy sah aus, als erhoffte sie sich langsam mal etwas mehr Romantik, obwohl... Lucy erwartete eher pikante Details. Sie ahnte ja nicht, was noch kommen würde.
"Oh je, Lucy. Hast du noch nicht genug?“ Aber sie schüttelte ihren Kopf erwartungsvoll. „Na gut, ob du es glaubst oder nicht, auch bei dem Nächsten steht eine Story, eine wirklich große Story im Vordergrund. Er hieß Claude..."
Re: Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 11:34
von Magss
Eiskalt
Ich hatte es geschafft. Mein erster Job, ich arbeitete für den Daily Planet, den! Daily Planet!
Die ersten Wochen rechnete ich jeden einzelnen Tag damit, dass mich der strenge Chefredakteur Perry White in sein Büro zitierte. Er würde mir mitteilen, dass es doch nicht funktionierte. Wahrscheinlich bereute er längst, einem Newcomer vom College eine Chance gegeben zu haben. Er dachte bestimmt, dass er doch besser einen Mann hätte einstellen sollen, oder einfach jemand anderen.
Ich versuchte die Angst vor diesem Tag zu bekämpfen, indem ich härter arbeitete als alle anderen zusammen. Ich erledigte alles, was Mr. White mir auftrug. Gelegentlich schrieb ich eine Story, die einer der anderen Kollegen hätte schreiben sollen. Ich versuchte regelmäßig einen Artikel zu einem Thema zu schreiben, das überhaupt nicht im Gespräch war. Dass ich dafür manchmal an die vierzehn Stunden am Tag arbeitete, machte mir wirklich gar nichts aus. Aber der gefürchtete Tag kam nicht. Er blieb einfach aus. Tag für Tag ging ich abends im Dunkeln nach Hause, müde, erledigt, aber ich hatte meinen Job immer noch.
Nach drei Wochen nannte Mr. White mich das erste Mal 'Lois'! Ich wusste von den anderen Kollegen, dass er das nur mit den Mitarbeitern tat, die ihm positiv aufgefallen waren. Nach drei Monaten fragte er mich bei der Morgenbesprechung das erste Mal nach meiner Meinung - er fragte mich! 'Wow!', war alles, was ich denken konnte. Die meiste Zeit wies er mir einfach eine Story zu. Und die Artikel wurden von Monat zu Monat größer, wichtiger, die Recherchen umfangreicher. Langsam, ganz langsam wuchs mein Selbstbewusstsein. Ja! Genau das war es, was ich wollte! Und zwar immer mehr davon. Mich durch eine Recherche kämpfen, das Rätsel lösen und einen brillanten Artikel schreiben mit dem ich Beifall ernten konnte – das beflügelte mich mehr als alles andere.
Sechs Monate nach meinem ersten Arbeitstag für die beste Zeitung Amerikas erschien mein erster Artikel auf der Titelseite. Noch weitere drei Monate später schrieb ich die ersten Headlines! Das war wie ein Rausch, wie eine Droge für mich.
Nach und nach verschwand das Gefühl, ich müsste jeden Moment aufwachen und auf dem Arbeitsamt wieder zu mir kommen. Die Arbeit in einer Redaktion kannte ich natürlich. Und doch war es etwas ganz Anderes, für ein Blatt zu schreiben, das sich Tag für Tag seine Rechtfertigung am viel umkämpften Markt durch die Qualität der Artikel erstreiten musste. Doch so eine Art von Job zu machen, für Geld, das war meine Welt. Und dann auch noch von Zeit zu Zeit diesen Blick vom Chefredakteur, wenn er sich meine Artikel durchlas... Es war kein Lächeln, auch kein anerkennendes Nicken. Er hob seine Augenbraue nur einen Hauch, sah mich ganz kurz an, mehr nicht und sagte nichts, kein vernichtendes Wort. Ich brauchte ein paar Tage um dahinter zu kommen, dass das ein Lob von Perry White war. Das alles war so ein unglaubliches Gefühl. Und es machte süchtig. Wobei ich mir auch ehrlicherweise eingestehen musste, dass ich besser wurde. Mit jedem Tag gingen mir die Recherchen besser von der Hand, lernte ich bessere Quellen kennen.
Ich hatte aus meiner Zeit bei der Uni-Zeitung einen wirklich guten Fundus mitgebracht. Aber der Planet, der Daily Planet, war eine Zeitung von Weltformat. Die Qualität der Artikel, die Auflage, die Geschwindigkeit, mit der hier gearbeitet werden musste, stellte höchste Anforderungen an die Mitarbeiter. Nicht zu vergleichen mit einer Studentenzeitung, die alle ein bis zwei Wochen erschien, die Auflage von 10.000 Stück selten überstieg und wenigstens zum Teil aus Universitätsgeldern finanziert wurde. Aber dennoch hatte ich an der Uni gelernt sauber und gewissenhaft zu Recherchieren. Ich hatte mir einen gewissen Ehren-Codex erarbeitet: Was ich nicht beweisen konnte, wurde nicht gedruckt. Und ich hatte gelernt mich nicht zu schnell mit einfachen Antworten zufrieden zu geben, sondern immer noch ein Stückchen weiter zu denken und zu fragen.
Das alles machte mich wirklich glücklich, vollkommen zufrieden, gab mir ein Gefühl tiefster Befriedigung... Obwohl manchmal, ganz selten und dann auch nur abends, oder eher sogar nur spät in der Nacht, wenn ich alleine in meinem Apartment saß und die Anspannung langsam nachließ... Wenn ich nichts mehr hatte um mich abzulenken, noch nicht einmal mehr Putzarbeiten, oder Rocky Road... In diesen Momenten gab es da gelegentlich ein Gefühl der Einsamkeit. Wie gerne hätte ich jemand gehabt, mit dem ich mich austauschen konnte, der sich um mich kümmerte, sich um mich sorgte. Eine Schulter zum Anlehnen. Aber wirklich nur sehr selten, kaum, fast nie. Nicht weiter von Bedeutung.
~ ~ ~
Das erste Mal, dass ich einen Mann wieder als Mann wahrnahm, kam ganz überraschend. Meist waren sie für mich lediglich Informant, Quelle, Kollege, Nachbar, Kellner, Verkäufer von Coffee-to-go, oder aber diejenigen, denen ich eine üble Vorgehensweise nachzuweisen versuchte. Diesmal reagierte ich nicht auf Aussehen oder süße Blicke aus süßen Augen. Ich hatte schließlich dazu gelernt. John war inzwischen seit zwei Jahren Vergangenheit. Dennoch hatte ich noch immer das Gefühl eine riesengroße, schmerzende Wunde mit mir herum zu tragen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass John nicht die erste Enttäuschung auf der ganzen Linie gewesen war. Ich traute langsam meinem Gefühl nicht mehr. Wenn ich einen Mann auch nur ansah, dachte ich sofort: 'Auf welche Art wird er dich betrügen? Wie wird er dir wehtun?'
Claude sah noch nicht einmal besonders gut aus. Für meinen Geschmack trug er seine Haare zu lang. Auch seine Figur war nicht wirklich bemerkenswert. Er war recht groß, aber sehr schlank, um nicht zu sagen hager. Er hatte lange Beine, lange Arme und lange, schlanke Finger. Seine stolze Haltung hatte fast etwas Überhebliches. Und doch gab es etwas an ihm. Da war zum einen der Charme eines Südeuropäers, dunkle, sonnengebräunte Haut, fast schwarze Haare und dabei wasserblaue Augen. Sein Drei-Tage-Bart gab ihm immer etwas Lässiges. Wenn er ernst schaute, waren seine Wangen fast ein wenig eingefallen und seine Augen lagen sehr tief in ihren Höhlen. Doch wenn er lächelte, sich feine Fältchen um die Augen zeigten, strahlte sein ganzes Gesicht. Ich sollte besser nicht weiter über dieses Lächeln nachdenken.
Er machte auf mich immer den Eindruck, als fehlte ihm nur noch die Baskenmütze und die Gauloise im Mundwinkel. Zum Glück bestand in der Redaktion Rauchverbot.
Doch das war es nicht, was mein Herz höher schlagen ließ. Aber wenn er zu sprechen begann, erfasste mich eine unkontrollierbare Gänsehaut. Dieser Akzent... Sein „Ma chère...“ oder „Oh, là, là!“, hach, köstlich. Sein Englisch war einfach nur entzückend, „Isch, 'abe eine Idee, Lo-ih.“ Die Art, wie er meinen Namen aussprach, hatte so etwas Vertrauliches. Claude Bouchardon pflegte diesen sehr ausgeprägten Klang des Französischen. Er wusste, was es für eine Wirkung hatte, da war ich mir ganz sicher. Doch es hörte sich einfach nur fantastisch an. Es war wirklich egal, was er sagte. Er hätte mir auch das Telefonbuch vorlesen können...
Wenn er sprach bekam ich eine Gänsehaut. Wenn er schrieb, verfiel ich in stille Bewunderung. Er hatte einen unglaublichen Stil. Er schaffte es zwischen die Fakten immer etwas Persönliches zu mixen und das so minimalistisch, dass der Leser nie das Gefühl bekam, es sei kitschig. Ich nannte das den französischen Stil. Wenn er schrieb, saß einfach jedes Wort.
Inzwischen war ich schon ein Jahr in dieser Redaktion. Ich fühlte mich langsam immer wohler und kam immer besser mit den Kollegen aus, was einfach nur bedeutete ich hatte nicht ständig das Gefühl, sie würden hinter meinen Rücken über mich lachen. Inzwischen hatte ich sogar meine tägliche Angst vor dem Rausschmiss verdrängt.
Doch eines Morgens bat Mr. White mich in sein Büro, ganz unvermittelt, mich alleine, niemanden sonst. Auf den wenigen Metern zu seinem Büro wurde ich so nervös, dass ich fürchtete, mir würden die Beine versagen. War nun doch der schreckliche und lang befürchtete Moment gekommen? Ist das Leben nicht hinterlistig? Kaum, dass man eine Gefahr nicht mehr allgegenwärtig fürchtete, schlich sie sich gemein von hinten heran.
Was war es? Ich zermarterte mir das Hirn, woran es liegen konnte. War es die Roller- Story oder ging es um das Museum? Hatte ich den Artikel über den Diamantenraub verpatzt? Die Gerrit-Story? Den Skandal um den Fernsehansager? Oder die Sache mit dem Scherzbold?
Ich hatte schon eine ganze Weile nicht mehr gedacht, dass ich hier falsch war. Sollte ich nun die Rechnung dafür bekommen? War ich mir zu sicher gewesen? Ich klopfte vorsichtig, zaghaft an seine Tür, doch Mr. White sah mich sofort und winkte mich herein. Ich hatte ihn immer als streng empfunden. Er zeigte zwar oft eine väterliche Art, aber wenn ihm etwas nicht passte, konnte er durchaus laut werden. Wenn etwas für den Planet nicht gut war, wirkte er immer sehr unangenehm, streng eben und unnachgiebig. Er konnte durchaus laut werden und die Frage 'Was haben Sie sich denn dabei bloß gedacht?' gab einem das Gefühl, vorgeführt zu werden.
Mein Chef forderte mich mit einer kurzen Handbewegung auf, mich zu setzen. Ich kam dem ehrfürchtig nach. 'Oh Mann, Lois, reiß dich zusammen, selbst wenn er dich jetzt raus wirft, wird er dich wahrscheinlich nicht fressen.' So hoffte ich jedenfalls. Ich versuchte mich zu beruhigen. Doch mein Magen zog sich ängstlich zusammen und meine Hände wurden klamm.
„Lois“, begann er vorsichtig, „was fällt Ihnen zu Hoover ein?“ Sein Blick lag auf mir, fast so, als wollte er jede Reaktion, die ich zu zeigen beabsichtigte, registrieren.
Ähm, Hoover...? Was war das denn für eine Frage? Hätte ich in irgendeinem meiner letzten Artikel Hoover erwähnen müssen und es vergessen? Aber ich hatte in den letzten Tagen gar keine politischen Artikel geschrieben und auch nichts, was mit dem Geheimdienst zu tun hatte. Worauf spielte er bloß an, was hatte ich falsch gemacht? „Ähm... Chef, welchen Hoover meinen Sie denn?“ Ich fürchtete, die Unsicherheit in meiner Stimme war mit sehr deutlich anzumerken. Wahrscheinlich machte ich mich alleine schon mit dieser Frage lächerlich. Oh Lois, du wirst keine Chance haben!
Ein kleines Lächeln umspielte die Lippen meines Chefredakteurs. Machte er sich über mich lustig? „Suchen Sie sich doch einen aus...“
Lois, du bist tot! Wenn ich nur wüsste, welchen Artikel ich versemmelt hatte. Ich sah Hilfe suchend an die Decke. Doch mein Gegenüber forderte mich mit einer eindeutigen Geste auf, ihm endlich seine Frage zu beantworten.
„Ähm, also... da ist zum einen“, stammelte ich nervös, „Herbert Hoover, 31. Präsident der Vereinigten Staaten, lebte von 1874 bis 1964 und war von 1929 bis '33 Präsident. Dann ist da noch Edgar Hoover, geboren 1895, gründete 1924 das FBI und leitete es bis zu seinem Tod im Jahre '72.“ Ich ratterte die Antworten steif herunter. So etwas hätte er mich im Schlaf fragen können, doch wozu? „Welchen meinen Sie dann nun, Chef?“ Meine Stimme klang, als würde jemand eine Maus ersticken, schrille Spitzen, die meine Unsicherheit wohl mehr als deutlich zeigten. Aber was sollte ich tun, ich hatte keine Ahnung, was dieses Quiz sollte.
Perry Whites vorsichtiges Lächeln verwandelte sich nun in ein zufriedenes Grinsen. 'Lois, das war's, du bist raus, was auch immer du falsch gemacht hast, Hoover hat dir das Genick gebrochen!'
Doch Mr. White lachte. „Lois, genau die Antwort habe ich erwartet.“ Um das noch zu unterstützen, nickte er mir zu. War das ein freundliches Nicken? Und das Lächeln? „Deswegen habe ich mir etwas überlegt... Ich möchte, dass Sie unserem Franzosen ein wenig über die Schulter sehen. In amerikanischer Geschichte ist er nicht wirklich sattelfest. Ihm fiel zu Hoover nur Staubsauger ein...“
Unkontrolliert prustete ich los: „Claude...?“ Ich... Ich... ICH sollte seine Artikel korrigieren?
Und Mr. White, dessen Lächeln nun immer freundlicher aussah, fragte mich provozierend: „Bei allen Songs von Elvis, haben wir noch einen anderen Franzosen in der Redaktion?“
Ich schüttelte den Kopf. Wer bitte war Elvis? „Als Partner...?“, stieß ich entsetzt hervor. Ich hatte schon davon gehört, dass Perry White gelegentlich mal auf die Idee kam, Kollegen in eine auf den ersten Blick unmöglich erscheinende Partnerschaft zu zwingen. Ich hatte keine Ahnung warum, aber das wollte ich auf keinen Fall. Eine Partnerschaft mit Claude Bouchardon war wirklich das Letzte. Männer wie er waren gefährlich. Sein Lächeln berührte mich auf eine Art und Weise, die ich mir selber nicht gerne eingestand. Und ich war mir nicht sicher ob ich genügend Abwehrkräfte für einen Mann wie ihn hatte. Als Mann... als Kollege und als Partner... wie auch immer, das wollte ich nicht. Eigentlich wollte ich gar keinen Partner.
Mein Chef hob nur kurz eine Augenbraue und sah mich durchdringend an. „Nein, nein, keine Sorge, an eine Partnerschaft hatte ich nicht gedacht. Jeder von euch hat seine eigenen Storys. Haben Sie einfach nur ein Auge drauf, dass er nicht solche inhaltlichen Patzer macht, ganz besonders in Geschichte – okay?“ Die letzten Worte hatte er in seinen für ihn so typischen, väterlichen Ton verpackt. Ich traute dem Ganzen nicht so recht. Warum sollte er so freundlich zu mir sein?
Doch ich bekam kaum Gelegenheit dieser Spur weiter zu folgen, wir besprachen noch die Story, an der ich zur Zeit arbeitete und wie ich weiter vorgehen sollte. Das Erstaunliche daran war, dass er sich voll und ganz hinter mich stellte, was meinen Verdacht anging, und mir völlig freie Hand ließ. Ganz langsam traute ich mich wieder normal zu atmen. Die Übelkeit legte sich und mein rasender Puls beruhigte sich immer mehr.
Also verließ ich wenig später sein Büro in dem Bewusstsein, dass ich immer noch meinen Job hatte, freie Hand bei meiner Story und zukünftig auf den welterfahrenen und immerhin fast zehn Jahre älteren Kollegen aufpassen sollte! Konnte es vielleicht sein, dass ich meinen Job doch nicht so schlecht machte? Konnte es wirklich sein, dass mein Chef so von mir dachte? Er schien zu glauben, ich sei besser als Claude, wenigstens in Geschichte. Nicht schlecht, Lois! Ja! Langsam begann ich seine familiäre Art zu mögen, langsam konnte ich ihr trauen.
Ich ging zu Claude und tippte ihm auf die Schulter. „Hey, der Chef will, dass du mir erzählst, woran du gerade arbeitest.“ Die Vorstellung die Story, an der er gerade schrieb, von ihm geschildert zu bekommen, jagte mir schon jetzt einen Schauer über den Rücken.
~ ~ ~
Erstaunlicherweise klappte diese aufgezwungene Zusammenarbeit, die keine Partnerschaft war, besser als ich es erwartet hatte. Claude war sich selbst bewusst, dass er Lücken hatte und das nicht nur in Geschichte. Auch im amerikanischen Rechtssystem oder in anderen typisch amerikanischen Bereichen fehlte ihm das Wissen. Aber noch erstaunlicher war für mich, dass auch ich eine Menge von ihm lernte. Er wies mich immer wieder darauf hin, wie er seinen Artikeln diese persönliche Note gab.
Ich hatte bis dahin immer geglaubt, ich sei kein so guter Team-Player. Dafür hatte ich in der Vergangenheit einfach zu viele Enttäuschungen erlebt, ganz besonders dann, wenn ich geglaubt hatte, jemanden wirklich zu kennen. Aber das mit Claude, das war locker genug, um mich nicht zu sehr gebunden zu fühlen und kooperativ genug, um mir zu zeigen, dass ich es doch konnte.
Kaum eine Woche nachdem diese Kooperation begonnen hatte, freute ich mich bereits am Morgen auf diese eine Stunde, in der wir unsere Storys teilten, sie diskutierten, Quellen austauschten und gemeinsam an Formulierungen arbeiteten. Und das immer mit diesem unverwechselbaren Akzent.
Das einzige Problem, mein einziges Problem mit ihm, war sein Flirten. Ständig sagte er mir, ich sei der Traum seiner schlaflosen Nächte, aber ich wusste ganz genau, dass er das auch zu Sylvie, Agnes, Sophie, Carol oder Linda sagte. Doch keine von uns war ihm wirklich böse dafür, sein Werben war so charmant und so französisch. Das war Claude.
~ ~ ~
Nach ein paar Wochen waren wir ein richtig gut eingespieltes Team, keine Partner, aber ein Team. Er recherchierte und schrieb seinen Artikel und ich las ihn dann Korrektur, bevor er an White ging. Im Gegenzug las er manchmal meine Artikel und fragte mich dann so Sachen wie: „Und? Du 'ast geschrieben, er 'at drei Kinder. Was ist mit dem kleinsten Sohn von diesem Busfahrer?“
Ich sah ihn dann immer ganz verwirrt an. Meine Antwort fiel dann, wie immer in so einer Situation, etwas unwirsch aus: „Ich habe keine Ahnung! Ich habe ihn nicht nach seinem Sohn gefragt. Er ist nach einer Zwölf-Stunden-Schicht den Berghang herunter gerutscht. Hätte fast vierzig Menschen umgebracht. Der wollte nicht über seinen Sohn reden! Und selbst wenn er etwas gesagt hätte, das steht doch in keinem Zusammenhang.“
Claude nahm sich daraufhin meinen Bleistift und fing an in meinem Text herum zu schmieren, während er aussprach, was er schrieb: „Gut... Das Erste, an das isch denken musste, na'hdem der Bus wieder sischer auf dem Asphalt stand, war mein kleiner Junge, wie er mir morgens sum Abschied gewinkt 'atte, seinen Teddy fest umschlossen...“ Claude hatte Recht. Dieser kleine Hinweis darauf, dass dieser Busfahrer ein Mensch war, eine Persönlichkeit, ein Leben hatte, genau das machte meinen Artikel nun viel packender.
Und dann, eines Tages bekam ich von Mr White den Auftrag für die Mayer-Story.
Im ersten Moment war ich mir nicht sicher, wie viel Perry White von den Ausmaßen bereits wusste, bevor er mir den Auftrag gab. Ich sollte die möglichen Gründe für den scheinbar zusammenhanglosen Verfall des Stadtviertels Hamstead recherchieren. Doch je mehr ich die verschiedensten Quellen erforschte, mit den unterschiedlichsten Leuten sprach und die unglaublichsten Informationen zusammensetzte, umso mehr zeigte sich, dass hier mit System gearbeitet wurde. Perry White schien niemals überrascht zu sein, wenn ich ihn auf den neuesten Stand brachte. War diese Story nur ein Testlauf für mich? Egal, diese Stadtplanungs-Geschichte war meine erste wirklich große Enthüllungsstory an der ich ganz alleine arbeitete. Die Recherche zog sich über Wochen hin, doch irgendwann war es soweit und ich schrieb meinen Artikel: Michael George Mayer war Immobilienmakler, ein Grundstückshai. Er kaufte Gebäude und Grundstücke mit System und dann wurden sie herunter gewirtschaftet, Gebäude brannten ab, wurden verwüstet, Geschäfte gingen in Konkurs, es gab Überfälle. Kaum anzunehmen, dass dies alles durch Zufall geschah. Oh nein, das war alles gesteuert und gelenkt durch M.G. Mayer. Nur konnte es ihm niemand beweisen.
Okay, zugegeben, ich hatte Glück mit dem Tipp eines Informanten, den ich noch nicht so lange kannte. Seinen wirklichen Namen hatte er mir nie genannt. Auf der Straße war er bekannt als Bobby Bigmouth. Ein wirklich passender Name, hatte er doch ständig Hunger. Essen war auch das einzige 'Zahlungsmittel', das er akzeptierte. Er hatte eine erstaunliche Beobachtungen gemacht, die meine Ermittlungen in eine ganz bestimmte Richtung lenkten. Der Bruder von M.G. Mayer, Louis B. Mayer war ein richtiger Unterwelt-Gangster, ein Schläger, ein Krimineller, jemand der diese Art von Drecksarbeit machte.
Nachdem ich diesen Zusammenhang erst einmal entdeckt hatte, war es ein Leichtes, das zu beweisen. Und so hatte ich einen fantastischen Titelseiten-Artikel, dank dessen die Polizei die beiden Mayers festnehmen konnte.
An diesem Artikel hatte Claude praktisch nichts auszusetzen, kein Wunder, ich hatte mir wirklich sehr viel Mühe gegeben. Doch er sah mich an diesem Abend gespannt an und fragte: „Un'? Du glaubs', deine Arbeit is' erledischt? Mon amie.“
Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Ja... Ich denke schon. Es ist alles recherchiert, aufgedeckt, die beiden sind verhaftet und der Artikel ist fertig. Was gibt es noch zu tun?“
Claude war bereits mit lässigen, ja fast gelangweilten Schritten zum Fahrstuhl getreten und drückte auf den Knopf. „Was ist mit der Gerisch'sver'andlung?“ Die Fahrstuhltüren öffneten sich und wir beide traten ein.
„Perry“, wenn unser Chef nicht anwesend war, nannten wir ihn immer beim Vornamen, das machte ihn weniger streng, „hat nichts gesagt von der Verhandlung.“
„Oh!“ Claude wandte sich gelangweilt ab und besah sich seine Hände. „Un' die brave Lo-ih ma'ht immer nur das, was man ihr aufträgt.“ Er sah mich nun an. „Was glaubs' du, wird Perry sagen, wenn du ihm au'h no'h die Verurteilung schreibs'... als Sugabe?“
Oh verdammt, warum hatte ich nicht selber daran gedacht? Natürlich, die Gerichtsverhandlung sollte schon in ein paar Tagen stattfinden. Aufgrund der hervorragenden Recherche der Presse war die Beweisaufnahme praktisch abgeschlossen und ließ keinen Zweifel aufkommen, so hatte es in dem Fax des ermittelnden Staatsanwaltes geheißen. Perry wäre sicher begeistert, wenn ich den Fall wirklich ganz abschließen würde. Ja, ich würde die Verhandlung besuchen und noch einen Artikel schreiben. Das würde mir sicher noch ein paar Punkte extra einbringen. Gesagt, getan.
~ ~ ~
Ich war ein wenig nervös und lief in meinem Apartment auf und ab. Claude hatte heute keine Zeit gehabt für unser tägliches Korrektur-Meeting, er hatte ein Interview außer Haus. Doch gerade heute brauchte ich seine Meinung. Seit Tagen arbeitete ich an dem Artikel über die Verurteilung der Mayers, heute war das Urteil gefallen, schuldig für beide. Michael Mayer hatte noch versucht sich heraus zu reden, auch er hätte nur im Auftrag gehandelt und das für die Lex Corp. Lächerlich! Was sollte ausgerechnet der Multimillionär Lex Luthor für ein Interesse an der Herunterwirtschaftung eines Stadtviertels haben? Jedenfalls war der Artikel fertig und ich wollte unbedingt, dass Claude ihn las.
Er hatte mir angeboten, in mein Apartment zu kommen. Mir war nicht wirklich wohl bei dem Gedanken. Ich hatte nicht gerne Männerbesuch bei mir und dann ausgerechnet Claude Bouchardon, den größten Charmeur der ganzen Redaktion. Ich hatte versuchte mich zu beruhigen: Ach, Lois, stell dich nicht so an. Wir sind Kollegen, es geht um einen Artikel, mehr nicht. Aber es war mir nicht wirklich gelungen, mich zu beschwichtigen. Auf der anderen Seite, Claude war ein Profi, genauso wie ich. Wir wollten einen Artikel besprechen, was war also schon dabei? Doch die warnende Stimme in meinem Inneren siegte und wir trafen uns in einem Café. Das war neutraler Boden. Würde er etwas tun, was mir nicht gefiel, konnte ich einfach aufstehen und gehen.
Nur eine halbe Stunde später fragte ich mich, warum ich bloß so nervös gewesen war. Das Café war sehr nett, Claude war charmant, die ganze Atmosphäre war sehr entspannt. Wir hatten einen großen Tisch, auf dem wir alle Unterlagen ausgebreitet hatten. Und wir diskutierten den Fall, meinen Artikel. Beleuchteten alle Anspielungen, wie den Verdacht, Luthor könnte etwas damit zu tun haben, ausgiebig. Es war eine Arbeitsbesprechung, konzentriert, professionell und effektiv.
Am Ende blieb mein Artikel fast unverändert, worauf ich sehr stolz war. Ich hatte mir zwar auch mit diesem Artikel sehr viel Mühe gegeben, aber bis zu diesem Moment gab es niemanden, der meine Recherchen und die sich daraus ableitenden Fakten gesehen hatte. Perry White hatte ja schließlich keine Ahnung, dass ich hieran arbeitete. Ich wollte ihn schließlich mit einem lauten 'Tada' überraschen. Umso wichtiger war es für mich, dass ich vorab eine Meinung hörte. Claude hatte kaum etwas auszusetzen. Ich war wirklich stolz auf mich, ach, ich fühlte mich richtig gut. Wie auf einem Höhenflug.
Es war spät geworden und so beschlossen wir den Tag zu beenden. Nachdem wir beide unseren Kaffee bezahlt hatten und auf die Straße traten, hakte sich Claude bei mir unter und steuerte in Richtung meines Heimwegs.
Ein wenig entsetzt sah ich ihn an. „Hey, was soll das denn werden?“ Es waren schließlich nur drei Blocks bis zu meinem Apartment und sein Weg wäre eigentlich in die andere Richtung gegangen.
Claude ging unbeirrt weiter und zog mich mit sich. „Lo-ih, was glaubs' du? Isch bringe disch na'h 'Ause, naturellement.“
Gut, bis zu meinem Haus konnte er mich ja bringen. Er war schon ein Gentleman. Claude erzählte mir währenddessen von seinem Interview.
Ein wenig später, vor meinem Haus in der Carter Street wollte ich mich dann von ihm verabschieden, doch er sagte sehr selbstbewusst: „Isch bringe disch mindestens bis su deiner Tür.“ Er ging ins Haus und holte den Aufzug. Was meinte er mit 'mindestens'?
Das, was dann passierte, entzog sich meinem Einfluss. Claude ging so selbstsicher vor, dass er meine Zweifel damit einfach beiseite fegte. Nicht, dass ich wirklich einen Einwand erhoben hätte. Er zeigte mir sein strahlendstes Lächeln und einen Blick, der kein Wässerchen trüben konnte. Gab mir weder die Zeit noch die Gelegenheit zu reagieren. Was hätte ich auch sagen sollen? 'Ich traue dir nicht, deswegen will ich nicht, dass du noch mit in mein Apartment kommst?' Ich hatte ja genau genommen keinen wirklichen, konkreten Grund, ihm nicht zu trauen. Er war mein Kollege, wir hatten gemeinsam an meinem Artikel gearbeitet und nun kam er noch auf einen Kaffee mit zu mir. Eigentlich war doch gar nichts dabei. Eigentlich...
Claude saß auf meinem Sofa und sah mich mit seinen himmelblauen Augen an, die bei diesem Licht ein wenig dunkler wirkten. Seinen Kaffee schien er vergessen zu haben. „Lo-ih, ma chère. In nur ein Jahr bis' du der Star von Planet – und die Schönste no'h dasu.“ Er sah mich mit einem schwärmerischen Ausdruck an. Es war dieses strahlende Lächeln, das mich ganz schwindelig machte. Seine sympathischen Augen, seine vollen Lippen zeigten solch eine Wärme, dass ich eine Million Schmetterlinge in meinen Bauch spürte.
Ich wusste, er machte allen Frauen solche Komplimente, das hatte nicht viel zu sagen. Aber die Wirkung seines Akzents war für mich schon im hektischen Trubel der Redaktion kaum zu kontrollieren, doch in der Nacht... nur er und ich... er roch nach herbem Rasierwasser, obwohl er sich gar nicht rasiert hatte. Seine Hand strich mir sanft über den Arm. Meine Gänsehaut begann auf meinen Wangen, ging über den Hals und dann den ganzen Rücken herunter.
Ich wollte ihn stoppen, wollte nicht wirklich, dass das hier passierte. Doch sowie er wieder zu sprechen begann, brach mein Widerstand einfach zusammen. Das Timbre seiner Stimme, sein Akzent und die Komplimente, die er mir gab, ich konnte mich nicht dagegen wehren. Warum auch? Ich konnte mich kaum noch konzentrieren. Aber was sollte auch schon sein, ich mochte ihn, vielleicht war ich sogar verliebt. Er war Reporter, wie ich auch, wir verstanden uns, ergänzten uns perfekt.
Unsere Lippen fanden wie von selbst zueinander, versuchten die Sehnsucht zu stillen. Es war kaum möglich. Die ewig lang erscheinenden Wochen unter dem verführerischen Klang seiner Stimme forderten nach Erfüllung. Begierig und atemlos. Ungebändigt.
Und jedes Mal, wenn mich eine Spur von Zweifel plagte, kurzzeitig ablenkte, sprach er zu mir, verführte mich seine Stimme, sein Akzent. Und ich ließ mich verführen. Konnte er Gedanken lesen? Wahrscheinlich.
Inzwischen wusste ich genau, was ich wollte und es war das exakte Gegenteil von dem, was ich am Anfang des Abends gewollt hatte. Aber war dies nicht mein wahrer Wunsch? Ja. So lange unterdrückt. Nun konnte ich es mir endlich eingestehen.
~ ~ ~
Der nächste Tag schlich sich früh in mein Bewusstsein und ich wollte noch ein wenig seine Nähe spüren. Ich ließ meine Hand zu der anderen Seite des Bettes wandern, war aber nicht wirklich überrascht, dass sie ins Leere ging. Mir war die ganze Zeit klar gewesen, dass Claude am Morgen verschwunden sein würde. Ich konnte es nicht erklären, aber ich hatte es ganz sicher gewusst, die ganze Zeit. Er war ganz sicher nicht der Typ, der seine Eroberung am Morgen mit einem Frühstück überraschte. Egal, wir hatten beide bekommen, was wir gewollt hatten, wenigstens weitgehend. Ehrlich gesagt hatte ich bei dem Ruf, der den Franzosen ganz im Allgemeinen vorauseilte, eine Sensation erwartet. Doch davon waren wir weit entfernt gewesen. Nun ja... wahrscheinlich lag es an mir, wer wusste das schon...?
Es war bereits hell, ich sollte aufstehen. Frühstück bekam ich auch auf dem Weg zum Planet, oder wenigstens den Kaffee. Genau so, wie ich es eigentlich jeden Morgen machte. Ich verließ das zerwühlte Bett und ging erst einmal duschen. So hatte ich die Chance etwas wacher zu werden. Viel Schlaf hatte ich schließlich nicht bekommen.
Nachdem ich mich angezogen hatte, musste ich nur noch meine Tasche packen. Den Artikel musste ich nur noch in Reinform bringen, dann konnte ich ihn Perry präsentieren. Doch wo war das Papier nur? In meiner Tasche nicht, natürlich nicht. Ich hatte den Artikel gleich aus der Tasche genommen, nachdem wir in meinem Apartment angekommen waren. In einer irrigen Annahme hatte ich geglaubt, Claude sei noch mit nach Oben gekommen, weil er mir noch einen Korrektur-Vorschlag machen wollte. Nun ja, das war ja dann ganz anders gelaufen. Aber wo, verdammt noch mal, war mein Skript? Nicht auf dem Tisch, nicht beim Sofa. Sideboard, Garderobe, Küche, es war einfach nicht zu finden. Das konnte nicht sein. „Verdammt noch mal, Lois! Konzentriere dich!“, grummelte ich wütend vor mich hin.
Nun gut, selbst wenn das Papier eigenständig aus dem Fenster geflüchtet sein sollte, ich hatte ja noch die Kopien auf Floppy-Disk in meiner Tasche. „Na gut, dann drucke ich den Text eben noch mal aus. Kein Problem“, beruhigte ich mich selbst. Sicherheitskopien waren schließlich das A und O. Doch auch die Disketten waren nicht da! „Was bitte hat das jetzt zu bedeuten?“ Ich leerte hektisch den gesamten Inhalt meiner Tasche auf den Boden... sie waren nicht da! Das konnte nicht sein. Ich war mir ganz sicher, sie in die Seitentasche gesteckt zu haben - doch die war leer!
„Was... Aber ich hatte doch...“ Ich saß auf dem Boden, vor mir ein wildes Durcheinander von lauter praktischen Dingen. Ich konnte nicht glauben, was ich sah, beziehungsweise, was ich eben nicht sah.
Es fiel mir so schwer, diesen Gedanken, der sich mir mit aller Gewalt aufdrängte, diese einzige logische Schlussfolgerung bis zum Ende zu denken... Der einzige Mensch, der in meinem Apartment gewesen war, der Einzige, der überhaupt in Frage kam... „Oh nein, Lois! Wann lernst du es endlich?“, brach es resigniert aus mir heraus.
Ich schloss meine Augen und bedeckte mein Gesicht mit den Händen, als könnte ich mich dadurch vor der Welt und vor der grausamen Realität verstecken. Alles, was seit dem gestrigen Abend passiert war, für Claude war es offenbar nicht mehr als eine Möglichkeit, an meine Story zu kommen. Und ohne die Sicherungskopie hatte ich nichts mehr! Ich konnte nicht einmal beweisen, dass ich sie jemals geschrieben hatte!
Tränen brannten in meinen Augen. Ich hätte am liebsten laut aufgeschrien. Tagelange Arbeit, umsonst. Und Claude...? War dies nicht mal mehr ein One-Night-Stand, hatte er mich damit nicht gerade zu einem Mittel-zum-Zweck degradiert? Ich kam nur noch billig und betrogen vor. Benutzt...
Ich musste aus meinem Apartment heraus, ich konnte den Geruch der zerwühlten Laken und den Anblick der halbleeren Kaffeebecher nicht ertragen.
Später konnte ich nicht mehr sagen, wie ich überhaupt in den Planet gefunden hatte, wahrscheinlich hatte mich die Wut vorangetrieben. Die Wut auf Claude. Ich hätte ihn am liebsten in der Luft zerrissen, ihn gevierteilt... oh, der sollte mir unter die Augen kommen! Auf der anderen Seite sollte ich unbedingt vermeiden, dass die ganze Redaktion mitbekam, dass er sich so einfach in mein Bett geschlichen hatte. Dafür schämte ich mich viel zu sehr. Dass ich auf ihn herein gefallen war. Dass er mich so leicht hatte einwickeln können. Das würde mich nur zum Gespött machen. Oh, Claude, wehe dir, wenn ich dich erwische! Wenn ich dich zwischen die Finger bekomme!
Doch Claudes Schreibtisch war unbesetzt.
Ich stürmte in das Büro unseres Chefredakteurs, kein zaghaftes Anklopfen, kein vorsichtiges Vorgehen. Perry White sah erschrocken auf, als ich nicht anders konnte als mit der Tür ins Haus zu fallen: „Chef, wo ist Claude?“
Er schien verwirrt zu sein. „Ähm, Lois, Claude hat gemeint, dass er für eine Story in Texas ein paar Tage fort sein wird.“ Texas? Ein paar Tage? Dieser gemeine Widerling hatte sich einfach auf und davon gemacht! Das sah ihm ähnlich. Es verschlug mir die Sprache und so bekam Perry White die Chance fortzufahren, immer noch ein wenig konsterniert. „Es wundert mich, dass Sie das nicht wissen. Sie beide stehen sich doch recht nah, oder täusche ich mich da?“
Nah, ja... viel zu nah... Aber ab sofort nur noch in der Vergangenheitsform, das war sicher! Ich merkte nur noch, wie sich meine Hände von ganz alleine zu Fäusten formten. Wohin jetzt mit meiner Wut? Ich sagte nichts. Das hätte wahrscheinlich doch nur zum Ausdruck gebracht, dass ich gerade dabei war meine gute Erziehung zu vergessen. Stattdessen versuchte ich meine Atmung unter Kontrolle zu bringen.
Perry sah mich an, als überlegte er, ob es wohl gefährlich wäre in meiner Nähe, wenn ich nun explodieren würde. Nachdem sich meine Atmung etwas beruhigt hatte, fragte ich ihn: „Hat er noch irgendetwas gesagt?“ Meine Stimme klang holprig und viel zu hoch, aber ich war froh, mich soweit ganz klar artikulieren zu können. Ich war mir nicht sicher, was ich mir auf diese Frage erwarten würde, aber egal, gesagt war gesagt.
Nachdem ich gesprochen hatte, schien sich mein Chef etwas sicherer zu fühlen. „Nein. Er kam hier reingestürmt, gab mir seine Story, die es damit gerade noch in die Abendausgabe schaffte und war auch schon wieder weg.“
Der Schmerz traf mich wie ein Dolchstoß mitten ins Herz. Natürlich hatte ich es geahnt, aber nun wusste ich es: Die Story würde gedruckt werden. Mit seinem statt meinem Namen darüber. Er hatte es wirklich geschafft, sich die Story zu besorgen, noch rechtzeitig in die Redaktion zu bringen und sich dann in Sicherheit zu bringen. Dieser Schuft! Gemeiner Widerling, dieser...
Es fehlte nicht viel und ich würde vollkommen die Fassung verlieren.
Ich hatte keine Chance meinem Chef zu erzählen, dass diese Story mein Werk war, es gab keinen Beweis. Keinen einzigen. Ich hatte drei Wochen lang vollkommen verdeckt und ohne sein Wissen recherchiert und ermittelt. Es gab nur den geschriebenen Artikel und die Kopien auf Floppy-Disks – und beides hatte Claude sich 'besorgt'.
Bevor ich nun doch noch in Tränen ausbrach, verließ ich das Büro meines Chefredakteurs. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Ich konnte meinem strengen Chef schließlich nicht erklären, wie Claude an die Story gekommen war. Nein! Das auf keinen Fall, niemand sollte das jemals erfahren.
~ ~ ~
Die Wochen gingen ins Land und Claude tauchte nie wieder beim Planet auf. Aus den wenigen Tagen seiner Abwesenheit wurden Wochen, bis eines Tages ein offizielles Schreiben kam, in dem er die Auflösung seines Vertrages mitteilte. Das war kaum nötig, er war inzwischen bereits gekündigt worden, aber wer wusste, ob die Personalabteilung seine Adresse gehabt hatte. Ich würde niemals bestätigen, die Zeit heile alle Wunden, aber vielleicht war es so doch besser. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht womöglich eine Straftat begangen hätte, wenn er mir wehrlos gegenüber gestanden hätte.
Es war einer dieser langen Abende. Das Redaktionsbüro lag im Dunkeln, nur meine Schreibtischlampe legte einen Lichtkegel auf meinen Schreibtisch. Ich überlegte gerade, wie viel Statistik ich heute noch für den Artikel über die Entwicklung der Kriminalität in Metropolis von meiner Konzentration her noch schaffen würde, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte.
Die plötzliche Berührung, während meine ganze Aufmerksamkeit auf dem Schriftstück vor mir lag, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Panisch drehte ich mich um. Vor mir stand Perry White. Er riss die Augen auf. Erschrocken wich er vor mir zurück.
„Entschuldigung, Chef, ich habe Sie nicht erwartet...“ Langsam beruhigte sich mein wild klopfendes Herz wieder.
„Nein, Lois, ich muss mich entschuldigen“, rechtfertigte er sich hastig, „ich hätte mich nicht so anschleichen dürfen...“ Er lächelte. Auch ich antwortete ihm nun mit einem vorsichtigen Lächeln, nachdem ich ja nun wusste, dass nicht Norman Bates hinter mir stand.
„Machen Sie Schluss für heute“, Perrys warme, väterliche Art zeigte sich, „wenn der Chefredakteur geht, sollten die Reporter auch gehen. Na los, das liegt bestimmt auch noch morgen auf Ihrem Schreibtisch.“
Er hatte Recht, meine Augen brannten, meine Nackenmuskulatur war hart wie Stein, ich war müde. Nach zwölf Stunden Arbeit durfte ich das auch sein. „Okay, ich mache morgen weiter.“ Ich griff mir nur kurz meinen Mantel, machte das Licht aus und folgte ihm zu den Fahrstühlen.
Schweigend betraten wir die Kabine und er drückte auf den untersten Knopf. Während der Fahrstuhl nach unten fuhr, begann er langsam, ja fast vorsichtig zu sprechen: „Lois, ich habe heute die Nominierungen für den Kerth auf den Tisch bekommen.“ Aufmerksam sah er mich an. Warum erzählte er mir das? Was hatte das mit mir zu tun? „Claude Bouchardon ist nominiert mit der Reportage über die Mayer-Gerichtsverhandlung...“, sagte er ganz ruhig und beobachtete mich dabei sehr genau.
Mir blieb die Luft weg. Nominiert! Für meine Story... Das Messer, das bereits seit Wochen in meinem Rücken steckte, wurde gerade in der Wunde gedreht und noch ein wenig tiefer gestoßen. Meine Story... Dieser gemeine, hinterlistige, betrügerische... Ich...
Bisher hatte ich einfach nur versucht, das Erlebte zu vergessen. Diese vollkommen überflüssige Nacht zu verdrängen. Ich wollte diese Erfahrung möglichst aus meiner Erinnerung streichen. Es war mir von Tag zu Tag besser gelungen. So war ich überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass sich meine viel zu intensive Begegnung mit Claude wieder in mein Bewusstsein schlich. Und das auch noch vernichtender als ich es aushalten konnte. Er war nominiert worden für meine Story!
Die Tränen brannten gerade wieder in meinen Augen. Ich atmete schwer und dann brach es einfach aus mir heraus: „Chef! Das ist meine Story. Ich habe sie geschrieben...!“ Mehr konnte ich nicht sagen. Der Kloß in meinem Hals schnürte mir gerade die Kehle zu.
Ich drehte mich beschämt weg. Der Fahrstuhl stand schon in der Tiefgarage und das wahrscheinlich schon eine Weile, doch weder ich noch mein Chef rührten sich.
„Lois, ganz ehrlich, das habe ich schon fast vermutet.“ Erstaunt blickte ich ihn an. „Es ist der Stil, der ganze Aufbau, sachlich, strukturiert, logisch. Journalistisch eine Meisterleistung. Packend und umfassend, eben Ihr Stil, nicht Claudes.“, sagte er ganz ruhig und sachlich. „Warum haben Sie damals nichts gesagt? Sie hätten mir vertrauen können...“
Alles was ich in diesem Moment denken konnte, war: 'Vertrauen?! Oh nein! Ich vertraue besser niemandem mehr! Ganz sicher keinem Mann mehr!'
Erst später in meinem Wagen drängten sich die anderen Worte, die mein Chef mir gerade gesagt hatte, wieder in Erinnerung: 'Journalistische Meisterleistung' hatte er gesagt. War ich wirklich schon so weit, dass ich um Preise schrieb? Wenn dem so war, dann würde ich mir den Kerth 1991 erschreiben. Oh ja! Es war wie ein Schwur, wie ein Pakt, den ich mit mir selber schloss.
Mit diesem Gedanken im Kopf konnte ich auch wieder einigermaßen denken.
Lucy sah mich mit großen Augen an. „Ist aus der Nominierung ein Preis geworden?“
„Ja und ja.“ Nach so vielen Jahren konnte ich das ganz gelassen sagen. „Ja, er hat einen Kerth bekommen. Und ja, ich wurde 1991 nicht nur nominiert, auch ich habe einen bekommen. Meinen ersten. Und dann in all den Folgejahren“, sagte ich nicht ohne Stolz, „mit einer einzigen Ausnahme... '94 hat Clark einen bekommen“, bei dem Gedanken daran musste ich selbst heute noch lächeln, „damals hat mich das fuchsig gemacht. Inzwischen denke ich, einen, auf dem nur sein Name steht, hat er durchaus verdient. Ach ja, in den folgenden Jahren waren sie natürlich immer für Lane und Kent, aber dafür mit schöner Regelmäßigkeit.“
Lucy lehnte sich wieder zurück und nahm noch eine Handvoll Käsecracker. „Oh Lois, du hast dich einwickeln lassen von einem Akzent, von einer Stimme?“ Ihr Unverständnis ob dieser Banalität war ihr deutlich anzuhören.
Manchmal war sie doch einfach die naive kleine Schwester, dass sie diese Leidenschaft so gar nicht nachvollziehen konnte. „Hast du wirklich noch nie jemanden kennen gelernt, dessen Stimme dich um den Verstand gebracht hat?“ Ich ließ die Frage etwas wirken, aber da sie sowieso beschloss mir mit viel sagendem Schweigen zu antworten, fuhr ich provozierend und mit einem unterdrückten Lachen fort: „Und bitte, Schwesterchen, über deine Auswahlkriterien wollen wir in dieser Nacht lieber nicht reden. Nur eines dazu, besser sind sie auch nicht.“
Getroffen. Genau ins Schwarze. Lucy konzentrierte sich voll und ganz darauf, ihren Cracker nach einem scheinbar genau festgelegten Muster vom Rand her weg zu knabbern. „Mag sein.“ Nachdem sie den Cracker dann doch vollständig eliminiert hatte, fragte sie weiter: „Okay, nicht alle Franzosen sind gute Liebhaber. Gut zu wissen. Wie hast du das verkraftet?“
Ich nahm mir noch einen Schluck Prosecco. „Eigentlich gar nicht“, sagte ich nachdenklich, „Wenn ich heute an die Zeit danach denke, kommt mir alles so dunkel und grau in grau vor. Ich habe mich in mein Schneckenhaus verkrochen, keinen Mann auch nur angesehen, niemandem getraut und gearbeitet, als ginge morgen die Welt unter...“ Bei dem Gedanken daran wurde mir fast kalt. „Und dann habe ich Interviews als Dates bezeichnet. Ich habe mich mit Typen verabredet, wo klar war, dass daraus nie etwas wird. Erinnerst du dich an Mitchell, Alan oder an Barry?“
Lucy lachte herzlich. „Oh ja! Mitchell, der Hypochonder. Von fünf Terminen hat er höchstens einen eingehalten. Und Alan hast du wohl verschreckt. Ich glaube, der hatte einfach Angst vor dir. Kein Mann für starke Frauen. Und Barry, was war mit dem? An den kann ich mich gar nicht erinnern.“
Ich grinste. „Sein zweiter Vorname war Langeweile. Keine Chance, wirklich nicht. Der ging gar nicht.“
Meine Schwester sah mich herausfordernd an. „Gut, wer war dann der nächste?“
„Weißt du, Lucy, das ist jetzt wirklich eine schwierige Frage.“ Ich sah ihr Erstaunen und fuhr fort: „Eine ganze Zeitlang passierte nicht wirklich etwas Ernstes, Erwähnenswertes und dann, im September 1993 passierten drei Dinge und das auch noch fast gleichzeitig. Ja wirklich, es passierte innerhalb weniger Tage... Jedes einzelne dieser Ereignisse veränderte mein Leben nachhaltig.“, sagte ich bedeutungsschwer. Lucy war nun wirklich gespannt. „Alle zusammen brachten mich ganz schön aus der Bahn: Clark begann für den Daily Planet zu arbeiten. Er wurde damit mein Kollege und bald darauf mein Partner.“ Ich nahm mir auch einen Cracker, aber weniger weil ich ihn mochte. Eigentlich waren sie mir zu salzig; ich wollte meine Finger beschäftigen, während ich mit gesenktem Blick meine Aufzählung vervollständigte: „Nur zwei Tage später trat ich das erste Mal leibhaftig Lex Luthor gegenüber. Und nur weitere zwei Tage darauf sah ich das erste Mal in die Augen von Superman... während er mich fliegend nach Metropolis brachte... durch das große Fenster... beim Planet...“
Sie sah mich groß an, in der einen Hand ihr Glas Prosecco, in der anderen den nächsten Cracker, doch beides verharrte in der Luft. „Logisch... es liegt natürlich auf der Hand, dass Clark und Superman beinahe gleichzeitig auftauchten... Aber ich hatte ganz vergessen, Lex war ja auch genau in der Zeit...“ Sie schien fast geschockt, obwohl sie es doch schließlich wusste, sie war fast dabei. Damals wohnte Lucy für eine Zeitlang bei mir. Nur scheinbar hatte sie es vergessen. Verdrängt.
Was ich wirklich nachvollziehen konnte. Einen von den dreien würde ich auch gerne vergessen. „Ja“, ich lehnte mich zurück, war nur zögerlich bereit, das nächste Kapitel meines Lebens aufzuschlagen. Ich war mir nicht sicher, ob mir wirklich so wohl war bei dem Gedanken daran. Wer wusste schon, was für Erkenntnisse mir kommen würden, wenn ich es einmal in so geraffter Form darstellen würde...? Aber Lucy würde mir niemals verzeihen, wenn ich nun ausstieg, also fuhr ich mit einer gewissen Ehrfurcht fort: „Und mit dem schon fast zur Perfektion ausgereiften Geschick einer Versagerin in Beziehungsfragen verliebte ich mich unsterblich in den, den ich nicht haben konnte. Ich sagte 'ja' zu dem, der am schlechtesten für mich war. Und Nummer drei nahm ich noch nicht einmal wahr. Ja, in so etwas hatte ich wirklich ein Händchen.
Also, der nächste von dem ich dir erzählen werde, ist Superman...
Re: Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 12:00
von Magss
Die eiskalte Schulter
Gab es Liebe auf den ersten Blick?
Diese Frage hatte Philosophen schon seit Jahrhunderten, ja, wohl eher seit Jahrtausenden beschäftigt. Was sollte auch einen Menschen dazu bringen, sich nach nur einem einzigen Blick in ein anderes Wesen zu verlieben? Wenn man noch nichts über dieses Wesen wusste, keine Eigenschaft kannte, das Verhalten in Krisensituationen noch nicht ausgetestet war. Also, gab es das wirklich – Liebe auf den ersten Blick? Konnte man sich augenblicklich in jemanden verlieben, ohne etwas über ihn zu wissen?
Die Antwort konnte nur 'nein' lauten.
Warum verliebte ich mich also in Superman?
Misstrauen und Zynismus hatte mich, was Männer anging, mit den Jahren gelehrt vorsichtig zu sein, oder genauer gesagt, ablehnend zu sein. Männer wollten immer nur das Eine. Sie manipulierten, sie logen, betrogen, hintergingen und das immer und immer wieder. Ich hatte wirklich ernsthaft und streng analytisch über eine Alternative zu ihnen nachgedacht. Aber es gab keine, jedenfalls nicht für mich. Da war es immer noch besser, alleine zu bleiben. Doch das war gar nicht so einfach.
Ich war Mitte zwanzig.
Die Welt erwartete alles Mögliche von mir: Da war mein Job, den ich natürlich gut machen sollte – kein Problem. Meine äußere Erscheinung, mein Unterhaltungswert auf Partys, ein wenig Engagement für sozial Schwache, eine schicke Wohnung, mein Auto, in alledem entsprach ich den Erwartungen. Dann waren da noch die Erwartungen, nun ja, weniger von der Welt als mehr von meiner Familie. Wobei meine Mutter mindestens so auftreten konnte wie die halbe Welt. An Männern hatte sie sowieso ständig etwas auszusetzen. Sie alle, selbst meine Mutter, erwarteten einen Mann an meiner Seite. Einen respektablen, natürlich.
Ich musste allerdings gestehen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was sich gerade meine Mutter unter einem respektablen Mann vorstellte. Bisher hatte sie an keinem auch nur ein gutes Haar gelassen. Fand sie hingegen nichts, was sie an einem auszusetzten hatte, dann war er eben zu gut, um wahr zu sein.
Es war nicht so, dass ich gefragt wurde, ob ich nicht endlich heiraten wollte. Nein, aber kaum, dass ich mal sagte, ich hätte keine Zeit, kamen so Fragen wie: Gehst du aus? Gibt es einen Mann? Hast du etwas fürs Herz gefunden? Was machen die Männer?
Aber meine Erfahrungen sagten mir nun einmal, dass Männer das Leben eher erschwerten als es zu erleichtern. Natürlich träumte auch ich den ewigen Traum von einem Traumprinzen, ganz tief in mir drinnen, manchmal sogar vollständig verborgen.
Aber träumten nicht alle Frauen von dem Ritter auf dem weißen Hengst? Von dem modernen Lancelot? Einem sagenhaftem Helden? Dem Drachenbezwinger der Jetztzeit? Dem namenlosen Prinzen, der Dornröschen zwischen Computer und Hightech gegen alle Widrigkeiten findet und erlöst? Ja, ich glaube alle Frauen träumten davon, jedenfalls die, die keinen Prinzen in ihrem Bett liegen hatten.
Die größte Angst dabei war ja, dass dieser Prinz uns über den Weg lief und wir ihn nicht erkannten, nicht sahen, weil wir abgelenkt waren, oder gerade keinen Blick für Prinzen hatten.
All das war bei mir nicht so. Er lief mir über den Weg, ich sah ihn an, sah ihm in seine Augen und in diesem Augenblick, in dieser einen Sekunde, passierte alles: Ich wusste, das ist mein Prinz. Mein Traum. Der Held meiner schlaflosen Nächte. Die Flamme meiner Tagträume. Es traf mich wie ein Blitz, wie ein Funke, der übersprang. Entfachte mich. Ich konnte nichts dagegen tun. Absolut nichts. Und ich wollte nichts dagegen tun.
In der einen Sekunde dachte ich noch, mein Leben wäre zu Ende und in der nächsten Sekunde stand er vor mir. Ich fauchte ihn ungeduldig an: „Hey, fassen Sie das nicht an! Was für ein Irrer sind Sie eigentlich? Das ist eine Bombe!“ Oh ja, das waren wirklich die ersten Worte, die ich zu ihm sagte. Nicht besonders feinfühlig. Aber ich war durch die Tatsache, dass ich im nächsten Moment mein Leben lassen würde, wirklich durcheinander. Wie auch immer, er stand also vor mir, in einem blauen, hautengen Anzug mit einem roten Cape. Und wenn ich sage hauteng, so ist das wirklich wortwörtlich zu verstehen. Meine Güte, diese blauen Strumpfhosen verbargen absolut nichts. Schon ein Hingucker. Wo war ich? Ah ja, er war aus dem Nichts aufgetaucht. Ich sagte ihm, da sei eine Bombe, und er ging einfach darauf zu und schluckte den Sprengstoff samt Zünder!
Na fein, dachte ich bei mir, werde ich wenigstens nicht alleine in Stücke gerissen. Das letzte, was ich davor erleben durfte auf dieser Erde, war ein netter Anblick. Die Bombe explodierte - in seinem Magen, oder besser gesagt in seinem Inneren. Denn dass dieser Mann kein Mensch sein konnte, war mir genau in dem Moment der Explosion klar. Es rumpelte nur dezent in seinem Inneren, mehr nicht. Und wenn er kein Mensch war, hatte er ja vielleicht auch keinen Magen, sondern... aber rein äußerlich sah er so menschlich aus.
Die Detonation verursachte Luft in seinem Inneren, worauf er sich sofort für diesen unanständigen Rülpser entschuldigte. Hatte er wirklich geglaubt, ich würde mit ihm Benimm-Regeln diskutieren, nachdem er mir und den hundert Kolonisten gerade das Leben gerettet hatte?
Doch ich bekam keine Chance auch nur eine einzige Frage an ihn zu richten. Nach dieser Aktion kamen unendlich viele Leute, die unendlich viele Fragen hatten, genau wie ich. Sie kamen von überall her. Stattdessen gab es einige unangenehme Fragen an mich, wie ich überhaupt auf diese Fähre gelangen konnte. Glücklicherweise waren alle wegen der vereitelten Explosion so durcheinander, dass ich um die Beantwortung herum kam. Als sich dann auch noch dieser Mann in seinem blauen Anzug bereit erklärt hatte die Fähre doch in den Orbit zu bringen, vergaßen sie mich ganz.
Er nannte keinen Namen, hatte einfach nur gesagt, er sei ein Freund. Welch eine pathetische Antwort – und so nichtssagend. Ich war vollkommen durcheinander. Mein normalerweise recht scharf arbeitender Verstand schien gerade überfordert zu sein.
Die Kolonisten der Transportfähre weigerten sich, mich mit in den Orbit zu nehmen. Da hatte ich mir nun so viel Mühe gegeben und dann war diese verhinderte Explosion daran Schuld, dass ich doch nicht ins All kam. Gut, hätte der Mann mit dem roten Cape das nicht verhindert, wäre ich auch nicht ins All gekommen, dafür aber sicher tot.
Also sollte ich nicht undankbar sein. Ich tröstete mich damit, bei dem allerersten Auftreten dieses unbekannten, unerklärlichen Wesens vor Ort gewesen zu sein. Genau dort, wo ein Reporter hingehörte. Er war unglaublich, vollkommen überwältigend, einfach ein super Mann. Bisher hatte ihn noch niemand zu sehen bekommen, da war ich mir ganz sicher. Die Presse hätte es doch erwähnt.
Ich musste also die Raumfähre verlassen, was ich fluchend und unter lautem Protest tat. Wahrscheinlich konnte ich sogar noch froh sein. Die sich überstürzenden Ereignisse hatten dazu geführt, dass niemand daran dachte, mein Durchtrennen der Hauptstromleitung als einen Sabotageakt zu sehen, sonst hätte das FBI mich sicher sofort verhaftet.
Der Unbekannte beförderte also die Raumfähre ins All, mit seinen bloßen Händen! Doch das Unglaubliche, das Unfassbare nahm immer noch kein Ende. Nur wenige Minuten später stand er wieder neben mir und sagte mit einer tiefen, angenehmen, ja heroischen, männlichen Stimme zu mir: „Miss Lane, Sie sollten jetzt in Metropolis sein, beim Planet. Ich bringe Sie dort hin. Kommen Sie!“ Und wie um seine Worte zu unterstreichen, streckte er mir seinen Arm entgegen.
Er kannte meinen Namen! Er wusste, dass ich aus Metropolis war! Und er wusste, dass ich für den Planet arbeitete! Er schien nicht nur kein Mensch zu sein, sondern auch noch allwissend. Ein wahrhaftiger Gott. Oder konnte er womöglich meine Gedanken lesen? Das wäre ja nicht auszudenken.
Er wollte, dass ich auf ihn zutrat, winkte ganz sachte mit seinen Fingern. Normalerweise tat ich selten, was jemand von mir wollte. Ganz besonders Männern gegenüber war ich doch im Laufe der Zeit sehr skeptisch geworden. Aber hier lag der Fall anders – ich sah nicht in erster Linie den Mann. Vor mir stand die Sensation schlechthin, die Story meines Lebens, das Interview des Jahrhunderts. Ich machte diese zwei Schritte auf ihn zu und dann sah ich ihm in seine Augen.
Schokobraun waren sie. Und all die Güte und Wärme dieser Welt leuchtete aus ihnen und er schien mich mit seinem Blick gefangen zu nehmen. Niemals zuvor hatte ich solche Augen gesehen. Da war Sensibilität und Entschlossenheit. Aber auch Gerechtigkeit strahlte mich an. Und Zärtlichkeit... Ich hatte gerade gesehen, wie dieser Mann eine Raumfähre von mehreren tausend Tonnen mit seinen bloßen Händen ins All angeschoben hatte! Er konnte fliegen! Explodierende Bomben konnten ihm nichts anhaben! Doch bei all dieser übermenschlichen Stärke zeigten seine Augen Weichheit und etwas Vertrautes, etwas, nach dem ich schon mein ganzes Leben lang gesucht hatte.
Das war dieser Moment, die eine Sekunde, in der alles passierte. Alles, was ich bisher erlebt hatte, verlor an Bedeutung. Von diesem Augenblick an würde alles anders sein. Die Welt um uns herum verschwand, ich sah nur noch ihn. Ich war mir sicher, emotional nicht noch mehr ertragen zu können, doch er lächelte mich an. Ich war verloren. Alles begann. Ich stand vollkommen in Flammen. Der Unbekannte nahm mit einer ruhigen Bewegung meinen Arm und legte ihn vorsichtig um seinen Nacken, dann umfasste er meine Taille. Nein! Das würde ich nicht aushalten. Mir stockte der Atem. Nicht berühren – das würde mir auch noch den letzten Rest an Verstand rauben!
Doch er ließ sich nicht beirren und fuhr einfach fort, lächelte noch dabei. Mir wurde schwindelig. Seine andere Hand griff unter meine Knie und er hob mich hoch. Mein Herz setzte aus und schlug gleichzeitig wie wild. Einen kurzen Moment schloss ich meine Augen. Ich traute mich kaum, sie wieder zu öffnen. Was wäre, wenn ich feststellen müsste, dass alles nur ein gemeiner, weil viel zu guter Traum war? Doch meine Hand auf den festen Muskeln seiner Schulter, das fühlte sich so gut an – und so real. Und dann hob er von der Erde ab... Er schwebte... flog... trug mich auf seinen Armen und wir stiegen in die Luft.
Selbst mit geschlossenen Augen war mir das klar; das Stimmengewirr um uns herum wurde immer leiser und das recht schnell.
Wir flogen!
Mein Atem ging stoßweise und so befahl ich mir, tief und entspannt durchzuatmen. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich diesen Moment verpassen würde, weil ich das Bewusstsein verloren hätte. Und ich war wirklich nah dran. Wahrscheinlich war es meine Neugierde, die mich meine Augen wieder öffnen ließ. Ich musste sehen, dass dies wirklich passierte. Ich musste ihn ansehen, natürlich. Ich musste wieder in diese Augen sehen, bekam nicht genug davon. Es war nicht einfach seine Erscheinung, oh nein, das wäre wirklich viel zu einfach gedacht. Es war die Güte, die er ausstrahlte. Er rettete die Raumfähre, die Kolonisten und mich. Er ließ die Schar an Journalisten in Cape Canaveral einfach stehen und brachte mich nach Metropolis. Er konnte fliegen! Er schien mich zu kennen... Es war einfach die Sensation des Jahrtausends.
Ich riskierte einen kurzer Blick nach unten, wir waren sicher einige Tausend Fuß hoch. Der Wind zerrte an meinen Haaren, aber sonst war es ganz ruhig. Und er? Ich war mir nicht sicher, ob ich erwartet hatte, dass er mit den Flügeln schlug. Was er nicht tat. Das war auch gut so, denn er hielt mich in seinen Armen. Er schien sich nur durch seine Willensanstrengung in der Luft zu halten. Dabei lächelte er mich an.
Wer war er? Was war er? „Du bist nicht von hier, oder?“, stammelte ich atemlos und ärgerte mich doch auch gleich über den unprofessionellen Einstieg in dieses Interview. Schlimm genug, dass es so lange gedauert hatte, bis die Reporterin in mir wieder erwacht war. Natürlich musste ich die Chance nutzen und ihn befragen. Ich war schließlich Reporterin. Ich war schließlich Lois Lane! Gut, dass ich mich wenigstens jetzt daran erinnerte.
Auf meine erste Frage antwortete er mir mit einem Lächeln: „Nein, ich komme von einem anderen Planeten.“ Oh, dieses Lächeln, wie das Tor zur Seligkeit. Ich konnte gar nicht recht sagen, was daran so ungewöhnlich war, doch wenn ich mich in diesem Lächeln verlor, das alleine war schon wie Fliegen. Lois! Konzentriere dich, verdammt noch mal! Schlimm genug, dass ich mir keine Notizen machen konnte.
Meine Stimme klang zittriger als ich das wollte. Vielleicht lag es ja auch an dem... ja, wie sagt man, Flugwind? „Gibt es noch mehr von deiner...“, wie nannte ich das jetzt bloß, ohne ihn zu beleidigen, oder einfach als unwissend zu erscheinen? „Spezies?“ Ja, Spezies klang gut, hatte nichts von Alien-Invasion. Denn selbst das Wort Rasse hatte manchmal einen unangenehmen Beigeschmack. Spezies war genau das richtige Wort. Gut Lois!
Er wurde ein wenig undeutlich vor meinen Augen. Oh nein, was war das?! Ich sah mich irritiert um. Wir flogen durch eine große, tiefhängende Cummuluswolke. Die kalte Feuchtigkeit spürte ich auf meiner Gesichtshaut. Überraschenderweise wurde mir nicht kalt, die Wärme, die von seinem Körper ausging, schien sich auf mich zu übertragen. Eine bessere Erklärung hatte ich nicht.
Glücklicherweise schien er viel ruhiger zu sein als ich. Ich war doch ziemlich nervös, wie ich mir selber eingestehen musste. So beantwortete er mir auch einfach meine Frage, die ich schon fast wieder vergessen hatte: „Mir ist nicht bekannt, dass noch ein Mann auf der Erde fliegen kann, Miss Lane. Soweit ich weiß, bin ich der Einzige.“
Er war der einzige Außerirdische und ich durfte mit ihm fliegen! Fliegen! Ich musste mir dieses Wort immer wieder auf der Zunge zergehen lassen. Ich flog - nur der Wind in meinem Haar - genoss ich einen fantastischen Ausblick auf die Ostküste, sah am Horizont das Blau des Atlantischen Ozeans, kein Motorengeräusch, das ablenkte... es war überwältigend!
„Ha... haben Sie eine Partnerin?“ Lois! Was hast du dir bloß bei der Frage gedacht? Was würde er jetzt von dir denken? Sicherlich würde er nun denken, dass ich nur wissen wollte, ob er noch zu haben wäre... Genau das war es, was ich wissen wollte. Die nächste Frage drängte sich auch gleich auf, 'Willst du mich?', die ich aber glücklicherweise nur dachte und nicht auch noch so unkontrolliert ausplapperte. Lois, reiß dich zusammen! versuchte ich mich zur Räson zu bringen.
Und er? Er grinste! Ich wusste es, ich machte mich lächerlich. Doch dann schüttelte er den Kopf. Egal, wenigstens wusste ich nun, was ich wissen wollte.
Der Flug von Cape Canaveral nach Metropolis dauerte nur wenige Minuten. Viel schneller als es mir recht war, sah ich meine Heimatstadt bereits unter uns auftauchen. Zielstrebig flog er auf die Insel im Zentrum zu und steuerte dann den Planet an. Noch einmal gelang es ihm, mich zu verblüffen. Er visierte genau das Stockwerk an, in dem sich die Redaktion des Daily Planets befand. Er flog auf das große Fenster zu, stieß es auf und daraufhin glitten wir unter den staunenden Blicken aller Kollegen der Zeitung auf den Boden, wo er mich an meinem Schreibtisch absetzte.
Nun hatte ich zwar wieder festen Boden unter den Füßen, war aber immer noch vollkommen atemlos, verwirrt, nervös, aufgeregt, durcheinander, sprachlos – und glücklich.
Jedoch hielt die Sprachlosigkeit nicht so lange an, um mir nicht gleich ein Exklusivinterview zu sichern, natürlich nicht.
Ich war es auch, die diesem Gott in einem Cape seinen Namen gab, worauf ich durchaus stolz war. Cat fragte, ob man wüsste, wofür das 'S' auf seiner Brust stand. Wie von selbst, als käme es aus den Tiefen meines Herzens, hauchte ich immer noch völlig aufgewühlt: „Super – man!“ Ich sah ihm noch immer hinterher, als er schon längst wieder in den Himmel aufgestiegen war.
Mit diesem Ereignis war so viel passiert. Ich wusste nun mit absoluter Sicherheit, dass es Liebe auf den ersten Blick gab. Ich wusste, es gab den perfekten Mann für mich. Er war die Erfüllung aller meiner Träume. Da war die Güte, die ich in seinen Augen gesehen hatte. Die Stärke und diese Sanftheit. Er hatte in der Raumfähre gesagt, er wollte helfen. Das wollte ich auch, es war mir ein tiefes Bedürfnis und auch der Antrieb für meine Tätigkeit beim Planet, den Menschen zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Er erschien mir gebildet und klug. Er hatte alle Macht dieser Welt und doch spürte ich instinktiv, dass er sie niemals missbrauchen würde. Genauso wie ich das sichere Gefühl hatte, dass er mich niemals verletzen würde. Er sah gut aus. Nein, diese Worte trafen es nicht annähernd, dieser Adonis in blau sah fantastisch aus. Legendär, überwältigend, himmlisch...
Der Erste, der sich meine Schwärmerei anhören musste, war Clark, mein neuer Partner. Erstaunlicherweise hörte er mir ziemlich geduldig zu, ja fast interessiert.
~ ~ ~
Dieses Exklusivinterview bekam ich tatsächlich. Das erste Interview mit dem Außerirdischen - Superman! Weltweit, überhaupt und natürlich exklusiv. Ich war mir nicht sicher, ob ich dabei eine gute Figur gemacht hatte. Er kam ja schließlich ganz spontan und ohne jede Vorankündigung vorbei. Doch statt am Computer etwas ganz Wichtiges zu suchen oder gerade einen brillanten Artikel zu verfassen erwischte er mich, während ich mich gerade abzulenken versuchte. Ich saß gemütlich an meinem Schreibtisch, die Füße auf dem Tisch, während ich gerade versuchte Chocoballs mit dem Mund aufzufangen... Ich hätte ihm so gerne gezeigt, dass ich sehr ernsthaft und gewissenhaft arbeitete, statt dessen spielte ich herum und zeigte ihm auch gleich noch meine größte Schwäche – Schokolade. Nicht der allerbeste Eindruck. Nicht der, den ich so gerne bei ihm erweckt hätte – klug, gewandt und verdientermaßen eine sehr gute Reporterin. Und er? Er machte durchaus eine gute Figur, oh ja.
Ich konnte nicht umhin, ihn anzustarren, so unauffällig wie nur möglich und doch konnte ich meine Augen nicht von ihm lassen. „Es sieht ja nun so aus, als hätten Sie alle... Teile, die ein Mann so braucht...“, stammelte ich verlegen. Oh, Lois! Was für eine Frage! Hoffentlich vertuschte die schummerige Beleuchtung im Planet-Redaktionsbüro dabei meine rot angelaufenen Wangen. Sie brannten wie Feuer. Aber... es war mir ganz spontan eingefallen – und es interessierte mich wirklich.
„Ich bin ein Mann, Lois. Genauso wie Sie eine Frau sind.“ Das sagte er ganz ruhig und gelassen.
In meinem späteren Artikel habe ich es aber nicht erwähnt. Ich fühlte mich ein wenig hin und her gerissen zwischen meiner persönlich Neugierde und meinem allzu offensichtlichen Interesse daran. Dem Interesse an dem Mann in ihm. Die ganze Zeit spukte mir die Idee durch den Kopf, dass er mir so ideal erschien. So ideal für mich. Wenn ich nun auch noch in meinem Artikel darauf hingewiesen hätte, dass er ausgesprochen männlich und wirklich ein Mann war, hätte ich mir damit nicht ungefähr zwei Milliarden Konkurrentinnen erschrieben?
Bei den folgenden Fragen gelang es mir – nun ganz professionell – dann doch noch, mir mein persönliches Interesse nicht mehr anmerken zu lassen. „Warum bist du hier?“
Er schien einen Augenblick zu überlegen. „Um zu helfen.“
Hm. Das war nicht gerade die Antwort eines Superhelden. Es war offensichtlich, dass es sein erstes Interview war, das er gab. „Um zu helfen? Ich brauche eine besseres Zitat von dir. Etwas wie 'Ich habe noch nicht einmal angefangen' oder 'Ich kämpfe für Wahrheit und Gerechtigkeit...', so etwas in der Art“, versuchte ich ihn zu überzeugen, ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Ich hatte nämlich durchaus ein gesteigertes Interesse daran, dass er bei diesem einzigen Interview besonders gut abschnitt. Umso höher stieg das Ansehen der Person, die ihn interviewt hatte – ich.
„Wahrheit und Gerechtigkeit...“, er zog grüblerisch die Augenbrauen zusammen, „Das klingt gut. Das können Sie schreiben.“ Somit verhalf ich dem Mann aus Stahl nicht nur zu seinem Namen, sondern auch zu seinem Credo. Es war gerade mal ein paar Tage her, dass wir uns das erste Mal begegnet waren und schon gab es so viel, was uns verband.
Ein Hilferuf, den er hörte, verhinderte, dass ich ihm die ungefähr zweitausend anderen Fragen stellen konnte. Doch dieser Artikel wurde eine ganz große Sache, bekam eine ganze Seite, die Titelseite natürlich, obwohl wir nur ein paar Minuten geredet hatten. Das war halt Zeitungs-Geschäft.
~ ~ ~
Nur ein paar Tage später besuchte er mich in meinem Apartment. Ich wunderte mich inzwischen nicht mehr darüber, dass er natürlich auch wusste, wo ich wohnte.
Nichts ahnend hatte ich mein Fenster offen stehen gelassen, als ich plötzlich ein merkwürdiges Geräusch hörte. Es klang wie ein „Wusch“. Die Gardinen bäumten sich auf, ein Windzug ging durch mein Apartment und Superman stand in meinem Fenster. Er lächelte freundlich. „Darf ich reinkommen?“
Oh nein! Superman in meinem Apartment. Ich hatte nicht aufgeräumt, nasse Haare und wirklich bequeme, aber nicht sehr kleidsame, Freizeitklamotten an. Auf der anderen Seite war unsere letzte Begegnung nicht wirklich ein Interview gewesen. Wir waren gezwungen gewesen vorzeitig abzubrechen, es hatte einen 'Job' für Superman gegeben. Also versuchte ich das Peinliche an diesem Moment zu ignorieren, schob meine Vorbehalte pragmatisch beiseite und sagte lächelnd: „Superman! Natürlich... Ich freue mich... Komm doch herein.“ Oh nein! Ich konnte es kaum glauben, Superman in meinem Apartment! Ich, ganz alleine mit ihm, hier, bei mir! Das wird er doch sicher nicht mit jedem wissbegierigen Reporter dieser Welt machen. Er hätte ja kaum noch Zeit für einen Rettungseinsatz. Das Interesse an ihm, dem unbekannten Außerirdischen war schließlich überwältigend. Doch er war zu mir gekommen. Zu mir! Zu Lois Lane! Das Gefühl, das mich durchströmte, war kraftvoll und machte mich ganz kribbelig. Ich spürte Stolz und eine tiefe Zufriedenheit. Ja! Das roch nach Pulitzer oder wenigstens nach Kerth.
Ich griff mir schleunigst meine Tasche, die ich nachlässig einfach auf meinem Sofa hatte fallen lassen und stellte sie daneben. So hatten wir wenigstens beide Platz zum Sitzen. Ich hätte gerne noch etwas aufgeräumt, doch dazu war nun keine Zeit mehr. Dabei ließ ich meinen Gast nicht eine Sekunde aus den Augen. „Setz dich doch.“
Ich war immer noch nicht in der Lage, wieder normal zu atmen und mein Herz schlug ungefähr tausendmal in der Minute. So befahl ich mir zum wiederholten Male, mich zu konzentrieren. Ich saß angespannt auf meinem Sofa und mir gegenüber saß ein entspannter Superman. So kam er mir wenigstens vor. Er lächelte und beobachtete mich dabei. Aber in seinen Augen war etwas Unruhiges, aber wie konnte das sein? Unsicherheit passte so gar nicht zu diesem fliegenden Gott.
„Nun, Miss Lane“, oh Himmel, dieses Stimme! Tief, warm, männlich oder in seinem Fall eher überirdisch, nur eben maskulin-überirdisch. „Wir waren ja neulich gezwungen unser Interview vorzeitig zu beenden. Aber vielleicht haben Sie ja noch die eine oder andere Frage...“ Das klang so entgegenkommend, so vorausschauend.
Ich schickte ein Dankgebet an den Journalisten-Gott. Ein Prominenter, der sich selbst einer angesehenen Reporterin stellte, das war wie ein Wunschtraum, der wahr wurde. Und dann auch noch dieser Prominente! Oh ja, und ich hatte Fragen, ungefähr Tausend für den Anfang. Er kam von einem anderen Planeten, Krypton, doch wie war er hierher gekommen? Wann? Was war mit den Anderen seiner Spezies? Lebte er schon lange auf der Erde? Wenn ja, wo? Er hatte gesagt, sein Ziel sei es zu helfen. Warum? Wo hatte er gelernt, so hohe Wertmaßstäbe für sich anzulegen? Wo lebte er, wenn er nicht durch die Luft flog? Lebte er alleine dort? Verhielt er sich sonst wie ein Mensch, wie ein Mann? Konnte er lieben wie ein Mann von der Erde, physisch und emotional? Diese Frage interessierte mich ganz besonders. Ich errötete beschämt über meine Direktheit, auch wenn ich diese Frage nur in Gedanken stellte und nicht laut aussprach.
Superman sagte mir zu, mir bereitwillig alles zu beantworten, soweit er es selber erklären konnte. Während ich also meine Notizen machte und meinen Blick immer mal wieder über seinen Körper wandern ließ, nickte ich ihm aufmuntern zu. Immer in der Hoffnung, dass er nicht bemerkte, wie intensiv ich ihn musterte. Er erzählte mir, dass er mit seinen besonderen Fähigkeiten den Menschen helfen wollte. Es käme ihm nicht in den Sinn, seine Kräfte zu nutzen, um die Erde zu beherrschen. Er wollte lieber für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen. Was für fantastische Oberarme er doch hatte. Seinen linken Arm hatte er lässig auf die Rückenlehne meines Sofas gelegt. Ich atmete noch einmal durch und blickte lieber wieder auf meine Notizen. Er meinte, dass er nicht erst seit einer Woche, seit seinem ersten Auftauchen, auf der Erde sei. Seine Angabe zu dem Zeitpunkt, wann er denn auf die Erde gekommen war, war leider sehr schwammig. Nur dass er von Krypton käme, gab er unumwunden zu. Das Wort 'Krypton' unterstrich ich mir auf meinem Zettel. Ich musste im Planet unbedingt versuchen mehr darüber herauszufinden. Oh Himmel, was für Oberschenkel...
Als nächstes fragte ich ihn nach seinen Kräften. Doch das war ein schwieriges Unterfangen. Ich fand seine Bescheidenheit vollkommen unangebracht und musste ihm jede einzelne Fähigkeit aus der Nase ziehen. Später hatte ich auf meinem Notizzettel verschiedene Stichworte stehen, 'schnell - umrundet die Erde in ein paar Sekunden', 'stark – kann eine Raumfähre anheben', 'Röntgenblick', 'Supergehör', 'unempfindlich gegenüber Feuer oder Strahlung'. Ohne dass er es explizit sagte, ergänzte ich 'fliegen'. Das hatte ich ja schließlich schon kennen gelernt.
„Superman, bist du unverwundbar?“, fragte ich sachlich und ernst. Diesmal musste ich meinen Blick wieder von seinem Körper losreißen, von seinem Brustkorb, seinem Waschbrettbauch und sah ihm lieber in seine Augen.
Er antwortete mir genauso ernst und offen: „Ich bin mir sicher, dass jeder eine Achillesferse hat. Aber ganz ehrlich, ich habe meine noch nicht kennen gelernt.“ So notierte ich mir also 'höchstwahrscheinlich unverwundbar'.
Es war nicht der letzte Besuch dieser Art. Obwohl sie längst nicht alle diesen Interview-Charakter hatten. Oftmals plauderten wir auch nur ein wenig. Für diese meist abendlichen Besuche ließ ich eines meiner Fenster immer offen stehen.
In den darauf folgenden Wochen sahen wir uns immer mal wieder und zwar immer dann, wenn ich in Schwierigkeiten steckte. Lebensbedrohliche Situationen bekamen eine ganz neue Qualität für mich. Wenn ich nicht solch einen Respekt vor dem Leben und solche Angst vor dem Tod hätte, hätte es mir fast verlockend erscheinen können, mich vorsätzlich in Gefahr zu bringen. Aber auch nur fast.
Auf der einen Seite bescherte mir die Anwesenheit Supermans in Metropolis beruflich einen unglaublichen Boom. Ich führte fast jedes Interview mit ihm und ich schaffte es auch ziemlich häufig in Rettungsaktionen mit ihm verwickelt zu werden. Es machte auf mich fast den Eindruck, als sei er immer in der Nähe. Auf der anderen Seite war ich nie in meinem Leben so abgelenkt wie in dieser Zeit. Bis dahin hatte ich geglaubt, dass eine erwachsene, abgeklärte und welterfahrene Frau sich doch etwas besser unter Kontrolle haben sollte. Weit gefehlt.
Wenn ich ihn sah, hoffte ich nur darauf, dass auch er mich ansah. Und wenn ich dann nachts alleine in meinem Apartment saß und den Tag mit all seinen Höhen und Tiefen Revue passieren ließ, verfiel ich nur allzu oft in die abstrusesten Träumereien. Viele dieser Träume waren nicht jugendfrei. Ich meine, frau brauchte ihn sich doch nur anzusehen und bekam bereits einen sehnsuchtsvollen Blick. Da ging es mir sicher wie fast jeder anderen Frau auch. In meinen harmloseren Träumen versprach er mir immer eine gemeinsame Zukunft, ein Leben zu Zweit und natürlich, dass er mich liebte.
Das warf weitere Fragen auf, wie würde ein Leben mit Superman wohl aussehen? Wo lebte er überhaupt? Vielleicht in der Arktis in einer Eishöhle? Oder in der Wüste, in einem unterirdischen Palast? Vielleicht ja auch dem Gipfel eines Berges, den er nur fliegend erreichen konnte, mit dem Blick über die ganze Welt. In einem Gebäude ganz aus Glas? Oder in einem Vulkan?
Ein Ort war exotischer als der nächste, aber ich konnte ihn mir einfach nicht in einem Farmhaus auf dem Lande oder in einer Stadt-Wohnung für 900 $ vorstellen. Überhaupt, hatte er Geld, ein Bankkonto, oder ein Auto? Aber was sollte er mit einem Auto? Musste er jemals schlafen, hatte er ein Bett und zog er den Anzug mal aus... Sofort versuchte ich mir vorzustellen, wie seine Schultern wohl unter dem Anzug aussahen. Lois! Meine Gedanken schweiften schon wieder ab.
Das wurde auch noch schlimmer, nachdem ich ihn das erste Mal geküsst hatte. Das war nach dieser Pheromon-Affäre. Ganz am Ende, als alles schon wieder im Lot war, stand ich Superman auf dem Flugplatz gegenüber, er hatte gerade die 100%ige Lösung von 'Revanche' eingeatmet. Moral, Ethik, Anstand und meine gute Erziehung verboten es mir, dass ich die Situation ausnutzte. Doch er sah mich mit einem geradezu verzehrenden Blick an – da konnte ich einfach nicht widerstehen. Nur einmal noch deine Lippen spüren – Küsse wie Honig auf meiner Seele...
Doch dieser Kuss machte es nur noch schlimmer, danach waren meine Träume in der Nacht noch viel weniger jugendfrei.
Glücklicherweise konnte ich ihm auch helfen. Wie zum Beispiel bei dieser im ersten Moment unerklärlichen Hitzeentwicklung in Metropolis. Ich war es, die bewies, dass er gar nichts zu tun hatte mit diesen außer Kontrolle geratenen Wetterphänomenen. Auch bei der Geschichte mit diesem geklonten Superman half ich ihm, soweit es in meiner Macht stand. Er hatte mir schon soviel gegeben, da war ich einfach nur froh, ihm wenigstens etwas zurückgeben zu können.
Über die Zeit waren wir Freunde geworden und ich war mir absolut sicher, auch ich bedeutete ihm etwas. So viel wie er mir bedeutete? Ich wusste es nicht, aber ganz sicher war ich ihm nicht gleichgültig. Ich träumte also während der ganzen Zeit davon, dass wir beide ein märchenhaftes Paar abgeben würden. Er schien mir einfach in jeder Hinsicht perfekt zu sein. Doch plötzlich sah ich mich gezwungen aufs Ganze zu gehen. Konnte ich ahnen, dass es wirklich viel komplizierter als kompliziert sein würde...?
~ ~ ~
So träumte ich also vor mich hin. Und wenn sie nicht... Nein.
Da gab es auch noch ein sehr reales Leben, eines, das mir gerade in dieser Zeit eine sehr wichtige Entscheidung abrang. Eine Entscheidung, die ich nicht treffen konnte, ohne zu wissen, ob denn mein Traum Hoffnung auf Erfüllung hatte.
Lex Luthor, einer der reichsten Männer der Welt, hatte mich tatsächlich gefragt, ob ich ihn heiraten wollte. Die Entscheidung war für sich genommen schon sehr schwer zu fällen. Auch ohne meine emotionale Verstrickung. Erschwerend kam hinzu, dass ich mir sicher war, diese Frage kein weiteres Mal in meinem Leben gestellt zu bekommen. Einer war bereit, den Rest des Lebens mit mir zu verbringen. Lex. Doch ich hatte das Gefühl, mein Herz gehörte einem anderen – Superman - der aber gar nichts davon wusste. Hatten wir beide denn überhaupt eine Chance?
Das war die entscheidende Frage. Gab es überhaupt nur die kleinste Hoffnung für mich, für uns? Eine Zukunft für Superman und mich – wie immer die auch aussehen mochte? Ich sollte diese Frage klären, nein, ich musste sie klären. Das war ich mir schuldig. Ich musste es klären, bevor ich eine Entscheidung zu Lex' Frage treffen konnte. Ich musste es klären, bevor ich möglicherweise eine Verbindung mit Lex einging. Das war ich Lex schuldig.
Also bat ich Clark darum, Superman von mir auszurichten, dass ich ihn dringend sprechen musste. Ich denke, Clark wusste, was ich vorhatte oder hatte doch zumindest eine ziemlich klare Vorstellung darüber. Aber das war mir in dem Moment gleichgültig.
Clark seinerseits verkomplizierte die ganze Situation noch ein wenig, indem er mir seine Liebe gestand. Doch wenigstens in diesem Punkt war ich mir sicher. Ich mochte ihn als Freund, als Partner und das wirklich sehr, aber mehr war er einfach nicht für mich. Und als Freund wollte ich ihn auf keinen Fall verlieren. Wenn das auch noch so schmerzhaft für ihn sein musste. Ich hatte meine eigenen Probleme.
So kam also dieser alles entscheidende Abend.
Ich war bereit Superman meine Liebe zu gestehen. Ihn zu fragen, ob wir eine Chance hatten, es ein Leben zu zweit für uns gab.
Wenn es Superman auch nur im Entferntesten möglich sein würde, käme er zu mir, da war ich mir sicher. Was machte ich also? Sollte ich etwas kochen? Nein. Ich konnte gar nicht kochen. Ich könnte etwas bestellen und liefern lassen, doch ich hatte Superman niemals essen gesehen. Oh verdammt, da gab es noch so viele Dinge, die ich nicht von ihm wusste. Gut, kein Essen.
Sollte ich eine romantische Atmosphäre herbeizaubern? Kerzen, gedämpftes Licht, leise Musik? Nur welche Musik? Was er wohl gerne hörte? Schon wieder etwas, was ich nicht von ihm wusste.
Sollte ich einen Wein aufmachen, oder lieber einen Kaffee kochen? Nein, Kaffee würde mich nur noch nervöser machen. War Wein nicht zu offensichtlich, nein, Sekt wäre zu eindeutig, aber Wein war okay. Wenn ich einen weißen aufmachte, der beruhigte mit seiner Kühle doch eher... Wein beruhigt? Eher nicht, oder? Mochte er überhaupt Wein? Ja, ja, und noch etwas, das ich erst noch herausfinden musste.
Was sollte ich anziehen? Abendkleid? Nein, zu fein, ohne Abendessen wirkte das doch deplatziert. Planet-Kleidung? Kostüm oder Kombination? Nein, zu streng. Jeans und Sweatshirt? Nein, zu leger. Ich wollte schon etwas hermachen. Oh je, das würde komplizierter werden als ich gedacht hatte.
Am besten wäre es wahrscheinlich, wenn es so aussehen würde, als hätte ich gar nicht mehr mit seinem Besuch gerechnet. Also, was tat ich abends nach dem Duschen? Ich zog meinen Schlafanzug an. Ja, das war die Lösung. Doch ich konnte ihm unmöglich in meinem gemütlichen Superman-Schlafanzug entgegentreten. Dann doch eher ein Nachthemd, schließlich wollte ich ja auch etwas Aufmerksamkeit erregen. Ich wollte schließlich von ihm hören, dass er mich auch liebte. Da dürfte er dann ruhig sehen, worum es eigentlich ging. Willst du gut verkaufen, musst du die Ware auch präsentieren... wie meine Mutter immer sagte.
Nacheinander zog ich alle Nachthemden an, die sich in meinem Wäscheschrank verbargen, bis ich mich in einem Schulterfreien zufrieden im Spiegel betrachtete. Ja, das konnte sich sehen lassen. Ich nahm mir ein Buch, setzte mich auf mein Sofa und wartete.
„LOIS! Halt!“ Lucy war aus ihrem gemütlichen Sessel aufgesprungen, kam mir ein Stück entgegen und funkelte mich böse an. Es sah aus, als verhinderte nur ihre gute Erziehung, dass sie mir eine Ohrfeige verpasste, wie sie da so mit erhobenen Händen auf mich zukam. Erbost und immer noch reichlich lautstark fuhr sie fort: „Glaubst du wirklich, mich interessiert die Farbe der Servietten, die du auf den Tisch gelegt hast oder welche Ohrringe du anzulegen gedachtest?! Wenn du nicht willst, dass ich mit leeren Proseccoflaschen werfe, komm zur Sache, Schätzchen! Was passierte, als er da war?“ Lucys böser Blick unterstrich ihre Drohung. Geduld war noch nie eine ihrer größten Stärken gewesen.
„Okay, okay...“, entgegnete ich ihr mit einem Schmunzeln, „ich beeile mich ja schon. Ich dachte nur, es interessiert dich, was mir durch den Kopf gegangen ist, damals...“
„Nein, nicht wirklich“, konterte meine Schwester schnippisch. „Doch...“ lenkte sie jedoch gleich darauf kleinlaut ein und setzte dann wesentlich ruhiger nach: „... aber noch mehr interessiert mich, was er gesagt hat... oder getan...“ Sie sah mich erwartungsvoll und ein klein wenig demütig an. Ihr war sicher klar, dass nur ich die Information hatte, die sie gerne haben wollte. Verärgerte sie mich zu sehr, könnte ich ihr androhen, ihr die Fortsetzung vorzuenthalten. Es war fast wie in unseren Kindertagen, zwei Trotzköpfe beim Kräftemessen.
Diesmal hatte ich gewonnen. In aller Ruhe schenkte ich mir noch ein Glas Prosecco ein. Ich lehnte mich genüsslich wieder zurück und legte meine Füße wieder auf die Lehne ihres Sesseln. In dieser gemütlichen Märchen-erzähl-Stellung fuhr ich also fort...
Es war so viel einfacher als alle meine Befürchtungen es mich hatten erwarten lassen. Ich hörte das 'Wusch', er stand vor mir und strahlte mich aus glühenden Augen an. Ich sagte ihm, dass ich ihn über alle Maßen liebte und er antwortete mir, dass er mich auch lieben würde, dass er mich schon immer geliebt hatte, dass er mich immer lieben würde. Ach... So wunderbar, das konnte nur ein Traum sein – und es war auch einer – ein Wunschtraum.
Am Ende des Abends erinnerte ich mich nur noch bruchstückhaft an das, was wirklich geschehen war. Die verschlossene Haltung, mit der er vor mir gestanden hatte und an seine tatsächlichen Worte: „Unter den gegebenen Umständen... kann ich das nicht.“
Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihn lieben würde und das nicht nur, weil er berühmt war, wegen seiner besonderen Kräfte oder weil er einfach Superman war. Nein, ich liebte den Mann hinter den Kräften. Ich kannte ihn schließlich. Ich fragte ihn, ob er mir das glauben würde.
„Unter den gegebenen Umständen... kann ich das nicht.“
Er stand vor mir mit verschränkten Armen, einem verschlossenen Blick und so unnahbar, wie ich ihn noch niemals zuvor erlebt hatte. „Unter den gegebenen Umständen... kann ich das nicht.“
Diese vernichtende Antwort hallte in meinem Kopf wider: „Unter den gegebenen Umständen... kann ich das nicht.“
Was wollte er mir damit sagen? Glaubte er mir nicht? Was für Umstände?
Doch er war schon fort. Ich hatte es versäumt ihn zu fragen. Ich war so geschockt, enttäuscht und so entsetzt. Er hatte damit alle meine Hoffnungen zerstört. Einen kurzen Moment hatte ich geglaubt, ich könnte, einen kleinen Teil vom Glück abhaben. Und wenn auch nur für kurze Zeit. Wahrscheinlich hätte ich alles akzeptiert, was er mir geboten hätte, einen Flug um die Welt, sein Geheimnis, nur eine einzige Nacht. Doch er hatte 'nein' gesagt, hatte mir nur die kalte Schulter gezeigt. So blieb mir nichts anderes übrig als über Lex' Antrag nachzudenken und nur noch über Lex' Antrag. Keine Alternative mehr.
Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihn liebte und er hatte mir meine erwartete Traum-Antwort '...ich dich auch...' versagt. Das bedeutete dann doch, dass er mich nicht liebte. Diese Erkenntnis drohte mich zu vernichten. Ich hatte ihm mein tiefstes Gefühl anvertraut und er ließ mich alleine hier stehen.
Der Teil in mir, der ganz fest daran geglaubt hatte, dass ich niemals diesen Teil vom Glück erleben würde, fühlte sich auf das Gemeinste bestätigt. Mein Kopf.
Der andere, der träumerische, der romantische Teil von mir, der Teil, der immer an das Gute und die Hoffnung glaubte, wurde gerade auseinander gerissen, zerstört, verblutete. Mein Herz.
So stand ich an meinem offenen Fenster und schaute ihm immer noch nach. Ich konnte es nicht fassen, wollte es nicht fassen. Was hatte ich denn nur falsch gemacht? Mein Blick war immer noch in die dunkle Nacht gerichtet, als bekäme ich doch noch eine Antwort, wenn ich nur lange genug schauen würde. Dabei war er schon lange nicht mehr zu sehen. Der kalte Wind strich mir um die Beine, doch das kümmerte mich nicht. Das hatte keine Bedeutung.
Superman hatte mich enttäuscht.
Das erste Mal in meinem Leben. Das einzige Mal. Dabei hatte ich immer geglaubt, gerade er würde das niemals tun, könnte das gar nicht.
Warum? Wieso hatte er uns nicht einmal den Hauch einer Chance eingeräumt? Hatte mit mir gemeinsam überlegt, wie wir uns annähern könnten? Er musste doch wissen, dass ich fast jeden Vorschlag akzeptiert hätte.
Von einem Mann nach einem Liebesgeständnis ein: '... ich dich nicht...' zu bekommen, konnte einen komplett aus der Bahn werfen. Es von der größten Liebe seines Lebens zu hören, vernichtete einen. Vollkommen.
Lucy saß mir gegenüber, ihr Mund stand offen und sie sah mich starr an. Es war inzwischen drei Uhr in der Nacht, doch sie zeigte nicht die Spur von Müdigkeit. Nun gut, das sprach für meinen Erzählstil, oder wenigstens für den Inhalt meiner Erzählung. Sie schüttelte kurz den Kopf und dann löste sie sich aus ihrer Starre und fragte mich entsetzt: „Wie hast du das verkraftet?“
Ich atmete langsam aus und ließ mich zurücksinken. „Damals? Gar nicht.“ Ich wusste, es war warm hier im Raum, die Heizungen liefen. Und doch zog ein Frösteln über meinen Körper, fast so, als würde ich in diesem Moment wieder an dem offenen Fenster stehen und meiner einzigen wahren Liebe hinterher sehen, wie er in den Nachthimmel verschwand. „Ich hatte das Gefühl, ein Teil von mir würde sterben.“ Wieder einmal hatte ich bestätigt bekommen, dass das ganz große Glück, die wirklich wahre Liebe nicht für mich reserviert war. „Und dann...“, ich hob meinen Kopf und sah meine Schwester an. Gespannt blickte sie mir entgegen. „dann habe ich Lex' Antrag angenommen.“ Ich sagte das betont gleichmütig. Es war immer noch erstaunlich. Selbst nach so vielen Jahren, berührte mich dieser Teil meiner persönlichen Geschichte mehr als mir lieb war.
Lucy schüttelte noch einmal den Kopf. Vielleicht wollte sie ja nur die bösen Geister aus ihrer Vorstellung vertreiben. „Lois, ich wusste immer, dass du diesen Superman angehimmelt hast. Es war mir nur nie bewusst, wie viel er dir wirklich bedeutet hat. Aber was ich daran nicht verstehe, warum hat das dazu geführt, dass du Lex heiraten wolltest? Du musstest doch nicht unbedingt mit 27 heiraten. Du hättest warten können. Es gab doch noch eine dritte Option - keinen von beiden...“ redete sie beschwörend auf mich ein.
Von der offensichtlichen, vierten Option ganz zu schweigen...
Ich hielt kurz inne, um mich zu sammeln. Würde sie es verstehen? Hatte ich es denn je verstanden? „Es gab da etwas“, sagte ich langsam und bedächtig, „was mich glauben ließ, dass ich einen wählen musste. Da war ein... Verlangen...“, dieses Wort traf es nicht wirklich, aber ich hatte keinen besseren Begriff dafür gefunden, „...unerklärlich und unkontrollierbar.“ Wie konnte ich ihr bloß erklären, dass ich in der Situation einfach geglaubt hatte, heiraten zu müssen?
„Apropos Verlangen... Lois, dieses Kapitel war ja nun ganz ohne Sex... naja, abgesehen von deiner Fantasie.“ Sie grinste und auch ich musste schmunzeln. „Aber Lex - hast du denn mit Lex geschlafen?“ Das Grinsen war verschwunden. Auch ihr war offensichtlich klar, dass das der Gipfel der Katastrophe gewesen wäre. Sie sah mich ängstlich, fast beschwörend an.
Tja, meine Liebe, erst die Büchse der Pandora öffnen, und dann Angst haben vor dem, was sie entlässt. „Nun...“, sagte ich nachdenklich. Lucys Spannung wuchs. Meine Andeutung mit dem Verlangen schien sie missverstanden zu haben. Da würden wir später noch einmal drauf zurückkommen. Nach einem kurzen Zögern fuhr ich ernst fort: „Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Lex Luthor hat in meinem Leben schließlich nicht nur bei meiner ersten Hochzeit eine wichtige Rolle gespielt...“
Lucy schluckte. Auch wenn sie damals weder bei meiner ersten Hochzeit mit Lex dabei gewesen war, sie war in Nepal gewesen und hatte die Einladung erst nach ihrer Rückreise gelesen, noch bei meiner ersten Hochzeit mit Clark, angeblich hatte es ein Problem mit den Sicherheitskräften des Flugplatzes in Metropolis gegeben, so wusste sie doch ganz genau, was passiert war. Unsere Mutter hatte ihr natürlich alles brühwarm erzählt. Zumindest das, was sie miterlebt hatte.
„Nach dieser zweiten Hochzeit litt ich über lange Zeit an Amnesie. Es ist also nicht so einfach, dazu eine Aussage zu treffen. Aber hör dir die ganze Geschichte an:
Lex Luthor...
Re: Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 12:03
von Magss
Mörderische Kälte
Name: Lex Luthor, wofür war Lex die Abkürzung, Alexander? Alexis? Alexei
Alter: Unbekannt
Geboren in: Metropolis, wurde früh zum Waisen, angeblich schon mit 13 Jahren
Aufgewachsen in: Unbekannt, wahrscheinlich aber Metropolis
Haarfarbe: dunkelbraun
Augenfarbe: braun
Ausbildung: Unbekannt
Familienstand: Wie oft verheiratet, geschieden? - Verwitwet ? Unbekannt
Kinder: Unbekannt
Beruf: Magnat, Tycoon, Firmeninhaber, Aktionär
Firmenbeteiligungen: Gerüchten nach Energiefirmen, Medienfirmen, Transportunternehmen, Banken, Versicherungen. Genaueres ist unbekannt. Stille Teilhaberschaften?
Vermögen: Unbekannt, aber einer der reichsten Männer der Welt
Vorstrafen: Keine – erstaunlich, zog man zum einen die Gerüchte und zum anderen sein Firmennetz, seinen Einfluss und seine Macht in Betracht
Unzufrieden, um nicht zu sagen mürrisch schob ich das Blatt Papier mit Lex Luthors Steckbrief immer wieder auf meinem Schreibtisch hin und her. Er enthielt bei viel zu vielen Punkten ein Unbekannt. Luthor machte aus sich selbst ein gut gehütetes Geheimnis. Er war der einflussreichste Mann von Metropolis, wahrscheinlich von ganz Amerika und ich wusste fast nichts über ihn. Jedenfalls nichts, was nicht alle anderen auch wussten.
Am liebsten hätte ich den Steckbrief zerknüllt. Seit Monaten schon versuchte ich hinter das Geheimnis von Luthor zu kommen. Alle hatten sie mich gewarnt, die Kollegen, Perry und auch unser jüngster Kollege Jimmy. Er machte hin und wieder Recherchen für mich und das auch wirklich sehr gut. Wenn es etwas zu finden gab, so fand Jimmy es. Aber auch er hatte nichts weiter herausgefunden. Obwohl er wirklich ganz erstaunliche Quellen angezapft hatte. Ob die legal waren, wollte ich lieber nicht so genau wissen. Alle hatten sie gemeint, auch ich würde einen Luthor nicht knacken können. Doch davon hatte ich mich nicht abhalten lassen, im Gegenteil, ich hatte mir fest vorgenommen, ich würde die Erste sein, die ein Exklusivinterview bekam. Ich wollte den Mann hinter all dem Reichtum, der Macht und dem Glamour sehen. Ich wollte hinter die Fassade blicken, die er der Welt zeigte. Und ich würde es schaffen. Auch wenn ich heute zum ungefähr hundertsten Mal eine Absage erhalten hatte. Sekretäre und Sekretärinnen, Assistenten, Vorzimmerdamen, Menschen, die mit ihm Geschäfte machten, Manager, ja selbst Gegner. Ich hatte schon mit so vielen Leuten gesprochen, doch niemals kam ich bis zu Luthor persönlich durch.
Doch das Wort 'aufgeben' gab es im Vokabular von Lois Lane nicht!
In ein paar Tagen gab Luthor einen Ball und ich hatte Perry überreden können, dass ich eine der verfügbaren Einladungen erhielt. Doch wer sollte mich begleiten? Ich konnte unmöglich alleine dort hingehen. Mitchell? Ja, das ginge. Mitchell sah im Anzug recht respektabel aus, er konnte sich gut benehmen, und er war nichtssagend genug, um mir nicht die Show zu stehlen. Auf keinen Fall könnte ich einen Begleiter gebrauchen, der meinte mich mit langweiliger Konversation von meinem Vorhaben abzulenken oder gar abbringen zu müssen. Ich würde Luthor ansprechen, um jeden Preis. Wenn ich erst einmal in seinem Penthouse war, dann hatte ich definitiv die Chance an ihn heran zu kommen, persönlich an ihn heran zu kommen. Hauptsache war nur, dass Mitchell nicht wieder im letzten Augenblick wegen eines verstauchten Zehs, Ohrenkribbelns oder einem nervösem Augenzucken absagte.
Soweit mein Plan.
~ ~ ~
Der Abend senkte sich über die Stadt, ich hatte noch einige Protokolle zu lesen und musste für diesen Artikel der Tierschutzaktivisten noch das Tierschutzgesetz studieren. Die meisten Kollegen waren schon zu Hause. Dann sollte ich mir auch die Recherchen von Jimmy zu Dr. Platt und der ganzen Geschichte um das Raumfahrtprojekt Prometheus noch mal ansehen. Langsam machte sich eine leichte Nervosität bei mir bemerkbar. Es waren nur noch wenige Stunden bis zu Luthors Ball. Ich sollte auch nach Hause gehen, mich umziehen und vorsichtshalber Mitchell noch einmal anrufen.
Genau in dem Moment klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch. Ich nahm ab und meldete mich. Es war Mitchell! Nein, bitte das nicht. Er sagte mir näselnd und mit einer sehr leidenden Stimme ab.
Innerlich kochte ich vor Wut. „Nein, Mitchell. Ich bin dir nicht böse.“ Ich konnte meine Stimme so klingen lassen, als hätte ich Verständnis für ihn. „Wenn du Schnupfen hast, hast du eben Schnupfen... Ja, das könnte Komplikationen nach sich ziehen... Nein, nein. Ruf mich nicht an. Ich rufe dich an.“ Unglaublich. Männer! Und dann noch, wenn sie krank sind. Oder noch schlimmer, wenn sie glauben, krank zu sein! Schnupfen! Pah! Dieser Hypochonder!
Was glaubte er, wo ich so kurzfristig einen Begleiter hernehmen sollte? Ich wollte partout nicht alleine gehen. Wie sah das denn aus? Oh verdammt, Mitchell! Wage es ja nicht noch einmal bei mir anzurufen. Männer! dachte ich verächtlich. Aber ich brauchte einen Mann, um mich bei diesem Ball nicht lächerlich zu machen! Die halbe Stadt und jeder Reporter von jedem Konkurrenzblatt würde denken, dass Lois Lane niemanden, wirklich niemanden hatte, der sie begleiten wollte. Was konnte ich jetzt noch...?
Mein Blick wanderte im Raum umher. Da saß dieser... grüne Junge, dieser Provinztölpel, dieser Depp, Mister Nobody aus Nowheresville, den Perry mir als Assistenten, als Hilfe, als Laufbursche oder besser gesagt als Klotz am Bein aufgezwungen hatte. Er kam aus Kansas! Und ich sollte Babysitter spielen – nein, ich musste.
Gut, bei Lichte betrachtet könnte es sogar sein, dass er im Smoking besser aussah als Mitchell. Offensichtlich schien er auch keinen Schnupfen zu haben... und er war verfügbar. Er saß hier und er war der Einzige, den ich jetzt auf die Schnelle noch fragen konnte. Ich glaube Clark hieß er.
Natürlich wusste ich, wie er hieß. Perrys Worte hatte ich nicht vergessen. Was wäre ich für eine Reporterin, wenn ich mir Namen nicht merken könnte. Doch diesen würde ich eigentlich gerne vergessen. Aber die Situation ließ mir keine Wahl und so fragte ich ihn: „Sie haben nicht zufällig einen Smoking?“
Was machte daraufhin Mister Trottel aus Kansas? Nachdem ich ihm das gesellschaftliche Ereignis des Jahres auf dem Silbertablett serviert hatte? Es war das Ereignis schlechthin, jeder der Rang und Namen hatte, würde dort sein. Ich hatte mich herabgelassen und ihn gefragt und es hatte mich wirklich Überwindung gekostet. Und was machte er? Anstatt dankbar anzunehmen? Er zog eine tiefgründige Schnute und meinte, er überlegte wirklich, früh schlafen zu gehen! Das entlockte mir nur ein angewidertes und entsetztes Kopfschütteln. Oh, Lois, womit hast du das verdient? Nichts als Idioten um dich herum!
Doch glücklicherweise schien auch Kent über wenigstens zwei funktionierende Neuronen zu verfügen. Die Kriechströme zwischen diesen beiden begabten Neuronen führten dazu, dass so etwas Ähnliches wie Vernunft in seinem Hirn herrschte.
Er sagte zu und nur ein paar Stunden später bestätigte sich, was ich vermutet hatte: Er sah im Anzug wirklich nicht schlecht aus. Damit passte er durchaus zu mir. Denn ich sah fantastisch aus. Schließlich hatte ich diesen Abend von langer Hand vorbereitet. Ich fühlte mich gut.
Das Kleid, das ich an diesem Abend trug, war gewagter als die, die ich sonst tragen würde. Aber ich hatte schließlich eine Mission zu erfüllen. Es war weit ausgeschnitten und ließ Schultern und einen Teil des Rückens frei. Die Farbe passte zu meinen Ohrringen, dunkles, blaues Chiffon, vorne mit schwarzen Pailletten und Perlen bestickt. Ein Hingucker. Es war knielang und darunter trug ich einen langen schwarzen Rock. Die Haare hatte ich an diesem Abend hochgesteckt, nur eine Locke fiel lässig in die Stirn. Ein Meisterwerk.
Mit genau diesem Gefühl schritt ich, mit so viel Selbstbewusstsein wie ich aufbieten konnte, auf Mister Lex Luthor höchstpersönlich zu. Ich hatte ihn natürlich sofort erkannt, wie es wahrscheinlich jedem in Metropolis gelungen wäre. Von ihm gab es hunderte von Fotos, die bereits die Titelseiten sämtlicher Magazine geschmückt hatten. Und doch überraschte mich der erste Eindruck, den er auf mich machte.
Lex Luthor kam die Treppe mit einer lässigen und doch energischen Körperhaltung herunter. Sein schwarzer, maßgeschneiderter Smoking saß perfekt. Edle Manschettenknöpfe und eine Fliege vollendeten seine Erscheinung. Braunes Haar, leichte Locken und ein wirklich charmantes Lächeln. Er grüßte hier ein paar Leute, sprach dort ein paar zustimmende Worte. Ich wusste natürlich, dass er der mächtigste Mann der Stadt war. Ohne ihn ging kein größeres Geschäft über den Tisch. Jeder kannte ihn, alle respektierten ihn, viele fürchteten ihn. Manche glaubten, er hätte viele Leichen im Keller, doch niemand sagte so etwas laut. Sein Geschäftssinn grenzte an Genie. Alles, was er anpackte, war erfolgreich. Misserfolge schien es in seiner Welt nicht zu geben.
Mir war klar, dass dieser Mann eine Ausstrahlung haben musste. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er geradezu eine Aura von Selbstbewusstsein, Macht und Zuversicht ausstrahlte. Kein Foto oder Fernsehbericht konnte dieses Charisma widerspiegeln.
Ich bemerkte eine leichte Gänsehaut bei mir. Also straffte ich meine Schultern, hob meinen Kopf und sagte laut und deutlich: „Lex Luthor!“ Dann eine kleine taktische Pause. „Wieso haben Sie meine Anrufe nicht beantwortet?“
Überrascht, aber mit interessiertem Blick, sah er mich an. Er musterte mich und ich glaube, es gefiel ihm, was er sah. Ja, das Kleid war genau richtig gewesen!
Ich reichte ihm meine Hand. Seine Aufmerksamkeit hatte ich nun. Um uns herum standen bestimmt an die hundert Menschen. Doch niemand beachtete uns. Er sah mich an und ich ihn. Ich lächelte und fuhr triumphierend fort: „Lois Lane, Daily Planet.“ Es war, als wären wir alleine in dem Raum. Er hatte nur noch Augen für mich.
Ich versuchte seinen Blick zu ergründen. War es einfach nur Gastfreundschaft? Oder war es wirklich Bewunderung, die aus seinem Blick sprach? Bewunderung für mich? Dieses Glitzern seiner Augen war entweder nur Charme und eine der perfektesten Täuschungen, die mir je ein Mann geboten hatte oder es galt wirklich mir – der Frau Lois Lane.
„Ich versichere Ihnen, meine Liebe“, er nahm meine Hand, die ich ihm gereicht hatte und hauchte mir einen Handkuss darauf, „das wird nicht wieder vorkommen.“ Gewinnend, zuvorkommend und voller Achtung sagte er das. Himmel, diese Aura der Macht und dann dieser Charme eines formvollendeten Gentlemans. Hach... Wenn er lächelte, kräuselten sich seine Lippen ein wenig.
Inzwischen stand er ganz nah bei mir. Gleich einem wahren Gentleman verströmte er einen sehr dezenten Duft, einen interessanten Duft. Es war mir nicht möglich, eine bestimmte Note auszumachen. Er wirkte einnehmend und fesselnd. Ohne mich zu fragen, legte Lex Luthor seinen Arm um mich und begann mit mir zu tanzen. Er bescherte mir wirklich eine Gänsehaut damit, oh ja, er machte das sehr gut. Mit einem gewinnenden Lächeln sah er mir tief in die Augen...
Oh, dieser Charme eines bösen Buben... Lois, er flirtet mit dir! Mit dir! Mir lief ein Kribbeln über den Rücken. „Ich hoffe, Sie vergeben mir, dass ich so direkt war“, versuchte ich mein Vorgehen zu entschuldigen. Und ich flirtete mit ihm! Es gefiel mir, wie er mich ansah, bewundernd und doch distanziert genug, um nicht aufdringlich zu erscheinen. Es war ein Spiel mit dem Feuer.
Seine Stimme klang warm und selbstbewusst. „Ich finde es sehr attraktiv, wenn eine Frau direkt ist, Miss Lane.“ Erstaunlich. Ich hatte ihn so eingeschätzt, dass er unterwürfige Frauen bevorzugen würde. Nur, warum zum Teufel machte ich mir Gedanken darüber, welchen Frauentyp er favorisieren würde? Wie wichtig war es denn für mich, wie attraktiv er mich fand? Was ging mir da bloß durch den Kopf? Lois! Komm zum Thema zurück!
Ich lenkte das Gespräch zum Anlass meiner Unternehmung und sprach das Thema Interview an. Nach einem kurzen, sicherlich nur rhetorischen Zögern, sagte er mir ein exklusives Interview zu. Dies war ein Kampf um Eroberung und Sieg. Ja! Gut gemacht, Lois! Ich wusste es. Gleich darauf kam er mir ganz nah. Die Worte: „Und warum probieren wir es dann nicht – heute Nacht?“, hauchte Lex mir fast ins Ohr. Ich spürte sie eher als dass ich sie wirklich hörte. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Das Timbre seiner Stimme spürte ich mit meinem ganzen Körper.
Doch ich bekam keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich nun entsetzt sein sollte ob dieses zu eindeutigen Angebots, oder geschmeichelt aufgrund der Wirkung, die ich offensichtlich auf ihn hatte. Kent, dieser Idiot, dieser Tölpel, dieser... kam auf uns zu und klatschte ab. Da hatte ich Luthor schon so weit. Oh, ich könnte Kent...
~ ~ ~
Mein Interview – das Exklusivinterview – bekam ich nur eine Nacht später. Durch einen Anruf in der Redaktion erfuhr ich, dass ein Wagen mich um acht Uhr von meinem Apartment abholen würde, zu einem Abendessen mit dem versprochenen Interview. Er hielt Wort. Wie ich es erwartet hatte, ließ Lex das Essen in seinem Penthouse servieren, wahrscheinlich kreiert von einem ganzen Stab von Köchen. Was serviert worden war, konnte ich schon beim Verlassen von Lex' Stadtbehausung nicht mehr sagen. Ich war den ganzen Abend auf mein Gegenüber und die entscheidenden Fragen konzentriert gewesen
Ich war nicht mehr ganz so aufgeregt, wie noch am Abend des Balls. Dieses Abendessen war ein Ringen um das vorherrschende Gesprächsthema. Dies war ein Kampf um Dominanz und Einfluss. Während ich mich auf die dringendsten Fragen, die Lücken in Lex' Biografie konzentrierte, konnte ich mich kaum auf das Essen einlassen. Lex hingegen wollte das Mahl, den Abend und allem Anschein nach unser Rendezvous genießen. Das war es, was er bei mir mit seinem nonchalanten Lächeln für einen Eindruck hinterließ. Die Art, wie er das zum Ausdruck brachte, war ausgesprochen geschmackvoll. Er machte mir Komplimente über meine Intelligenz und mein Aussehen und, nun ja, das war überhaupt nicht anzüglich. Ich hatte ein wenig Befürchtungen gehabt diesbezüglich. Was würde ein Mann seines Einflusses und seiner Macht erwarten, wenn er sich eine Reporterin einlud, die über ihn schreiben wollte? Sicher wollte er mich für sich einnehmen, aber als Frau oder als Reporterin des Daily Planets?
Zwischen Hauptgang und Dessert, als er meine Hand nahm und sagte ich sollte meine Krawatte lockern, sah ich mich dann doch gezwungen, ihn in seine Schranken zu verweisen und ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es mir ausschließlich um das Interview ging. Dies war ein Kampf um Stärke und taktischen Rückzug. Er reagierte darauf, indem er mir erklärte, dass er Leistung und Ehrgeiz anerkannte. Er sagte dann mit eindringlichen Worten etwas, was mir noch tagelang zu denken gab: „Mein Talent ist es nicht, Millionen zu machen, auch nicht große Firmen zu lenken, sondern Charaktere zu beurteilen. Und ich kann Dinge in Ihnen sehen. Möglichkeiten. Potenzial... Sie haben die Intelligenz, die Begabung, sich weit über den Durchschnitt zu erheben...“
Der Preis für diese Offenbarung, für diese Einsicht in seine Persönlichkeit war das Ende des Interviews. Spielte er mit Menschen wie auf einem großen Schachbrett? Er hatte mir mit dieser Einschätzung seiner Selbst gezeigt, dass eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften das Einschätzen von Persönlichkeiten war. Auf jeden Fall hatte er etwas unglaublich Anziehendes an sich. Doch was war es nur? Natürlich war er ein Gentleman, weltmännisch, sehr intelligent und redegewandt. Aber die größte Faszination schien von seiner Zuversicht und seiner Lässigkeit auszugehen. Er vermittelte mir gegenüber den Eindruck, als fiel ihm alles, was er tat, leicht, als könnte er alles einschätzen, voraussehen und im Handstreich erledigen. Und das mit einer Leichtigkeit, als hätte er dieses Leben erfunden. Doch ein wirkliches Interview hatte ich nicht bekommen. Ich hatte es vermasselt.
Für den Heimweg zu meinem Apartment bot er mir seine Gesellschaft an. Etwas, das er sicher nicht allzu häufig machte. Durch Metropolis in einem Rolls Royce gefahren zu werden, hatte etwas Unwirkliches. Dieser Komfort und die Tatsache, dass alle Umgebungsgeräusche vollkommen abgeschirmt waren, beeindruckten mich auf unerklärliche Weise.
Während der Wagen vor meinem Haus anhielt, dachte ich bei mir, dass meine Befürchtungen, was er wohl von mir erwartet hatte, unbegründet gewesen waren. Vollendeter Ehrenmann, wie er nun einmal war, brachte er mich noch bis in mein Stockwerk und zum Abschied gab er mir einen Kuss. Warme, weiche Lippen, die die meinen sanft berührten. Das war ein Kampf... den ich verlor.
Es war überraschend und auch wieder nicht. Ich hatte damit gerechnet, dass er einen Annäherungsversuch starten würde. Nur hatte ich befürchtet, dass ein Mann seines Kalibers sich nicht mit einem Kuss auf einem Flur zufrieden geben würde.
„Ahhh ja“, Lucys Lippen wurden umspielt von einem kessen Lächeln, „an den Abend erinnere ich mich sogar. Du bist nach Hause gekommen und hast gesagt, du hast es vermasselt. Und dass er dich wiedersehen wollte. Dass er dich geküsst hat, hast du allerdings niemals erwähnt. Auch hast du nie ein Wort darüber verloren, wie viel Eindruck er wirklich auf dich gemacht hat. Was hatte Lex Luthor nur an sich?“ Sie sah mich provozierend an.
Ich versuchte meinen Blick in mein Innerstes zu lenken. Die Lois, die sich von der Fahrt in dem Rolls hatte beeindrucken lassen, schien eine gänzlich andere Frau gewesen zu sein. Jedes Wort abwägend, antwortete ich ihr nicht ohne eine gewisse Dramatik: „Das, meine Liebe, ist eines meiner dunkelsten Geheimnisse. Heute bin ich mir sicher, dass es eine seiner bedeutendsten Fähigkeiten war, seine Wirkung auf andere sehr exakt einschätzen zu können und Menschen zu manipulieren wie kein anderer. Er wusste, was er wollte und er wusste immer sehr genau, wie er die Menschen dorthin bekam, ihm dabei nützlich zu sein. Damals habe ich das etwas anders gesehen... Natürlich.“
Die Bemerkung, dass er Dinge in mir gesehen hätte, beschäftigte mich noch eine ganze Weile. Sprach er einfach nur von meinem Ehrgeiz, von dem ich glaubte, er würde mich eines Tages weiterbringen? Oder hatte er etwas in mir gesehen, was ich nicht zuließ? Eine verborgene, dunkle Seite? Seine Bemerkung hatte etwas Diabolisches gehabt. War es der Preis, den ich bereit war, für eine Story zu zahlen? Oder der Preis, den ich in Zukunft verliehen bekommen konnte? Der Pulitzer? Oder hatte er gar nicht von meiner Arbeit gesprochen? Aber, dunkle Seite...?
Seine Andeutung hatte etwas Beängstigendes und Faszinierendes zugleich. Ich hoffte, ihn wieder zu sehen. Um mehr über ihn und vielleicht auch über mich zu erfahren. Und was bitte hatte dieser Kuss zu bedeuten...?
~ ~ ~
Die folgenden Wochen gehörten zu den chaotischsten in meinem Leben, verglichen mit dem, was ich bisher erlebt hatte. Alles schien sich um zwei sehr bemerkenswerte und außergewöhnliche Männer zu drehen. Da war der, den ich über alles liebte, der in mir eine Sehnsucht erweckte, die ich bisher nicht gekannt hatte. Der mich in meinem Herzen berührte, wie ich es niemals für möglich gehalten hatte. Doch Superman schien immer so distanziert, so kontrolliert.
Und Lex? Er war da, er war ein anregender Begleiter, war ausgesprochen nett, kultiviert und er zeigte mir seine Wertschätzung ganz offen. Es schmeichelte mir. Jawohl, ich musste es zugeben. Wenn ein Mann wie Lex Luthor eine Frau wie mich auch nur registrierte - es gefiel mir. Es gefiel mir sogar ausgesprochen gut. Außerdem wurde ich mir mit jeder weiteren Begegnung sicherer, dass Lex ein guter Mensch war. Jedenfalls ein besserer als viele das sehen wollten. Er setzte sein Vermögen in großem Umfang für karitative Zwecke ein. Er tat etwas für die Menschen. Und damit meinte ich nicht nur, dass er den Leuten Arbeit gab, nein, Metropolis lag ihm am Herzen.
Aber da war noch etwas.
Meine Grundhaltung Männern gegenüber war noch misstrauischer geworden. Seit Claude hatte es keine Beziehung mehr gegeben. Und ich konnte auch sehr gut damit leben. Bedürfnisse, die mich durcheinander brachten, ignorierte ich einfach. Ich erwartete nichts und fuhr recht gut damit. Triefende Schnulzenfilme und schmachtende Liebesromane lenkten mich, wenigstens kurzzeitig, ab. Alles war gut. Ich kam ohne Männer besser zurecht als mit ihnen. Doch in diesem Winter war etwas anders.
Ich war mir nicht sicher, ob es da einen zeitlichen Zusammenhang gab, aber seit ich das Gefühl hatte, mich zwischen diesen beiden Männern aufzureiben, mich zwischen ihnen gefangen fühlte, erwachten plötzlich wieder diese Sehnsüchte, dieses Verlangen. Ich hatte mich schon lange nicht mehr nach einem Partner gesehnt, nach einem Mann an meiner Seite, einer zärtlichen Hand, blindes Vertrauen. Einfach Harmonie und nächtelang diskutieren. Jemand mit einer starken Schulter, dem ich meine Sorgen und meine Hoffnungen beichten konnte. Jemand, bei dem ich ich selber sein konnte. Ein Freund, der mir zulächelte und sagte: 'Alles wird wieder gut', wenn ich es brauchte.
Wobei ich mich fragte, ob ein einziger Mensch all dies erfüllen könnte. In Büchern und Filmen, ja, dort gab es solche Menschen, aber in der realen Welt?
Superman, dem ich auf der Stelle mein Herz geschenkt hätte, dem ich blind mein Leben anvertraute, mit dem ich am liebsten alles geteilt hätte, war immer so unnahbar. Manchmal fragte ich mich, ob er so lieben konnte wie wir Menschen. Dabei war ich mir sicher, dass ich ihm etwas bedeutete. Aber was? Nur Freundschaft?
Und doch war genau er es, der das Bedürfnis nach Nähe in mir weckte. Nach Berührung, Zärtlichkeit, Leidenschaft, Offenheit, Vertrauen, alles teilen... Er weckte Sehnsüchte, Bedürfnisse, die ich sicherheitshalber so tief vergraben hatte und solche, die ich bisher noch gar nicht kannte.
Auf der anderen Seite Lex? Er strahlte mich an, wenn wir uns sahen. Er schickte mir Blumen, machte Komplimente. Er zeigte seine Gefühle so offen. Da gab es keinen Zweifel. Alles, was er mit seinem Werben ausdrückte, war, dass er sich wirklich bemühen würde, mich glücklich zu machen. Es war weder sein Reichtum, der mich beeindruckte, noch seine Macht. Aber er schien immer zur richtigen Zeit genau das Richtige zu tun. Ganz besonders, wenn es um mich ging. Er brachte mich zum Lachen, wenn ich Aufmunterung benötigte. Er hörte mir zu, nahm mich ernst, wenn ich reden wollte. Manchmal tauchte er unerwartet auf und gab mir einen Tipp für einen guten Artikel, wie im Fall von Toni Taylor und den Toasters. Er bot mir einen Platz in seinem persönlichen Bunker an, als die Welt von dem Meteoriteneinschlag bedroht wurde. Und einmal rettete er mir sogar das Leben, bevor Superman zur Stelle war.
Lex war über die Zeit zu einer verlässlichen Einheit in meinem Leben geworden.
~ ~ ~
Doch eines schönen Tages passierte das Unausweichliche. Mir war, tief in meinem Inneren klar, dass es passieren musste. Es war offensichtlich, dass wir genau darauf zugesteuert hatten. Ich hatte es die ganze Zeit geahnt, vermutet, befürchtet – und doch traf es mich so unvorbereitet, so überraschend. Die Zeit der Unverbindlichkeit war vorbei. Ich hatte Angst, schon vor der Frage. Aber erst recht vor der Antwort.
Das Kidnapping in Perrys Büro um Dragonettis Safe, die Stunden in Angst und Ungewissheit hatten uns zusammengeschweißt. Das war selbst mir bewusst geworden. Und Lex schien es genauso zu ergehen.
Er lud mich zu einem italienischen Essen ein. Als der Rolls dann zum Flughafen abbog und dort einen Lear-Jet ansteuerte, war ich Überrscht und ein wenig sprachlos. Und das Sprachlos-Sein nahm den ganzen Abend kein Ende mehr. Kaum war der Jet gestartet, öffnete Lex uns eine Flasche Champagner, der Himmel zeigte uns, fast als hätte er gewusst worum es ging, einen fantastischen Sonnenuntergang. Im Hintergrund spielte ein Violinist namens Ringo eine bewegende Melodie. Das ganze glich eher einem Traum.
„Lex, wo fliegen wir hin?“ Ich wollte nicht undankbar erscheinen, aber es war ja nicht so, dass man in Metropolis nicht gut essen konnte.
„Mailand“, sagte er mit einem weltmännischen Lächeln, „glaube mir, sie servieren dort die beste Pasta.“
Italien! Ich hatte noch nicht einmal eine Zahnbürste dabei! Aber das ließ sich bestimmt lösen. „Oh Lex, als du sagtest Italienisch, dachte ich nicht, dass wir gleich dorthin reisen. Was soll ich nur mit dir machen?“ Entgegen meiner Worte gelang es mir nicht wirklich, ihn streng anzusehen. Da schlich sich ganz von alleine ein Lächeln auf meine Lippen. Er gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
Sein strahlendes Lächeln wurde noch eine Spur selbstsicherer, während er mir ein Glas Champagner reichte. „Verbringe dein Leben mit mir“, sagte er ganz locker, fast beiläufig und sah mir dabei tief in die Augen.
„Was?!“ Ich hatte immer gefürchtet, dass unsere lockere Beziehung nicht ewig so weiter gehen würde. Zum Einkaufsbummel nach New York, nach LA zum Sonnenuntergang und jetzt nach Mailand um Pasta zu essen. Es war für Lex Luthor kein Problem sich diesen Luxus zu leisten. Sollte das hier wirklich ein Antrag werden? Würde er mir – Lois Lane – der ehrgeizigen Starreporterin des Daily Planet – wirklich einen Heiratsantrag machen?
Er griff in die Innentasche seines Jacketts und holte ein kleines Kästchen heraus, über dessen Inhalt ich mir sehr sicher war, dann wandte er sich wieder mir zu und sah mich an. In seinem Blick war nicht die Spur von Zweifeln. „Lois Lane“, sagte er mit bedeutungsschwerem Tonfall und der Situation mehr als angebracht, „willst du mich heiraten?“ Er öffnete das Kästchen, welches erwartungsgemäß einen Ring enthielt. Einen mit einem riesigen Stein.
Oh ja, das war ein Antrag. Aber damit würde sich alles ändern. Meine Gedanken überschlugen sich. Doch trotz meiner Überraschung, schaffte ich es, die Entscheidung aufzuschieben, indem ich ihm ein 'vielleicht' gab. Kein 'ja', kein 'nein', eben ein 'vielleicht'. So etwas konnte doch schließlich niemand aus einer Laune heraus entscheiden. Auf keinen Fall wollte ich mich bei der vielleicht wichtigsten Entscheidung über meine Zukunft nicht von einem Geiger oder dem fantastischen Sonnenuntergang beeinflussen lassen. Ich versprach ihm aber darüber nachzudenken.
Das tat ich auch, jede freie Minute, die er mir in Italien ließ. Wir waren natürlich nicht nur zum Pasta-Essen nach Italien geflogen. Das Magnifico servierte wirklich die beste Pasta, die ich je gekostet hatte. Abends waren wir dann in der Mailänder Scala in der Oper und es gab noch einen ausgedehnten Einkaufsbummel in Rom. Er ließ den Wagen vor einem sehr exklusiven Schuhgeschäft halten und gab mir generös seine Kreditkarte. Nur allein für diese Geste hätten ihm wahrscheinlich schon tausend Frauen ihr Jawort gegeben. Aber ich würde mich nicht kaufen lassen.
Ich dachte auch nicht, dass das seine Absicht war. Aber ich machte mir natürlich Gedanken, wie sich mein bisheriges Leben, der Planet, Perry, Jimmy und natürlich auch Clark in ein Leben an Lex' Seite integrieren lassen könnten. Meine Arbeit war bisher das Wichtigste in meinem Leben gewesen. Und was... was würde mit Superman sein? Wem gehörte mein Herz? Gab es da eine Chance? Wenn mir nun beide Männer ein gemeinsames Leben anbieten würden, wenn ich also wählen durfte? Wen würde ich wählen...?
Superman. Sofort. Da gab es keinen Zweifel. Tief in mir drinnen träumte ich einfach meinen märchenhaften Traum von der vollkommenen Liebesheirat, der reinen Herzensentscheidung, die über jeden Zweifel erhaben war.
Das bedeutete, Lex war nur meine zweite Wahl... Dieser Gedanke hatte etwas Erschütterndes. Und es machte mich traurig. Konnte es denn überhaupt gutgehen, wenn mein zukünftiger Ehemann nur ein Kompromiss war? Hatte ich die Chance glücklich zu werden, wenn meine Wahl sich pragmatischen Argumenten unterordnete?
Doch Superman hatte mir niemals einen Hinweis gegeben, dass er auch so für mich empfinden würde. War es nicht nur ein Hirngespinst? Eine Träumerei? In Wirklichkeit hatte er nur gesagt, er sei mein Freund. Konnte ich Lex für diese Träumerei hinhalten? Oder ihm ein 'nein' geben? War das fair?
Was war mit meinem Partner? Die Art, wie wir beide zusammen arbeiteten, war das Beste, was mir in den letzten Monaten passiert war. Ich hätte niemals gedacht, dass es überhaupt funktionieren würde und dann auch noch so gut. Ich hatte mich an ihn gewöhnt, ich wollte, dass Clark immer da war.
Ganz gleich, was passieren würde, was sich in meiner Zukunft ändern würde, wie auch immer ich entscheiden würde, ich wollte weiterhin mit Clark als Partner arbeiten. Er war der beste Partner, den ich je hatte, der Einzige, den ich je zu akzeptieren bereit war.
Gut, soweit war ich schon einmal sicher: Ich wollte weiterhin beim Planet arbeiten – und das mit Clark als Partner. Aber die anderen Männer - das lag eher noch im Nebel.
Kaum waren wir nach diesem Wochenende wieder in Metropolis gelandet, ich war einer Entscheidung noch nicht näher gekommen, da schien die Welt einzustürzen. Der Planet explodierte und hörte auf zu existieren.
Niemand von uns hatte sich jemals vorstellen können, dass der Planet überhaupt zerstörbar war, aber er war es. Als wenn das noch nicht schlimm genug wäre, stritten Clark und ich fortan nur noch. Ich hatte gedacht, wir wären Freunde... Gerade in dieser Zeit - ich hatte eine der schwierigsten Entscheidungen in meinem Leben zu fällen - brauchte ich einen Freund. Und Clark war mein bester Freund. Mein einziger bester Freund. Niemand kannte mich so gut, niemand akzeptierte mich so, wie ich war.
Doch Clark wollte sich einfach nicht abbringen lassen von seiner fixen Idee, Lex Luthor sei die Wurzel allen Übels in Metropolis. In dieser Situation brauchte ich natürlich nicht darüber nachdenken, ihn um Rat zu fragen, was Lex' Antrag betraf. Und ich hätte so dringend mit jemand reden müssen.
Meine Welt war vollkommen aus den Fugen geraten, ein einziger Trümmerhaufen. Meine Freunde ermittelten wahrscheinlich gegen den Mann, der den Rest des Lebens mit mir teilen wollte. Der Dreh- und Angelpunkt meines Universums, der Planet hatte aufgehört zu existieren. Mein einziger Freund und Partner riet mir, ich sollte doch ruhig mit dem Teufel ins Bett gehen. Und als wenn das alles nicht schon genug wäre, ließ mich Superman, gegen alle Erwartungen, abblitzen. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Auf eine Art, die ich überhaupt nicht verstand; er war so kühl, so undurchschaubar, unpersönlich. So ohne jede Hoffnung – unwiederbringlich.
In diesem Scherbenhaufen gab es nur eine verlässliche Größe, nur ein Fixpunkt, dessen ich mir sicher sein konnte - nur noch ein einziger Freund war übrig geblieben: Lex.
So nahm ich also seinen Antrag an, wenn auch nicht mit der Überzeugung, die ich mir selbst für diese Entscheidung gewünscht hatte. Oder vielleicht sogar, gerade weil ich mich emotional nicht so an ihn gebunden fühlte. Aber er war einfach für mich da, hörte mir zu, gab mir einen neuen Job und damit neue Motivation, er nahm mich ernst und riet mir, mich auszusöhnen mit meinen Freunden. Hatte ein Ohr für meine Nöte und versuchte alles, mich von meiner Trauer abzubringen.
Dann war da noch etwas, was mein Vertrauen Lex gegenüber ungemein steigerte: Ich hatte ihn gebeten bis zu unserer Hochzeitsnacht zu warten. Es war an dem Abend nur ein spontaner Impuls gewesen, doch in den folgenden Tagen merkte ich, wie froh ich darüber war, dass er akzeptiert hatte. Es klang vermutlich dumm, aber damals befürchtete ich, dass Lex seinen Antrag zurücknehmen könnte, wenn er erst einmal mit mir geschlafen hätte. Aus den vergangenen Affären konnte ich doch nur schließen, dass ich nicht in der Lage war, einen Mann glücklich zu machen, ihn zu halten. Das Risiko wollte ich nicht eingehen. Und danach? Nun, ich würde Zeit brauchen. Die Zeit würde sicher eine Lösung bringen.
Lex zeigte mir mit jedem einzelnen Tag, dass er mich achtete. Er wollte, dass wir heirateten. Wären meine Freunde, Perry, Jimmy und natürlich Clark, noch bei mir gewesen, hätte ich vielleicht den Mut gehabt über eine weiter Option nachzudenken: Einfach nein zu sagen und alleine zu bleiben. Keinen der Männer zu bekommen und weiterhin als Single durchs Leben zu gehen. Doch da war niemand mehr, außer Lex. Für ihn schien es ganz einfach der nächste logische Schritt zu sein. Er beteuerte mir immer wieder, dass er mit mir zusammen sein wollte. Damit schien er der einzige zu sein; meine Freunde, oder die, die ich mal so genannt hatte, hatten sich ja alle von mir abgewandt. Die Ehe mit Lex schien mir das Einzige zu sein, was mir Halt und Hoffnung geben könnte.
Der einzige Mensch auf meiner Hochzeitsfeier, den ich kannte, war meine Mutter. Meine Freunde hatten mich im Stich gelassen. Alle. Besonders schmerze es jedoch bei Clark. Ich hatte oft an ihn denken müssen, gerade in den letzten Tagen vor der Hochzeit. Oh verdammt, Clark, warum musstest du auch so dickköpfig sein? Warum musste ich so dickköpfig sein? Was, wenn er recht hatte? Wie gut kannte ich Lex denn schon? Was, wenn Lex den guten Menschen nur gespielt hatte? Und ich nur das gesehen hatte, was ich sehen wollte? Oder das, was er mich hatte sehen lassen? Was wusste ich denn schon von ihm? Mehr als den Lebenslauf hatte ich nicht herausgefunden.
Da stand ich nun vor diesem Spiegel, in meinem Brautkleid, ein Traum in weißer Seide mit einer meterlangen Schleppe. Aber es fiel mir so schwer, mich in diesem Spiegelbild wieder zu erkennen. War ich wirklich Lois Luthor? Lois Lane-Luthor? Warum mussten sich solche Bedenken gerade in diesem Moment in mein Bewusstsein drängen? Es war doch bereits zu spät um umzukehren... oder? Zweifelnd und unter Tränen sah ich mich an und wusste nicht, was ich mir selbst raten sollte. Zum x-ten Mal verschmierten meine Tränen die Wimperntusche und ruinierten mein Make-up. Superman hatte ich bereits verloren. Wenn ich Lex heiratete, verlor ich Clark. Das hatte er mir angedroht. Wenn ich einen Rückzieher machte, verlor ich sicher Lex.
War Clark nur eifersüchtig, oder hatte er wirklich einen begründeten Verdacht gegen Lex? Oder nur den richtigen Instinkt?
Weinend und schluchzend probierte ich meinen zukünftigen, möglichen Nachnamen aus, „Lois Luthor-Lane, Lois Lane-Luthor... Lois Lane-Kent...?“
Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr ich Clark vermisste. Wie sehr ich ihn schätzte. Wie viel er mir bedeutete. Und ich hatte es ihm niemals gesagt. Konnte ich denn jetzt noch umkehren? Da draußen saßen mehr als hundert geladene Gäste, die erwarteten, dass ich mich protokollgemäß verhielt. Ganz zu schweigen von Lex. Wie würde er reagieren, wenn ich doch 'nein' sagte?
~ ~ ~
Oh ja, ich konnte umkehren. Und ich tat es auch. Die letzten Meter auf dem Weg zum Altar sah ich nur noch Bilder von Clark und mir vor meinem inneren Auge. Erinnerungen an die letzten Monate. Verdammt noch mal, ich traf diese Entscheidung schließlich für mich! Nur für mich! Nicht für Lex und auch nicht für die hundert geladenen Gäste der High-Society von Metropolis. Oder für meine Mutter. Oder für sonst wen.
„Ich... kann nicht.“ Meine Stimme zitterte. Doch ich hatte es wirklich gesagt.
Zwar waren da immer noch Zweifel, aber ich spürte auch eine Erleichterung, die mich fast noch mehr erschreckte. Ich hatte nein gesagt und es ging mir gut dabei. Was hatte ich mir bloß bis vor ein paar Minuten gedacht? Hatte ich wirklich geglaubt, ich könnte in dieser Ehe glücklich werden. Könnte ich selbst sein? Mich verwirklichen? Würde akzeptiert werden von ihm? Scheinbar ja, sonst hätte ich doch seinen Antrag nicht annehmen können.
Dann überschlugen sich die Ereignisse mal wieder. Die Planet-Truppe und Henderson platzten in die gerade geplatzte Hochzeit und wollten Luthor verhaften. Er sollte doch der alleinige Drahtzieher der Planet-Zerstörung sein, was sie nun beweisen konnten. Luthor versuchte zu flüchten. Aber das war aussichtslos, das Gebäude war umstellt, überall war die Polizei. Doch ein Lex Luthor ließ sich nicht so einfach verhaften – nein! Er stürzte sich vor unseren Augen vom Lex-Tower in die Tiefe und entzog sich somit der Schmach einer Verhaftung.
Ich stand vor dem Haus, dem Lex-Tower und sah, wie alle anderen, gespannt in die Höhe. Wie alle, konnte ich nicht glauben, was ich sah. Doch im Gegensatz zu allen anderen fragte ich mich, wie ich mich so hatte täuschen können. Wie ich mich so hatte täuschen lassen von ihm. Ich hatte Lex vertraut. Ich war bereit gewesen mit ihm vor den Altar zu treten. Ich hatte in ihm meine Zukunft gesehen. Ich hatte geglaubt, Lex sei ein guter Mensch – weitgehend. Ich hatte mich in allem getäuscht. Wo war nur meine Menschenkenntnis geblieben?
Doch gleichzeitig fragte ich mich, warum er den Planet hatte zerstören wollen? Was hatte das für einen Sinn? Finanziell hatte es kaum Auswirkungen für ihn gehabt. Das einzige Ergebnis dieses Zerstörungswahns war das Zerschlagen der Planet-Crew und die Entzweiung von meinen Freunden und mir... Von Clark und mir. War es vielleicht sogar das, was Lex bezweckt hatte? Dieser Gedanke bescherte mir ein Frösteln, das mir bis tief in die Knochen drang.
So stand ich also in den Trümmern meines Traums. Meine geplatzte Hochzeit. Mein Bräutigam, der doch der kriminelle Psychopath war, für den ihn immer alle gehalten hatten. Nur ich hatte das nie sehen wollen. Blind, doch glücklicherweise unverheiratet, zweifelte ich jämmerlich an meiner Menschenkenntnis. Aber ich stand auch bei Perry, Jimmy, Jack – und Clark. Wir waren wieder vereint, wieder ein Team. Lex hatte ich verloren. Doch in diesem Moment fühlte ich mich nur noch ausgezehrt und leer. Dies alles überstieg das, was mein Herz und mein Kopf verarbeiten konnte.
~ ~ ~
Ich brauchte mehrere Tage, um mich wieder selbst im Spiegel betrachten zu können ohne gleich in Tränen auszubrechen. Clark war da und stand mir zur Seite. Nicht ein einziges Mal ließ er Schadenfreude oder ein bösartiges „Ich hab es dir doch gesagt“ verlauten. Er war einfach nur da, war mir ein Freund. Ein Freund, mehr auch nicht. Denn inzwischen hatte er mir gesagt, dass er mich gar nicht lieben würde, nicht so lieben würde. Sein Liebesgeständnis im Park hätte er mir nur gemacht, um mich von der Heirat mit Luthor abzubringen. Doch sollte ich ihm darum böse sein? Nein! Er hatte es getan, um mich zu schützen. Während ich mich emotional immer weiter von Luthor weg und auf Clark zu entwickelt hatte, hatte Clark nur meine Interessen im Sinn gehabt.
Ich blieb enttäuscht und alleine zurück.
Der Planet erlebte eine Wiederauferstehung, Clark und ich waren Freunde, Partner. Superman flog am Himmel, wachte über uns und die ganze Planet-Crew war wieder da. Es war alles wieder gut.
Dachten wir. Alle.
Lucy saß mir gegenüber so eingekuschelt, dass ich fast fürchten musste, sie sei eingeschlafen, aber der Eindruck täuschte. Sie meldete sich mit rauer Stimme zu Wort: „Im Grunde ist es erstaunlich. Du hast zwei Männer gleichzeitig geliebt. Der eine ist die Güte in Person, aber der will dich nicht. Der andere ist die Personifizierung des Bösen und dem sagst du ja. Warum hat Superman eigentlich nein gesagt, er ist doch Clark? Liebte er dich zu der Zeit noch nicht?“
Da hatte sie Recht, ich schien damals nach Vollkommenheit zu streben, entweder der vollkommen Gute oder wenn das nicht ging, dann eben der vollkommen Böse. „Nein, Clark sagt immer, er hätte sich in mich verliebt nur wenige Minuten, nachdem er mich zum ersten Mal gesehen hatte. Aber er wollte immer, dass ich den normalen Mann liebte – Clark. Nicht den Helden und das, was er tun konnte.“ Genau dafür brauchte ich aber noch Zeit.
Während der folgenden Monate bewegten Clark und ich uns also langsam, ganz langsam, geradezu im Schneckentempo aufeinander zu. Wir sprachen ganz vorsichtig über ein Date, verabredeten sogar einen Termin. Doch da machte uns jemand einen Strich durch die Rechnung, mit dem wohl keiner von uns jemals gerechnet hätte. Aber einen Lex Luthor sollte man niemals unterschätzen. Er hatte immer schon Mittel und Wege gehabt, Verbindungen und Beziehungen, alles Mögliche zu erreichen. Dass er in der Lage war, sogar den Tod zu überwinden, war jedoch selbst für seine Verhältnisse phänomenal. So unglaubwürdig das auch erscheinen mochte, er tauchte wieder auf. Wirklich und leibhaftig. Eines Winterabends, getarnt und maskiert als rollstuhlfahrerder alter, hilfebedürftiger Mann. Er fragte er mich, ob ich die Geschichte vom Phönix kannte. So offenbar gehandicapt kam er auf mich zugerollt, wohl wissend, dass ich natürlich nicht nein sagen würde, wenn mich dieser fremde Mann um Hilfe bitten würde. Dieser Kerl wagte es, sich erneut in mein Leben zu mischen.
Oh ja, wie ein Phönix aus der Asche stieg er auf und war bösartiger und heimtückischer als je zuvor. Er machte sich noch nicht mal mehr die Mühe, seine Ziele zu vertuschen. „Ich habe alles verloren, außer meinem Gefühl für dich. Wir müssen das Wunder meiner Wiederauferstehung als ein Zeichen nehmen. Ein Zeichen, dass nicht mal der Tod uns zu trennen vermag. Nein, wundere dich nicht über Wunder. Wir sind vereint, das ist alles, was zählt.“ Er sagte das im Brustton der Überzeugung.
Da stand ich nun in dieser Gasse, kein anderer Mensch weit und breit und war vollkommen vor den Kopf gestoßen, konnte nicht glauben, was ich sah und hörte..„Was? Nein! Nein, ich könnte niemals...“ Lex Luthor war wieder da. Er war es wirklich! Was empfand ich nur dabei? Eines wusste ich mit absoluter Sicherheit in diesem Moment: Wirklich geliebt hatte ich Lex Luthor nie. So blieb nur Entsetzen.
Mit der ihm eigenen Selbstsicherheit fuhr er fort: „Ich bin bei dir in Ungnade gefallen, ich kann es an deinen Augen sehen. Aber sicherlich wird doch ein Wesen von deiner Größe mir die Chance geben, mich zu rehabilitieren. Oder?“ Er stieg langsam und selbstsicher aus dem Rollstuhl aus, er hatte ihn sowieso nur benötigt, um sich mir zu nähern. Dann zog er sich diese Kunststoffmasse von seiner Gesichtshaut, mit der er sein Gesicht verändert hatte. Lex Luthor stand praktisch auf jedem Steckbrief des Landes, nachdem seine 'Leiche' gestohlen worden war. Er wusste all das und er hatte vorgesorgt. Je mehr er von der klebrigen Masse entfernte, umso näher kam er dem Bild des Lex Luthors, das sich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Das ich gehofft hatte, niemals wieder sehen zu müssen.
Ich konnte es nicht fassen. Er wollte dort weitermachen, wo wir geendet hatten! Er glaubte wirklich, ich hätte auf ihn gewartet! Oder könnte ihm verzeihen. „Ich... habe solche Gefühle nicht mehr für dich“, sagte ich tonlos. Ich hätte gerne noch so viel mehr gesagt, hätte ihn am liebsten angeschrien, ihn gefragt, was er sich einbilden würde. Er widerte mich an. Doch die Worte blieben mir im Halse stecken, ich wich nur einen Schritt zurück. Am liebsten wäre ich einfach fort gelaufen, doch meine Füße schienen gelähmt.
„Ich glaube das nicht.“ Selbst in dieser Bemerkung war kein Zweifel. Es war, als hätte er auch meine Ablehnung bereits vorausgesehen und kalkuliert.
Ich konnte einfach nicht glauben, was ich hier erlebte. „Wie kannst du das nur erwarten? Nach allem, was du getan hast“, schleuderte ich ihm entsetzt und widerwillig entgegen.
„Aber ja, ich habe Furchtbares getan, aber ich tat es nur um deinetwillen.“ Oh ja, er versuchte mich zu manipulieren. Das war Lex. Genauso funktionierte Lex Luthor. Ganz langsam merkte ich, wie mein Gehirn all die Informationen auch tatsächlich wieder verarbeiten konnte. Früher hatte seine Taktik gut funktioniert bei mir, genauso hatte er sich in mein Herz geschlichen, indem er mich manipulierte. Das sah ich in diesem Moment ganz deutlich. Hätte ich es doch nur schon Monate vorher gesehen. „Ich bin von dem strahlenden Licht deiner Schönheit geblendet worden.“ Nun versuchte er mir zu schmeicheln. „Aber wenn du mir nicht vergeben kannst, dann hier“, er reichte mir ein Mobiltelefon, „ruf die Polizei! Na los, ruf sie doch!“ Eine taktische Sekunde des Zögern, ehe er nachsetzte: „Du empfindest noch etwas für mich.“ Diese letzten Worte sagte er beschwörend, aber sehr selbstbewusst.
Einen kurzen Moment stand ich einfach nur etwas verunsichert da. Aber dies war nicht die Zeit für Rücksichtnahme, ich musste ihm eindeutig klar machen, dass er nie wieder eine Chance haben würde. Hatte er denn wirklich geglaubt, ich hätte auf ihn gewartet? „Nein. Ich glaube einfach nur, du hast schon genug gelitten.“ Meine Stimme klang so verächtlich, dass ich mich fast über meine eigene Aversion wunderte, aber auch nur fast. Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging. Ich ging von ihm , ich hoffte, ihn nie wieder sehen zu müssen. Wie naiv! Ich glaubte, nur von meinem Wort ließe er sich so einfach von seinem Vorhaben abbringen. Wann würde ich es endlich lernen, diesen Mann, diesen Teufel in Menschengestalt, in seiner unendlichen Bösartigkeit richtig einzuschätzen?
Hätte ich in diesem Moment gewusst, was mir noch bevorstand, hätte ich vielleicht anders entschieden.
Sein wahres Gesicht zeigte er nur kurz darauf, dafür aber umso deutlicher, nachdem mich diese Ärztin, Gretchen Kelly, gekidnappt hatte. Sie war es gewesen, die seine Leiche gestohlen hatte und ihn ins Leben zurückgeholt hatte.
Luthor trat in einem heruntergekommenen Verließ auf mich zu. „Lois!“, schrie er mich an, „Wann wirst du endlich lernen, dass ich immer bekomme, was ich will?!“ Die Maske war gefallen. Nie zuvor hatte er mir so sehr sein wahres Gesicht gezeigt, wie in diesem Augenblick. Tief verborgen in mir hatte ich es längst gewusst und doch schmerzte es unendlich. Ich hatte diesen Mann fast geheiratet. War bereit gewesen, alles mit ihm zu teilen, hatte ihm vertraut... Diese Vorstellung brannte wie in ein Feuer in meiner Seele.
„Lex, bitte!“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, „Bevor du die Dinge noch verschlimmerst...“ Dr. Kelly hatte mich hierher bringen, hatte mich ihm ausliefern müssen. Dabei war es nur zu offensichtlich, dass sie ihn liebte. Doch er – er wollte nur mich. Warum konnte er mich nicht endlich in Ruhe lassen? Warum wollte er nicht sehen, dass alles, was ich einmal für ihn empfunden hatte, inzwischen in Hass und Verachtung umgeschlagen war? Wir standen in einer Art Kellergewölbe, weit ab von Menschen, die helfen könnten, es war dunkel, nasskalt und stank nach vermoderten Abfällen – es passte zu meiner Situation.
Gereizt und auf eine dämonisch beschwörende Art fegte er meinen Einwand beiseite: „Ich habe das Schlimmste schon durchgemacht.“ Ja natürlich, er hatte sogar den Tod überwunden. Hatte zusehen müssen, wie all seine dunklen Taten, seine Verbrechen, Manipulationen und Korruptionen aufgedeckt wurden. Hatte ertragen müssen, von seiner Braut – mir – am Altar stehen gelassen zu werden. Hatte alles verloren und war gerade in diesem Moment wieder dabei noch einmal alles zu verlieren. Aber hatte er es nicht verdient...?
Superman rettete Luthor das Leben. In dem Moment, wo Superman in festsetzten wollte, versuchte sich Luthor, mal wieder, durch den Tod einer Verhaftung zu entziehen. Wenn Clark damals geahnt hätte, dass es nicht das letzte Mal war, dass wir beide Lex Luthor sehen würden, mit ihm zu tun haben würden, wer weiß, ob er auch so reagiert hätte...
~ ~ ~
Himmel, war ich nervös! Clark und ich hatten es endlich geschafft, wir hatten uns aufeinander einlassen können. Wir gingen aus, wurden ein Paar. Ich erfuhr die ganze Wahrheit über ihn, wurde sehr wütend und vergab ihm schließlich. Natürlich nicht so schnell und nicht so einfach, es war ein Prozess, der über Wochen ging. Wochen, in denen ich ihn wenigstens ein wenig so leiden lassen musste, wie ich gelitten hatte, als ich noch dachte, ich liebte zwei verschiedene Personen. Über Monate hatte ich mich zwischen Clark und Superman gefangen gefühlt, mich zwischen ihnen aufgerieben. Doch natürlich vergab ich ihm, seine Motive waren so edel und so nachvollziehbar. Das war die Voraussetzung, seinen Heiratsantrag annehmen zu können. Als ich das tat, war ich mir so sicher. Ich wusste einfach, es war genau das Richtige. Er war genau der Richtige für mich.
Doch in den letzten Tagen vor der Trauung wurde ich von einer unerklärlichen Unruhe beschlichen. Ich fühlte überall Zeichen und Hinweise. Es ging nicht um die Frage, ob ich heiraten wollte, oder ob Clark der Richtige war. Nein, darüber bestand nicht der geringste Zweifel. Ich hatte das Gefühl, es würde etwas passieren, etwas Unvorhersehbares, etwas Schreckliches. Zumal es bei Clark und mir ja immer so gewesen war: Wenn alles gut lief, ging etwas schief. Meine erste Eingebung war: Stress mit meiner Mutter. Das lag auf der Hand. Oder mit meiner Schwester, oder zwischen Mom und Dad... Aber meine Vorahnung sagte mir, es würde noch sehr viel grausamer werden als das.
Der Tag der Hochzeit kam also und entgegen meiner Vermutung verlief er gemäßigter als ich erwartet hatte. Jedenfalls war niemand aus unseren Familien ermordet worden oder so etwas.
Wir fuhren zu der Kapelle und ich fing sogar schon an, abergläubische Rituale zu praktizieren. Alles nur, um uns vor dem Bösen zu schützen, das ich auf uns zukommen sah. Ich hatte es überall gespürt. Doch selbst in meinen dunkelsten Alpträumen hätte ich es mir nicht so grausam ausmalen können.
Alles, woran ich mich später erinnerte, war, dass mich der Diakon in einen Nebenraum bat, weil ich unsere Urkunde noch unterschreiben musste. Er schloss die Tür und gleich darauf spürte ich, unerwartet aus dem Verborgenen kommend, einen Stich seitlich am Hals. Augenblicklich, bevor ich noch wusste, wie mir geschah, wurde mir sehr schwindelig, das Blut in meinem Kopf rauschte laut, alles um mich herum drehte sich, wurde undeutlicher und meine Beine knickten langsam ein. Dann wurde es dunkel... und mein letzter Gedanke galt Clark.
~ ~ ~
Re: Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 12:04
von Magss
Das nächste Bild, das ich wieder klar erkennen konnte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Vor meinen Augen demaskierte sich der Diakon und entpuppte sich als niemand anderes als Lex Luthor.
Erst dann spürte ich die Fesseln an meinen Handgelenken und den Knebel in meinem Mund.
Das war unser größter Fehler gewesen, wir hatten ihn alle unterschätzt. Ganz besonders ich.
Na wunderbar, ich wollte heiraten und landete stattdessen in der Gewalt dieses kranken, perversen, widerlichen Soziopathen. Ich hatte gewusst, dass etwas Schreckliches passieren würde. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst. Aber selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht an Luthor gedacht.
Er faselte etwas vom Wiedersehen und wie sehr er mir erlegen war. Dann drohte er mir, mich sofort wieder zu betäuben, wenn ich das Wort 'Superman' nur denken würde. Wir machten einen Deal, er befreite mich von dem Knebel, wenn ich nicht nach Hilfe rief.
„Lex“, ich nutzte meine Chance sofort und redete eindringlich auf ihn ein, „du solltest dich stellen. Du hast doch keine Chance. Sie werden dich im ganzen Land suchen. Niemals wirst du damit durchkommen – was auch immer du vorhast.“ Was ich lieber gar nicht wissen wollte.
Genau davon war ich in diesem Moment auch überzeugt, dass alle nach uns suchen würden, nach mir und dem, der mich entführt hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Clark hier auftauchen würde. Wir hatten schließlich heiraten wollen, und nun, wo ich verschwunden war, würde Clark nach mir suchen. Wie ich ihn kannte, würde er jeden Stein umdrehen, das Unterste nach oben kehren, bis er mich in diesem düsteren Schlupfloch aufgespürt hatte. Die Familien, Perry, Jimmy, sie alle würden nach mir suchen. Solange musste ich einfach durchhalten.
Durchhalten und derweil versuchen mir diesen psychopathischen Kriminellen vom Hals zu halten. Das konnte, seinem ekelhaft verzehrenden Blick nach zu urteilen, schwierig werden. Da war ein Feuer in seinen Augen, das mich wirklich ängstigte. Aber ich würde alles in meiner Macht stehende tun. Und das bitte, bevor er mich in die Alpen verschleppen würde, wie er mir androhte. In eine fensterlose Festung.
Ich bemerkte seine Hand auf meiner Schulter. Dieser minimale körperliche Kontakt jagte mir heiße und kalte Schauer zugleich über den Rücken. Diese kleine Berührung war schon unerträglich. Alles an diesem Mann war nur noch abstoßend und mit jedem Wort, das er sagte, wurde es schlimmer. Sein abgründiger Geist, in den er mich blicken ließ, erschütterte mich. Die Alpen - Europa, das würde Clarks Suche nur erschweren und sicher verzögern. Also bitte nicht dorthin. Aber was konnte ich nur tun?
Er sprach davon, dass ich ihn einmal anziehend gefunden hatte, und genau dieses Gefühl wollte er nun wieder erwecken. Während ich immer noch gefesselt und wehrlos auf diesem Stuhl saß, beugte er sein Gesicht zu meinem. Ich ahnte, was er vorhatte und ein Ekelgefühl überfiel mich augenblicklich. Natürlich versuchte ihm auszuweichen, soweit wie es meine Fesseln zuließen, doch das war nicht weit genug. Er kam immer näher und tat es tatsächlich, er küsste mich auf die Lippen. Es fühlte sich hart, tot und kalt an. Abscheu und Grauen überfielen mich dabei, mein Magen verkrampfte sich und ich spuckte ihm ins Gesicht. Es ärgerte mich, dass ich mich nicht wirklich wehren konnte. Ich hätte ihn gern geschlagen.
Bis zu dieser Sekunde sah ich das Gefühl, dass er mich anwiderte als mein größtes Problem. Alles, was Lex tat und sagte, war mir in höchstem Maße unangenehm. Eiskalte Schauer liefen mir über die Haut. Es galt nur die Zeit zu überstehen, bis Clark hier auftauchte. Ich war von unserer Hochzeit verschwunden. Clark würde nicht eher ruhen, bis er mich gefunden hatte. Wir wollten heiraten – endlich. Und wir wollten unsere Hochzeitsnacht erleben – endlich. All das hatte Lex mit seinem perfiden Plan verhindert. Trotz eines gewissen Restes an Mitleid, hasste ich ihn in diesem Moment mehr denn je.
Clark musste mich nur finden. Und er würde mich finden. Er musste mich einfach finden. Dann würde Lex endlich bekommen, was er verdiente. Schließlich hatte Lex keine Ahnung mit wem er sich da einließ. An diesen Gedanken klammerte ich mich wie eine Ertrinkende.
Doch diese Hoffnung wurde augenblicklich zerstört, als die Stimme einer Frau unsere Auseinandersetzung der Bösartigkeit unterbrach. Es war nicht unbedingt die Stimme dieser Frau, die mich schockierte, obwohl sie mir seltsam bekannt vorkam. Die Frau rief laut und ungeduldig: „Lex!“, doch das hatte keine Bedeutung mehr, nachdem ich sie angesehen hatte. Sie glich mir bis aufs letzte Haar, Größe, Statur, Frisur, Stimme, die Art sich zu bewegen, sie war mein genaues Ebenbild, abgesehen von der geschmacklosen Kleidung.
Wieso stand hier eine Frau, die aussah wie ich, sprach wie ich...?
Das war unheimlich.
Ich war schockiert, schnappte nach Luft.
Die Angst jagte mir ein Zittern über den Körper.
Augenblicklich offenbarte sich mir, wie heimtückisch, hinterlistig und bösartig Lex' Plan in Wirklichkeit war. Er hatte mich nicht nur einfach entführt, nein, an meiner Stelle, hatte diese... Frau, dieses Wesen, diese billige Kopie, meinen Platz eingenommen. Clark würde mich nicht vermissen. Nicht jetzt und auch nicht später. Er würde mich dann logischerweise auch nicht suchen. Niemand würde mich suchen, weil niemand mich vermisste. Diese Schlussfolgerung nahm mir den Atem... und den Mut.
Die Angst schien eine große, kalte Hand zu sein, die sich mir an den Hals legte und langsam und unaufhaltsam zudrückte. Ich wusste nicht, wie ich in diesem Moment noch nach Vorne blicken sollte. Wo war der Hoffnungsschimmer, der mir die Kraft gab weiter zu machen. Der mir zeigte, dass alles wieder gut werden würde? Wenn ich nur durchhalten würde.
Die Panik nahm mir alle Kraft, fast verlor ich den Halt.
Lex schrie dieses Wesen an. Zeigte einmal mehr, was ihn antrieb, Wahnsinn, Hochmut und Egomanie. Aus dem Gespräch der beiden konnte ich folgern, dass sie ein exakter Klon von mir war. Genauso wie die Tatsache, dass inzwischen wohl ein Tag und eine Nacht vergangen waren. Und mit diesem Klon war mein Clark nun verheiratet. Sie war diejenige, die 'ja' zu Clark gesagt hatte. Sie hatte die Nacht mit ihm verbracht. Unsere Hochzeitsnacht... In diesem Moment verließ mich alle Kraft. Die Tränen schossen mir in die Augen. Wir hatten gehofft, dass dies die glücklichste Zeit unseres Lebens sein würde und stattdessen...
Ich sah ein Bild vor meinem inneren Auge, wie dieses Geschöpf und Clark sich berührten, sich küssten... Mein Magen zog sich so sehr zusammen, dass es schmerzte.
Gerade hatte ich noch gedacht, es sei, nun ja, halb so schlimm war sicher eine maßlose Untertreibung, aber es würde sich schon alles auflösen. Ich würde hier mit heiler Haut herauskommen, wenn nur Clark mich endlich finden würde. Wenn er endlich käme, um mich von diesem schrecklichen Ort wegzubringen, von diesem Ort und diesem Teufel in Menschengestalt. Doch dann überfiel mich die Hoffnungslosigkeit meiner Situation mit solcher Macht. Mir wurde schlagartig klar, dass es sehr viel schlimmer war als ich angenommen hatte. Niemand suchte mich. Niemand vermisste mich. Clark teilte das Bett mit diesem... diesem Monster, das Luthor erschaffen hatte. Und ich war diesem Psychopathen restlos ausgeliefert.
Ich konnte es nicht mehr verhindern, die Tränen suchten sich ungehindert ihren Weg.
Später hatte Luthor mich von meinen Fesseln befreit. Nachdem ich mich wie von ihm befohlen umgezogen hatte, sah er mich ganz hingerissen an. Doch war es die Bewunderung eines Wahnsinnigen. Er kam mir ganz nah, drängte seinen Körper gegen meinen und seine Hand glitt über meinen Bauch, hielt mich Besitz ergreifend fest. Er stand hinter meinem Rücken, ich konnte ihn nicht sehen, doch ich spürte ihn überall. Fast hätte ich mich übergeben. Dieses Gefühl schlich von meinem Magen zum Hals hoch, doch ich schluckte es herunter. Ich hätte ihn am liebsten weggestoßen. Geschlagen, getreten, ihn angeschrieen. Doch was sollte ich tun? Der Raum bot keine Fluchtmöglichkeit. Ständig bedrohte er mich mit einer Injektionsnadel. Der Himmel wusste, was sie enthielt.
Mit jedem Satz, den er zu mir sagte, enthüllte er mehr von seinem wahnsinnigen Geist. Er sah ein Feuer in meinen Augen, wo ich nur Abscheu verspürte. Er sah meine Lippen und war verzückt, während ich mit meinem Brechreiz kämpfte.
Ich war mir nicht sicher, wie schlau es wirklich war ihn zu beleidigen, aber ich sagte ihm gerade heraus: „Du bist wahnsinnig.“
Doch er ignorierte meine Ablehnung, überhörte sie einfach und sagte auf eine enthusiastische, diabolische Art: „Ah, ich sehe, du gibst bereits nach.“ Alles, was ich tat oder sagte, drehte er um, verkehrte es ins Gegenteil – seine Geistesstörung war beängstigend.
~ ~ ~
Die erste Möglichkeit zur Flucht, die sich mir bot, nutzte ich - natürlich. Ich musste mir schließlich selber helfen. Doch kaum ein paar Meter in Freiheit, die Chance ihm wirklich zu entkommen, war zum Greifen nah, da spürte ich gerade noch, wie etwas mich anstieß, etwas Gewaltiges, mich zu Boden riss. Unerträgliche Schmerzen! Dumpfe Schmerzen. Mein Kopf, Rücken, überall. Es gab nur dieses Gefühl des dumpfen Schmerzes. Und dann wurde es dunkel vor meinen Augen. Vollkommene Schwärze umfing mich, schien mich zu umgeben, fest zu halten, zu wiegen. Alles wurde ruhig, lautlos, finster, nachtschwarz...
Ich hatte in dieser Nacht schon ein paar Mal gedacht, dass ich meine Schwester geschockt hätte. Doch diesmal war es mir anscheinend wirklich gelungen. Lucy sah mich mit starrem Blick an und rührte sich nicht. Sie hatte beide Fäuste ineinander verschlungen und drückte sie gegen ihren Mund. Ich war mir nicht sicher, ob sie sich nicht sogar selber biss, um die Aufregung auszuhalten.
Meine Kehle war inzwischen ganz trocken vom vielen Reden, aber Prosecco schien ein hervorragendes Mittel dagegen zu sein.
Doch der Name 'Lane' und die Eigenschaft 'sprachlos' gehörten einfach nicht zusammen. Lucy fing sich nach einem kurzen Moment, reichte mir nebenbei ihr leeres Glas und fragte entsetzt: „Lois! Das ist gemein. Du kannst doch an der Stelle nicht aufhören! Das ist doch nicht das Ende!“
Ich nahm noch ein Schluck, um meine Stimmbänder zu ölen und ich antwortete ihr viel gelassener, als sie das wohl ertragen konnte: „Doch. Für mich schon.“ Ich reichte ihr noch etwas Schokolade, herbe, dunkle Edelbitterschokolade mit einer cremig-schmelzenden Zartbitterfüllung. Inzwischen waren keine Käsecracker mehr da. Schokolade passte nicht wirklich zu dem Prosecco, doch dafür beruhigte sie viel mehr. Genau das schien meine Schwester zu brauchen. Seelenruhig fuhr ich fort: „Das nächste, an das ich mich klar und deutlich erinnere, war, wie ich zu Clark sagte, ich sei wieder da. Ich wüsste Bescheid, über ihn, Superman, uns... und darüber, dass ich ihn liebe. Das war sechs Wochen später.“
Lucy verschluckte sich an ihrem Prosecco. Und noch bevor sie wieder richtig zu Atem gekommen war, fragte sie mit rauer Stimme: „Sechs Wochen?!“ Einen Moment sah sie mich aus aufgerissenen Augen an. „Ich weiß, das war die Zeit deiner Amnesie. Aber was ist in der Zeit passiert? Es kann doch nicht sein, dass das nur ein großes, schwarzes Loch für dich ist. Ich meine, vorhin hast du meine Frage, ob du mit Lex geschlafen hast, nicht beantwortet. Und jetzt bin ich auch nicht klüger.“, setzte sie frustriert nach.
An dieser Stelle versuchte ich einmal mehr die große Schwester heraus zu kehren: „Mensch, Lucy! Du kannst aber auch nur an das Eine denken!“ Auch ich nahm mir noch ein Stück Schokolade, biss ein kleines Stückchen ab und ließ es ganz langsam auf meiner Zunge schmelzen, bis sich die herben Aromen entfaltet hatten. Schokolade enthielt mehr als vierhundert verschiedene Aromen. Theobromin sei gegrüßt! Oh ja, diese Droge machte einfach glücklich. „Weißt du“, fuhr ich bedächtig fort, „im ersten Moment war ich einfach nur froh, wieder da zu sein, wieder eine Vergangenheit zu haben, eine Persönlichkeit, mein Leben zurück zu haben... Aber dann habe ich mir natürlich genau diese Frage gestellt. Denn alles was in dieser Zeit passiert ist, lag weiterhin im Dunklen.“
Ich genehmigte mir noch ein kleines Stück Schokolade, bevor ich fortfuhr. „Ich konnte mich an alles erinnern, was vor dem Unfall passiert war. Und an alles nach dieser merkwürdigen Maschine, die der kleine Bruder von Bad Brain Johnson gebaut hatte. Dieses technische Ungetüm, das mich letztlich zurückgeholt hatte. Das war doch schon sehr viel Wert. Aber die sechs Wochen dazwischen schienen weg zu sein. Verborgen, vergraben... Obwohl ich immer das Gefühl hatte, ich käme da ran – an meine Erinnerung aus der Zeit – aber wollte ich das?“ Ich ließ diese Frage einen Moment im Raum stehen. „Es war so, als sei diese Erinnerung eine verschlossene Kiste, die ich in den Keller gestellt hatte. Und es hat noch einmal ein paar Wochen gebraucht, bis ich mich in der Lage fühlte und den Mut hatte Stufe für Stufe in den Keller hinab zu steigen und den Deckel zu öffnen.
Ich habe Clark von meiner Angst erzählt und er hat mir versichert, was immer ich herausfinden würde, er würde alles verstehen und akzeptieren. Clark hat mir nicht nur mental die Kraft dazu gegeben. Er hat mir die Fakten geliefert, den zeitlichen Ablauf während meiner ganzen Entführungszeit. Alles was er erlebt hat, Polizeiprotokolle, Zeugenaussagen, Zeitungsberichte – all das half mir, meine vagen Erinnerungsfragmente, Bilder, Gefühle wie Ängste und Hoffnungen zu dem konkreten Erlebten zusammen zu setzen. Und dann, Stück für Stück, konnte ich mich wirklich an alles erinnern. Tag für Tag und Stunde für Stunde. Und – die Antwort lautet: Nein. Ich habe nicht mit Lex geschlafen. Weder als Lois, noch als Wanda Detroit.“
Lucy atmete entspannt aus. Sie ließ sich zurück fallen.
So ähnlich ging es mir damals auch. Ich konnte sie wirklich verstehen. „Er hat es versucht, immer wieder. Aber etwas in mir hat sich dagegen gesträubt. Genauso, wie ich mich widersetzt habe, Superman für ihn umzubringen. Amnesie oder nicht, Lois Lane schien nie ganz fort zu sein.“ Und es gab keine Worte, die ausdrücken konnten, wie glücklich ich darüber war. Selbst nach so vielen Jahren ging es mir noch so.
Ich stand auf und ging zum Fenster. „Es wird schon hell. Ich denke mal, wir machen mit Kaffee weiter, hm? Sonst schläfst du mir noch ein... jetzt, wo wir endlich zu dem Teil kommen, auf den du die ganze Nacht gewartet hast.“ Ich lächelte sie aufmunternd an.
Lucy wühlte sich aus der Wolldecke heraus, stand auf und kam auf mich zu. Und dann nahm sie mich einfach ganz fest in den Arm. Das war eine wunderbare und mitfühlende Geste. Meine liebevolle kleine Schwester. Sie sah mich aus kleinen, müden Augen an. Wir waren schließlich beide nicht mehr in dem Alter ganze Nächte hindurch zu schwatzen. Obwohl – gab es da ein bestimmtes Alter dafür?
„Lois“, sie sah mich eindringlich an, „was glaubst du, wäre passiert, wenn du zu Luthor wirklich 'ja' gesagt hättest? Hast du dich das jemals gefragt?“
Ich lachte. Aber es war mehr ein böses, hoffnungsloses Lachen. „Oh ja, das habe ich mich gefragt, öfters. Und ich bin mir ziemlich sicher, es hätte etwas von einem Horrorszenario gehabt. Ich habe in meinem Kopf in der Tat mehrere solcher Szenarien entworfen. Drei Dinge hatten sie alle gemeinsam: Erstens hätte Luthor mich niemals freiwillig gehen lassen. Ich glaube, ich war für ihn mehr so eine Art Trophäe, etwas, das er bezwingen konnte. Zweitens gab es in jedem dieser Szenarien irgendwelche Toten. Je nach Stimmung Clark, Superman, Perry, Teile der Familie Lane, die imaginären Kinder und nicht zuletzt ich selbst. Und drittens war ich in jeder dieser Vorstellungen sehr, sehr unglücklich. Ich denke, ohne fremde Hilfe wäre ich da niemals herausgekommen.“
Spontan kam mir für diese Art von Hilfe eine Person wie Wells in den Sinn. Doch diesen Gedanken behielt ich lieber für mich. Ich wollte meine Schwester schließlich in dieser Nacht nicht überfordert. Superman als Schwager verlangte ihr ja schon eine gehörige Portion Vorstellungskraft ab. Aber ein toter, zeitreisender Science-Fiction-Schriftsteller...? Besser nicht.
Ich ließ meinen Blick in die Ferne schweifen und sagte ein wenig gedankenverloren: „Luthor hat mehr als einmal bewiesen, dass er die Naturgesetze außer Kraft setzt, um an sein Ziel zu kommen. Ihn zu besiegen war wie die Eroberung der Zeit...“ Mit diesen schicksalhaften Worten sah ich meine Schwester nun wieder mit klarem Blick an.
„Die nächste Frage, die ich mir in der Tat schon oft gestellt habe, warum wollte er eigentlich mich?“ Lucy zuckte mit den Schultern und machte ein wirklich fragendes Gesicht. „Zu wirklicher Liebe – das weiß ich heute ganz sicher – war er niemals fähig. Ich denke“, fuhr ich bedächtig fort, „ich hatte strategische Gründe für ihn, Presse, PR und die darin liegenden Möglichkeiten das Ansehen von Lex Corp. in der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Dann bot ich ihm die Persönlichkeit einer äußerlich starken, klugen und ehrgeizigen Frau, die aber im innersten Kern leicht beeinflussbare und unsichere Seiten hatte. Er wollte mich sicher nach seinem Bild formen. Die Frage ist nur, wie weit er damit gekommen wäre oder ob ich mich hätte befreien können. Hätte ich mich, wie ein Anakin Skywalker, auf die dunkle Seite der Macht ziehen lassen oder wäre ich letztlich an ihm zerbrochen?“ Mit dieser einerseits offenen Frage und andererseits nicht ganz ernstgemeinten Anspielung an George Lucas schloss ich das Kapitel Lex Luthor und schritt endlich zu dem Mann, der genau das alles verhindert hatte.
„Tja, und der nächste hat nichts zu tun mit einer Story. Er ist die Story meines Lebens. Wir sind bei Clark gelandet...
Das Eis ist gebrochen
„Lois Lane - Clark Kent.“
Es war schon erstaunlich, woran ich mich nach so vielen Jahren noch erinnerte. Perrys leicht resignierte Worte hatte ich noch heute im Ohr: „Lois Lane – Clark Kent.“ Doch das war der Satz, der mein Leben verändern sollte. Aber das begriff ich erst sehr viel später.
Die Beziehung zwischen Clark und mir hatte etwas von einem Gletscher. Nicht, dass sie so kalt wie Eis war, oh nein, ganz und gar nicht. Es war eher so, dass jemand, der neben uns stehen und uns beobachteten würde das Gefühl hätte, bei uns würde sich nichts tun. Doch in Wirklichkeit bewegten wir uns aufeinander zu, nur eben sehr langsam. Wirklich langsam. Dafür aber gewaltig und unaufhaltsam. Wie so ein Gletscher schleppten wir allerlei Geröll mit uns herum, welches immer sehr unerwartet an der Oberfläche auftauchte. Hin und wieder nahm unser Beziehungsgletscher sehr bizarre Formen an.
Ich könnte noch darüber nachdenken, ob wir beide statt eines Gletschers nicht vielleicht doch eher wie zwei tektonische Platten waren. Zwei Gestalten, die sich aufeinander zu bewegten und wenn sie sich endlich berührten, ich meine wirklich miteinander verschmolzen, ein Mega-Erdbeben auslösten. Oh ja, zwei Körper auf flüssigem Magma, deren Eruption einen neuen Kontinent erschufen, ja, das traf es vielleicht doch eher.
Doch ganz gleich, was für eine Metapher ich wählte, nie würde sie wirklich beschreiben, was in den drei Jahren nach Perrys bedeutungsvollem Satz passiert war. Was jeder von uns beiden durchgemacht hatte, bis wir endlich 'ja' gesagt hatten. Damit meine ich wirklich, dass Clark zu mir 'ja' sagte und ich zu ihm und dann natürlich zur gleichen Zeit und am gleichen Ort.
Davor gab es eine Zeit, in der ich wollte, aber er nicht. Oder natürlich umgekehrt, er wollte und ich sagte 'nein'. Es gab eine Zeit, in der er glaubte, die Erde verlassen zu müssen um einen Krieg zu verhindern. Eine Zeit, in der ich nicht mehr wusste, wer er war und was wir einander bedeuteten. Eine Zeit, in der ich sein Geheimnis noch nicht kannte. Eine Zeit, in der ich ihm einfach nicht trauen konnte, weil er mir etwas verheimlichte. Sein ständiges Verschwinden und diese dämlichen Ausreden trieben mich fast in den Wahnsinn. Und da gab es noch die Zeit, in der er einfach gar keine Chance hatte sich gegen den Rivalen Superman durchzusetzen.
Doch neben Kryptoniern, Klonen, einem Jahrhunderte alten Fluch, einem Psychopathen aus der Zukunft, jeder Menge wahnsinniger Krimineller, die Clark in seiner Rolle als Superman aus dem Weg haben wollten oder mich, gab es noch eine weitere, nicht zu unterschätzende Gefahr: Die Konkurrenz. Die hatte Namen wie Lex Luthor, Dan Scardino, Patrick Sullivan und Dr. Deter, um nur die aufzuzählen, die mir partiell näher erschienen als Clark.
Gut, Deter zählte vielleicht nicht wirklich. Zu der Zeit war ich nicht ich selbst, litt unter Amnesie.
Sullivan hatte ich überhaupt nur wahrgenommen, weil Clark zu der Zeit meinte Schluss machen zu müssen. Das sollte zu meinem eigenen Schutz sein, wie er sagte. Ich fühlte mich verletzt, weil er diesen Entschluss ganz alleine gefasst hatte. Durfte ich denn wirklich nicht mitentscheiden, welches Risiko ich einzugehen bereit war? Ich wollte ihn eifersüchtig machen, oh ja. Oder vielleicht wollte ich ihn auch einfach nur quälen. Ich wollte ihn spüren lassen, was passieren würde, wenn wir uns nicht als Paar definierten, wir uns nicht aufeinander einließen.
Auch Agent Scardino hatte ich in Wirklichkeit nur zugelassen, um Clark aus der Reserve zu locken und zu einer Reaktion zu zwingen.
Ja, und Luthor? Zu dem Zeitpunkt hatte ich nicht geglaubt, dass ich einen besseren Mann für mich interessieren könnte. Superman hatte ich schließlich nicht für mich gewinnen können. Wer sonst hätte mich schon haben wollen?
Nur der Vollständigkeit halber, auch Clark brachte Konkurrenz ins Spiel, die mich eifersüchtig gemacht hatte: Mayson Drake. Jedenfalls redete ich mir das damals immer ein, dass sie nur deshalb eine Rolle gespielt hatte.
Aber Moment mal... wie hieß sie doch gleich noch? Veronica Kippling, die Frau aus dem Museum. Noch heute gefror mir das Blut in den Adern, wenn ich daran dachte, wie sie mit schriller Stimme „Clarkie!“ rief. Oh ja, mit der wollte Clark mich eifersüchtig machen – und es war ihm gelungen. Aber das waren alle... oder?
Obwohl... die Toaster-Geschichte, Toni Taylor, oh ja, der Kuss war wohl eher für mich gewesen als für sie. Über die Eifersucht musste ich mich mit sehr viel Schokoeiscreme retten. Aber das waren jetzt wirklich alle...
Das heißt... da war doch auch noch Linda King. Diese Schlange hatte mir schon einmal einen Freund ausgespannt und natürlich hatte ich erwartet, befürchtet, dass sie mir auch Clark ausspannen würde. Auch wenn wir zu dem Zeitpunkt noch gar nicht zusammen waren. Clark war mein Freund. Mein Freund. Und das sollte er auch bleiben. Aber das waren jetzt wirklich alle Frauen, mit denen Clark mich jemals eifersüchtig gemacht hatte...
Verdammt, je länger ich darüber nachdachte... Lana Lang. Auch wenn das nur in einem anderen Universum stattgefunden hatte. Ich sollte aufhören über Frauen nachzudenken, die mich eifersüchtig gemacht hatten!
Wir hatten so viele Hindernisse auf unserem Weg. Das hätte für Generationen von Liebenden gereicht, um sie gar nicht erst zusammen zu bringen. Doch wir haben sie erstaunlicherweise alle überwunden. Wobei das allergrößte Hindernis weniger diese äußeren Faktoren waren.
Das größte Hindernis steckte in mir selbst.
Ich war an diesem alles entscheidenden Tag in das Büro meines Chefredakteurs gestürmt und wollte ihm etwas furchtbar Wichtiges mitteilen. Etwas, was der in diesem Moment gar nicht hören wollte. Er war im Gespräch. Mit einem jungen Mann. Perrys Gegenüber musterte ich höchstens den Bruchteil einer Sekunde. Groß, vielleicht einen halben Kopf größer als ich. Dunkle, fast schwarze Haare. Sportliche Figur, jedenfalls soweit sich das in einem Anzug beurteilen ließ. Braune Augen, die aber leider unter einer grässlichen Brille versteckt waren. Wo kam dieser Mann bloß her, dass er noch nie etwas von Kontaktlinsen gehört hatte?
Dann kam dieser bedeutende Satz von Perry: „Lois Lane – Clark Kent.“
Mehr als einen flüchtigen Blick bekam er dafür von mir nicht. Er sah einfach zu gut aus. War bestimmt ein Schleimer, oder ein Blender. Ganz sicher. Oder er war diese Marke Lügner und Betrüger. Oder einfach ein zu groß geratener Junge aus der Provinz bei seinem Abenteuer in der großen Stadt. So ein Frauenversteher oder Pfadfinder - egal, vollkommen uninteressant. Für diese Einschätzung brauchte ich kaum mehr als den Bruchteil einer Sekunde. Jimmy gab mir zu verstehen, dass ein lang erwarteter Anruf für mich reinkam und zwei Sekunden später hatte ich diesen Provinztölpel auch schon wieder vergessen.
Nur da machte mir unser langjähriger, erfahrener und hoch geschätzter Chefredakteur einen Strich durch die Rechnung. Und zwar richtig. Nur einen Tag später bekam ich diesen großen Jungen als Unterstützung für meinen Fall zugeteilt. Es ging um das Raumfahrprojekt! Und Perry gab mir einen grünen Jungen! Ich ärgerte mich unglaublich über Perrys Entscheidung. Kent hingegen habe ich versucht einzuschüchtern. Vielleicht könnte ich so erreichen, dass Mister Ich-habe-keine-Ahnung-von-Nichts selbst darum bat, nicht mehr mit mir zusammen arbeiten zu müssen. Oder noch besser, er suchte sich am besten gleich eine andere Zeitung, um sein Großstadt-Abenteuer auszuleben. Denn er kam wirklich aus der Provinz: Aus Kansas!
Ein wenig später während unserer Zusammenarbeit beim Planet gab es eine Situation, die mir noch gut im Gedächtnis geblieben war. Wir waren alleine in der Redaktion, sahen die Unterlagen von Platt durch und Kent sah mich an. Er musterte mich, aber mit so einem weichen, hoffnungsfrohen Ausdruck. Oh, ich konnte ahnen, was in seinem Kopf vorging. Diesen Zahn wollte ich ihm sofort ziehen. „Verlieb' dich nicht in mich, Farmboy! Ich hab keine Zeit für so etwas.“ Wie kam ich nur auf den Gedanken mit dem Verlieben...?
Das sollte eine Warnung an ihn sein. Doch ich hätte sie lieber nicht ihm, sondern mir selbst geben sollen.
Manchmal passieren merkwürdige Dinge im Leben. Clark und ich hatten ausgesprochene Hochs und Tiefs, aber dennoch schlich sich da mit der Zeit etwas Kontinuierliches ein, das ich niemals für möglich gehalten hätte.
Etwas sehr Erstaunliches an Clark war, dass er mich ertrug. Ich hatte mit den Jahren den Ruf erhalten, schwierig zu sein, gerade wenn es um Zusammenarbeit ging. Mir war das klar und ich tat absolut nichts, um dieses Gerücht wieder abzubauen. Perry hatte mir schon öfter mal einen Partner, oder auch eine Partnerin zur Seite gestellt. Meist war es innerhalb von wenigen Stunden erledigt gewesen. Ich wusste, dass die Kollegen hinter unserem Rücken wetteten, wie lange Kent neben mir überleben würde. Die Frage, ob er, nachdem er aufgegeben hätte, weiter beim Planet blieb, oder besser gleich kündigte, lief sicher als Nebenwette.
Aber dann...? Zuerst fand ich die von Perry erzwungene Zusammenarbeit gar nicht mehr das Schrecklichste überhaupt. Hin und wieder gab es Momente, in denen Clark gute Impulse in die Untersuchung brachte. Nach ein paar Wochen schien ich mich an diese ständig wiederkehrende Zusammenarbeit gewöhnt zu haben. Ich gewöhnte mich an Clark als Kollegen. Als jemanden, der die Fälle vorantrieb. Als einen Kollegen, der gute Interviews machte, die richtigen Fragen stellte. Manchmal hatte er wirklich ganz gute Ideen. Die Kollegen, die Clark nur ein paar Stunden gegeben hatten, hatten ihren Wetteinsatz längst verloren.
Als nächstes machte Perry uns zu Partnern. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, als er mir diese ungeheuerliche Offenbarung in seinem Büro machte. Das sagte ich Perry auch ziemlich erbost und verzweifelt: „Chief! Eine Partnerschaft ist wie eine Ehe!“ Mein Chefredakteur nahm das gelassen zur Kenntnis, hielt aber an seiner Entscheidung fest.
Und ich wollte verdammt sein, Perry hatte Recht. Zu zweit arbeitete es sich flüssiger. Wir ergänzten uns im Sammeln und Auswerten von Informationen, genauso wie im Schreiben. Wir schlossen mehr Fälle erfolgreich ab. Wir halfen uns und spornten uns gegenseitig an. Ich musste es ehrlich eingestehen, zusammen waren wir besser als jeder einzelne von uns. Aber dann passierte noch etwas Merkwürdiges: Ich begann mir um Clark Gedanken zu machen, mich um ihn zu sorgen. Plötzlich war er mir als Mensch nicht mehr gleichgültig.
Das war ja fast noch zu ertragen. Doch den Dolchstoß versetzte ich mir selbst, als ich erkannte, dass ich eifersüchtig war. Eifersüchtig auf Toni Taylor! Clark hatte sie geküsst, um sie abzulenken, damit ich aus seiner Wohnung verschwinden konnte. Ich hätte dieser widerwärtigen, blonden Furie am liebsten die Augen ausgekratzt. So hatte Toni Taylor mir die Tücken meines eigenwilligen, chaotisch emotionalen Innenlebens deutlicher vor Augen geführt als mir lieb war.
Die sich daraus ergebende Konsequenz war so niederschmetternd: Ich hatte mich verliebt in den Farmboy aus Kansas! Meinen Partner. Da flog ein Gott in einem Cape am Himmel, der mein guter Freund war. Der fast reichste Mann der Welt warb sehr offensichtlich um mich. Diese beiden Männer waren so außergewöhnlich und so faszinierend. Und was machte ich? Ich verliebte mich in Clark Kent aus Kansas! Oh verdammt! Was spielte mir mein offensichtlich hormongebeutelter Geist da für einen Streich?
Doch das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Clark war... zu konkret, zu real. Er könnte mich viel zu leicht verletzen, kannte mich viel zu gut. Da träumte ich doch lieber weiter von Superman.
Außerdem war Clark viel zu konventionell. Er war ganz sicher die Sorte Mann, die heiraten und Kinder haben wollte. Nun, Heiraten war sicher nicht das größte Schreckgespenst, auch wenn ich mich nicht wirklich als treu sorgende Ehefrau sah. Aber Kinder? Das war das genaue Gegenteil von dem, was ich wollte. Clark war zu gut, er konnte ganz einfach nicht wahr sein. Es musste da ein schwarzes Loch geben, ein dunkles Geheimnis. Vielleicht war er ja spielsüchtig oder ein Gemäldefälscher. Oder er war in Wirklichkeit ein verdeckt arbeitender Geheimdienst-Agent. Doch für wen arbeitet er dann? FBI oder den russischen Geheimdienst? China, Indien oder womöglich Naher Osten? Oder war er vielleicht ein Heiratsschwindler und Bigamist.
Clark war außerdem viel zu sympathisch. Er war genau die Art von Mann, die mir in der Vergangenheit schon öfter begegnet war. Diese Netten, die sich in mein Herz geschlichen und mich dann immer so schmerzlich verletzt hatten. Das könnte ich nicht noch einmal ertragen. Es würde mir mehr wehtun als jeder Andere zuvor. Es war schließlich Clark, mein bester Freund, der Anker in meinem Leben. Außerdem wollte ich unsere Freundschaft nicht riskieren.
Ich tat also das, was eine vernunftbegabte, moderne Frau in so einer Situation tun musste, ich versagte mir diese Gefühle. Das mit Clark und mir konnte niemals gut gehen. Das war doch das Fazit aus meiner Vergangenheit, je netter und sympathischer ein Mann erschien, umso mehr würde er mich enttäuschen. Ich würde nur wieder unendlich unglücklich werden. Je eher ich diesen Mann aus meinem Herzen verbannte, umso besser. Natürlich hätte ich es mir selbst viel leichter gemacht, wenn es als Alternative zu Clark nur einen anderen Mann gegeben hätte. Aber wann lief es im Leben schon mal so, wie wir uns das wünschten?
~ ~ ~
Die Fälle kamen und gingen. Die Storys von Lane und Kent bekamen immer mehr Klasse. Aus der anfänglich gelegentlichen Partnerschaft war inzwischen eine Dauereinrichtung geworden. Allen schien es sehr gut damit zu gehen. Clark Kent wurde mein Partner, mein fester Partner. Und das war gut so.
Es gab immer wieder Momente Clark gegenüber, die ich aber mit aller Kraft in die hinterste Ecke meines Herzens verbannen musste. Ob die Pheromon-Story oder die Geschichte mit den Toasters, unser Aufenthalt in Smallville oder als ich wirklich einen Bodyguard brauchte, mit all dem konnte ich wirklich umgehen.
Ich hatte natürlich ganze Arbeit geleistet; was ich machte, machte ich richtig. Als Clark mir dann an einem sonnigen Nachmittag im Centennial-Park ohne jede Vorwarnung, einfach so seine Liebe gestand, hatte ich meine Gefühle im Griff, gab es für mich keinen Zweifel, ich sagte nein zu ihm. Sicher hatte er das auch nur gesagt, weil er eifersüchtig war, auf Lex. Oder weil er mich damit von meiner Heirat abbringen wollte. Das dachte ich in dem Moment. Clark hatte aus seiner Abneigung meinem Verlobten gegenüber schließlich nie einen Hehl gemacht.
„Ich liebe dich nicht – nicht so.“ Es tat mir so leid, ihm weh zu tun, aber in dem Moment hatte ich das wirklich genauso empfunden. Was auch immer tief in meinem Inneren einmal an Gefühl für ihn geschlummert hatte, es hatte keine Bedeutung mehr. Vor mir lag meine Zukunft als Lois Luthor. Oder...? Hatte ich vielleicht eine Chance auf eine Zukunft mit Superman? Das musste ich noch klären. Doch Clark? Er war mein Freund, mein Partner – mehr nicht.
Was für ein fataler Irrtum. Doch glücklicherweise kam es ja anders.
Vielleicht waren wir anfangs sogar so etwas wie Rivalen gewesen. Doch dann wurde Clark mein Kollege und bald darauf mein Partner. Mit der Zeit wurden wir sogar Freunde. Doch erst als wir beide es wirklich schafften und die Liebenden wurden, die wir bis heute sind, begann wirklich ein neues Kapitel.
~ ~ ~
Re: Memory Lane
Verfasst:
Di 11. Mai 2010, 12:05
von Magss
Und heute?
Heute vertraute ich Clark mehr als ich mir das jemals vorstellen konnte. Mehr als ich überhaupt je einem Menschen vertraut hatte. Dieses Vertrauen wuchs, nahm nach und nach immer mehr zu. Eine dieser Begebenheiten, aus denen wir uns nur mit grenzenlosem Vertrauen retten konnten, war mir noch gut im Gedächtnis...
Wir waren gerade mal ein paar Monate verheiratet, als plötzlich und vollkommen unerwartet ein alter Bekannter wieder auftauchte. Er war aus dem Gefängnis ausgebrochen, mal wieder. Doch das erfuhren wir natürlich erst sehr viel später.
Also der Reihe nach: Ich fuhr mit einem der Fahrstühle in die Tiefgarage des Daily Planets. Es war noch recht früh am Abend, doch das, was ich noch zu lesen beabsichtigte, konnte ich genauso gut zu Hause erledigen. Seit wir verheiratet waren und wir unser neues Domizil in der Hyperion Avenue bezogen hatten, erledigten Clark und ich viel mehr Dinge zu Hause. Arbeiten, die wir beide vormals in der Redaktion erledigten hatten. Denn der langweiligste Text war nur noch halb so langweilig, wenn ich mich dabei an die Schulter meines Liebsten kuscheln konnte.
Der Fahrstuhl hielt, die Türen öffneten sich, ich hob meinen Blick und genau in dem Moment, in dem ich das 'Ping' vernahm, wurde ich von einem grellen, intensiv gelben Licht geblendet. Sonnengelb und gleißend. So leuchtend hell, dass ich nichts anderes mehr sehen konnte.
Während dieser einen Sekunde, die ich noch im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte war, dachte ich: 'Verdammt! Das hast du doch schon einmal erlebt. Doch wer...? Wer...? We...? W...'
Der nächste Sinneseindruck war schwierig für mich zu interpretieren. Ich wollte meine Augen öffnen und hatte auch den Eindruck, dafür genau das richtige getan zu haben. Ich hatte schon die eindeutige Empfindung, dass sich meine Augenlider hoben. Aber alles um mich herum blieb stockfinster. Tiefdunkelste Nacht. Nein, noch viel dunkler, vollkommenes Schwarz umhüllte mich. Hielt mich gefangen. Da war ein unangenehmer Geruch, muffig, schimmelig. Wie Textilien, die zu lange im feuchten Keller gelegen hatten. Ich hatte etwas auf dem Kopf, vielleicht eine Mütze oder eine Kapuze. Deswegen wohl auch die vollkommene Dunkelheit um mich herum. Zu allem Überfluss waren meine Hände auf meinen Rücken gefesselt. Verdammt! Ich war blind und konnte mich nicht bewegen. Ich stand aufrecht an einem Pfeiler aus Metall. Er fühlte sich kalt an, er musste aus Metall sein.
Mein erstes Gefühl war einfach nur Wut. Wer, in drei Teufels Namen machte so etwas? Und warum? Doch je klarer ich meine Umwelt wahrnahm, desto mehr ängstigte mich meine Situation. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich war. Die Fesseln an meinen Handgelenken schnitten mir in die Haut und ich konnte mich nicht rühren. Was auch immer ich auf dem Kopf hatte, es nahm mir die Sicht und die Luft zum Atmen. Der Gestank von dem Fetzen verursachte mir Übelkeit und inzwischen schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich hatte Angst. Schwitzige Hände, zittrige Knie, ein flacher Atem und ein mulmiges Gefühl im Magen. Ich hatte richtige Angst.
Das alles machte mich gleich wieder wütend. „HEY! Was soll das hier?!“, machte ich mir Luft und schrie es laut heraus.
Im Hintergrund schien sich jemand zu bewegen. Ich glaubte inzwischen, dass mein Gehör mehr wahrnahm als ich in dieser Umgebung je hätte sehen können. Jemand kam näher. Ich hörte sechs, sieben, acht Schritte. Dieser Jemand trat ganz nah an mich heran. Er oder sie schien seinen Kopf ganz dicht an meinen zu bringen und drückte den muffigen Stoff näher an meine Haut. Der Gestank nahm zu. Übelkeit stieg mir den Hals hoch. Und dann sagte er mit amüsierter Stimme: „Hallo Lois.“
Auch wenn es sich durch den Stoff gedämpft anhörte, diese Stimme, mit diesem spezifisch neckischen Schalk im Ton würde ich immer wieder erkennen: Kyle Griffin – der Scherzbold. Dreimal hatte ich ihn schon hinter Gitter gebracht und dies würde nun wohl seine dritte Rache werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er wieder diesen Lähmungsstrahl verwendet. Das war das gelbe Licht gewesen. Nun gab alles einen Sinn.
Meine Gedanken überschlugen sich. Zeit. Ich musste Zeit gewinnen. Ich musste erfahren, was er vorhatte. Ich musste herausfinden, was für Tücken er sich noch für mich ausgedacht hatte. Außer gefesselten Händen, Blindheit und diesem Pfahl, der mich festhielt. Kyle hatte sich immer dadurch ausgezeichnet sehr kreativ zu sein. Ich musste Zeit gewinnen. Zeit würde mir helfen. Eventuell auch Clark, falls er nach mir suchte. Clark... Bisher hatte Kyle seine Fallen immer so konstruiert, dass er auch an Superman gedacht hatte. Ich musste herausfinden, was er noch in der Hinterhand hatte. Und ich musste Zeit gewinnen.
„Kyle Griffin...“ Ich hoffte, dass er mein Zittern in der Stimme nicht bemerkte. Auf keinen Fall sollte er meine Angst erkennen.
Seine Stimme kam immer noch von ganz Nahem, aber er schien nicht mehr hinter meinem Rücken zu stehen, sondern neben mir. „Oh... Das ehrt mich aber“, ich konnte sein übertriebenes Grinsen förmlich sehen, „nach so vielen Jahren hast du mich gleich wiedererkannt. Haha-ha...“ Ich hatte sein Lachen nicht so wahnsinnig in Erinnerung, aber vielleicht war meine Blindheit daran schuld, dass es sich viel irrer anhörte.
Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung, er stand jetzt neben mir, vielleicht einen halben Meter entfernt. „Kyle, wann sind Sie ausgebrochen? Was haben Sie vor?“ Ich versuchte meiner Stimme etwas mehr Halt zu geben. Was sollte ich auch tun? Meine Welt schien nur noch aus den Geräuschen meiner direkten Umgebung zu bestehen.
„Lois...“, verhöhnte er mich, „immer noch die neugierige Reporterin, der niemals die Fragen ausgehen... Aber ich habe gar keine Lust zu antworten.“ Er schien sich vor Lachen zu schütteln und ging um mich herum. Inzwischen stand er auf der anderen Seite. Ich folgte seiner Stimme mit meinem Kopf. „Weißt du, meine lästige, kleine Reporterin, ich habe da etwas vor... Und ich konnte doch auf keinen Fall riskieren, dass mir jemand dazwischen kommt. Denn dafür kommen nur zwei in Frage.“ Er zog die Worte unangenehm in die Länge.
Verdammt noch mal! Er hatte auch eine Falle für Clark aufgebaut. Aber was konnte ich tun?
Kyle sprach weiter mit diesem überheblichen, übertrieben belustigten Tonfall in seiner Stimme: „Dein Freund und Helfer wird sicher bald hier auftauchen, aber ich bin vorbereitet...“
Hatte es einen Sinn, wenn ich laut ausrief: 'Superman sei vorsichtig. Dies ist eine Falle?' Doch ich bekam keine Zeit mehr, das Für und Wider dieses Gedankens abzuwägen. Oberhalb von mir passierte etwas. Es hörte sich an, als würde eine Mauer gesprengt. Ich kannte dieses Geräusch. So hörte es sich an, wenn Clark durch die Mauer in ein Gebäude eindrang.
Dann ging alles sehr schnell. Das Geräusch von gesprengtem Gestein oberhalb von mir, ein paar Meter weg. Clarks Stimme, laut, kräftig, aber auch aufgeregt: „LOOOIIISSS...!“ Hoffnung. Ich atmete auf. Doch sein Ruf ging gleich in einem Schmerzensschrei über: „... Ahhhhrrrr!“
Clarks Schrei ging mir durch Mark und Bein Das konnte nur eines bedeuten – Kryptonit. Kyle hatte Kryptonit hier. Clark schien genau in seine Falle getappt zu sein. Ich hörte wie etwas auf dem Boden aufschlug, es könnte ein Körper gewesen sein – Clark? Mein Magen verknotete sich vor Angst.
Als nächstes hörte ich wieder Kyles Stimme direkt an meinem Kopf: „Da haben wir euch beide ja schon zusammen. Hahaha. Und ihr könnt euch nicht helfen – wie schade. Hahaha. Ach ja, Lois, komm nicht auf die Idee hier herum zu laufen, der Boden ist vermint. Na dann viel Spaß noch... Hahaha, haha, haha-haha.“ Jeder einzelne Laut schmerzte in meinen Ohren. Dieses Lachen hörte sich überzogen und schrill an. Seine Stimme entfernte sich, wurde leiser, sein Lachen wurde undeutlicher, offensichtlich ging er.
Stille. Eine unheimliche, gedämpfte Stille. Die einzigen Geräusche, die ich hörte, waren mein eigener Atem und das Rauschen meines Blutes. Aus der Richtung, wo ich Clarks Körper hatte aufschlagen hören, kam nichts, nur diese beängstigende Lautlosigkeit. Erst jetzt bemerkte ich mein Herz, das mir bis zum Hals schlug. „SUPERMAN!“, rief ich verzweifelt, „Superman, kannst du mich hören?“ Warum antwortete er mir nicht? „SUPERMAN!“ Panik machte sich in mir breit. „Antworte mir – bitte...“ Verzweifelt stiegen mir die Tränen in die Augen.
Ich horchte angestrengt - und da, ganz leise, fast nur geflüstert: „Lois...“ Er klang furchtbar. Kraftlos und müde.
„Clark“, rief ich aufgeregt. Ich war so glücklich, ihn zu hören, zu wissen, dass er noch lebte. Unsere Regel, ihn nicht in einem Atemzug Clark und Superman zu nennen, wenn wir nicht genau wussten, ob jemand zuhörte, warf ich über Bord. Ich zerrte ungeduldig an meinen Fesseln. „Ist Kyle weg? Sind wir alleine?“
Seine Stimme war so schwach, es war erschreckend. „Ja... alleine...“
Wir mussten hier raus! Möglichst schnell! Er wurde immer schwächer, je länger er dem Kryptonit ausgesetzt war. „Clark! Versuch dich umzusehen! Gibt es irgendeine Chance? Können wir irgendetwas tun?“ Ich musste versuchen, ihn meine Angst nicht spüren zu lassen. Ich musste ihn motivieren. Sollte ihm Mut zusprechen. „Clark, kannst du irgendetwas sehen?“ Ich sprach von Wir, dabei konnte ich doch gar nichts tun. Ich konnte mich weder bewegen, noch konnte ich etwas sehen.
Clarks Stimme wurde immer schwächer. „Nein... nichts... Warte...“, er atmete schwer, „der Pfahl... an dem du stehst... unten... scharfe Kanten...“
Ich legte die Hände um den Pfahl, er hatte vielleicht sechs, sieben Zentimeter im Durchmesser. Dann ging ich mit dem Rücken an diesem Pfahl langsam in die Hocke und versuchte meine Hände so zu drehen, dass ich diesen Pfahl abtasten konnte. Das ging nur, indem ich noch mehr an den Fesseln zerrte. Sie schnitten mir schmerzhaft in die Haut. Egal. Ich ging tiefer und tiefer. Da! Wirklich, das war wie ein Überstand. Vielleicht von dem Lack, oder gefasertes Metall. Sollte ich damit meine Fesseln los bekommen? Konnte das gehen? Nicht weiter darüber nachdenken. Vielleicht war das unsere einzige Chance.
Je mehr ich an den Fesseln zerrte, umso mehr schmerzten mir die Handgelenke. Ich rieb ein paar Mal hart über meine Knochen. Verdammt, tat das weh. Mir schossen die Tränen in die Augen. Nach einer Weile, die mir unendlich lang erschien, vielleicht ein, zwei Minuten, fiel mir ein, dass ich mit Clark reden musste. Ich musste ihm Mut machen, Mut, den ich selbst nicht hatte. Ich erzählte ihm mit zusammengebissenen Zähnen, dass ich gleich frei sein würde. Keine Ahnung, zehnmal, hundertmal, ich wusste es nicht. Ich sagte es einfach immer wieder.
Doch er antwortete nicht mehr. Das beunruhigte mich maßlos. Normalerweise war er immer derjenige von uns beiden, der die Rolle des Mutzusprechers übernahm. Sein Schweigen hatte nichts Gutes zu bedeuten. Ich befahl mir einfach, meine Panik und die Schmerzen zu ignorieren und immer weiter zu machen. Mir gelang weder das eine noch das andere, aber trotzdem machte ich weiter. Ich musste es einfach machen.
Endlich, fast hatte ich schon nicht mehr daran geglaubt, meine Hände waren frei! „CLARK! Ich hab's geschafft! Schatz. Ich bin frei.“ Ich richtete mich auf und riss mir ungeduldig dieses stinkende Stück Stoff vom Gesicht. Endlich wieder frei atmen. Und endlich wieder sehen können.
Vor mir, vielleicht fünf oder sechs Meter entfernt, stand ein Käfig von etwa zwei mal zwei Meter. Er bestand nur aus Seitenwänden. Seine Gitterstäbe leuchteten giftgrün. Der Käfig hielt Clark gefangen, weniger durch die Gitterstäbe, als mehr durch das Kryptonit. Offensichtlich war er von oben in den Käfig geflogen. Den Impuls, ihm sofort zur Seite zu springen, musste ich mühsam unterdrücken. Ich erinnerte mich an Kyles Warnung, das hier Minen seien.
Auch wenn ich diesen Käfig vorher niemals gesehen hatte, es musste genau der sein, in dem Luthor Clark während unserer damaligen Hochzeit eingesperrt hatte. Denn genauso hatte Clark ihn mir beschrieben. Nach dem Fall von Luthor war der Käfig als Beweisstück in die Asservatenkammer der Polizei gelangt. Dann hatte es einen monatelangen Streit gegeben. Die S.T.A.R. Labs wollten ihn haben, um das Kryptonit von den Gitterstäben zu gewinnen. Doch die Mühlen der Polizeibehörde mahlten nicht nur langsam, sie waren auch logischen Argumenten nicht sehr zugänglich. Jetzt erinnerte ich mich auch daran, dass es vor ein paar Tagen einen Einbruch in ein Lagerhaus der Polizeibehörde gegeben hatte. Niemand hatte erfahren, was gestohlen worden war. Jetzt wusste ich es.
Clark lag in dem Käfig auf dem Boden und rührte sich nicht. „CLARK!“ Meine Stimme zitterte panisch. Lass es bitte nicht zu spät sein! Er zeigte nur eine kleine, kaum vernehmbare Reaktion, hob nur ganz leicht den Kopf. „Schatz...“ Der Rest des Raumes wirkte düster. Wir waren in einer Lagerhalle, schmutzig, staubig. Keine Fenster, nur durch ein paar Oberlichter fiel etwas fahles Licht herein. Die Düsternis ließ aber die grünlich leuchtenden Gitterstäbe noch gefährlicher erscheinen. Hier und dort standen ein paar Versandkisten aus Holz.
Clark öffnete seine Augen, blickte mich an. Die Verzweiflung konnte ich aus seinem Blick ablesen. Aber ich wusste, er würde mich hören. Beschwörend redete ich auf ihn ein: „Clark, ich kann dir erst helfen, wenn ich bei dir bin. Und du musst mir sagen, wo ich gehen kann. Kyle Griffin hat gesagt, der Boden ist vermint... kannst du etwas sehen?“ Ich konnte nur beten, dass er dafür noch die Kraft hatte.
Er hob schwerfällig seinen Kopf und mit einem müden, glasigen Blick sah er mich an. Wie lange konnte er dieser Menge Kryptonit ausgesetzt sein? Nein, Lois, nicht weiter darüber nachdenken! Ich versuchte mich nur auf ihn zu konzentrieren.
„Keine Minen... Infrarotlicht... halben Meter vor dir... alles okay...“ Seine Stimme war nur noch ein jämmerliches Krächzen.
Ich ging den halben Meter vorwärts. Hoffentlich konnte er das aus seiner Sicht so gut abschätzen. Dann blieb ich stehen. „Soll ich einen hohen Schritt machen?“ Ich sollte versuchen, ihn möglichst so zu fragen, dass er nur mit ja oder nein zu antworten brauchte. Das würde nicht so an seinen Kräften zehren. Clark nickte. Fast nur mit seinen Augen. Gerade so, als würde ihm ein Nicken bereits zu viel Kraft abverlangen.
Ich zog die Beine so hoch ich konnte und machte dabei einen Schritt nach vorne. Ich kam mir ziemlich lächerlich vor, in einem Raum, in dem nichts Bedrohliches zu sehen war, wie ein Storch herum zu stelzen. Aber ich würde mich davor hüten seine Worte anzuzweifeln.
Dieses Procedere wiederholten wir, bis ich an dem Käfig stand. Ich rüttelte an der Tür, als ich sie erreichen konnte, ich wollte zu ihm. Doch die Tür war verschlossen. Etwas rechts von mir war eine Art Bedienfeld. Mehrere Knöpfe. Ein paar rote und grüne Kontrolllampen. Ich musste sie ausprobieren, eine Beschriftung gab es nicht. Den Knopf unter der grünen oder unter der roten Lampe? Mir lief die Zeit davon. Es gab kein logisches Vorgehen und so entschied ich mich für den Knopf unter der grünen Lampe. Ich drückte ihn. Hielt gespannt den Atem an. Das grüne Leuchten der Gitterstäbe verschwand augenblicklich. Plötzlich waren wir von einer unheimlichen Dunkelheit umgeben. Nur langsam gewöhnten sich meine Augen daran. Nach und nach zeichneten sich die die Umgebung schemenhaft ab.
Ich sah zu Clark. Ohne das Leuchten der Gitterstäbe war er nun auch in dieses fahle Licht, das von den Oberlichtern kam, getaucht und schien von der schummrigen Düsternis fast verschluckt zu werden. Wirkte das Kryptonit noch, wenn die Stäbe nicht mehr leuchteten? „Liebling...“, flehte ich ihn an, „was ist mit dir?“
Ganz langsam hob Clark seinen Kopf. Er zog die Stirn in Falten, hatte aber seine Augen immer noch geschlossen. Seine Lippen bewegten sich. „Gib mir nur einen Moment.“ Es klang nur wie das reinste Krächzen, aber da war auch schon wieder etwas von seiner normalen Stimme zu vernehmen. Dem Himmel sei Dank!
Die Zeit floss zäh dahin. Sekunden? Minuten? Ich wusste es nicht. Clark richtete sich langsam auf. Es war ihm deutlich anzusehen, wie viel Kraft ihn das kostete. Erst saß er auf dem Boden und dann kam er langsam auf die Beine. Er schwankte ein wenig, hob aber seinen Kopf und sah mich an – endlich! Ich atmete erleichtert aus. Erst jetzt merkte ich, dass ich die letzten Minuten kaum geatmet hatte. Die unerträgliche Spannung fiel langsam von mir ab. „Clark, wie sollen wir hier herauskommen?“ Es klang verzweifelter als ich das gewollt hatte. Er sah mich an, versuchte ein mäßiges Lächeln und zeigte mir damit, dass er wieder an Kraft gewann. Nun dürfte es wohl kaum noch ein Problem darstellen, hier heraus zu kommen.
Er sah immer noch blass aus, aber sein Atem ging inzwischen wieder ruhiger und gleichmäßiger. „Genauso wie ich hier herein gekommen bin – durchs Dach.“ Clark zeigte mit dem Daumen nach oben, wo noch die eingerissene Decke zu sehen war. Wieder wollte er mir zeigen, dass es ihm besser ging und versuchte ein Lächeln. Natürlich konnte er mir nichts vormachen. Er war immer noch reichlich angeschlagen, aber er wurde mit jeden Moment kräftiger, das konnte ich sehen.
Die Frage, wie er aus dem Käfig oder ich zu ihm in den Käfig gelangen konnte, brauchte ich nicht mehr zu stellen. Inzwischen war er an der Tür angelangt und drückte sie einfach aus der Verankerung. Hastig trat ich zu ihm und wir umarmten uns leidenschaftlich. Er hielt mich fest und ich drückte ihn an mich, als wollte ich ihn nie wieder loslassen. Begierig konnten wir die Hände nicht voneinander lassen, als wollten wir uns vergegenwärtigen, dass dies wirklich passierte.
Clark nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Das tat einfach nur gut. „Clark“, fragte ich ihn ein wenig atemlos, „was ist mit Griffin?“
Er bekam augenblicklich seinen Superman-Blick, wie ich ihn gerne nannte. Stahlhart, unerbittlich und ein wenig unnahbar. Clark breitete seine Arme aus, um mich mit sich zu nehmen. „Keine Sorge, ich werde ihn aufhalten.“
Ich konnte nicht anders als ihn sofort wieder skeptisch einzubremsen. „Du meinst, du kannst nach dieser Ladung Kryptonit noch fliegen?“
Inzwischen strahlte sein Lächeln die gewohnte Zuversicht aus. „Vertrau mir.“ Damit legte er mir eine Hand auf den Rücken und die andere unter meine Knie.
Vertrauen... Wusste er denn wirklich, was er da von mir verlangte? Ich konnte nun mal nicht anders als immer alles anzuzweifeln und in Frage zu stellen. Doch an jedem einzelnen Tag unseres gemeinsamen Lebens hatte er mir bewiesen, dass ich genau das tun konnte – ihm vertrauen. Er würde mich niemals in Gefahr bringen. Natürlich hatte ich mit der Zeit meine Lektion gelernt, aber immer in so heiklen Momenten wie diesem, immer wenn es darauf ankam, meldeten sich meine alten Zweifel wieder zu Wort. Ich kannte diesen Mechanismus meiner misstrauischen Psyche nur zu gut und konnte inzwischen bewusst dagegen steuern. Also legte ich meine Hände um seinen Nacken und er nahm mich auf den Arm, dann sah ich ihn an. Wenn es etwas Verlässliches für mich gab, so war das sein Wort. Nachdem ich nun aber gerade meine Zuversicht zurückgewonnen hatte, klärte ich ihn auf: „Wir! Wir werden ihn aufhalten!“ Er zeigte mir daraufhin ein Lächeln, mit dem er einlenkte, ein Lächeln, das mir sagte: Ja, natürlich wir. Wenn du es sagst.
Kyle Griffin hatte scheinbar nicht damit gerechnet, dass wir uns befreien konnten. Er hatte keine weiteren Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Er hatte wohl doch nicht so viel dazugelernt.
Wie bei einem seiner vorherigen Ausbrüche und aberwitzigen Pläne hatte er auch diesmal in dem Lagerhaus im Industrieviertel Quartier bezogen. Die Lagerhalle hatte mal seinem Vater gehört. Wir hatten auf dem Flug beide gemeint, dass das ein guter Ausgangspunkt wäre, um nach Kyle Griffin zu suchen. Genaugenommen war es unser einziger Anhaltspunkt. Ohne Zeit für eine Recherche war es die einzige Adresse, die wir beide noch im Kopf hatten.
Clark landete ein paar Meter neben der Lagerhalle und setzte mich ab. Es war ein einfacher und zweckmäßig schnöder Industriebau aus den '70 Jahren, mannshohe Mauern und darüber eine Fensterreihe. Die meisten davon waren blind oder mit Brettern vernagelt. Inzwischen war es später Abend geworden und auf dem Gelände brannte keine Laterne, doch aus dem Inneren drang ein schwacher Lichtschein nach Außen. Es war auf jeden Fall jemand in dieser Halle.
Bingo.
Clark sah Mithilfe seines Röntgenblicks in die Halle und sein Gesicht erhellte sich, was er sah, gefiel ihm. Er brauchte mir nicht erst zu sagen, was er gesehen hatte, Kyle war hier, wir hatten ihn gefunden.
Doppeltes Bingo.
Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Ich wollte auf die Halle zugehen, doch er hielt mich auf und sprach leise: „Lois, ich geh da alleine rein. Griffin ist gefährlich.“
„Clark...“, schlug ich einen möglichst strengen Ton an, so gut das eben geflüstert ging, „schon vergessen? Ich war es, die dich da eben rausgehauen hat. Was hättest du denn ohne mich gemacht?“ Auch wenn er versuchte auf mich den Eindruck zu machen, er sei bereits wieder vollkommen zu Kräften gekommen, die Wirkung des Kryptonits war sicher noch nicht vollständig überwunden.
Ich sah, wie er schwer darüber nachdachte, mit welchen Argument er mich überzeugen konnte. „Lois – wir haben keine Zeit zu streiten – du... tust das jetzt einfach. Bleib hier stehen!“ Aha, sehr interessant, kaum hatte er keine überzeugenden Argumente mehr, gab er mir einfach Befehle. Was glaubte er denn, mit wem er hier sprach...? Ich seufzte. Mit seiner Frau! Als wenn er das nicht wüsste. Tief in mir wusste ich natürlich, dass er das niemals nur deswegen sagen würde, um an die bessere Story zu kommen. Clark würde diese Vorsicht nur aus einem einzigen Grund walten lassen – um mich zu schützen. Verdammt... Aber ich konnte doch nicht einfach hier stehen bleiben wie ein folgsames Weibchen!
Er war inzwischen durch die kleine Tür ins Innere der Halle verschwunden. Doch da gab es eine kleine Kiste. Wenn ich die unten an die Außenwand schob, konnte ich daraufsteigen und ins Innere sehen. Gesagt, getan. Nur wenige Minuten später hatte ich einen guten Tribünenplatz auf das Geschehen. Das Licht kam aus dem hinteren Teil der Halle. Auf dem Weg dorthin musste Clark an den verschiedensten Dingen vorbei, scheinbar schrottreife Fahrzeuge, Gabelstapler, große Stapel hölzerner Versandkisten und allerlei Gerümpel. Sein Weg war dunkel und für mich schlecht einzusehen. Doch hier zeigte sich, dass Kyle Griffin nichts von seiner kriminellen Fantasie eingebüßt hatte. Clarks Weg erinnerte mich an diese Mumien-Filme, in denen die Forscher auf ihrer Route durch die ägyptischen Pyramiden nach jedem zweiten Schritt einem Mechanismus begegneten, der sie umbringen sollte. Andauernd fiel ihm etwas in den Weg, kam von der Decke gestürzt oder es strömte Gas aus. Clark machte das alles nichts aus, ich hingegen wäre bis zu diesem Augenblick wohl schon fünfmal gestorben. Verdammt, warum musste er immer Recht haben?
Egal, ich würde ihm mehr helfen, wenn ich die Polizei hierher beorderte. Also griff ich mir mein Handy.
Henderson war alles andere als begeistert, als er meine Stimme hörte. Ich konnte sein Gehabe bis heute gar nicht nachvollziehen. Jeder unser Anrufe ging bisher immer mit einer satten Verhaftung einher. Da musste er es einfach in Kauf nehmen, dass diese Anrufe tief in der Nacht, in den frühesten Morgenstunden oder während einer Besprechung bei ihm eingingen.
In der Lagerhalle war gerade wieder etwas umgefallen, diesmal mit wirklich lautem Getöse. Während ich Henderson gerade vorschwärmte, dass er von uns den flüchtigen Kyle Griffin auf dem Silbertablett serviert bekäme, versuchte ich wieder ein Blick in die Halle zu werfen. Clark kam unter einer großen Kiste hervorgekrochen. Sie hätte jeden Normalsterblichen erschlagen, da war ich mir sicher. Doch Clark strich sich nur selbstsicher den Staub von seinem Anzug. Seine Kräfte schienen wieder völlig regeneriert zu sein.
Inzwischen schien Kyle ihn entdeckt zu haben. Der Lärm seiner Pyramiden-Fallen war ja schließlich auch nicht zu überhören. In einer vollkommenen Panikattacke begann er aus seinem Versteck heraus auf Clark zu schießen. Sicher wusste Kyle, dass das eher nur Verschwendung von Munition war als ihm tatsächlich zu helfen. Clark begann auf Kyle Griffin einzureden und unbeeindruckt weiter auf ihn zuzugehen. Ich denke, dass Kyle sogar alleine in seinem Versteck hockte, ich konnte die Schüsse jedenfalls nur von einem einzigen Punkt aus vernehmen.
Ich hätte wirklich gerne mehr gesehen... Doch bevor ich noch darüber nachdenken konnte, ob ich nicht vielleicht doch...
Der Hof vor der heruntergekommenen Lagerhalle füllte sich mit Polizeifahrzeugen. Drei Einsatzfahrzeuge mit Sirene und Signallicht, Henderson selbst kam in einem Zivilfahrzeug. Innerhalb von wenigen Augenblicken war das gesamte Gebäude von bewaffneten Polizisten umstellt. Inspektor Henderson war zu mir auf die Kiste gestiegen und blickte auch in die Halle, nachdem er mir schweigend einen strafenden Blick zugeworfen hatte. Was wollte er mir nur wieder damit sagen?
So genervt wie er vor wenigen Minuten am Telefon geklungen hatte und so mürrisch wie er noch dreingeblickt hatte, als er aus seinem Wagen gestiegen war, so sehr entspannten sich nun seinen Züge. Henderson winkte seinen Männern ab und rief laut: „Entwarnung! Superman hat ihn bereits. Der Einsatz ist vorbei.“
In der Tat, nur Sekunden später kam Clark aus der Halle, den gefesselten Kyle Griffin vor sich hertreibend. Aus dem, was die Polizei in der Lagerhalle fand, konnten sie auf seinen Plan schließen: Er wollte in die Staatsbank von Metropolis einbrechen und dort Goldbarren stehlen. Sein inzwischen modifizierter Lähmungsstrahl mit dem gelben Licht sollte dabei auch wieder zum Einsatz kommen. Davon war er nun sehr weit entfernt, wie er da zusammengesunken und in Handschellen zwischen zwei Polizeibeamten stand. In diesem Moment fiel es mir wirklich schwer, in ihm noch den 'Scherzbold' zu sehen.
Genau das schrieb ich auch in meinen Artikel: 'Im Moment seiner Verhaftung war Kyle Griffin das Lachen vergangen. Der Scherzbold hatte nun keine Scherze mehr auf Lager. Dank dem gewissenhaften Eingreifen der Polizei und dem – wie immer – zuverlässigen Zugriff Supermans wird der entflohene Kriminelle zukünftig wieder die Insassen des Gefängnisses von Metropolis mit seinen Späßen erfreuen. Sicher wird es sie alle sehr belustigen, dass seine Flucht ihm gerade einmal drei Tage Freiheit verschafft hatte und Superman ihn zurückgebracht hatte wie einen entlaufenen Hund...' Es folgten noch die obligatorischen Interviews mit Henderson, einigen seiner Mitarbeiter und natürlich dem 'Mann aus Stahl'.
Als wir spät abends endlich unser Haus betraten, neckte mich Clark: „Und wieder mal hat Lois Lane ein Interview mit Superman ergattert...“ Er lachte ein tiefes Lachen und während ich die Tür von Innen verschloss, spürte ich seine Lippen an meinem Hals. „Wird es dir nicht langsam langweilig, den Helden Metropolis' immer und immer wieder zu bejubeln?“, seine Stimme jagte mir einige wohlige Schauer über den Rücken.
„Hhmmm, wenn ich dich wirklich bejubeln soll, lass uns schnell nach oben gehen...“, gurrte ich.
So konnte ich am nächsten Morgen den Planet bereits mit einem fertigen Artikel in der Tasche betreten.
~ ~ ~
Von dem Moment an, wo wir ein Paar waren, veränderten sich zwei ganz elementare Dinge in meinem Leben: Zum einen zeigte Clark mir, was Vertrauen wirklich bedeutete. Das war wirklich eine überwältigende Erkenntnis. Bei meinem Erfahrungshorizont grenzte das schon fast an ein Wunder. Noch heute danke ich täglich meinem Schutzengel, dass ich überhaupt in der Lage war, Clark zu sehen. Heute war er einfach alles für mich, die Liebe meines Lebens, mein bester Freund, mein Liebhaber, Partner, mein Seelenverwandter, der größte Kritiker meiner Arbeit und der Vater meiner Kinder.
Das führt mich zu der anderen elementaren Veränderung in meinem Leben: Kinder. Mein ganzes Leben lang war ich mir sicher, dass meine Priorität bei Karriere und nicht bei Kindern läge. Doch mit Clark an meiner Seite schien es mir als ein logischer Schritt, dass wir Kinder hätten, dass ich welche wollte. Er gab mir die Sicherheit dafür.
Clark war einfach der liebevollste und rücksichtsvollste Mensch, den ich kannte. Das zeigte er bei diesem Ereignis besonders...
Ich hatte mir geschworen, nicht vor meinem ersten Pulitzer zu heiraten. Nun, dieses Ziel hatte ich schon für Lex aus den Augen verloren. Natürlich gab ich es auch für Clark auf.
Nachdem Clark und ich geheiratet hatten, hatte ich erwartet, dass wir den Pulitzer eines Tages gemeinsam, für einen gemeinsamen Artikel verliehen bekämen. Nicht, dass mich das wirklich traurig gestimmt hätte, ihn mit jemand anderem entgegen zu nehmen. Aber wenn ich ehrlich zu mir selber war, musste ich mir eingestehen, dass ich darüber nachdachte, ob es meinen Stolz schmälern würde. Ich beschloss dann, dass ein Pulitzer für einen Artikel vom Team Lane und Kent genauso gut war. Schließlich ging es hier um meinen Mann.
Ich erhielt den Preis dann doch alleine. Ich hatte den Artikel alleine geschrieben. Die Ermittlungen machten wir zwar zum Teil gemeinsam, aber den Artikel schrieb ich alleine, Clark war zu dem Zeitpunkt sehr von seinem 'Alter Ego' Superman in Anspruch genommen.
Ich weiß es noch wie heute... Selten hatte ich an einem Artikel so lange gearbeitet wie an diesem. Normalerweise nahmen die Recherche und die Interviews den größten Teil der Zeit in Anspruch. Die meisten Artikel schrieben sich, wenn alle Fakten beisammen waren, in weniger als einer Stunde herunter. Die Vorarbeit und Recherche dauerte auch bei diesem Fall entsprechend lange, aber an dem Artikel schrieb ich schon den ganzen Tag. Es ging um die Terroranschläge von 2001 und die Verstrickung von FBI und dem Weißen Haus. Es gab Sackgassen und Barrieren von Regierungsorganisationen ohne Ende. Wir hatten besonders sorgfältig recherchiert. Schließlich wollten wir es nicht gleichzeitig mit dem FBI und dem Präsidenten aufnehmen, wenn es womöglich doch nur eine Finte wäre. Oder uns wichtige Beweise fehlten. Perry hatte bereits eine ganze Meute an hochkarätigen Anwälten in der Hinterhand. Diese Story war so hochkarätig, dass der Aufwand mehr als gerechtfertigt war.
Während Clark in Indonesien Schlammlawinen beseitigte, den Lavastrom eines Vulkans umleitete und Menschen auf Kuba vor einem Hurrikan rettete, kämpfte ich mit Worten. Welche Fakten in die Einleitung? Die Beweise en bloc oder eher verstreut über den ganzen Artikel verteilt. Die Personen, deren Beteiligung wir beweisen konnten, mit Bild und alle nebeneinander, wie auf der Anklagebank? Oder häppchenweise? Was sollte auf die erste Seite und was auf Seite zwei, sechs und sieben? So viel Platz sollten wir bekommen. Es gab ja auch noch die verschiedensten Vermutungen. Verdächtige, deren Beteiligung auf der Hand lag, was wir aber nicht beweisen konnten.
Für die letzten beiden Seiten hatte ich beschlossen eine Gerichtsverhandlung darzustellen. In einem Kasten in der Mitte oben sollte quasi ein Richter symbolisiert werden. Hier wollte ich den Beginn der amerikanischen Verfassung abgedruckt haben. Auf der rechten Seite sollten alle Beteiligten dargestellt werden, die Angeklagten. Auf der linken Seite wollte ich zwölf Interviews von ganz normalen Bürgern gedruckt haben – die Geschworenen.
Eigentlich war es ja gar nicht meine Aufgabe auch noch das Layout für unseren Artikel zu bearbeiten, aber wenn ich etwas Besonderes im Kopf hatte, ließ mir Perry schon mal freie Hand. Und etwas Besonderes war dieser Artikel nun wirklich.
Es war fast Mitternacht, als ich für mich beschloss, dass der Artikel genauso bleiben konnte. Da hörte ich endlich das inzwischen so vertraute 'Wusch', das mir Clarks Heimkehr ankündigte. Noch während er aus seiner 'Arbeitskleidung', dem Superman-Outfit rotierte, fragte er mich: „Liebes, du bist immer noch am schreiben?“ Er gab mir einen Kuss.
„Hm...“, ich hielt ihn noch einen Moment fest. Auch wenn er nur ein paar Stunden weg gewesen war, hatte er mir bereits gefehlt. „Ich denke, ich bin fertig. Willst du es noch einmal lesen?“
Clark nickte und sah sich die Seiten an, die ich so zusammen geklebt hatte, wie sie in der Zeitung erscheinen sollten. Er setzte sich zu mir aufs Sofa. Das war nicht der ideale Arbeitsplatz, aber hier hatte ich den größten Tisch gehabt. Während Clark den Artikel aufmerksam durchlas, kuschelte ich mich an ihn. Bis auf zwei Interpunktionsfehler segnete er den ganzen Artikel ab. „Aber du solltest nicht VON LOIS LANE UND CLARK KENT schreiben. Schreib das, was der Wahrheit am nächsten kommt: VON LOIS LANE.“
Überrascht sah ich ihn an. „Aber Clark, dieser Artikel ist so brisant, der ist preisverdächtig.“
Er lächelte nur gelassen. „Ja, aber du hast schon während der Recherche die meiste Arbeit gemacht. Von dem Artikel brauchen wir gar nicht erst zu reden.“
„Was, wenn er nominiert wird?“, fragte ich leise und fast ein wenig ängstlich.
Nun begann Clark seinen Arm um mich zu legen und seine zarten, weichen Lippen suchten meine Ohren. Er wusste genau, dass ich dem nicht lange widerstehen würde. „So wie er geschrieben ist, sollte er das. Wenn die verstaubten Herren von der Kommission nur ein wenig Verstand haben...“ Seine Stimme wurde leiser und tiefer, während er das sagte.
Seine zarte Berührung jagte mir einen Wonneschauer nach dem nächsten über den Rücken. „Aber das würde bedeuten, ich würde alleine da oben stehen. Würde es dich nicht ärgern?“, versuchte ich mit aller Kraft beim Thema zu bleiben.
Für einen kurzen Augenblick stoppte er das Knabbern und sah mir in die Augen. Er sah ganz gelassen aus. „Es ist okay. Es wäre okay. Ich meine, ich bekomme so viel Anerkennung als Superman. Wenn ich meine Frau zur Pulitzer-Verleihung begleiten dürfte... das würde mich einfach nur stolz machen.“ Bei diesen Worten strahlte er mich an. Mir war klar, dass er das auch genauso gemeint hatte, wir waren keine Konkurrenten. Heute nicht mehr. Ich hätte niemals geglaubt, dass mich das einmal glücklich machen könnte, aber es war so. Dann widmete er sich wieder meinen Ohren...
Genauso wie wir es vorausgesehen hatten, geschah es auch. Ich wurde für diesen Artikel nominiert und erhielt den Pulitzer-Preis. Meinen ersten Pulitzer. Clark stand im Publikum. Er hörte, wie ich den Namenspatron dieses Preises zitierte: „Was immer du schreibst... schreibe kurz und sie werden es lesen, schreibe klar und sie werden es verstehen, schreibe bildhaft und sie werden es im Gedächtnis behalten.“ Clark sah mich während meiner Dankesrede sehr stolz und sehr verliebt an. Ich wusste nicht, wer von uns beiden stolzer war oder glücklicher.
In der Rückschau betrachtet, war alles, was vor Clark passiert war, bedeutungslos. Was Lex anging, so hatte ich mich wohl von dem Glamour ablenken lassen. Ich hatte übersehen, dass echtes Gefühl viel wichtiger war als Ansehen, Ruhm und Erfolg. Superman war eine Flucht vor der grausamen Realität der rücksichtslosen Männerwelt gewesen. Claude hatte mich einfach mit seinem Charme eingewickelt. John hatte mich intellektuell mehr angesprochen als emotional. Und Paul? Nun, da war ich einfach ein verliebter Teenager gewesen. Ich hatte nicht ihn gesehen, sondern immer nur das Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte.
Die schlimmste Zeit in meinem Leben aber war die, in der ich mich zwischen drei Männern aufrieb, mich gefangen fühlte: Superman, Lex und Clark. Dabei waren Superman und Clark die Männer, die Schuld waren, dass ich mich Lex zuwandte. Das Nebeneinander von Güte von dem unerreichbaren heroischen Gott und dem sehr realen besten Freund weckte in mir ein Verlangen... Ein Verlangen nach Nähe, Gemeinsamkeit, Wir, Zärtlichkeit, Harmonie und... Liebe. Doch der Traum mit Superman war unerfüllbar und Clark war unvorstellbar. So blieb ich zurück mit diesem Verlangen. Das Verlangen, das gestillt werden wollte und ich sah nur noch Lex.
Das größte Gefühl hatte ich von all diesen Männern Superman entgegen gebracht. Erst als ich mich von dieser heroischen, verklärten Traumfigur losreißen konnte, sah ich, dass meine wahre Liebe die ganze Zeit da gewesen war: Clark. Als ich es endlich geschafft hatte, den Traum Superman beiseite zu lassen und mich Clark gegenüber zu öffnen, da bekam ich Superman dazu. Als Zugabe sozusagen.
Das war auch nicht nur einfach. Das, wovon ich so lange geträumt hatte, war zum Greifen nah. Ich konnte den Superhelden ganz für mich haben. Doch konnte ich diesem Helden, diesem Mann aus Stahl, diesem Gott in einem Cape genügen, ihn wirklich glücklich machen? Diese Frage beantwortete sich schnell, weil Clark mir immer, jeden Tag, das Gefühl vermittelte, dass ich ihn glücklich machte.
Aber war es nicht ein wenig schizophren eine Ehe zu dritt zu führen? Auf eine gewisse Art und Weise ja, aber auf eine andere Art war es auch aufregend.
Anfangs hatte es noch einige Anpassungsreibereien gegeben, wie viel Zeit Clark für seinen 'Nebenjob' reservieren sollte und wie viel Zeit er seiner Familie widmen sollte. Doch das regelte sich sehr schnell von selber. Er versuchte so viel Zeit wie nur möglich mit seinen beiden kleinen Mädchen zu verbringen, die ihn gekonnt um den Finger wickelten. Was seine beiden Jungs anging, die ihn unendlich stolz machten, versuchte er einfach keine Minute zu versäumen. Der Vollständigkeit halber: Die beiden Jungen wickelten ihn genauso um den Finger... Ich bin vor solchen taktischen Zügen der Kinder natürlich gefeit. Natürlich!
So waren wir heute eine ganz normale Familie. Sanna, Nicolas und die Zwillinge Jo und Ben. Clark und ich. Alle mit mehr oder weniger Superkräften ausgestattet, außer mir natürlich. Der Planet stand immer noch im Zentrum unseres Daseins, hatte aber etwas von der Präsenz verloren, die er für mich einmal gehabt hatte. Doch dafür hatte ich endlich meine wahre Bestimmung gefunden. Ich war dort angekommen, wo ich schon immer hinwollte. Okay, vielleicht war diese Familie alles andere als normal, aber sie war mein Zuhause.
„Weißt du, Lucy, es ist nicht so einfach in der Geschichte mit Clark einen Endpunkt zu finden, sie hält ja noch an“, sagte ich ein wenig verträumt. Ich könnte noch stundenlang weiterreden.
Meine Schwester hatte inzwischen ganz kleine Augen und ihre Reaktionen hatten etwas an Tempo verloren. Aber sie hing nach wie vor an meinen Lippen. „Aber da gibt es immer noch eine Frage“, sie rieb sich müde die Augen, „die du noch nicht beantwortet hast...“
Ich hingegen war eigentlich nicht wirklich müde. Der Job und die Kinder hatten mich abgehärtet, gelegentlich auch mit wenig oder gar keinem Schlaf auszukommen. Ich hoffte nun inständig, dass sie eine ganz bestimmte Frage vom Anfang des Abends inzwischen vergessen hatte.
„Also, Stunde der Wahrheit...“, sagte sie langsam, so als müsste sie inzwischen ihre Worte sehr bedächtig auswählen, „was ist Super-Sex?“
Oh verdammt, da war sie, die Frage. Sie hatte es doch nicht vergessen. „Lucy“, versuchte ich einen strengen Ton anzuschlagen, „du wirst von mir keine Detailschilderung bekommen.“ Sie zog eine Schnute. „Nein, aber überleg doch einfach mal. Du kennst Clark, er ist liebevoll, rücksichtsvoll, zärtlich. Das ist er natürlich auch als Liebhaber. Und super... Überleg doch mal selber, was Superkräfte im Bett taugen. Er ist sehr schnell. Aber willst du als Frau Schnelligkeit?“ Sie schüttelte schnell ihren Kopf. „Er ist sehr stark. Aber will ich dort Stärke?“ Wieder schüttelte sie energisch ihren Kopf. „Hitzeblick, Supergehör, Unverwundbarkeit? Brauche ich doch alles nicht im Bett, oder?“ Immer noch stimmte mir meine Schwester zu. „Gut, Röntgenblick...? Aber ganz ehrlich, wenn wir uns lieben, sind wir meist nackt. Was nützt ihm da schon sein Röntgenblick?“ Zu einer verbalen Reaktion schien Lucy nicht mehr aufgelegt. Aber mit ihrem Kopfschütteln zeigte sie mir ihre Zustimmung. „Und mir schon gar nichts.“
Aber nun schien Lucy wieder ein wenig wacher zu werden. Aufgeregt fragte sie mich: „Was ist mit dem Fliegen?“
Ah, verdammt. Etwas peinlich berührt fuhr ich mir dann doch durch die Haare. „Ich hatte gehofft, dass du diese Supereigenschaft vergisst... Nun ja, das kommt schon mal vor. Aber im Grunde genommen ist es einfach Clark, der mich liebt. Er ist der beste Liebhaber, weil er zärtlich und leidenschaftlich ist. Er scheint immer genau zu wissen, was ich will und was gut für mich ist. Er kennt und achtet mich. Das macht ihn zu einem guten Liebhaber, nicht die Superkräfte.“
Lucy seufzte mit einem inzwischen wirklich schon müden Lächeln. „Lois, weißt du was? Du hast ihn verdient.“
Da stimmte ich ihr im Stillen zu. Wie jeder Mensch hatte ich es verdient aufrichtig geliebt zu werden. Auch wenn ich wirklich sehr lange gebraucht hatte, ihn zu sehen. Doch dafür war er heute das Zentrum meines Universums. „Oh ja, das habe ich wirklich verdient. Und dabei hab ich es fast vermasselt.“
Sie schien mir nicht mehr ganz folgen zu können, also erklärte ich es ihr, während ich die Punkte an meinen Fingern abzählte: „Meine ersten Erfahrungen mit Männern haben mich zu einer Frau gemacht, die eigentlich beziehungsunfähig war. Paul hat mich betrogen und manipuliert. John hat mich betrogen und missachtet. Claude hat mich belogen und ausgenutzt. Dann habe ich den vollkommenen Mann gefunden, das Gute in Person, den ich aber nicht haben konnte. Stattdessen habe ich mich dem vollkommenen Bösen, tja, geopfert kling vielleicht etwas theatralisch, aber es war schon sehr dramatisch. Dass ich Clark nach dieser Odyssee überhaupt noch wahrgenommen und an mich heran gelassen habe, grenzt doch schon fast an ein Wunder. Dabei habe ich ihn wirklich verdient... Aber weißt du was?“
Lucy schüttelte erwartungsvoll ihren Kopf.
Ich grinste zufrieden. „Ich denke, er hat mich auch verdient...“
ENDE