
Big Girls Don't Cry
(2.5 Drabble = 250 Wörter)
Als sie das Lied zum ersten Mal gehört hatte, war ihre Mutter mit ihr schwanger gewesen. Damals, auf einer Tanzveranstaltung, als ihrer Mutter die Fruchtblase geplatzt war. Oder zumindest hatte ihre Mutter ihr das so erzählt.
Das erste Mal, an das sie sich erinnern konnte, war am Sonntag vor ihrem ersten Schultag gewesen. Ihre Mutter hatte ihr gerade die Haare gebürstet und gerichtet. (Damals gingen sie ihr fast bis zur Hüfte - sie hatte nie Jungs um sich gehabt, die daran zogen oder Kaugummi hinein klebten. Ihre Mutter hatte ihre Erziehung bis dahin zuhause übernommen.) Das Radio lief. Wie so viele kleine Mädchen schnappte sie sich eine Bürste und sang lauthals mit. Ihre Mutter stimmte ein, lachte, während ihr die Tränen die Wangen hinunter liefen.
Das zweite Mal lief der Song ebenfalls im Radio. Sie war unterwegs zu ihrem ersten wirklichen Freund. Hatte sich heimlich das Auto ihrer Eltern ausgeliehen, die Unterschrift ihrer Mutter gefälscht um das Mädchen-Internat zu schwänzen. Sie wollte ihn überraschen. Überrascht hatte sie ihn - beim Knutschen mit einer anderen. Wortlos war sie wieder ins Auto gestiegen. Sie hatte nicht geweint. Nur nach vorne gestarrt. Ihre Eltern hatten nie davon erfahren.
Als Cat den Song dieses Mal im Radio hörte - angekündigt als "Golden Oldie" - wechselte sie den Sender. Das Lied lief in ihrem Kopf weiter. Und sie wusste, auch dieser junge Adonis, zehn Jahre jünger als sie und Assistenzarzt, könnte sie nicht glücklich machen. Und sie merkte, wie ihr Tränen den Blick verschleierten.