von Vega » Fr 1. Apr 2011, 21:18
* * *
„Die Sprachlosigkeit ist der größte Feind einer gesunden Beziehung“, dozierte ein Mann, Zoll für Zoll Psychologe.
Seine Füße steckten in bequemen Sandalen, seine krause Mähne hatte sich auf seinen Hinterkopf zurückgezogen und eine Brille saß tief auf seiner Nasenspitze. Lässig lehnte er in seinem Stuhl, als hätte er bereits sein ganzes Leben hinter den Patienten auf der Couch verbracht. Er blickte die Gruppe verzweifelter Ehepaare kaum an. Seine Augen ruhten auf dem Bogen, den er im Schoß geborgen hatte.
„Gefühle müssen zum Ausdruck gebracht werden, Ärger ebenso wie Zuneigung“, fuhr er fort und hob den Kopf nun doch weit genug, um einmal in die Runde zu schauen. Er erntete zustimmendes Nicken. „Die Basis einer guten Beziehung ist Ehrlichkeit.“ Auf das letzte Wort folgte eine Pause, wie um das Gesagte zu unterstreichen. „Doch vergessen Sie nicht, dass Ehrlichkeit auch verletzen kann. Lob darf nicht falsch klingen und Kritik nicht zu harsch. Fragen Sie sich immer, wie Sie die Wahrheit hören wollen würden.“
Die salbungsvollen Worte des Psychologen plätscherten dahin, während es mir immer schwerer fiel, ihnen zu lauschen. Mir kam es nicht so vor, als wäre meine Beziehung zu Clark einfacher geworden, seit er ehrlich zu mir gewesen war. Die ganzen letzten Monate war ich in einen Lügner verliebt gewesen. Der Gedanke verursachte mir Sodbrennen.
„Komm schon, Clark. Was ist los?“, versuchte ich eine Antwort aus ihm herauszukitzeln. Mit geschlossenen Augen lehnte er an der Wand des Aufzugs und schwankte leicht. „Du siehst grauenvoll aus!“ Es war nicht übertrieben. Clark war leichenblass, seine Hände zitterten, während er sich am Handlauf festklammerte.
„Nichts, nur Kopfschmerzen“, murmelte er kraftlos und schüttelte wie zur Bekräftigung den Kopf. Er verzog das Gesicht.
„Ich glaube, ich habe im Schreibtisch noch Aspirin“, bot ich an und schaute ihn mitleidig an. So lange ich ihn kannte, war Clark noch nie krank gewesen. Nun sah er wirklich elend aus.
„Ist schon gut“, gab Clark zurück. „Ich glaube nicht, dass das hilft.“
„Streit mit Mayson?“, fragte ich und spürte dabei einen Stich. Ich konnte mich einfach nicht daran gewöhnen, dass er mit ihr zusammen war. Fast hoffte ich, dass er nun nicken würde.
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. Sein Blick war abwesend und ich war mir nicht sicher, dass er mich tatsächlich gehört hatte. Doch dann nickte er.
„Ja, gestern Abend“, gab er zurück und kniff wieder die Augen zusammen, als würde ihn ein noch heftigerer Schmerz plagen. „Ich weiß nicht, ich glaube, ich sollte zu ihr gehen und mich entschuldigen“, setzte er hinzu und drückte für das Stockwerk, das unter der Redaktion lag. Augenblicke später waren wir dort, die Türen öffneten sich und Clark stieg aus. „Bis später, Lois“, verabschiedete er sich noch, bevor sich die Aufzugtüren wieder schlossen.
Kurze Zeit später hatte Diana Stride behauptet, Clark sei Superman. Ich hatte ihr nicht geglaubt. Nun wusste ich es besser. War er damals überhaupt zu Mayson gegangen?
Um mich herum standen alle auf, rückten Stühle. Der Vortrag war offenbar vorbei. Ich spürte Clarks Hand erst auf meiner Schulter, dann an meinem Ellbogen. Er brachte mich dazu aufzustehen, rückte ebenfalls meinen Stuhl zurecht und nahm mich dann mit.
„Geht es dir gut, Lois?“, fragte er besorgt.
„Mir ist nur klar geworden, wie wenig Ehrlichkeit in unserer Beziehung bedeutet“, feuerte ich zurück, ohne dass ich wirklich angegriffen worden war.
„Wie bitte?“, er klang verwirrt.
„Ging es nicht darum? Dass wir ehrlich zueinander sein sollen?“ fuhr ich fort und fragte mich gleichzeitig, ob es in der vergangenen halben Stunde tatsächlich darum gegangen sein sollte.
„Ja“, entgegnete Clark angespannt. „Und ich habe mich entschuldigt, Lois.“
„Damit soll also alles wieder in Ordnung sein, Clark? Du entschuldigst dich? Du verschwindest aus meinem Leben und ich soll das einfach so hinnehmen, weil du dich entschuldigt hast?“, zürnte ich ihm und drehte mich auf dem Absatz um.
Meine Hände waren zu Fäusten geballt, während ich mich verzweifelt darum bemühte ihn zu hassen. Das war der einzige Weg, das alles zu ertragen. Doch so tief sich meine Finger auch in meine Handflächen bohrten, ich hatte nicht den Eindruck, dass es etwas nutzte. Mein Herz schlug bei dem Gedanken an Clark schneller. Warum hatte er nur so eine Macht über mich? Der letzte Traum hatte meine Lage nicht gerade verbessert.
„Mrs. White? Ein Brief für Sie!“, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Wäre die Hotelangestellte, die mich angesprochen hatte, nicht geradewegs auf mich zugestürmt, hätte ich mich nicht angesprochen gefühlt. Nur langsam fiel mir wieder ein, dass wir Undercover waren.
So blieb ich irritiert stehen. Die Hotelangestellte hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt. Ihr Haar war kraus, blond und verlieh ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit Mayson Drake. Sogar ihr Lächeln war ähnlich gestelzt. Sie schaute an mir vorbei, so unauffällig, dass ich es beinahe nicht bemerkt hätte. Auch wenn ich ihn nicht sah, wusste ich mit untrüglichem Gespür, dass Clark an eben dieser Stelle neben mir stand.
„Danke“, erklärte ich mechanisch und versuchte vergeblich meine Lippen zu einem Lächeln zu ziehen.
Ich nahm den Brief entgegen und mit einem knappen Gruß verabschiedete sich die Blondine und eilte davon. Einen kurzen Moment schaute ich ihr nach, bevor ich unentschlossen den Brief in meiner Hand betrachtete. Es gab keinen Absender, keine Briefmarke, nichts, was darauf hinweisen könnte, woher der Brief stammte. Ich hatte Perry unter Verdacht. Wer sonst wusste, wo wir waren? Das verstärkte meine Neugier nicht gerade.
„Lois?“, fragte Clark vorsichtig und ging einen Schritt um mich herum, damit er mir ins Gesicht schauen konnte.
Ich hielt meinen Blick auf den Brief geheftet, schaute nicht auf. Um Clark zu bestrafen, war der Brief eine mehr als willkommene Möglichkeit. Ich wandte mich erneut von Clark ab, riss scheinbar konzentriert den Umschlag auf. Mein Herz pochte wütend gegen meine Brust, protestierte gegen meine zur Schau gestellte Ablehnung dieses Mannes mit harten Schlägen.
„Lois, bitte“, wiederholte Clark, doch ich ignorierte ihn weiter, entfaltete das Papier, während ich mir alle Mühe gab, das Zittern meiner Finger zu unterdrücken. Wie lange noch wollte ich das durchhalten?
Clark ließ mir meinen Freiraum, was es mir nur noch unmöglicher machte, ihn aus tiefstem Herzen zu verachten. Warum tat er mir das an, warum ließ er zu, dass ich mich mit einem Brief beschäftigte, statt mit ihm. Warum kämpfte er nicht?
Das Briefpapier wellte sich unter aufgeklebten Buchstaben. Mein Mund wurde trocken, als ich das Papier entfaltete und die zusammengestückelte Botschaft überflog. Ich erkannte die Worte, zum Teil vermutlich von mir selbst abgefasst. Der Daily Planet hatte seine eigene, ganz unverwechselbare Schriftart. Die Worte verschwammen vor meinen Augen, während mir heiß und kalt zugleich wurde.
<Wollen Sie Ihr kleines Geheimnis gerne für sich behalten?> stand da in dunklen Lettern. Nichts weiter, keine Forderung, nur dieser Satz. Meine Finger waren taub. Die Welt um mich herum drohte schwarz zu werden. Offenbar war ich nicht die einzige, die Clarks Geheimnis nun kannte. Es konnte doch nur darum gehen! Wie dumm waren wir gewesen. Wir hatten doch gewusst, dass hier Erpresser am Werk waren, die ihre Kunden ausspionierten.
„Lois, bitte, wir müssen reden.“ Clarks kräftige Hände drückten sich in meine Schultern und brachten mich dazu ihm wieder ins Gesicht zu sehen.
Ich schüttelte nur stumm meinen Kopf. Fassungslos dachte ich an den zusammengeklebten Satz in meinen Händen. Doch meine Lippen bewegten sich nicht. Hastig knüllten meine Finger das Papier zusammen. Es geschah so schnell, dass ich nicht sicher sagen konnte, ob es bewusste Überlegung oder Instinkt war. Der Brief schien zu glühen, mir die Finger zu verbrennen. Doch ich konnte Clark das nicht zeigen.
„Ich verstehe ja, dass du wütend bist, Lois“, versuchte Clark mich zu besänftigen.
„Ach ja?“, brach es unvermittelt aus mir heraus. „Verstehst du wirklich, was in mir vorgeht?“ ich schrie beinahe. Clark zuckte zusammen. „Wie könntest du auch!“, versetzte ich schnippisch. Der Brief lag immer noch bedrohlich in meinen Händen, fühlte sich plötzlich unnatürlich kalt an. Oder waren es meine Finger? Ich musste es ihm sagen, Clark musste wissen, was auf dem Spiel stand.
„Vielleicht hast du recht“, murmelte Clark zerknirscht. „Bitte, lass uns das nicht hier besprechen“, flehte er eindringlich und schob mich langsam aus der Halle. Ich ließ es zu.
„Warum hast du es mir nie gesagt? Hattest du so wenig Vertrauen zu mir, Clark?“, brachte ich mühsam hervor, vorbei an dem dicken Kloß in meinem Hals. Wenn Clark ehrlich gewesen wäre, dann säßen wir jetzt nicht in diesem Schlamassel. Ich war versucht ihm das an den Kopf zu werfen, hatte die Worte schon auf der Zunge. Aber ich schluckte sie wieder unter. So konnte ich Clark nicht mit dem Erpresserbrief konfrontieren. „Warum hast du es mir nie gesagt?“, wiederholte ich nur erschöpft.
Clark schaute mich nur an. Eine Falte trat auf seine Stirn, seine Mundwinkel wanderten ein Stück weit nach unten. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war nicht viel, was er mir bot. Doch die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag.
„Es geht gar nicht darum!“, keuchte ich und versuchte vergebens meine Fassung zu bewahren.
„Bitte, Lois, nicht hier!“ Die nackte Angst stand in Clarks Augen.
„Da ist noch etwas Anderes, das du mir nicht sagst!“ Ich hatte es nicht einmal erwogen. Dass Clark so nebenbei auch ein Superheld war, hatte mich viel zu sehr beschäftigt. Mir war nicht in den Sinn gekommen, dass es gar nicht darum gehen könnte.
„Bitte nicht hier!“, wiederholte Clark flehend.
Er fasste mich am Ellbogen und zog mich sanft mit sich, hinaus aus der Hotellobby. Seine Schritte waren groß, gaben mir kaum die Möglichkeit mit ihm mitzuhalten. Verwirrt stolperte ich, halb mit ihm, halb neben ihm her. Der gequälte Ausdruck auf seinem Gesicht machte mich nervös. Beinahe hatte ich den Eindruck, dass Schweißperlen auf seiner Stirn standen. Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, mein Herz pochte heftig.
Plötzlich standen wir vor den Aufzügen. Ich konnte meinem Partner ansehen, dass er lieber die Treppen genommen hätte. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. Als wir endlich das erlösende Klingeln des ankommenden Fahrstuhls hörten, seufzte er erleichtert auf und zog mich mit sich in die enge Kabine. Er zitterte förmlich vor Anspannung, seine Lippen waren schmal geworden, sein Gesicht weiß.
„Clark…“, brachte ich atemlos hervor ohne genau zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Ich schmeckte Galle und versuchte die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, die sich in meinem Magen breit machte.
„Lois…“, echote Clark und seine Lippen wurden noch etwas schmaler. Er atmete tief, nahm offensichtlich seinen ganzen Mut zusammen, bevor er erneut anhob. „Du hast Recht, ich habe dir nicht alles gesagt. Ich wollte es tun, gestern. Aber dann war es einfacher, es zu verschweigen.“
„Inwiefern einfacher?“ Meine Stimme überschlug sich. „Was sollte an einer Lüge einfacher sein?“ Der bittere Geschmack wollte sich nicht vertreiben lassen.
„Die Wahrheit… nun, ich denke du könntest die Wahrheit vielleicht falsch verstehen“, erklärte er nebulös und drückte sich dann wieder in eine Ecke des Aufzugs, als hätte er dort die Möglichkeit diesem Gespräch doch noch zu entfliehen.
Ich fragte mich, warum er sich nicht längst auf und davon gemacht hatte. Warum machte er es sich selbst schwer, wo doch niemand einfacher davon laufen konnte als Superman? Warum erlöste er uns beide nicht endlich und verschwand einfach! Der bloße Gedanke verstärkte meine Übelkeit noch. Was machte Clark bloß mit mir?
Ein erneutes Klingeln des Fahrstuhls riss mich aus meinen Gedanken. Clark stieß sich von der Wand ab, als die Türen aufglitten. Ich war im Nu bei ihm, folgte ihm den Gang hinunter bis zur Zimmertür, hinter der endlich die Wahrheit auf mich wartete.
Ich war mir nur nicht mehr so sicher, ob ich sie auch tatsächlich hören wollte. So ungeduldig ich eben noch gewesen war, so sehr schienen nun meine Füße auf dem Teppich zu kleben. Ein Teil von mir wollte gern unwissend auf dem Flur bleiben und sich ausmalen, dass doch noch alles gut werden konnte. Ich brach in kalten Schweiß aus. Der Flur schien vor meinen Augen zu verschwimmen.
Solange ich hier war, hatte ich noch Hoffnung. Wenn ich durch diese Tür ging, mochte sich das für immer ändern. Jenseits dieser Tür lag möglicherweise ein Leben, dass auch ich nicht mehr mit Clark verbringen wollte. War die Wahrheit wirklich diesen Schmerz wert?
Ich schluckte, verfolgte wie Clark die Chipkarte ins Schloss schob. Ein rotes Licht leuchtete auf, gefolgt von einem leisen Fluch von Clarks Lippen. Wieder nahm er die Chipkarte und steckte sie in den Schlitz. Etwa eine Sekunde ließ das Schloss uns im Unklaren, eine wunderbare Sekunde, in der alles möglich schien. Dann leuchtete das Lämpchen grün auf…
Wie betäubt vor Angst folgte ich Clarks einladender Hand und trat in das Hotelzimmer. Nach zwei Schritten verließ mich der letzte Rest von Mut. Ich war bereit aus dem Zimmer zu stürmen. Warum noch mehr Schmerzen ertragen? Sollte Clark doch bleiben wo der Pfeffer wächst. Ich brauchte das alles nicht, hatte es noch nie gebraucht, schließlich war ich Mad Dog Lane.
Meine Zunge blieb unbeweglich, genau wie meine Beine. Lammfromm stand ich im Flur, bis ich seine Hand auf meinem Rücken spürte. Sanft schob er mich vorwärts, immer weiter und weiter. Die Tür fiel ins Schloss. Wir waren allein. Mein Herz klopfte wie ein Dampfhammer.
„Die Wahrheit…“, murmelte Clark mit rauer Stimme und ging langsam an mir vorbei zum Fenster, schaute hinaus und drehte sich dann doch um. Er lehnte sich an das Fensterbrett und legte den Kopf gegen die Scheibe. „Erinnerst du dich noch an Jason Trask und Büro 39?“, fragte er schließlich und ballte seine Hände zu Fäusten, so dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Ich nickte, auch wenn ich nicht ganz verstand, wohin das führen sollte. „Wie könnte ich den vergessen“, sagte ich mit einem Schaudern und machte einen Schritt auf Clark zu. Gern wollte ich ihn schütteln, ihn dazu bringen, mir alles zu sagen, ohne zögern und zaudern. „Was soll das Clark?“ fragte ich ungeduldig, aber behielt meine Hände bei mir. Er wich nicht zurück, aber das mochte daran liegen, dass er nicht konnte.
„Als wir in der geheimen Lagerhalle waren, habe ich etwas gefunden. Eine Kugel, die die Erde darstellte - und sobald ich sie berührt hatte, Krypton.“ Clark verzog das Gesicht und stieß sich ab. So nah war er mir lang nicht mehr freiwillig gekommen. Nun, das stimmte nicht ganz... Ich sah den traurigen Ausdruck in seinen Augen, der längst zu seinem Gesicht gehörte wie die Brille und die widerspenstige Stirnlocke. Eine harsche Bemerkung verpuffte auf meinen geöffneten Lippen.
„Später wurde mir die Kugel gestohlen“, spann er den Faden weiter. „Sie enthielt Botschaften für…“, er stockte kurz, als wäre er nicht sicher, was er als nächstes sagen sollte. „… mich.“
„Geht es darum? Um diese Botschaften?“, fragte ich ungläubig und versuchte mir vorzustellen was für eine Art von Wahrheit mich nun erwartete. „Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass du unsere Freundschaft wegen so einer Kugelbotschaft zerstörst?“, meine Stimme überschlug sich vor Wut. Ich spürte Tränen in den Augen und blinzelte sie verärgert weg. Mit beiden Fäusten begann ich auf seine Brust einzutrommeln, atemlos, machtlos. Clarks Worte hatten eine Endgültigkeit, die mir Angst einjagte. „Was ist denn das für ein Grund?“, keuchte ich, während Clark meine Handgelenke umklammerte.
„Ich erfuhr, woher ich gekommen bin, wer meine Eltern waren“, sagte Clark mit geradezu unheimlicher Ruhe. „Es gab Antworten auf all die Fragen, die ich mir immer gestellt habe“, fuhr Clark fort. „Mein Vater Jor-El hat diesen Planeten gewählt, weil ich hier unter den Menschen aufwachsen konnte wie einer von ihnen. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied in unserer Physiologie…“ Clarks Stimme verstummte und ich sah ihn schlucken.
Er kam noch einen Schritt auf mich zu und ich hielt den Atem an, als er seinen Griff um meine Handgelenke lockerte und sanft meine Wange umfasste. Sein Daumen strich an meinem Mundwinkel entlang, streifte meine Lippen. Dann beugte er sich vor und hauchte einen Kuss auf meinen Mund, kaum spürbar und dennoch war ich wie elektrisiert.
„… bis auf die Einschränkung“, fuhr er schließlich fort, seine Worte kaum mehr als ein Wispern. „… dass ein Kryptonier niemals mit einer Erdenfrau Kinder zeugen sollte. Er würde sie damit töten.“ Sein Blick fiel auf seine Füße. Er ließ mich los und wandte sich von mir ab, steckte seine Hände in die Hosentaschen.
Ich starrte ihn an und versuchte zu verstehen, was er mir eben gesagt hatte. Eigentlich war ich um nichts klüger als zuvor. Wie gelähmt stand ich vor ihm, während Clark sich daran machte ruhelos im Hotelzimmer auf und ab zu gehen. Immer wieder warf er mir kurze Blicke zu, um dann gleich darauf seine Augen peinlich berührt zu Boden zu richten.
„Ich habe mir eingeredet, dass das egal wäre. Schließlich war ich sehr zufrieden mit dir befreundet zu sein. Mehr konnte ich mir doch gar nicht wünschen“, sagte er leise und blieb einen Moment stehen. „Mein ganzes Leben lang bin ich damit zurechtgekommen, dass ich anders bin, warum also nicht auch diesmal…“, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu, das reichlich verkrampft wirkte. „Aber ich wünsche mir mehr, Lois“, erklärte er sanft, liebevoll.
In seiner Stimme schwangen all die Empfindungen mit, die ich selbst in den letzten Wochen mühsam vor ihm verborgen hatte. Mein Mund war trocken geworden, die Zunge klebte mir am Gaumen fest. Ich konnte einfach nichts erwidern.
„Plötzlich kann ich an nichts anderes mehr denken, als daran, was mein Anderssein für eine mögliche Beziehung mit dir bedeutet. Seit unserer ersten Begegnung wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass wir irgendwann mehr sind als nur Freunde. Doch das ist völlig unmöglich“, setzt er hastig hinzu, sein Tonfall beinahe grob. „Siehst du, Lois, ich habe es versucht – wirklich versucht, aber es geht nicht.“
Mit einem Ruck drehte er sich wieder zum Fenster und starrte hinaus. Die Aura der Kälte, die er in den vergangenen Wochen und Monaten langsam um sich herum errichtet hatte, war wieder da. Sie erstickte meinen Impuls zu ihm zu gehen und ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Meine Starre hatte sich nicht gelöst. Was auch immer ich erwartet hatte - sicher nicht das.
„Soll das heißen…“, keuchte ich, nicht sicher ob ich tatsächlich den richtigen Schluss gezogen hatte.
„Ich kann nicht mit dir schlafen, Lois“, erklärte Clark unmissverständlich. „Du musst mir glauben, dass es mir nie nur darum ging mit dir ins Bett zu gehen, aber…“ Er atmete tief und verfiel in Schweigen, offenbar nicht gewillt, den Satz zu Ende zu führen.
Das musste er auch nicht. Gerade weil der Gedanke tabu war, wurde er ganz automatisch beherrschend. So war es mir in den letzten Wochen gegangen. Ich hatte versucht nicht an Clark zu denken, mir nicht auszumalen, was sein könnte. Clark war bei mir gewesen, von morgens bis abends und sogar in der Nacht.
Mit einem Mal war er bei mir, fasste meine Hände und führte mich zum Sofa, das bisher verwaist in der Suite stand. Clark hatte darauf geschlafen und ich konnte mir einbilden, dass es seinen Geruch verströmte. Sanft zog er mich hinunter, während er sich schräg zu mir setzte.
„In meinen Träumen habe ich mich schon so oft zu dir ans Bett gesetzt und dich geküsst. Manchmal geht es sogar noch weiter“, er atmete tief, machte eine kurze Pause, die mir genug Zeit ließ, mich an meine eigenen erotischen Phantasien zu erinnern. Mein Puls schnellte in die Höhe, als ich seinen Atem auf meiner Haut spürte. Ich war Clark so nah, wie ich es mir Nacht für Nacht erträumte.
„Nächtelang liege ich wach, weil ich Angst habe, mich in diesen Träumen zu verlieren“, gestand Clark nach einer Weile und rutschte unsicher auf dem Sofa hin und her. „Dann wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass du endlich aus meinen Träumen verschwindest“, murmelte er gequält. Sein Blick glitt liebevoll über mich und nahm seinen Worten die Schärfe. „Doch ich kann dieses letzte Band einfach nicht zerreißen“, setzte er traurig hinzu.
Ich hörte ihm zu und hatte das merkwürdige Gefühl, dass er genau das aussprach, was auch ich empfand. Diese Träume, die mich seit Wochen begleiteten. Clark setzte sich zu mir ans Bett und immer schien ihm etwas auf der Seele zu liegen, war er davor mir etwas zu gestehen. Konnte es sein…? Mein Atem beschleunigte sich unwillkürlich. Allein der Gedanke war absurd. Wie konnten Clark und ich unsere Träume teilen?
„Siehst du nun, warum ich gehen muss, Lois?“, fragte Clark ruhig. Seine Miene war stoisch, beinahe undurchdringlich. Doch ich wusste, dass dahinter ein Orkan toben musste – so wie er auch in mir tobte.
Nein, ich verstand nicht, warum er gehen musste. Am liebsten hätte ich ihm das ins Gesicht geschrien, ihn geschüttelt, ihn gezwungen mich zu lieben. Ich konnte doch nicht zulassen, dass eine Kugel mein Leben zerstörte. Wir hatten uns doch gerade erst gefunden!
Ich schluckte. „Wir könnten eine Lösung finden, Clark“, brachte ich mühsam hervor. Meine Worte klangen hohl. Wie auch, wie sollte es eine Lösung geben? Hatte Clark das nicht längst versucht? Ich schluckte. Sein Verrat kam mir plötzlich gar nicht mehr so schrecklich vor. Ich konnte keine erkennen und bei dem Gedanken verkrampfte sich mein Magen.
„Das habe ich versucht, Lois“, entgegnete Clark und stand mit einem Ruck wieder auf. Das Sofa erzitterte und ließ die Kraft ahnen, die in diesem Mann steckte. „Glaubst du, ich hätte nicht schon darüber nachgedacht? Ich war dein Freund, ich habe mich von dir fern gehalten. Himmel, ich habe sogar eine Beziehung mit Mayson begonnen, um dich zu vertreiben.“ Die Scham darüber stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Aber Clark…!“, flehte ich, ohne zu wissen, was ich noch vorbringen konnte oder sollte. Er hatte Mayson nicht geliebt. Die Erleichterung vermischte sich mit dem schalen Beigeschmack von Mitleid. Nicht einmal Mayson hatte so eine Behandlung verdient. Aber ich wollte jetzt nicht über sie nachdenken. Meine Gedanken rasten, suchten den Weg, den Clark übersehen hatte.
„Es hat doch keinen Zweck, Lois“, fasste er das Ergebnis meiner Überlegung zusammen. „Ich kann so nicht weiter machen“, sagte er verzweifelt. „Bitte verzeih mir“, fügte er noch hinzu, bevor das Fenster aufflog. Ein Windstoß fegte durch das Zimmer und dann war Clark verschwunden.