Vom Regen in die Traufe
„Clark, kommst du?“ rief Lois ungeduldig und entnervt glitt ihr Blick über seinen verlassenen Platz.
Wo war der Kerl nur, wenn man ihn brauchte? Das war doch einfach unglaublich. Ihr Blick schweifte durch die Redaktion. Lois war fest entschlossen ohne ihn aufzubrechen, wenn er nicht innerhalb von zwei Sekunden auftauchte. Sie schüttelte verärgert den Kopf, als sie ihn vor der Kaffeekanne entdeckte, den Blick wieder einmal verträumt in die Luft gerichtet.
„Clark!“
Diesmal gab sie sich Mühe noch etwas lauter zu sein und einige Kollegen um sie herum zuckten zusammen, erschrocken und erwartungsvoll zugleich. Der Klang ihrer Stimme verriet, dass Mad Dog Lane gleich in Erscheinung treten würde. Auch Clark wandte sich ihr zu, offenbar aus seiner Trance erwacht.
„Lois, ich…“ stotterte er, doch sie ließ ihn nicht ausreden.
„Komm schon, wir müssen los. Hast du nicht mitbekommen, dass in der Metropolis Bank eine Geiselnahme stattfindet? Wenn wir uns nicht beeilen, bekommt jemand anderes die Story“, drängte Lois und war schon kurz davor ihn am Revers zu packen und mit sich zu zerren. „Wir haben nicht mehr viel Zeit bis Redaktionsschluss, also trödele nicht herum!“
So ungern sie es zugab, aber sie brauchte Clark für diese Story. Er hatte ein unglaubliches Gedächtnis und konnte sich jedes Zitat merken. Er war besser als jedes Tonband und schaffte es auch dann alles zu behalten, wenn nicht einmal Lois dazu kam sich etwas aufzuschreiben. Außerdem berichtete er über die menschliche Seite solcher Tragödien wie kein zweiter.
„Lois, ich…“ begann er erneut und sah ein bisschen so aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ich muss ganz schnell noch mal nach Hause, um…“
Er fummelte an seiner Krawatte herum, während er offenbar überlegte, was wohl wichtiger sein konnte, als diese Story. Lois Wangen brannten vor Ärger. War er ein solcher Angsthase? Bestand er nicht sonst immer darauf sie überall hin zu begleiten? Eigentlich war es ihr egal. Sie wollte gar nicht wissen, was er vorhatte. Sie hatte seine dummen Ausreden so satt.
„Schon gut, Clark. Tu was immer du für richtig hältst. Du hast bestimmt wichtigeres zu tun, als mir zu helfen, aber wundere dich nur nicht, wenn du in Zukunft über Hundeausstellungen schreibst.“ Mit diesen Worten drehte Lois sich auf dem Absatz um und eilte aus der Redaktion.
„Ich komme nach, Lois. Ich beeile mich“, rief Clark ihr noch hinterher, aber Lois tat so, als würde sie es nicht hören.
Wie bitte wollte er rechtzeitig da sein? Selbst wenn er flog, würde er bestimmt eine halbe Stunde brauchen um nach Hause und dann zur Bank zu kommen. Bis dahin konnte schon alles vorbei sein. Ihre Wut ließ Lois bis zur Aufzugtür kommen. Sie drehte sich nicht ein einziges Mal um. Zornig versprach sich, Clark keines einzigen Blickes zu würdigen, wenn sie ihn bei ihrer Rückkehr in die Redaktion wieder sehen würde. Sie hatte große Lust, Lex Luthors Einladung zum Abendessen anzunehmen. Am Besten wäre es, wenn sie ihn direkt vor Clarks Nase anrief, um ihm für diesen Abend zuzusagen. Lois wusste sehr gut, wie sehr das Clark auf die Palme treiben würde. Geschähe ihm recht!
Mir geradem Rücken, die Schultern gestrafft und erhobenen Hauptes betrat Lois den Aufzug. Clark sollte nicht glauben, dass sie Weise auf ihn angewiesen war. Der Fahrstuhl war leer, und seltsamerweise schien sich Lois Entrüstung in Luft aufzulösen, als die Türen sich hinter ihr schlossen und sich der Lift in Bewegung setzte. Ihr Zorn schien in letzter Sekunde zurück in die Redaktion geflüchtet zu sein. Zurück blieb eine enttäuschte Lois, die mit dem letzten Restchen Wut, das übrig geblieben war, vor allem wütend auf sich selbst war. Warum konnte sie ihr Herz nicht zur Abwechslung an einen Mann verlieren, der es wert war?
* * *
Clark hatte sich kaum die Zeit genommen, sich über seine eigene Dummheit zu ärgern, als er aus der Redaktion geeilt war. Doch nun, da er über seinen üblichen Weg aus dem Fenster des Treppenhauses hinaus gesprungen war und sich im Fallen in Superman verwandelte, hatte er genug Zeit sich all seine Fehler noch einmal vor Augen zu führen.
Es war wirklich haarsträubend. Allein bei dem Gedanken daran fuhr Clark sich noch einmal unwillkürlich über seine Haare, wie um festzustellen, ob sie auch wirklich noch in Superman – Manier am Kopf klebten. Kein Wunder, dass Lois nichts von ihm wissen wollte. Luthor beging viel größere Verfehlungen als er und schaffte es dennoch unschuldig wie ein Lamm auszusehen. Clark jedoch hielt sie wahrscheinlich für den größten Versager aller Zeiten - im besten Falle. Alles andere wollte er sich vielleicht gar nicht erst ausmalen.
Clark flog schneller. Es gab einen Grund, weshalb er sich so tief in die Nesseln gesetzt hatte - die Geiselnahme.
< Keiner rührt sich… Ihr legt euch alle auf den Boden und ich will schön eure Hände sehen…> Die Stimme des Geiselnehmers hatte vibriert wie Espenlaub und Clark konnte sich kaum vorstellen, das jemals ein Mensch nervöser gewesen war als dieser. Das hatte seinen Beschluss nur bestärkt, dass er sofort etwas tun musste.
Während er seinen Flug noch beschleunigte, lauschte er weiter nach jedem Hinweis auf den Zustand der Geiseln. Sie klangen verängstigt und Clarks Herz verkrampfte sich vor Mitleid. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er in den Lauf von Trasks Pistole geblickt hatte, wohl wissend, dass sie auch schon auf Lois gezielt haben mochte. Und er hatte auch gewusst, dass eine Kugel in seinem Körper ihn daran hindern würde, ihr oder seinen Eltern zu helfen.
Das Geheul von Polizeisirenen wurde lauter und begann jedes andere Geräusch in seinem Umfeld zu überdecken. Wenn er noch länger zuhörte, würde er nur Kopfschmerzen bekommen. Clark setze zur Landung an und beim Anblick des schillernden Superhelden ging ein allgemeines Aufatmen durch die Menge, die sich inzwischen vor der Bank angesammelt hatte.
Mehrere Polizeifahrzeuge standen um die Bank und hinter jedem von ihnen hatten sich Polizeibeamte postiert. Einer, offenbar der Einsatzleiter, winkte Superman zu sich heran.
„Gut, dass du hier bist, Superman. Wir haben leider keinen genauen Überblick, mit wie viel Tätern wir es zu tun haben. Ihr Vorgehen erscheint uns planlos. Sie sind bisher nicht auf Kontaktversuche eingegangen und wir haben keine Ahnung, was sie eigentlich wollen“, erklärte der Polizist. Er klang besorgt und Superman wusste auch weshalb.
Er nickte. „Unerfahrene Täter“, bemerkte er. „Das macht sie leider nur umso gefährlicher.“
Der Polizist seufzte zustimmend. „Es wäre hilfreich, wenn du die Situation erkunden könntest. Greife ein, wenn nötig. Am besten so schnell, dass sie dich gar nicht erst kommen sehen.“
Clark hörte den Rest des Satzes nur noch verschwommen, denn er war schon losgestürmt. Er ließ die Tür der Bank hinter sich und hatte rasch die Situation erfasst. Insgesamt waren es vier bewaffnete Männer, die eindeutig auf dem Gebiet von Metropolis noch keine Erfahrung hatten. Sie standen in einer Reihe und hatten sich so aufgestellt, dass Superman mit seinem Hitzeblick alle Waffen ausschalten konnte. Das klirrende Geräusch der zu Boden fallenden Waffen war Musik in seinen Ohren.
Supermans Blick schweifte umher um zu prüfen, ob sich noch irgendwo ein weiterer bewaffneter Mann versteckt hielt, aber offenbar hatte er alle erwischt. Ein Alarmglöckchen klingelte in seinem Hinterkopf. Das war viel zu einfach gewesen, selbst für Superman. Clark war daran gewöhnt, dass sich die meisten Gangster inzwischen Taktiken überlegten, wie sie ihm sein Eingreifen erschweren konnten. Nicht, dass das in der Regel viel nutzte.
„Wer bist du?“ rief einer der vormals Bewaffneten, während er entsetzt auf seine leeren, geröteten Hände starrte.
„Jemand, der keine Geiseln nimmt“, gab Superman mit fester Stimme zurück. „Und du solltest es dir besser überlegen, bevor du es noch einmal versuchst.“ Superman verschränkte seine Arme vor der Brust und blickte grimmig, während er auf die vier Männer zuging, die dastanden, wie versteinert.
„Superman!“ riefen ein paar der Menschen, die auf dem Boden lagen und begannen sich aufzurichten. „Superman!“ Es klang zunehmend begeisterter.
Während Clark die Arme ausstreckte, um die vier Männer den Polizisten zu übergeben, hatte er das merkwürdige Gefühl das etwas nicht stimmte - das etwas ganz und gar nicht stimmte. Wie beispielsweise der Kopfschmerz, der sich hinter seinen Augen ausbreitete und zu pochen begann. Seine Arme erschienen ihm unnatürlich schwer, und jeder der vier Männer musste ungefähr eine Tonne zu wiegen. Mit Mühe gelang es ihm trotzdem sie hochzuheben, auch wenn ihm das schier die Schultern zu brechen schien.
Wie durch einen Nebel hörte Clark herannahende Schritte und jemand legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Danke, Superman. Wir übernehmen sie ab hier“, sagt einer der Polizisten hinter ihm.
Clark hätte nicht sagen können, ob er die vier Männer absichtlich absetzte, oder ob sie ihm einfach aus den Fingern glitten. Seine Kräfte hatten sich in Luft aufgelöst. Es schien endlos zu dauern, bis er sich so aufrecht es gerade eben ging aus der Bank schleppte.
Die spärlichen Sonnenstrahlen, die ihn begrüßten, brachten keine wirkliche Linderung. Clark hatte nur wenig Hoffnung, dass er fliegen konnte. Aber mit zitternden Knien und Händen gelang es ihm doch sich in die Luft zu erheben und sich so weit es nur ging von der Bank zu entfernen. Der Schmerz ließ nach, die Erschöpfung jedoch nicht und so wurde aus seinem holprigen Flug sehr bald eine noch viel holprigere Landung.
* * *
Lois trommelte mit den Fingern auf ihrem Schreibtisch herum und schaute ungeduldig erst auf die Uhr und dann auf die Türen des Fahrstuhls. Sie war beinahe allein in der Redaktion. Außer Jack waren alle gegangen, sogar Perry und Jimmy, die ihren jährlichen Frühjahrsputz hinter sich gebracht hatten. Das Ergebnis war dasselbe wie immer – es hatte sich rein gar nichts in Perrys Büro verändert.
Lois selbst war eigentlich nur noch in der Redaktion, weil sie wissen wollte, was mit Clark war. Genauer gesagt, wollte sie ihm gehörig die Meinung sagen. Und sie wusste, dass er kommen würde. Er hatte schließlich Jack einen Kinoabend versprochen. Außerdem waren seine Aktentasche und auch seine Wohnungsschlüssel immer noch hier. Was immer auch seine sonstige Zuverlässigkeit anging, er würde weder Jack noch seine Aktentasche versetzen.
Der Gedanke gab Lois einen kleinen Stich, doch sie würde sich das um nichts in der Welt anmerken lassen. Lex Luthor hatte Lois schon angerufen, und er hatte mit Bedauern abgesagt. Allerdings musste Clark das nicht erfahren. Lois dachte genüsslich darüber nach, wie sie Clark ihre „Verabredung“ unter die Nase reiben konnte. Selbstverständlich erst nachdem sie ihn mit Honig übergossen den Mücken zum Fraß vorgeworfen hatte.
„Wo bleibt denn Clark?“ fragte Jack, der auch schon den ein oder anderen Blick zum Fahrstuhl geworfen hatte. „Er kommt doch zurück, oder?“ Es klang nicht so, als würde er tatsächlich daran glauben. „Sonst sagt er doch Bescheid, wenn es nicht klappt“, murmelte er, wie um sich selbst daran zu erinnern, dass es Menschen gab, die ihre Versprechen hielten. Lois fragte sich, ob Jack sich nicht den Falschen ausgesucht hatte, um sein Vertrauen in die Menschheit wiederzuerlangen.
Genau in diesem Moment klingelte der Fahrstuhl und die Türen eines Lifts gingen auf. Clark stand plötzlich in der Redaktion. Für einen Moment vergaß Lois, dass sie eigentlich sauer auf ihn war. Er sah aus, als hätte er zu Hause mit einem mittleren Bären gerungen. Sein Haar war zerrauft und seine Krawatte ungewohnt schlampig gebunden. Eine Schramme zog sich über seine Wange und Lois hatte den Eindruck, dass er humpelte.
„Clark!“ brachte sie überrascht hervor und lief auf ihn zu. „Alles in Ordnung?“ fragte sie besorgt und kam sich lächerlich dabei vor. Es war offensichtlich, dass nicht alles in Ordnung war.
„Ja, ja“, gab Clark zurück und strich sich die Krawatte glatt, als würde ihm seine desolate Erscheinung jetzt erst bewusst werden. „Ich, äh, wurde von einem Radfahrer umgefahren.“
Lois zog die Stirn kraus. Ein Fahrrad in Metropolis? Wer war denn so lebensmüde? Seine Ausrede vertrieb ihr Mitleid und ließ ihren Ärger wiederkehren.
„Wo um Himmelswillen warst du? Hast du nicht gesagt, dass du nachkommen würdest?“ schimpfte sie. „Ich jedenfalls hab dich da nirgendwo gesehen!“
Clark schien um eine Antwort zu ringen. „Tut mir leid, ich hab’s einfach nicht geschafft. Superman kam zu mir und erzählte mir was da los war. Er musste wohl direkt im Anschluss zu einem weiteren Notfall und hatte keine Zeit an der Bank jemandem Fragen zu beantworten.“
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Lois konnte nicht glauben, was sie da hörte. Hatte doch tatsächlich Clark das Interview bekommen, das sie verdient gehabt hätte! Ihr schlug das Herz bis zum Hals und sie hatte das Gefühl, dass man es von außen sehen musste. Zu allem Überfluss ließ Lois Stimme sie auch noch im Stich, denn obwohl sie schreien wollte, brachte sie keinen Ton hervor.
„Du hast Superman gesehen?“ fragte Jack interessiert. Er hatte sich die Zeit damit vertrieben Nachrichten zu sehen und hatte seitdem die abenteuerlichsten Theorien aufgestellt zu dem was am Abend in der Bank geschehen sein mochte. „Und, was war mit ihm? Lois hat gesagt, dass er sich seltsam verhalten hat, als er aus der Bank kam.“
„Ich hab doch schon gesagt…“
„Mit dir spricht er…Ich glaube es nicht!“ fuhr Lois dazwischen. Ihr Gesicht war vor Wut und Enttäuschung verzerrt. Sie piekste ihren Finger in Clarks Brust und drängte ihn ein paar Schritte zurück, während sie mit jeder Silbe zu wachsen schien. „Du lässt mich hier im Stich und kassierst ohne auch nur mit der Wimper zu zucken das Interview!“
„Was hätte er denn tun sollen?“, gab Jack zu bedenken.
„Bist du auch noch auf seiner Seite?, schrie Lois ihn an.
Jack schrumpfte unter ihrem vernichtenden Blick ein paar Zentimeter und eilte mit einer gemurmelten Entschuldigung aus der Redaktion in Richtung Toiletten. Lois schnaubte und wandte sich wieder Clark zu. Diesmal war er zu weit gegangen. Lois würde es nicht zulassen, dass ihr jemand die Storys klaute, schon gar nicht Clark.
„Ich unterbreche die traute Zweisamkeit ja nur ungern, aber ich würde Ihnen beiden raten, die Hände zu heben und keine Dummheiten zu machen!“ sagte plötzlich jemand von der Empore vor den Aufzügen her. Lois zuckte zusammen. Sie hatte niemanden kommen gehört.
* * *
Clark versuchte sich einzureden, dass er auch mit Superkräften nichts an ihrer Situation hätte ändern können. Selbst wenn er schneller als eine Pistolenkugel wäre, hätte er die Eindringlinge kaum davon abhalten können, wenigstens einen von ihnen zu verletzen oder sogar zu töten. Aber es war nicht gerade einfach sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Lois finsterer Blick machte es ihm auch nicht eben leichter.
„Immerhin haben sie Jack nicht geschnappt“, murmelte Lois, klang aber nicht so, als ob sie das besonders ermutigen würde. Dabei sah sie Clark herausfordernd an, so als würde sie ihn fragen wollen, warum er nicht auch längst auf dem Weg war sie zu retten. „Er ist zuverlässiger, als gewisse andere Leute, die ich kenne.“
„Es tut mir Leid, Lois“, versuchte Clark die Wogen zu glätten und er verfluchte sich, dass er sie überhaupt erst zur Weisglut getrieben hatte.
Es blieb nicht viel mehr zu sagen. Keine Entschuldigung konnte aufwiegen, was er ihr tatsächlich schuldete – die Wahrheit. Das ganze Schlamassel wäre nicht so schlimm, wenn er ihr erzählt hätte, was ihn wirklich davon abhielt ihr ein zuverlässiger Freund zu sein. Stattdessen verstrickte er sich in immer neuen Lügen.
„Es tut dir also Leid“, sagte Lois schnippisch und verzog verächtlich ihren Mund. „Ich sag dir mal was, Clark…“
„Lois, bitte“, flehte Clark. „Es hilft uns nicht im Geringsten weiter, wenn wir uns jetzt gegenseitig bekriegen. Ich kann nicht mehr tun, als mich bei dir zu entschuldigen.“ Das konnte er tatsächlich nicht. Er hätte in diesem Moment liebend gern seine Tarnung geopfert, wenn er dafür Lois aus der Gefahrenzone hätte bringen können. „Lass uns lieber überlegen, was wir jetzt tun.“
Clark spähte durch die Jalousien hindurch. In der Redaktion waren ein paar dunkel gekleidete Männer und Clark war sich fast sicher, dass er auch eine Frau gesehen hatte. Sie beugten sich über Pläne und gestikulierten heftig. Clark bemühte sich etwas zu hören, aber mehr als Lois verärgertes Schnauben neben sich hörte er nicht. Die Gangster hatten Waffen und sie machten keinen Hehl daraus. Einer von ihnen sah, dass Lois und Clark sie beobachteten und bedeutete ihnen mit der Pistole von der Scheibe zurückzutreten.
„Superman wird uns helfen“, sagte Lois voll tiefer Überzeugung. Ihm gab sie offenbar keine Schuld an dem unverdienten Interview.
Clark war versucht ihr zu erzählen, dass die Aussicht auf Supermans Hilfe mindestens bis zum nächsten Morgen äußerst trüb war. Aber er hielt sich davon ab, denn Lois war auch ohne dass er ihr zeigte wie viel mehr er von der Geiselnahme wusste kurz vor der Explosion.
„Und was sollte er deiner Meinung nach bitte tun?“ wandte Clark dennoch ein. „Selbst Superman wäre kaum schnell genug, sie alle auf einmal davon abzuhalten uns zu erschießen.“ Das klang selbst in seinen Ohren merkwürdig und Clark wusste, dass es nicht stimmte. Wäre Superman jetzt hier, dann könnte er etwas tun. Anders als Clark, der unter seinen geprellten Rippen litt und dessen Knöchel mit jedem Schritt schmerzhaft protestierte. Clark unterdrückte einen Fluch.
„Vielleicht hast du Recht. Wir sollten nicht darauf vertrauen, dass Superman uns rettet. Wir müssen selbst etwas tun“, sagte Lois bestimmt und schritt entschlossen auf die Tür zur Redaktion zu.
„Lois, nein!“ rief Clark entsetzt und sprang auf sie zu, um sie zurückzuhalten. „Mach jetzt nichts Unüberlegtes, wenigstens dieses eine Mal“, bat er.
„Wage es ja nicht, mir vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, Clark.“ Ihre Stimme klang bedrohlich. Sie musterte ihn von oben bis oben. Die Art, wie sie ihn ansah, tat ihm fast mehr weh, als die Begegnung mit dem Kryptonit in der Bank. „Du kannst von mir aus ruhig hier herumsitzen und warten bis sie dich erschießen, wenn du das unbedingt willst. Aber du wirst mich nicht davon abhalten, etwas zu tun.“
„Okay, ich gebe zu, dass ich deinen Ärger verdient habe, Lois. Aber du solltest mich nicht unbedingt strafen, indem du dich in Gefahr begibst!“ flehte Clark und fühlte sich ziemlich hilflos. „Wir werden hier herauskommen. Aber wir müssen einen kühlen Kopf bewahren!“
„Ich habe einen kühlen Kopf“, versetzte Lois, aber sie klang längst nicht mehr so selbstsicher, wie zuvor. Sie schien in sich zusammen zu sinken. Clark konnte sehen, dass sie Angst hatte, egal, wie sie nach außen hin erscheinen wollte.
Clark hätte nicht sagen können, wie es geschehen war, aber plötzlich war sie in seinen Armen und lehnte ihren Kopf an seine Schultern. Er spürte sie zittern und strich mit der Hand sanft über ihren Rücken. Er liebte wie stark Lois war, auch wenn er ihren Zorn zu spüren bekam. Doch auch in den Momenten, in denen alle Stärke von ihr abfiel und sie plötzlich so zerbrechlich war, fühlte er sich so stark zu ihr hingezogen, dass er ihr eine Liebeserklärung ins Ohr hauchen wollte.
„Glaub bloß nicht, dass ich dich vom Haken gelassen habe, Clark. Du schuldest mir noch eine Erklärung und mindestens eine Entschuldigung“, murmelte Lois und ihre Stimme klang dumpf an seiner Schulter.
„Damit habe ich keine Sekunde gerechnet. Und ich entschuldige mich so oft du willst.“
* * *
„Also, wir brauchen ein Ablenkungsmanöver. Einer von uns muss an ihnen vorbei und Hilfe holen“, erklärte Lois, entschlossen sich nicht hängen zu lassen.
„Vielleicht ist ja schon welche unterwegs“, warf Clark ein. „Immerhin ist Jack offenbar entkommen. Er war nicht in der Redaktion, als sie kamen.“
Er erntete einen schiefen Blick, doch Lois beschloss seinen Kommentar ansonsten zu ignorieren. Es fiel ihr schwer, das einzugestehen, aber Clark hatte schon Recht. Es half ihnen nicht weiter sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.
Schwere Schritte näherten sich der Tür des Konferenzraums und plötzlich wurde sie aufgerissen. Der Mann sah die beiden grimmig an, die Waffe in seiner Hand ließ ihn nur unwesentlich gefährlicher erscheinen, als wenn er ohne sie gekommen wäre. Er richtete sie nacheinander auf Clark und dann auf Lois. Sein Blick durchbohrte sie und Lois fragte sich, wozu er die Waffe eigentlich brauchte.
„Kann einer von euch beiden mit dem Computer umgehen?“, bellte der Mann.
„Ich“, sagten Lois und Clark gleichzeitig.
Der Blick des Kerls wurde noch ein bisschen tödlicher. Er schaute von Lois zu Clark und wieder zurück. Er schien ein wenig unentschlossen zu sein, was er hinter seiner finsteren Miene zu verbergen suchte, ohne dabei besonders erfolgreich zu sein. Schließlich packte er Lois hart am Arm und richtete seine Waffe auf Clark.
„Ihr kommt beide mit“, befahl er. „Und du...“, er schaute Clark durchdringend an. „...versuch ja nicht den Helden zu spielen. Sonst ist die Kleine da dran.“
Lois fragte sich, ob Clark wohl überhaupt auf die Idee gekommen wäre, den Helden zu spielen. Sie erinnerte sich noch gut an ihre erste gemeinsame Story. Clark war in die Lagerhalle gestürmt, in der sie und Jimmy angebunden waren. Für einen Moment hatte sie zu hoffen gewagt, aber dann hatte Clark unter vorgehaltener Waffe nur die Hände gehoben und sich lammfromm anbinden lassen. Das war nicht das, was sie unter Heldenmut verstand.
Und wieder machte Clark keine Anstalten sich zu wehren, sondern folgte dem großen Kerl, der Lois unsanft mit sich in die Redaktion zerrte. Während Lois gegen die Umklammerung der Hand an ihrem Arm ankämpfte, ging Clark voraus. Der große Kerl drückte ihm immer wieder den Lauf seiner Waffe in den Rücken. Obwohl sie eigentlich mit anderen Dingen beschäftigt sein sollte, konnte Lois nicht umhin wieder festzustellen, wie schwerfällig Clark ging. Die Tatsache, dass er offensichtlich Schmerzen hatte, ließ ihre Wut ein wenig verrauchen.
„Hey, nicht trödeln“, wies sie der große Kerl zurecht und zerrte an ihrem Arm.
„Au!“, rutschte es Lois heraus, obwohl sie eigentlich nichts hatte sagen wollen.
Clark fuhr herum. „Lass sie los!“ sagte er drohend und schien plötzlich zu wachsen. „Wir haben euch nichts getan, ihr stürmt hier herein und...“ er holte tief Luft und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
Der große Kerl lachte nur. „Du gehst jetzt besser weiter, bevor ich wütend werde. Was ich mit der Kleinen hier mache, ist meine Sache.“ Er drückte den Lauf der Waffe herausfordernd in Clarks Bauch. So irrational es auch war, Lois wünschte sich nichts sehnlicher, als das Clark dem Kerl seine Waffe entreißen würde, und kurzen Prozess mit ihm machte. Natürlich wusste Lois, dass das hoffnungslos leichtsinnig gewesen wäre, aber dennoch...
Clark nickte nur ergeben und ging dann weiter in die Richtung, in die der große Kerl ihn drängte. Vorbei an verschiedenen Schreibtischen, hin zu der Gruppe Krimineller, die sie an diesem Abend gefangen hielten. Ein bisschen erleichtert war Lois, dass die Sache noch glimpflich ausgegangen war. Aber es blieb auch ein Gefühl von Enttäuschung, von dem Lois wusste, das es unbegründet war. Clark hatte aufbegehrt, aber letztlich nichts getan, um sie zu retten.
„Wir brauchen Baupläne von diesem Gebäude“, verlangte einer der Kriminellen von ihnen.
Er sah etwas netter aus, gepflegt. Seine Augen waren dunkel und glühten in einer Intensität, als könnten sie durch alles hindurch sehen. Mit seinem fast jungenhaften Lächeln hätte er sogar charmant gewirkt, wenn seine Waffe nicht auf sie gerichtet gewesen wäre. Lois versuchte sich einzureden, dass er ihr keine Angst machte. Aber das stimmte nicht.
„Wozu?“ Die Frage war ihr so herausgerutscht. Lois erwartete nicht ernsthaft eine Antwort zu bekommen.
„Interviews geben wir später“, gab der Nettere mit einem boshaften Grinsen zurück. „Die Pläne“, drängte er und unterstrich seine Forderung, indem er Lois die Waffe noch dichter unter die Nase hielt.
* * *
Clark kämpfte mit seinem Temperament, von dem Lois wahrscheinlich glaubte, dass er es gar nicht besaß. Er kämpfte mit seiner inneren Stimme, die ihm befahl, jetzt endlich etwas zu tun. Und er versuchte sich daran zu erinnern, dass ihm seine Kräfte fehlten und dass einzugreifen ungleich gefährlicher war als sonst. Clark fürchtete sich nicht davor zu kämpfen. Er war auch mit menschlichen Kräften kein Schwächling. Allerdings konnte er Lois nur helfen, wenn sie ihn nicht vorher umbrachten. Deshalb war es ratsam erst zu denken und dann zu handeln.
Seinem guten Vorsatz treu zu bleiben hörte sich allerdings leichter an, als es tatsächlich war. Die Art, wie die Gangster mit Lois umsprangen, stellte Clarks Selbstbeherrschung auf eine harte Probe. Er ballte die Fäuste, während er sich selbst daran erinnerte, dass er nicht unverwundbar war.
Lois starrte den Kerl, der ihr die Waffe unter die Nase hielt, unverwandt an. Sie zuckte mit keiner Wimper und regte keinen Finger. Clark nickte möglichst unauffällig zu dem Computer hinüber. Warum fing sie nicht an, die Baupläne aus der Datenbank zu holen? Er würde viel leichter etwas unternehmen können, wenn nicht gerade eine Waffe auf sie gerichtet war. Ein kleines Ablenkungsmanöver, während die Pläne am anderen Ende der Redaktion aus dem Drucker kamen... Tausend Sachen fielen ihm ein, die er tun konnte, sobald Lois die Pläne besorgt hatte.
„Was wollen Sie?“, fragte Lois wieder, diesmal herausfordernder. „Wozu die Pläne? Das ist nur eine Redaktion, hier gibt es nichts zu holen.“
„Lassen Sie das mal schön unsere Sorge sein“, erwiderte der Mann ungeduldig und wedelte noch einmal mit der Waffe. „Na los, sonst werde ich ihn dazu bringen.“ Der Kerl mit der Waffe machte eine Kopfbewegung zu Clark hinüber.
„Er würde Ihnen gar nichts nützen. Die Baupläne sind im alten System und das kennt er nicht“, gab Lois unbeeindruckt zurück. „Und ich werde sie Ihnen nur verschaffen, wenn sie mir sagen, weshalb Sie sie brauchen.“
Clark verstand die Welt nicht mehr. Warum legte Lois sich mit den Gangstern an? Hatte Superman sie inzwischen so oft aus den Klauen des Todes gerettet, dass sie sich für unverwundbar hielt? Oder wollte sie Clark beweisen, dass sie, Kräfte hin oder her, viel tapferer war als er?
„Ich verliere langsam die Geduld, Lady!“ Das Lächeln war aus dem Gesicht des Gangsters verschwunden. Sein Blick wurde eiskalt, berechnend. Clark zweifelte nicht daran, dass er alles tun würde, um sein Ziel zu erreichen. „Muss ich sie erst davon überzeugen, dass ich es ernst meine?“, fragte er drohend.