Ich weiß ja nicht so genau, ob ihr überhaupt Lust habt, mir auf diese Reise zu folgen. Es ist meine bisher längste Story, und definitiv die, an der ich am längsten schreibe. Weniger eine Was-wäre-wenn-Geschichte als vielmehr der Versuch offene Fragen zu klären, Verhalten zu verdeutlichen und die eine oder andere Lücke im Verlauf der verschiedenen Drehbücher zu schließen.
Die Idee wurde vor mehr als eineinhalb Jahren geboren, Mellie, ich und ein paar andere diskutierten in einem FDK-Thread (und später im Chat), dass es lohnenswert wäre, doch mal die Männer in Lois Lanes Leben zu beleuchten. Was ist genau passiert, um sie zu der Frau werden zu lassen, die wir am Beginn der 1. Staffel kennen lernen: Ehrgeizig, zickig, misstrauisch und beziehungsunfähig. In den Folgen gibt es nur wenige Hinweise, da war Paul, ihr erster, den hat ihr Linda King ausgespannt. Dann erwähnt sie Claude, in den war sie wohl verliebt, und er hat ihr nach einem One-Night-Stand die Story geklaut. Und natürlich durften wir alle die Sache mit Lex miterleben. Aber was hat sie bloß getrieben, 'ja' zu sagen?
Ich habe noch einen fiktiven Mann (John) eingeführt, weil es mir passend erschien.
Ursprünglich wollten Mellie und ich diese Story zusammen schreiben. Die Zeit war gegen uns. Ich fand die Idee aber so faszinierend, dass ich alleine weiter geschrieben habe. Wir haben gemeinsam viele Ideen entwickelt, alleine habe ich dann einiges davon verworfen, umgestellt, neu zusammen gestellt und dann das hier entwickelt. Alle Titel der Kapitel stammen von Mellie. Der erste Teil über Paul, die ersten Seiten sind noch ein Gemeinschaftswerk, danach bin ich alleine verantwortlich.
Alleine? Das stimmt natürlich nicht ganz, ich hatte meine Betas. Wahrscheinlich habe ich für diesen Text mehr Betas als Leser. Den ganzen Text haben gelesen und gebetat: Kitkaos, Tahu und – eine ganz neue und in meinen Augen sehr fruchtbare Zusammenarbeit - bakasi. Und diesmal habe ich meinen Betas wirklich etwas zugetraut. Sie haben es trotz Ausbildung, Weiterbildung und PJ Seite für Seite mitgelesen. Ein riesiges Dankeschön dafür! Die ersten Teile hat auch Lara Joelle Kent gelesen. Mit allen gab es ausgedehnte Diskussionen, wie Lois reagiert, wie es sich abgespielt haben könnte, warum sie immer wieder in solche Situationen geraten ist. Und am wichtigsten, warum ist sie so eine Kratzbürste? Warum verliebt sie sich als erwachsene Frau unsterblich in den fliegenden Helden? Und warum sagte sie 'ja' zu Lex? Dann habt ihr Helfer meinen Text mitgeholfen zu überarbeiten. Für all das bin ich euch wirklich dankbar. Jeder einzelnen von euch! Ihr habt mir wirklich sehr geholfen.
Was kann ich noch schreiben? Vielleicht noch ein Zitat, mit dem ich Tahu zwischenzeitlich amüsiert habe. Ich habe es wohl an den Claude-Teil gehängt: „Oh man, ich brauch eine Pause. Immer wenn ich mit einem Mann durch bin, brauche ich einen gewissen Abstand, bevor ich mich auf den nächsten einlassen kann...“ Vielleicht besser, wenn mein Mann nie erfährt, dass ich das gesagt habe...
Disclaimer: Die Serie "Superman - die Abenteuer von Lois & Clark", Clark Kent, Lois Lane, Daily Planet, Metropolis, Krypton – all das gehört nicht mir und die Charaktere auch nicht, sondern denen, die die Idee hatten, Jerry Siegel, Joe Shuster oder DC-Comics, um nur einige zu nennen. Nur die Idee für diese Geschichte ist meine. Ich schreibe nur für mich, und verdiene kein Geld damit.
Über Kommentare (und damit meine ich wirklich positive wie negative) würde ich mich natürlich riesig freuen.
Memory Lane
"WAS?! Clark ist Superman?! Lois, du spinnst! Ich habe gedacht, dass du deine Obsession mit Superman überwunden hast. Du bist doch verheiratet. Komm schon, dein Mann ist einfach süß. Und jetzt willst du mir klarmachen, er akzeptiert deine Schwärmerei für diesen Superhelden in Strumpfhosen, diesen fliegenden Gott? Ja, er unterstützt dich noch dabei und macht für dich den Superman? Lois, das ist krank!"
Hin und wieder fragte ich mich doch, ob meine Schwester nicht eine Neigung zum Plappern hatte. Lucy schüttelte den Kopf. Nachdem sie mir die ersten Worte geradezu entgegen geschleudert hatte, war sie ruhiger geworden. Aber ihr Kopfschütteln drückte tiefstes Unverständnis aus.
Gut gewappnet mit Crackern und Prosecco kamen Lucy und ich aus der Küche und machten es uns im Wohnzimmer vor dem brennenden Kamin gemütlich. Wir waren alleine im Haus. Und wir hatten alle Zeit der Welt.
"Es tut mir leid, Schwesterchen, wenn ich mich falsch ausgedrückt habe. Clark macht mir nicht den Superman", wobei ich bei der Vorstellung, dass sich das wahrscheinlich tatsächlich in manchen Schlafzimmern so abspielen könnte, grinsen musste, "er ist es - wirklich!", sagte ich das letzte Wort mit Nachdruck. Lucy sah mich nun an, als hätte ich grüne Antennen auf dem Kopf. Mir war schon klar gewesen, dass es nicht ganz einfach für sie werden würde. Aber Clark und ich hatten beschlossen, dass die Familie und damit auch Lucy die Wahrheit erfahren sollte. Sie war Nicis Patin, sie verbrachte viel Zeit mit ihrem Neffen und sie sollte wissen, was auf sie zukam, bevor sich bei ihm das Erbe seines Vaters, die eine oder andere der Superkräfte zeigen würden. "Lucy, wie oft habe ich in meinen Artikeln geschrieben, dass Superman eine Zweitidentität hat?"
Sie trug ihr Haar inzwischen wieder länger. Es stand ihr gut. Und das warf sie sich nun über die Schulter. Dabei sah sie mich fragend an, als könnte sie mir nicht folgen. "Immer wieder. Oft... eigentlich ständig, jedenfalls anfangs...", stammelte sie. Ich schien sie verwirrt zu haben. Meine Schwester las meine Artikel, wann immer es ging, das wusste ich.
"Ja, natürlich nur anfangs. Nach einer gewissen Zeit kam der Punkt, da habe ich begonnen ihn zu schützen. Noch etwas später wusste ich es dann und seitdem hüte ich die Information um Superman als ein tiefes Geheimnis. Jedenfalls - diese Zweitidentität ist Clark. Oder Clarks Zweitidentität ist Superman, wie du willst." Ich sollte nachsichtiger sein mit meiner kleinen Schwester. Ich hatte zwei Jahre gebraucht, um es zu sehen, es zu verstehen. "Denk dir mal die Brille weg. Und vergleiche Clarks Körperbau mit dem von Superman..." Sie hatte meinen Ehemann ein paarmal ohne T-Shirt gesehen und sich immer sehr schwärmerisch, vielleicht sogar manchmal etwas neidisch darüber ausgelassen. Ich gab ihr nun einfach etwas Zeit, um diesem Gedanken zu folgen und schenkte uns beiden noch etwas Prosecco nach.
Lucy sah mich grüblerisch und ernst an. Sie kaute auf ihrem Daumen. Als sie noch klein war, kaute sie in solchen Situationen an ihren Nägeln. Das machte sie heute natürlich nicht mehr. Doch dieses zarte, kraftlose Kauen war so ein Überbleibsel aus Kinderzeiten. Ich konnte geradezu sehen, wie sich die gedanklichen Fragmente zu einer konkreten Vorstellung zusammenfügten und es sah so aus, als würde sie langsam verstehen, wovon ich sprach. "Das... das ist wirklich irre! Lois, das würde bedeuten, dass du am Ende doch Superman bekommen hast. Ich fasse es nicht!" Sie schüttelte schon wieder den Kopf, lachte aber diesmal dabei. Dabei fielen ihre langen Haare wieder nach vorne.
"Ich habe Clark bekommen, das ist es, was zählt. Superman war nur die Zugabe." Diese Formulierung entlockte mir dann aber doch noch ein Schmunzeln. Lucy akzeptierte diese Neuigkeit besser und schneller als ich gedacht hatte. Sollte sie etwa erwachsen geworden sein?
Sie sah mich einen Moment an und dann schien ihr eine neue Idee zu kommen: "Okay, okay...", sie wurde nun ganz aufgeregt. Was ging ihr bloß jetzt im Kopf herum? "Zugabe oder nicht, du hast Superman in deinem Bett..." Da hatte sie natürlich Recht, ich nickte. Wobei mir das Wort 'Bett' eine grobe Vorstellung gab, worauf meine jüngere Schwester als nächstes hinaus wollte. "Gut, Lois, diese Antwort wirst du mir nicht schuldig bleiben - was bitte ist Super-Sex?" Ich hatte sie genau richtig eingeschätzt.
"Lucy!", ich versuchte einen strengen Ton anzuschlagen, was mir nicht ganz so überzeugend gelang. Auch ich musste grinsen. Diese Frage hatten sich wahrscheinlich schon Tausende von Frauen auf der ganzen Welt gestellt.
"Nein, nein!", drohte sie mir, "Du wirst mir nicht davon kommen." Meine Schwester war ganz aufgeregt. Sie hatte sich aus der gemütlichen, entspannten Haltung in ihrem Sessel schon längst nach vorne gebeugt und fuchtelte wild mit den Armen. "Ich will Details! Das bist du mir schuldig. Du kennst jedes intime Geheimnis meines Lebens." Sie hatte mir wirklich von vielen Männergeschichten mehr Einzelheiten erzählt als ich wissen wollte. Mir war nur niemals klar gewesen, dass ich ihr das jemals zurückzahlen musste. Und wenn es schon sein musste, warum dann ausgerechnet jetzt? "Komm, ich hab dir immer alles erzählt“, bettelte sie mich an, „während sich bei dir immer alles im Stillen abgespielt hat. Ich hab mich schon manchmal gefragt, ob du nicht doch als Jungfrau in die Ehe gegangen bist. Also erzähl: Superman - was bedeutet das? Fliegt er? Gibt es eine kryptonische Eigenschaft, die nur du kennst? Was macht er mit seinen ganzen Kräften? Ich will alles wissen!" Gespannt und erwartungsvoll sah sie mich an - sie platzte vor Neugierde.
Ich sah meine Schwester nachdenklich an und mir gingen dabei zwei Fragen durch den Kopf, warum sollte ich ihr von meinem Intimleben erzählen? Nur weil sie das machte? Auf der anderen Seite, mit wem außer mit meiner Schwester würde ich dieses Thema jemals anschneiden können? Es gab nur zwei weitere Frauen, die überhaupt wussten, wer der Mann war, der mich glücklich machte, meine Schwiegermutter und meine Mutter. Martha war sicher einer der verständnisvollsten Menschen, die ich kannte. Aber nie im Leben würde ich ihr eine Einzelheit, so eine Einzelheit über ihren Sohn berichten. Und meine Mutter - dieser Gedanke war so absurd, dass ich ihn noch nicht mal denken konnte.
Früher, als ich noch mit Männern von der Erde geschlafen hatte, hatten wir Frauen, wenn wir unter uns waren, immer auch mal gerne einen kleinen Scherz über die Männer gemacht. Über das Was und das Wie. Das hatte Spaß gemacht. Doch mein heutiges Leben mit Clark war so anders... so vollkommen anders. Vielleicht täte es sogar mal ganz gut, zu reden. Aber...
"Lucy, das hätte gar keinen Sinn.“, begann ich, während ich abwehrend meinen Kopf schüttelte. „Damit du wirklich verstehen kannst, was Clark mir bedeutet, müsstest du wissen, was ich davor erlebt habe...", versuchte ich auszuweichen. Aber noch während ich die Worte sagte, wurde mir klar, dass das weniger als Ausweichmanöver taugte, sondern eher die Einleitung für mehr war - ganz in Lucys Sinne. Verflixt, wann würde ich endlich lernen erst zu denken und dann zu handeln, oder zu sprechen?
Sie grinste mich an, machte es sich in ihrem Sessel wieder bequem, legte sich die Wolldecke wieder über die Beine, damit ihr nicht kalt wurde, nahm sich noch ein paar Käsecracker und ihr Glas Prosecco. "Gut, leg los. Die Kinder sind bei den Großeltern, dein Mann rettet die Welt, wir haben die ganze Nacht Zeit."
Ich atmete tief durch. Nicht dass es allzu viele Erfahrungen waren, die ich vor Clark gemacht hatte, aber ob die Nacht dafür reichen würde...?
„Okay... Zuerst war da Paul...
Um cool zu sein
"Erde an Lois!" Mit einem Ruck wachte ich aus meinen angenehmen Tagträumen auf.
"Lois, wo warst du nur mit deinen Gedanken?"
Natürlich, das musste sie ja fragen. Beste Freundinnen erzählten sich schließlich alles. Aber das hier würde ich trotzdem besser für mich behalten.
Linda sah mich kritisch an und folgte dann meinem Blick, der immer noch in die verräterische Richtung, zum 'Schwarzen Brett' ging. Vor dem Betonpfeiler, der über und über mit Zetteln übersät war, stand eine Gruppe von jungen Männern und diskutierten angeregt. Und auf einmal erhellte sich ihr Gesicht. Sicher hatte sie entdeckt, wen ich schon die ganze Zeit beobachtete. "Es ist Paul, nicht? Ich wusste es! Du fährst total auf ihn ab!" Begeistert sah sie mich an.
Wie? Was? "Linda!“, ich musste wenigstens so tun, als wäre das nun vollkommen abwegig. „Das hat überhaupt nichts mit Paul zu tun. Ich weiß ja nicht einmal, wer Paul ist...", versuchte ich so unbeteiligt wie nur möglich zu sagen. Demonstrativ drehte ich mich um und sah nun aus dem Fenster. So ein Campus glich doch einem Ameisenhaufen, ständig lief jemand von hier nach dort.
Linda sah mich mit diesem Blick an, der mir sagte, dass sie es besser wusste. "Natürlich kennst du Paul. Er ist der Redakteur unserer Uni-Zeitung, bei der du auch gerne arbeiten würdest, und das lieber gestern als heute. Ihr habt erst letzte Woche darüber gesprochen", triumphierte sie. Und wie um mir zu zeigen, dass sie sich von meinem in die Ferne schweifenden Blick nicht täuschen ließ, setzte sie sich auf eine dieser Fensterbänke und beobachtete mit einem breiten Grinsen im Gesicht das Treiben um das Schwarze Brett herum.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete schnippisch: "Und wenn schon. Nur weil ich ihn kenne, heißt das noch lange nicht, dass ich mich für ihn interessiere. Es gibt Tausende von netten Männern allein auf diesem Campus“, versuchte ich mich herauszureden, „Warum sollte es ausgerechnet Paul sein? Ich meine, wenn ich denn überhaupt verliebt wäre, was ich natürlich nicht bin." Ich redete mich um Kopf und Kragen. Und wahrscheinlich sah man mir auf hundert Meter an, was ich wirklich dachte. Ganz besonders Linda hatte da immer so ein unangenehm entlarvendes Gespür. Verflixt!
„Verliebt hast du jetzt gesagt." Ihr Grinsen wurde noch breiter. Linda King sah mich selbstsicher an, viel zu selbstsicher für meinen Geschmack. "Lois, immer, wenn du ihn siehst, bist du meilenweit weg und hast auch immer dieses selige Lächeln auf den Lippen. Der Fall ist ganz klar: Du bist scharf auf ihn." Bei diesen Worten schmunzelte sie. Ihre Augen hatten etwas Allwissendes. Manchmal konnte ich sie nicht leiden.
"Ich bin nicht scharf auf ihn!" protestierte ich. "Ich wüsste auch gar nicht, warum ich ausgerechnet auf ihn scharf sein sollte." Etwas ungeschickt packte ich die Bücher in meine Tasche. Das gab mir die Möglichkeit einfach zu gehen, wenn sie weiterhin so einen Mist erzählen würde.
Linda leckte sich kurz die Lippen, bevor sie mit ihrer Aufzählung begann: "Nun, er sieht toll aus. Diese blonden Haare. Und diese himmelblauen Augen. Sein charmantes Lächeln. Tolle Figur... Und du musst zugeben, er ist der vollendete Gentleman. Wortgewandt, gewitzt, humorvoll..."
Ich seufzte nur. Sie hatte es geschafft, all seine Vorzüge in einem Atemzug aufzuzählen. Ich konnte dieser Aufzählung noch etliche weitere Attribute hinzu zählen: Er hatte ein Lächeln, wie ich das noch nie vorher gesehen hatte. Warm, herzlich, charmant, so ein richtiges Gänsehautlächeln. Er hatte immer etwas zu erzählen, hatte schon so viele aufregende Abenteuer erlebt. Er war intelligent, gebildet und konnte einen unglaublich gut unterhalten. Alle mochten ihn, was ja nun wirklich kein Wunder war. Ich griff meine Tasche fester als wollte ich mich daran festhalten.
Und dann bekam Linda diesen Blick, den ich nicht ausstehen konnte. Wir verstanden uns wirklich gut, waren schnell gute Freundinnen geworden. Aber manchmal zeigte sie mir nur zu gerne, dass sie bereits ein Jahr länger auf dem Campus war, sich besser zurechtfand, mehr Leute kannte, und immer wenn sie das tat, dann mit diesem Blick. Diesem Lois-ich-zeig-dir-mal-wie-die-Welt-funktioniert-Blick. Genau wie in diesem Moment. „Ich kenne ihn ganz gut. Ich könnte da was arrangieren...“, setzte sie gönnerhaft an.
Sie hatte sich so vor mir aufgebaut, dass ich den Blick wieder frei hatte auf die Gruppe von Leuten. Paul stand mit dem Rücken zu mir. Aber ich genoss es auch, mir seine Rückseite anzusehen. Doch ja, die hatte etwas! Er sah einfach aus jeder Richtung klasse aus.
„Ach komm schon, Linda!“, platzte es aus mir heraus. „Er interessiert mich doch überhaupt nicht. Wozu also? Zugegeben“, lenkte ich etwas leiser ein. Es war ja nun wirklich nicht nötig, dass noch jemand mitbekam, worüber wir redeten. „Ich würde schon gerne an der Uni-Zeitung mitarbeiten. Ich glaube, ich habe wirklich das Zeug dazu. Und ja", fuhr ich genervt fort, "ich weiß, das geht nicht im ersten Jahr, du erklärst es mir ja ungefähr dreimal am Tag.“ Hoffentlich hatte sie nicht gesehen, wo ich die ganze Zeit hingeblickt hatte, wen ich die ganze Zeit beobachtet hatte.
Nun war es an Linda, ihre Arme zu verschränken. Wenn sie diese Haltung einnahm, wirkte sie ein Stück größer und sie wusste das. „Aber auch nur, weil du mir mindestens dreimal am Tag erzählst, wie gerne du bei der Zeitung mitmachen möchtest“, beschwerte sie sich.
Natürlich wollte ich bei der Zeitung mitmachen, ich wollte Reporterin werden! Je eher ich mit dem Schreiben begann, umso besser. Kein Mensch wusste, was diese dumme, blödsinnige und vollkommen überflüssige Regel sollte.
~ ~ ~
Ein paar Stunden später trat ich vor die Bibliothek, den Arm voller Bücher. Warum nur mussten diese verdammten Dinger so schwer sein? Warum brauchte ich nur immer so viele davon? Andere Studenten kamen mit weniger als der Hälfte aus. Nun, wenn sie glaubten, dass das reichen würde – ihr Problem. Aber gleich würde mir die ganze Ausbeute des heutigen Tages aus dem Arm rutschen, wenn ich es nicht irgendwie anders ordnete. Also erst einmal auf die Bank gesetzt. Meine Arme fühlten sich an wie Gummi und die Muskeln krampften.
Das würde wieder ein arbeitsreiches Wochenende werden, Kommunikations- und Mediengeschichte, Empirische Kommunikations- und Medienforschung, Wissenschaftstheoretische Grundlagen und Datenerhebung, Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik, Kommunikationsökonomie und noch ein paar Biographien... Puh!
Während ich so auf der Bank vor der Bibliothek saß, kam jemand auf mich zu. Genau aus der Richtung, in der gerade die Sonne unterging. So konnte ich ihn auch kaum erkennen, war geblendet. Ich sah nur seine Silhouette, aber die Stimme erkannte ich sofort.
„Hi Lois.“ Nur zwei Worte, doch allein diese Stimme jagte mir bereits einen Wonneschauer über den Rücken. Tief genug, um wirklich männlich zu wirken und doch noch ein wenig jungenhaft und ungehobelt - es war Paul.
„Hi...“ Warum fiel mir ausgerechnet in so einem Augenblick nichts Klügeres ein? In so einer Situation wurde ich immer zu einem stotternden Häufchen Elend. Warum musste ich mit diesen blöden Büchern hier sitzen? Ich sah aus wie ein Streber. Warum hatte ich die gleichen Klamotten an, die ich schon den ganzen Tag trug? Warum, warum...?
Ich konnte ihn gar nicht erkennen, die Sonne ging direkt hinter ihm unter. Nur wenn ich blinzelte, konnte ich ihn sehen – sah bestimmt super aus. Aber Paul redete immer noch mit mir.
„Und?“ Er machte eine kurze Pause und sah mich erwartungsvoll an. „Hast du schon etwas vor heute Abend?“
Na wunderbar! Es war Freitag, ich trug eine LKW-Ladung Bücher über den Campus und Paul dachte, ich hätte nichts vor an einem Freitagabend. Er dachte sicher, dass ich der dümmste Backfisch weit und breit war. Aber Moment mal... Hatte er mich gerade gefragt, ob ich etwas vorhatte? Hatte er mich gerade gefragt, ob ich frei war? Fragte er mich, ob ich ausgehen wollte - mit ihm? Hatte sein Blick nicht gerade etwas Verführerisches bekommen? Oder wollte ich das nur so sehen? Mein Herz schlug so wild, als wollte es mir aus dem Brustkorb springen. Was sagte ich ihm bloß? Warum fiel mit jetzt nichts Schlagfertiges ein? Am besten wechselte ich ganz schnell das Thema.
„Paul", versuchte ich so gelassen zu klingen, wie nur möglich, "es ist gut, dass ich dich hier treffe. Ich wollte dich nach deiner Meinung...“, wo hatte ich diesen Artikel denn bloß hingetan – ah, da war er ja, „...fragen. Es geht um eine Betrugsgeschichte. Hier auf dem Campus! Sag mir einfach, was du davon hältst.“ 'Ohh Lois!' Mit dieser Story hatte ich ihn ja ganz geschickt von der Freitag-Abend-Frage abgelenkt. Entweder würde er das Papier lesen, das ich ihm gerade gereicht hatte oder sich am besten gleich jemand anderes einladen. 'Du bist wirklich ein Idiot!' schimpfte ich mit mir selber.
Paul lächelte mich an. Mhh, was für ein Lächeln... Er schien von Innen heraus zu strahlen. Seine Augen leuchteten. Fast so, als ginge die Sonne mit ihm auf. Ich bekam ganz weiche Knie – zum Glück saß ich bereits. Dann reichte er mir den Artikel, den ich ihm gerade gegeben hatte, zurück. Ich nahm ihn mit zittrigen Händen entgegen.
Die untergehende Sonne umrahmte ihn inzwischen in einem warmen Licht. Das sah fast wie eine Erscheinung aus. „Lois, du hast einen Artikel geschrieben, für die Zeitung? Obwohl du – offiziell – noch gar nicht veröffentlichen darfst?“ fragte er ganz ruhig und gelassen.
Offiziell? Das hieß es gab einen inoffiziellen Weg? JA! Das war meine Chance!
„Also, ich sag dir etwas.“ Er schob eine Hand lässig in seine Hosentasche. Oh Mann, er sah so verdammt gut aus! „Ich habe jetzt gerade nicht die Zeit den Artikel zu lesen“, fuhr er ganz entspannt fort, „Aber warum kommst du nicht heute Abend bei mir vorbei? Hm? Dann werfe ich einen Blick darauf und sage dir, was wir machen können... mit deinem Artikel.“ Noch so ein entwaffnendes Lächeln. „So gegen neun? Wenn du Zeit hast? Wir werden auch sicher ungestört sein...“ Hatte er mir gerade zugezwinkert?
Mehr als ein Nicken bekam ich leider nicht zustande. 'Oh Lois, reiß dich zusammen!'
„Okay, dann bis nachher.“ Und dann wieder dieses breite, gewinnende Lächeln... Damit drehte er sich um und ging.
Ich war noch ein wenig durcheinander. Was für ein Abend! Als ich aus der Bibliothek gekommen war, hatte ich noch gedacht, dies würde wieder so ein langweiliges Wochenende mit Lernen und nichts als Lernen werden. 'Wahrscheinlichkeitstheorie' fiel mir dieser gruselige Buchtitel wieder ein. Und jetzt? Jetzt hatte ich eine Verabredung mit dem süßesten Typen weit und breit. Ja! Wenn Linda das wüsste, dachte ich mit einem zufriedenen Grinsen. Das hatte ich auch ganz ohne Lindas Hilfe geschafft. Oder ob sie da etwas arrangiert hatte? Nein! Ich hatte es doch strickt abgelehnt. Er wollte mich sehen. Mich! Er wollte meine Story lesen! Meine Story! Dann hatte er angedeutet, dass es einen inoffiziellen Weg geben könnte. Und... ich würde alleine mit ihm sein. Mark, sein Mitbewohner war schon heute Mittag nach Hause gefahren, da war ich sicher. Ich hatte ihn in den Bus Richtung Bahnhof steigen sehen.
Das konnte ja interessant werden! Vielleicht war ja sogar noch etwas mehr drin? Womöglich mochte er mich ja sogar ein wenig? Oooh, ich konnte es mir schon vorstellen: Kerzenschein, leise Musik im Hintergrund, ein wenig küssen, Händchenhalten und vielleicht sogar ein wenig kuscheln? Oh, Himmel, lass es wahr werden!
~ ~ ~
Es war schon sieben Uhr, und ich hatte immer noch keine Ahnung, was ich zu diesem besonderen Treffen anziehen sollte. Das Kleine Schwarze? Oder war das zu offensichtlich? Lieber enge Jeans und ein knappes Top? Vielleicht einen Minirock statt der Jeans? Ich wünschte nur, ich könnte Linda danach fragen, aber sie war heute leider ausgeflogen. So, wie ich sie kannte, übernachtete sie wieder woanders, also musste ich selber sehen, was ich machte.
Eines war sicher, ich würde erst einmal duschen. Also schnell ein Set Unterwäsche rausgesucht... Moment, was für Unterwäsche zog ich eigentlich an? Himmel hilf, wer hätte gedacht, dass eine einfache Verabredung so kompliziert sein konnte? All diese Entscheidungen...
Also mal langsam: Ich wollte, dass meine Unterwäsche zum Rest passte, war doch klar. Schließlich wäre es mehr als peinlich, wenn unter einem schwarzen Kleid ein weißer BH hervorblitzte, oder? Nicht, dass ich etwas in der Richtung vorhätte, aber man wusste ja nie so genau...
Das bedeutete dann also, dass ich mich erst einmal entscheiden musste, was ich oben drüber tragen würde, um zu wissen, was unten drunter in Frage kam. Mein allererste Griff in den Kleiderschrank ging zu einem eng sitzenden schwarzen Kleid. Aber das legte ich schnell wieder beiseite. Es war zu gewagt! Die Schultern waren frei, nur zwei dünne Träger, die sich im Rücken kreuzten und es hatte wirklich ein tiefes Dekolleté. Ich hatte es noch nie getragen. Nur, was gab es da noch?
Ein wenig später lag der gesamte Inhalt meines Kleiderschranks auf dem Bett und ich wusste immer noch nicht, was ich nun anziehen sollte. Ich geriet langsam in Panik, ich konnte doch jetzt nicht mehr absagen. Nein, das kam nicht in Frage, auf keinen Fall! Ich wollte dieses Treffen, ich wollte ein Date mit Paul, mehr als ich das Linda gegenüber jemals zugestehen würde. Okay, ich sollte eine Entscheidung treffen und zwar genau jetzt! Ein enger schwarzer, knielanger Rock, hoch geschlitzt - ich wartete schon lange auf eine passende Gelegenheit, ihn endlich tragen zu können. Dazu eine helle Bluse. Zum Schluss legte ich noch eine silberne Kette mit einem einfachen Anhänger an. Das war vielleicht nicht das Aufregendste, was mein Kleiderschrank zu bieten hatte, aber es war Lois Lane.
Alles Weitere lief dann wie von selbst, nun fügte sich alles. Duschen, Beine rasieren, anziehen, etwas Lidschatten, Rouge, einen passenden Lippenstift und der Versuch meine Haare zu bändigen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Frisörbesuch doch etwas Neues ausprobieren, lange Haare und Dauerwelle war wirklich nicht das Gelbe vom Ei. Um zehn vor neun sah ich in den Spiegel und fragte mich, ob ich noch die Zeit hatte, doch etwas anderes anzuziehen... nein, eindeutig nein. Warum auch? Was mir aus dem Spiegel entgegen blickte, war gar nicht mal so übel. Trotzdem war ich völlig aufgekratzt. Ich griff mir meine Tasche, sah zum hundertsten Mal nach, ob der Artikel auch wirklich darin lag und machte mich auf den Weg zum Block G3.
~ ~ ~
Genau in dem Moment, in dem ich gerade an die Tür 103 klopfen wollte, öffnete sie sich und er stand vor mir. Mein erster Blick ging zu seinen Augen, sie waren grün mit einem gelben Kranz um die Pupille. Dann glitt mein Blick zu seinen Lippen. Er hatte wunderschöne, volle Lippen. Paul trug ein blaues Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte und enge Jeans. Die Komposition seiner Erscheinung verschlug mir den Atem. Er hingegen sah überhaupt nicht überrascht aus, sah mich selbstbewusst an. Hatte er mich kommen gehört?
„Oh Lois, schön, dass du schon da bist.“ Und immer wieder dieses Lächeln... „Komm rein und mach es dir bequem. Hey, du siehst wirklich schick aus! Ich bin überwältigt.“ Das hörte sich ziemlich überzeugend an. Entweder war er der beste Lügner der Welt, oder ich schien ihm wirklich zu gefallen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch schlugen Purzelbäume. „Also, ich wollte uns gerade einen Tee kochen. Bin gleich wieder da“, sagte er hektisch, aber mit einem Lächeln. Mit diesen Worten stürmte er an mir vorbei.
Tja, und da stand ich dann also etwas unschlüssig in seinem Zimmer. Aber das gab mir die Möglichkeit, mich ein wenig umzusehen. Für das Zimmer eines Jungen war es ziemlich aufgeräumt. Ob es wohl wegen mir so ordentlich war, oder sah es hier immer so aus? Es hatte natürlich die gleichen zweckmäßigen Möbel wie Lindas und mein Zimmer. Aber im Gegensatz zu unserem Zimmer, schienen in diesem Block Küche und Bad auf dem Flur zu sein. Er hatte gesagt, ich sähe 'schick' aus und er sei 'überwältigt'. Diese Worte gingen mir gerade durch den Kopf. Ich hatte eine ganz schöne Gänsehaut. Marks Seite des Zimmers lag im Dunkeln und auch Pauls Seite war nicht besonders hell ausgeleuchtet. Ob die Deckenlampe kaputt war oder wollte er erreichen, dass es kuscheliger war? Es gab nur zwei Sitzmöglichkeiten, seinen Schreibtischstuhl, der allerdings völlig mit Büchern beladen war, und sein Bett. Also setzte ich mich aufs Bett. Aus dem Kassettenrecorder war leise 'One more night' von Phil Collins zu hören, ein wirklich schöner Song.
Ich atmete einmal tief durch und versuchte mich etwas zu beruhigen. Aber ich konnte nicht verhindern, dass ich völlig angespannt dort saß. Ob es Paul wirklich nur um meine Story ging? Wir würden ja sehen, was der Abend noch bringen würde. Wenn er mich küssen wollte, hätte ich ganz sicher nichts dagegen. Oh nein, ganz bestimmt nicht.
Paul kam aus der Teeküche zurück, aber er hatte keine Teekanne dabei, sondern eine Flasche Wein. „Also, Tee ist nicht, der ist alle, tut mir leid.“ Er machte in betretenes Gesicht, fuhr dann aber mit einem triumphierenden Lächeln fort: „Aber ich habe eine Flasche Wein aufgetrieben." Er ging zu dem kleinen Schränkchen am Ende des Bettes. "Ich denke, ich habe sogar zwei Gläser da“, murmelte er konzentriert, während er in dem Schränkchen suchte.
„Ähm, ich vertrag Alkohol nicht besonders gut...“, druckste ich herum.
Stolz holte er zwei Gläser aus dem Schränkchen hervor. Sie waren etwas groß für Rotweingläser, aber in einem Studentenwohnheim lernte man schnell die Ansprüche herunter zu schrauben. „Ach komm schon Lois, nur ein kleiner Schluck, der ist wirklich lecker. Probier mal.“
Paul füllte zwei Gläser mit dem Rotwein, kam zu mir und setzte sich neben mich auf sein Bett. Und immer wieder dieses ermunternde Lächeln... Er reichte mir das Weinglas. Ich wusste, ich sollte nichts trinken, schon gar nicht, wenn ich so aufgeregt war. Das Kerzenlicht spiegelte sich in seinen Augen... Immer noch dieses Lächeln. Dem konnte ich doch nicht widerstehen. Ich nahm das Glas zögerlich und wir stießen an.
„Oh-oh, du bist wirklich auf den ältesten aller Verführ-Tricks herein gefallen? Lois, das stinkt doch zum Himmel! In einem Studentenwohnheim gibt es eine Zutat, die niemals ausgeht: Tee! Du hast ihm das geglaubt?“ Lucy fragte mich das sehr entsetzt.
„Ja... ich habe es ihm geglaubt, natürlich.“ Es war mir auch gar nicht peinlich. Ich war naiv, das stimmt. Habe geglaubt, was jemand mir sagte. Doch es waren genau solche Begegnungen, wie diese mit Paul, die mich dann zu der Skeptikerin hatten werden lassen. „Ich habe ihm schließlich auch geglaubt, es ginge ihm um meinen Artikel... Aber ich war noch jung.“
„Ja, jung schon“, echauffierte sich meine Schwester, „aber doch auch kein Kind mehr.“ Doch dann besann sie sich und vielleicht erinnerte sie sich an ihre eigen Jungendzeit. Lucy neigte in der Zeit, genau wie ich, dazu den falschen Männern zu vertrauen. Dann fuhr sie viel ruhiger fort: „Okay, lass hören, wie du dich hast um den Finger wickeln lassen. Mit dem Rotwein, der zufällig verfügbar war...“
Der Wein war schwer und süß, so gar nicht mein Geschmack. Paul stieß gleich noch einmal an, vorsichtshalber nippte ich dieses Mal nur an meinem Glas.
"Ich bin wirklich froh, Lois, dass ich dich da heute getroffen habe." Er sagte das so überzeugend, ich konnte nicht anders als ihm zu glauben. Himmel! Er mochte mich doch! Paul stieß mein Glas mit seinem noch einmal an. Warum trank er so schnell? "Ich wollte dich schon öfter mal ansprechen. Umso schöner, dass es heute geklappt hat." Oh nein, er hatte sich nur nicht getraut! Wie lange war er wohl schon verliebt in mich? Oh Lois!, Verliebt war sicher etwas zu enthusiastisch gedacht, mehr mein Wunschdenken.
Ich hätte so gerne etwas gesagt, etwas Schlagfertiges, etwas Kluges, etwas Witziges. Aber es kam mir in diesem Moment fast so vor, als hätte ich das Sprechen verlernt. Er stieß noch einmal an und drängte mich damit wieder zum Trinken. Das erste Glas war schon leer und der Wein begann bereits mir in den Kopf zu steigen. Ich vertrug einfach nichts.
Paul sah mich an und sein Lächeln verschwand. Sein Blick wurde ganze weich und ich hatte das Gefühl, er würde mir immer tiefer in die Augen sehen. Plötzlich nahm er mir mein Glas aus der Hand und stellte es beiseite. Was war denn nun? Er kam mir immer näher. Ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren, in warmen Wellen breitete sich ein Kribbeln über meinem ganzen Körper aus. Ich roch sein Aftershave, herb, würzig, frisch - männlich. Paul neigte seinen Kopf etwas zur Seite. Ohne dass ich wusste wie, war seine Hand plötzlich auf meiner Wange und seine Lippen auf meinen. Oh Himmel, dieser Kuss kam so überraschend. Er drängte meine Lippen auseinander und seine Zunge schnellte hervor. Er schmeckte so gut. Spritzig, vollmundig und aufregend. Der Wein bekam gerade eine ganz neue Dimension, jugendlich, betörend und mit dem Verlangen nach mehr, all das durfte ich aus dem Tanz unser begierigen Zungen heraus kosten. Dieser Moment hätte gerne ewig dauern dürfen. Ich saß hier wirklich mit dem süßesten Jungen des Campus und wir küssten uns sehr, sehr innig. Mein Herz hämmerte wild.
Dieser Kuss schien nicht enden zu wollen. Und er hätte gerne bis ins nächste Jahrhundert gehen dürfen. Im nächsten Augenblick schlang er seine Arme um mich und drehte mich zur Seite und auf den Rücken. Hey, das war jetzt aber etwas schnell, wollte ich sagen, aber sprechen war gerade unmöglich. Oh verdammt Lois, das wurde wohl doch etwas mehr als nur ein unschuldiger Kuss. Was war eigentlich ein unschuldiger Kuss, schoss mir diese blödsinnige Frage durch den Kopf. Doch nur, weil wir jetzt nicht mehr aufrecht saßen, war es ja noch keine Katastrophe, oder? Sollte ich ihn nicht besser aufhalten? Damit er dachte, ich sein so ein 'Rühr-mich-nicht-an' - nein! Aber könnte er so nicht denken, ich sei schnell rumzukriegen...?
Paul ließ seine Hände über meinen Körper wandern, meine Arme, Schultern, Hals, sie schienen überall zu sein. Überall hinterließen sie eine glutheiße Spur. Ich glaube, ich hatte noch nie in meinem ganzen Leben etwas so intensives gespürt. Strich er mir sanft über die Haut, reagierte jede einzelne meiner Zellen und richtete jedes feinste Härchen auf. Dort, wo meine Bluse meinen Körper bedeckte, griff er etwas beherzter zu. Flüchtig berührte er meine Brust, sicher aus Versehen, es hatte etwas elektrisierendes, aber auch...
Ich stockte, war hin und her gerissen, auf der einen Seite fühlte es sich gar nicht mal so schlecht an. Auf der anderen Seite kannten wir uns doch kaum, hatten kaum mehr als ein paar Worte gewechselt. Auch heute Abend, ganz besonders heute Abend. Wir kannten uns doch kaum. Das war mir zu vertraut, zu eng. Seine eine Hand glitt unter meinen Rock - oh nein – Lois, tu etwas!
Seine Hand wanderte höher und höher. Ich merkte, wie sich etwas in mir sträubte. Das ging mir alles zu schnell. Konnte ich ihn jetzt noch aufhalten? Hätte ich das nicht schon früher machen müssen? Hatte ich ihn durch die Tatsache, dass ich ihn nicht gestoppt hatte, nicht geradezu ermutigt? Was sollte ich jetzt nur machen?
Mit meiner einen Hand auf seinem Brustkorb sorgte ich dafür, dass sich unsere Lippen trennten. Mit der anderen stoppte ich seine Hand, die unter meinem Rock nach meiner Ansicht etwas zu forsch voran schritt. Atemlos sagte ich zu ihm: "Paul, was ist mit meinem Artikel, du wolltest ihn doch sehen..." Na wunderbar, prima abgelenkt. Damit würde er sicher denken, ich war nur wegen des Artikels hier.
Er lächelte mich überlegen an, legte mir seinen Zeigefinger auf meine Lippen und machte: "Pst", seine andere Hand wanderte nun langsam ein wenig tiefer, glitt an meinem Hals entlang und streifte wieder meine Brust. Paul strahlte mich an. "Lois, entspann dich. Ich werde deinen Artikel in die Zeitung bringen, das ist doch kein Problem."
Das löste in mir einen stillen Jubelschrei aus. Ja! Ich hatte es geschafft, mein erster Artikel! Er würde gedruckt werden und das in meinem ersten Collegejahr! Wer hatte das vor mir geschafft? Pauls Hände wanderten immer weiter, berührten mich überall. Nur langsam dämmerte mir der Preis für seine Großzügigkeit. Aber ich konnte Paul doch jetzt nicht mehr zurückweisen. Er ging weiter. Zielstrebig, sehr zielstrebig, wie mir schien. Ich konnte doch jetzt nicht mehr 'nein' sagen. Nicht, nachdem ich ihn nach meinem Artikel gefragt hatte, nachdem er mir gesagt hatte, dass er den Artikel drucken würde und das gegen alle Regeln. Von Entspannung war lange keine Rede mehr. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich hier in etwas hinein manövriert hatte, aus dem ich nicht mehr heil herauskommen konnte. Also versuchte ich die Zähne zusammen zu beißen und auszuharren, versuchte die tapfere Lois zu mobilisieren.
Wann hatte er meine Bluse aufgeknöpft? Ich hatte das gar nicht gemerkt. Wie weit würde er gehen? Seine Hände waren überall, und was sie taten gefiel mir nicht wirklich. Das war einfach alles zu... intim. Zu plötzlich. Zu nah. Und eigentlich wollte ich es doch noch nicht. Zumindest nicht so schnell, nicht so überstürzt... Ich versuchte an etwas anderes zu denken, an mein Zimmer, wo ich jetzt auch über meinen Büchern sitzen könnte, oder an zu Hause. Als nächstes schob er meinen Rock ganz nach oben und war gleich darauf in meinem Slip - da wusste ich, wie weit er gehen würde...
Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Das Gefühl des Triumphs war inzwischen vollständig zerstört. Stattdessen war da das Gefühl, benutzt zu werden und nichts dagegen tun zu können. Oder hätte ich etwas machen können?
Doch 'Es' musste sowieso irgendwann passieren. Ich hinkte hinterher, schon lange. Alle anderen hatten 'Es' schon längst getan, hatten immer etwas zu erzählen. Nur ich saß immer schweigend dazwischen, es war einfach Zeit für mich. Und wenn 'Es' heute schon passieren musste, dann doch lieber mit so einem Typen wie Paul. Noch vor wenigen Stunden fand ich noch, dass Paul der süßeste Typ auf dem ganzen Campus war. Süßer und intelliegenter bestimmt als Stan oder Will oder die anderen widerlichen Kerle. Aber warum fühlte ich mich dann, als würde ich gerade von einer Lawine überrollt? Ich hatte keinen Einfluss mehr, keine Kontrolle, keine Macht. Es passierte einfach...
~ ~ ~
Für den Heimweg zu meinem Wohnblock wählte ich den langen Weg durch den Park, ich lief sogar noch um den Teich herum. Es war eine sternenklare, mondlose Nacht und stockfinster. Ich fühlte mich so ausgelaugt, dass mir noch nicht mal mehr die riesigen Bäume mit ihren tiefschwarzen Schatten Angst machten. Ich wollte einfach noch nicht in mein Zimmer zurück. Im schlimmsten Fall wäre Linda da gewesen und würde mich fragen, wo ich gewesen war, was in mich gefahren sei. Was sollte ich ihr antworten? Ich habe mit ihm geschlafen und es war furchtbar? Das war die Wahrheit, aber die konnte ich Linda doch nicht erzählen. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Linda hatte so scheinbar mühelos-lässig eine Affäre nach der anderen und allem Anschein nach auch noch Spaß daran. Warum nur machten alle so ein Aufhebens darum? Ich fühlte mich benutzt, übergangen und so machtlos. Wenn ich vorhin schon gewusst hätte, was ich jetzt wusste, hätte ich nein gesagt. Warum hatte ich nicht die Kraft dazu gehabt, ihn aufzuhalten?
Paul hatte keinen Zweifel an seinem Vorhaben aufkommen lassen, hatte begonnen mich nach und nach immer weiter auszuziehen. Seine Hände waren immer weiter gegangen. Mit jedem weiteren Schritt hatte ich nur immer deutlicher gemerkt, dass ich nicht wirklich wollte, dass ich einfach noch nicht soweit war. Aber ich hatte nichts gesagt. Schweigend ertragen. Er war recht ungeschickt gewesen und hatte mir wehgetan. Nur warum hatte ich nicht 'nein' gesagt?
Ich hatte es als Defizit empfunden, noch unerfahren zu sein. Das hätte ich ihm auch nicht sagen können - vorher, aus Angst, er würde mich auslachen. Bis vorhin war ich noch Jungfrau gewesen, er hatte es vielleicht sogar bemerkt. Doch ganz gleich, was er mitbekommen hatte, gesagt hatte er nichts. Was aber auch nicht wirklich verwunderlich war, er hatte ja offensichtlich auch nicht bemerkt, dass ich nicht gewollte hatte. Oder doch?
Warum hatte er mir nicht einfach etwas Zeit geben können? Aber Warten wurde scheinbar sowieso überbewertet. Wir hätten doch nur ein wenig kuscheln können - doch einfach nur Kuscheln wurde wohl auch überbewertet. Und warum mussten die Kerle immer gleich aufs Ganze gehen? Ein wenig Streicheln wäre doch auch sehr schön gewesen - aber auch Petting wurde völlig überbewertet. Und wenn es schon unbedingt zur Sache gehen musste, dann doch bitte... doch auch Vorspiel wurde offensichtlich vollkommen überbewertet. Wenigstens konnte ich den sexuellen Einstieg abhaken – wenn auch mit der Erkenntnis, dass das erste Mal in meinen Augen total überbewertet wurde. Ich für meinen Teil konnte da jedenfalls nichts Besonderes, Mystisches, Einmaliges dran finden. Ich war nur froh, als es vorbei war.
Aber wurde all das wirklich überbewertet? Zählte es heute tatsächlich nichts mehr, sich erst einmal kennen zu lernen, sich nach und nach näher zu kommen? War es etwa altmodisch, sich Nähe spüren zu wollen, Gefühle aufkeimen zu lassen, Vertrauen aufzubauen? Waren meine Ansprüche zu hoch? Verlangte ich zu viel?
Doch nachdem ich den Teich sogar schon zweimal umrundet hatte, wurde mir kalt und ich ging in unser Zimmer. Überraschenderweise war Linda da, aber sie schlief fest. Das war gut so. So würde sie nicht auf die Idee kommen, mich zu fragen, warum ich mitten in der Nacht unbedingt noch duschen wollte – und das musste ich nun einfach tun. Ich ließ meine Tasche auf den Boden fallen, zog mich aus, ohne auch nur das kleinste Geräusch zu machen und ging ich mich erst einmal Waschen. Versuchte das Erlebte abzuspülen.
Doch kurz darauf war mir klar, Schlafen konnte ich sowieso nicht. Ich wälzte mich hin und her und weinte still in mein Kopfkissen. Ich wusste in diesem Moment gar nicht, was eigentlich schlimmer war, dass 'Es' wirklich so schrecklich gewesen war oder die Tatsache, dass ich mich in Paul so vollständig getäuscht hatte.
~ ~ ~
Das ganze Wochenende dachte ich darüber nach, ob mein erster Artikel in der Unizeitung es wert gewesen war, was ich getan hatte. Und jedes Mal, wenn ich mich fragte, ob ich es wieder tun würde, kam mir ein sehr deutliches 'Nein!' in den Sinn. Doch erst am Montagmorgen, als an allen Verteilstellen die neueste Ausgabe der Unizeitung auslag, dachte ich wieder ganz konkret an meinen Artikel. Und ich fiel fast in Ohnmacht. In den größten Lettern, die der Druck hergab, prangte die Überschrift auf der Titelseite: BETRUG UM DEN SPORTAUSSCHUSS AN UNSERER UNI – von Linda King. Ich überflog den Artikel – es war meiner, wortwörtlich! Von Linda King... Wie war sie an den Artikel gekommen? Von Linda King... Wie konnte sie ihn als ihren ausgeben? Von Linda King... Ich dachte, wir wären Freundinnen... gewesen.
Je mehr ich über das 'Wie' nachdachte, umso mehr kam ich dahinter, dass es nur eine Erklärung geben konnte: Linda war da gewesen, als ich Freitagnacht, nach dem gruseligen Date mit Paul, zurück in unser Zimmer gekommen war. Ich hatte Paul den Artikel zeigen wollen, doch dazu war es gar nicht gekommen. Er hatte anderes im Sinn gehabt und das wahrscheinlich von dem Moment an, wo er mich vor der Bibliothek angesprochen hatte, ob ich Zeit hätte. Der Artikel war immer noch in meiner Tasche gewesen, die ich einfach irgendwo fallen gelassen hatte. Wenn er dann morgens noch in meiner Tasche gewesen wäre, als Linda schon weg gewesen war, dann müsste er jetzt auch noch dort sein – aber das war er nicht. Linda hatte mir meinen Artikel gestohlen! Meine Zimmergenossin, meine Freundin hatte mir meinen Artikel gestohlen und ihn als ihren ausgegeben.
Entrüstet, atemlos und wütend lief ich in unser gemeinsames Zimmer, das würde sie mir büßen! Dafür würde sie bezahlen! Das würde ich mir nicht gefallen lassen – nicht von ihr! Doch unser Zimmer war leer. Stimmt ja, sie war die ganze Nacht nicht hier gewesen.
Ich musste zu Paul. Ich musste das klären, ich musste ihm sagen, dass das in Wirklichkeit mein Artikel war. Vielleicht bekam ich so die Chance auf einen anderen Artikel. Obwohl sich sicher nicht so schnell wieder eine so hervorragende Betrugssache ergeben würde.
Wütend stapfte ich zu seinem Wohnblock G3. Es war noch früh, er war sicher noch in seinem Zimmer. Auf dem Weg nach oben nahm ich immer zwei Stufen zugleich. Ohne anzuklopfen stürmte ich in sein Zimmer... Da traf mich der Schlag... ich konnte nicht atmen... ich konnte es nicht glauben... ich stand wie angewurzelt dort... In Pauls Bett lagen er – und Linda! Eng umschlungen, nackt, gerade eben von der Decke bedeckt – und schliefen scheinbar noch fest.
Ich kämpfte mit dem Kloß, der mir den Hals zuschnürte, zog leise die Tür wieder zu und schloss meine Augen. Das musste ich tun, ich wollte auf keinen Fall hier im Flur, vor seinem Zimmer stehen und wieder anfangen zu heulen. Ich blieb einen Moment wie angewurzelt dort stehen. Die Tränen brannten in meinen Augen. Doch dieser Mistkerl war nicht eine einzige Träne wert! Und ich hatte schon so viele an ihn verschwendet.
Mein erster Artikel... mein erster Mann... mein erstes Mal... meine beste Freundin – und alles, wirklich alles ein kompletter Reinfall!
Lucy sah mich an, ungläubig, fassungslos, empört. „So ein... Mistkerl! So ein fieser, gemeiner, blöder... und wahrscheinlich war er noch nicht mal gut, oder?“ Sie reichte mir ihr leeres Glas, damit ich es nachfüllen konnte.
„Gut...?“, schnaubte ich. „Als er das College verließ, rühmte er sich damit, in dieser Zeit mit mehr als hundert Frauen geschlafen zu haben. Er war scheinbar mehr an Quantität denn an Qualität interessiert. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass er keine Kerbe in seinen Bettpfosten geschnitzt hat. Aber ich war verliebt, oder glaubte das wenigstens... Und Qualität? Die würde ich ihm auch nicht bescheinigen. Auf einer Skala von eins bis zehn... so etwa eine 1,3... höchstens!“
Lucy lachte, ich stimmte mit ein. Heute konnte ich das.
„Nicht sehr ermutigend, wenn der Erste so ein Rambo ist. Hat es dich nicht abgeschreckt?“, fragte meine Schwester mitfühlend.
„Ja, doch. Heute kann ich darüber glücklicherweise lachen. Damals hat es mich ziemlich fertig gemacht. Über Wochen war ich praktisch ein Wrack. Der erste Liebeskummer ist immer der Schlimmste. Ich habe fast zwei Jahre gebraucht, bis ich den nächsten Kerl so dicht an mich heranließ. In der Zeit habe ich mein Erfolgsrezept gegen Herzenskummer entdeckt: Arbeit über Arbeit. Zwei Jahre übrigens, in denen ich mehr Artikel für die Zeitung geschrieben habe als Linda in ihrer ganzen Collegezeit. Sie hingegen konnte nie wieder einen Artikel vorweisen, der an ihre einzige Titelstory heranreichte – wen wundert's? Ich habe mir natürlich ein anderes Zimmer genommen, habe nie wieder ein Wort mit ihr gewechselt. Jedenfalls nicht mehr zu Collegezeiten.“ Mein Blick glitt in die Ferne, an den Rand meiner Erinnerung. Das alles war glücklicherweise schon sehr lange her.
Lucy holte mich zurück ins Hier und Jetzt. Sie fragte mich zwischen zwei Schlucken aus ihrem Glas: „Wo ist dein Mann überhaupt... in diesem Moment?“
„China, Erdbeben“, sagte ich nur kurz angebunden. „Das rief er mir noch zu, bevor er abhob.“
Lucy sah mich ungläubig an. „Abhob? Du meinst, er... fliegt da direkt hin?“ Etwas an diesem Gedanken schien sie zu irritieren. Dabei wusste sie doch nun, dass er fliegen konnte.
„Ja, klar.“ Ich sollte nachsichtiger mit ihr sein und ihr etwas Zeit geben. Wer hatte schon einen fliegenden Schwager? Für mich gehörte es heute zur Normalität, dass er auf dem Weg von Neuseeland, wo er ein Buschfeuer gelöscht hatte, im indischen Ozean noch kurz einen Tanker barg, ein russisches U-Boot aus dem Eismeer befreite, um dann eine Stunde nach Verlassen des Hauses wieder hier zu sein. Manchmal brachte er dann noch frische, warme Bagels mit. Und meist erschien er ganz gelassen und nur sein verdreckter Anzug zeugte davon, was er alles erlebt hatte.
Ich winkte dann lässig ab. „Mit den Nachbeben kann das allerdings noch Stunden dauern... Erdbeben sind erfahrungsgemäß immer eine längere Sache. Wir haben Zeit. Also, der Nächste, mein erster richtiger Freund, an ihn bin ich auch durch eine Story gekommen. Er hieß John...